Volltext Seite (XML)
Rußland und in der Sowjetunion“. Nun, Prokofjews Stellungnahme ist uns bekannt, wenn er beispielsweise einem französischen Freund schreibt: „Ich muß mich wieder in die Atmosphäre meines Heimatbodens einleben . . . ich muß die russische Sprache in meinen Ohren widerhallen hören, ich muß mit den Leuten reden, die von meinem eignen Fleisch und Blut sind, damit sie mir zurückgeben, was mir fehlte: ihre Lieder, meine Lieder!“ oder wenn er beichtet: „Ich bekam die Überzeugung, der Künstler soll nicht fern der heimatlichen Quelle herumschweifen!“ Das i. Klavierkonzert (Des-Dur) op. io von Prokofjew ist 1911 entstanden, als der spätere Weltenwanderer seine Heimat noch nicht verlassen hatte. Er war noch Schüler des Petersburger Konservatoriums. Sein früherer Lehrer Rimski- Korsakow, sein derzeitiger Kompositionslehrer Ljadow, seine Meisterin im Klavier A. N. Jessipowa, kurz alle Verbundenheit mit der Tradition verbanden sich in diesem Werke mit der unerhörten Kraft der Jugend, die alle Romantik ablehnte und lieber „an die Stelle der Konsonanz die Dissonanz“ setzte. Sicher hat auch der Pianist von hohem Range, der später in Paris gerühmt wird ob seine, „ans Wunder grenzenden Virtuosität mit den stählernen Fingern“ eine große Rolle bei der Komposi tion gespielt. Die drei Sätze des Werkes — zwei rasche Sätze rahmen den langsamen, mittleren Teil — sind im schumannsch-lisztschen Sinne zu einem einzigen, großen Satze zusammengefaßt. Ob Prokofjews Bekenntnis über die Melodie auch bereits auf das 1. Klavierkonzert zutrifft, soll uns die Erstaufführung beweisen: „Ich liebe die Melodie, halte sie für das wichtigste Element in der Musik . . . man muß aber beim Komponieren besonders vorsichtig sein, damit die Melodie einfach bleibt und dabei nicht billig, süßlich oder epigonal wird!“ Man muß unwillkürlich an diesen Satz von Prokofjew denken, wenn man Hermann Kretzschmars Worte von 1886 liest: „Bahms Werke sind nicht leicht zu genießen. Schwer ist vor allem die 1. Sinfonie!“ Brahms, dessen Melodien uns heute eingehen wie Honigseim, war auch einmal schwer zu hörende Musik! Wie schon bei vielen Kammermusikwerken hat Brahms lange und verschwiegen an seiner 1. Sinfonie gearbeitet. Auf Fragen guter Freunde, wo seine Sinfonien blieben, antwortete er, er habe zuviel Respekt vor seinen großen Vorgängern, und mit einer Sinfonie sei „heute nicht zu spaßen“! Seine 1. Sinfonie sollte eine Schicksaissinfonie werden. Die Fünfte von Beethoven war sein Vorbild, die Tonart c-Moll hatte es ihm angetan. Im Musikzimmer von Billroth, zusammen mit dem berühmten Geiger Hellmes- berger, probiert er eifrig sein c-Moll-Klavierquartett intensiv „von der Pfanne“. Und Georg Henschel aus dem Brahmskreise schreibt ungefähr aus der gleichen Zeit: „Seit Freitag sitze ich hier in Saßnitz mit Brahms zusammen. Er sieht prächtig aus — immer in sauberer Wäsche, aber ohne Halskragen und Schlips.Wenn wir zusammen baden, kann ich seine muskulöse Gestalt nicht genug ansehen, übrigens hat er schon ein ganz solennes Schmerbäuchlein! Neulich pfiff ich zufällig Melodien aus seinem c-Moll-Klavierquartett. Es schien ihm sehr zu behagen. Schließlich fing er an: „Wie muß es erst den Göttern Mozart und Beethoven zu Mute gewesen sein, wenn sie den Schlußstrich unter Figaros Hochzeit oder Fidelio gesetzt haben! Was ich nicht begreife, wie unsereins heute eitel sein kann . . .“ Leidenschaftlich, ernst und schwermütig beginnt die Tonart c-Moll auf einem Orgel punkt in der Einleitung (un poco sostenuto) die Grundidee der ganzen 1. Sinfonie op. 68 von Johannes Brahms zu singen. Das erste Thema des Allegro übernimmt den leidenschaftlichen Charakter der Einleitung mit Energie, Kraft und Schärfe, —- das chromatische Thema wird am Schlüsse des Satzes fast zur elegischen Klage. Das Andante sostenuto des 2. Satzes (E-Dur!) steht noch unter dem beklemmenden Einfluß des ersten Satzes. Das Ende klingt mit Horn und Solovioline nach der Zuversicht von Oboe und Klarinette (zweites Thema) geradezu sakral aus. Der 3. Satz (un poco Allegretto) ist von gedämpfter Heiterkeit, trotz des graziösen Wechselspiels zwischen Holzbläsern und Streichern im zweiten Teil. Im Finale (Adagio, piu Andantino, Allegro) beginnt nochmals ein Rückfall in die leidenschaft liche Stimmung des 1. Satzes — da erscheint das Horn mit seinem berühmten Thema in C-Dur wie ein friedlich-liebenswürdiger Bote. Ein Hymnus — an Beethovens Schlußhymne in der Neunten erinnernd — schreitet dithyrambisch jubelnd über alle Hindernisse hinweg! Prof D[ . Mlynarczyk LITERATUR Phil. Spitta: Bach Leipzig 1921 Karl Laux: Die Musik in Rußland und in der Sowjetunion Berlin 1958 Karl H. Wörner: Neue Musik in der Entscheidung Mainz 1956 Thomas-San-Galli: Joh. Brahms München 1919 Schweitzer: Joh. Seb. Bach Kalbeck: Joh. Brahms VO RAN KÜNDIGUNG Nächstes A — Konzert am 26727. September 1959! 1. PHILHARMONISCHES KONZERT ANRECHT A 1959/1960 6196 Ra III-9-5 959 1,4 1t G 009/59