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Wöchentlich erscheine« drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22) Sildergr. ?dlr.) viertelsädrlick, Z THIr. für da- gan^e Iaör, odne ErdSkuntz, in alten LdMen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin del Beit u. Comp., JägerKraße Nr. 28), so wie von allen KSnigl. Poft - Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 8. Berlin, Dienstag den 19. Januar 1847. Frankreich. Eine Episode aus der Zeit der Kontinentalsperre Napolcon's. Es ist allgemein bekannt, in welcher Absicht Napoleon es unternahm, die Kontinentalsperre zu organisiren. Durch verschiedene Umstände an seinem Projekt, Englands Küsten anzugreifen, verhindert und unaufhörlich gezwun gen, die Feinde zu bekämpfen, welche ihm das Kabinet von St. James auf dem Kontinent schuf, schleuderte der Kaiser, weil er daran verzweifelte, mit seinem glücklichen Widersacher von Angesicht zu Angesicht zu kämpfen, gegen ihn die berühmten Dekrete von Mailand und Berlin, die den Zweck hatten, die Industrie und den Handel des englischen Volks zu vernichten und ihm auf diese Weise einen empfindlichen Schlag beizubringen. Die Geschichte dieser Sperre ist jedoch wenig bekannt. Die Maßregeln, die man zu ihrer Aufrechterhaltung ergriff, die daraus entstandenen beiden, welche noch weit mehr auf dem Kontinent als auf dem Feinde lasteten, den sie eigentlich treffen sollten, die Anstrengungen des sinkenden Handels zur Vermeidung oder zur Ueberwindung der Gefahr, diese und noch viele andere Einzelheiten sind nicht an den Tag gekommen. ES gab und giebt zwar Leute genug, die alles dies genau kennen; doch waren es nur solche, die eine Stellung behaupteten, worin eine derartige Mitthcilung ihnen die härtesten Strafen hätte zuziehen können ; und später haben sie es nicht der Mühe werth gehalten, uns Ergebnisse zu erzählen, di« durch die darauf folgenden Kata strophen, welche den Fall des Kaiserreichs und die Restauration herbeiführten, an Wichtigkeit verloren hatten. Die hier erzählte Episode hebt einen Theil des Schleiers, der diese Epoche bedeckt. Vorher müssen wir jedoch einige zum Verständniß derselben nothwendige Bemerkungen über jene Zeit mit- theilen. Die Häfen des Festlandes von Europa waren allen Schiffen, die jenseits des Meeres gelegenen Ländern angehörten, geschloffen. Daher wurden die außereuropäischen Handelsartikel und diejenigen Waaren, deren Fabrication England zu jener Zeit allein verstand, dergestalt selten und erreichten eine solche Höhe des Preises, daß nur die Reichsten im Stande waren, sie sich zu verschaffen, während der Handel im Allgemeinen sie gänzlich entbehre» mußte. Die französische Industrie verdankt zwar dieser für sie so unglück lichen Epoche einen großen Aufschwung; aber mit wie viel Elend und Sorge hat sie diesen Bortheil erkaufen müssen! Es gab damals keine Freiheit der Presse. So gab eS auch Niemand, der das Recht gehabt hätte, die Entbeh- rungcn des Volks und den Umfang seiner Leiden aufzudecken. Man kann sich kaum einen Begriff von der Menge strenger Urthcile und grausamer Strafen machen, die für Zollvergehen verhängt wurden; man bestrafte nicht nur die jenigen, welche sich derselben durch die That schuldig gemacht hatten, sonder» auch alle diejenigen, die man mit Recht oder Unrecht im Verdacht hatte, daß sie irgend ein Interesse daran haben konnten. Hierzu kam noch ein völlig organisirtes Spionir- und Denunciations-System, so daß sich Niemand vor den Verfolgungen dieser Art sicher glauben konnte. Man sah Handlungs häuser mit ungeheuren Geldbußen belegt, weil ste ihre Verbindungen mit dem Auslande fortgesetzt hatten, ihre Chefs auf lange Jahre eingekerkert, weil sie außer Stande waren, die Buße zu bezahlen. Das System der Gränz- bewachung wurde mit einer Geschicklichkeit und einer Strenge aufrecht er halten, die eine Uebertretung der Gesetze in dieser Beziehung so gut wie un möglich machten. Die Führer dieses Verwaltungszweiges bediente» sich ihrer außergesetzlichen und fast diktatorischen Gewalt in ihrer ganzen Ausdehnung; denn sie wußten, daß ihre Strenge vom Kaiser, der sich das letzte Urtheil über alle die Gränzbewachung betreffenden Angelegenheiten Vorbehalten hatte, stets gebilligt wurde. war nicht nur untersagt, Waaren irgend welcher Art mit dem Aus- lande anszutauschen, sondern das Verbot erstreckte sich auch auf Personen und Korrespondenzen. Die Absendung eines einfachen Briefes, der nur von Familien-Angelegenheiten handelte, wurde wie ein Majestäts-Verbrechen be straft. Alic Küsten waren streng bewacht. Niemand konnte sich ihnen bis auf einige Meilen nähern, ohne den größten Plackereien ausgesetzt zu seyn, wenn er seine Anwesenheit in den Augen der überall nur Schuldige erblickenden Be hörden nicht rechtfertigen konnte. Die Gendarmen und die Polizei unterstützten die Zollbeamten nach besten Kräften, um jeden Ausweg abzuschneiden: und Frankreich befand sich, trotz seiner zu dieser Zeit unermeßlichen Größe, wie von einer dreifachen eisernen Mauer eingeschloffen. Dieser Zustand wäre sür England zuletzt doch gefährlich geworden, wenn der Nationalgeist seiner Be wohner sich nicht gegen diesen Uebelstand zu schützen gewußt hätte. Man be diente sich des bis aus den niedrigsten Preis herabgesunkenen Zuckers, um da mit das Vieh zu mästen; man suchte und fand andere Punkte des Erdtheils für die Ausführung der Waaren, an die man bisher nicht gedacht hatte; und endlich versuchte man, trotz aller drohenden Gefahren, den Schleichhandel. Die meisten dieser Versuche hatten einen traurigen Erfolg. Derjenige, von dem wir hier eine Schilderung geben wollen, machte eine Ausnahme von der Regel, Dank den Anstrengungen und der Ausdauer des jungen Mannes, der sie ohne Autorisation seiner Vorgesetzten unternommen hatte. Wir wollen ihn jedoch selbst sprechen lassen. Im Jahre I7S7 schickte mich mein Vater, der mich für die Handlung be stimmt hatte, als Lehrling in ein geachtetes Haus zu Genf. Ich zählte damals fünfzehn Jahr, liebte die Arbeit; auch traute man mir einigen Ver stand zu. Da ich mich nun meinen Vorgesetzten nützlich zu machen wußte, behielten sie mich nach abgclaufcner Lehrzeit als Kommis in ihrem Geschäft. Jedoch blieb ich nur meinen Acltern zu Gefallen, die mich nicht gern weit entfernt von sich wissen wollten; denn ich hatte nur ein geringes Einkommen und würde überdies lieber, wenn es nach meinem Geschmack gegangen wäre, mein Glück im Auslande gesucht haben. So verharrte ich denn in derselben Stellung bis zum Jahre 1808, als die berühmten Dekrete von Mailand und Berlin erschienen. Wir besaßen einige Waaren, die schnell vergriffen waren und nun durch kein Mittel erneuert werden konnten. Chefs, Kommis und Lehrlinge kreuzten die Arme und warteten. Zum Zeitvertreib lasen wir Romane von allen Sorten, schlechte und gute. Mehr als eine Leihbibliothek verdankt ihr Glück dem Haffe Napoleon s gegen England, was wabrscheinlich weder der Eine noch das Andere sich träumen ließen. Täglich wiedcrbolte man das alte trostreiche Sprüchwort; „Wenn man den Bogen zu sehr spannt, so bricht er." Der Bogen schien zedoch ziemlich stark zu seyn. — Im Februar 180» kündigten die Zeitungen an, daß zu Cherbourg ein Fahrzeug verkauft werden würde, das den Engländer» von einem Kreuzer abgenommen war und dessen Ladung gerade aus solchen Artikeln bestand, deren wir schon seit langer Zeit entbehrten. Meine Chefs beschlossen, mich mit Instructionen und einem Kredit von hunderttausend Francs auf Paris versehen an Ort und Stelle zu schicken. Froh, mein Pult, meine Romane und meine Unthätig- keit verlassen zu können, mache ich mich auf den Weg nach Paris. Hier halte ich mich gerade nur so lauge Zeit auf, als nothwcndig ist, unsere Korrespon denten zu sehen und zu sprechen. Da begegne ich einem alten Schulkame raden, der mir gehcimnißvoller Weise ins Ohr flüstert, daß die Engländer ein Comtoir zu Helgoland errichteten, und daß schon ein kleines Fahrzeug an der Küste Ostsrieslands gelandet sey. Mehr theilte er mir nicht mit. Wenig bedeutend, wie mir diese wichtige Mitthcilung damals erschien, achtete ich nicht sehr darauf und nahm Postpferde nach Cherbourg. Kaum hatte ich jedoch Paris im Rücken, als sich die Bewegung des Wagens meiner Einbildungskraft mittbeilte; und während mein Körper fick der französischen Küste näherte, flog mein Geist nach OstfrieSland und schwebte um den Felsen von Helgoland. „Welche Narrheit", dachte ick bei mir, „in Cherbourg englische Waaren zu kaufen, die ich neunmal thcurer bezahlen muß, als sie werth find. Ob man den Versuch wagt, nach London zu gehen k ES wird doch in dieser lebendigen Hecke von Zollwächtern irgend ein Loch zu finden seyn, wo man hindurch schlüpfen kann. Aber was werden meine Vor gesetzten sagens Schlagen wir uns das aus dem Sinn. Gelingt's, so werde ich ihnen rein wie der Schnee erscheinen. Gelingt's nicht... nun dann?... Aber es wird gelingen." — Noch mit dem Bau dieser Luftschlösser beschäftigt, kam ich in Cherbourg an; doch ganz erfüllt, wie ich war, von meinen groß artigen Plänen, gab ich mich nickt damit ab, die vielen Liebhaber, welcke von allen Gegenden Frankreichs wie Raubvögel um ihre Beute sich gesammelt hatten, zu überbieten, sondern eilte, ohne an baS Sprüchwort: „Ein Sper ling in der Hand ist besser als ein Dutzend auf dem Dache" zu denken, nach Paris zurück. Aber als ich mich den Barrieren nähert«, fing ich einigermaßen an, die Schwierigkeiten zu schätzen, die sich der Ausführung meines Planes entgegen stellten. Wie war cs vor allen Dingen möglich, von unseren Geschäfts freunden für ein Geschäft, dessen ich gar nicht Erwähnung thun konnte, ohne mich der Gefahr auszusetzen, sofort verhaftet zu werden, eine Summe von