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Wochenblatt für für 84. 1877. Diensüm, dcu 23. Oktober Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehu und die Umgegenden. Amtsblatt für die König!. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das Königl. Gerichtsamt nnd den Stadtrath zu Wilsdruff. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags n. Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark. Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag IT Nhk. Bekanntmachung. Der Armenversorgungsverein im Gerichtsamtsbezirke Meißen hat sich erboten, bis zur definitiven Rcgulirung der Frage wegen Einrichtung einer gemeinschaftlichen Zwangsarbeitsanstalt für den gesammten Bezirk Correctiouäre aus den zum Vereine nicht gehörigen Ortschaften des hiesigen Verwaltungsbezirks gegen einen täglichen Verpflegbeitrag von 75 Pfg. für den Kopf in die Arbeitsanstalt zu Cölln aufzunehmen. Nachdem die Bezirksversammlung auf dem Bezirkstage am 10. dss. Mts. von diesem Anerbieten Gebrauch gemacht hat, wird dies hierdurch zur öffentlichen Kenntniß gebracht, mit dem Bemerken, daß Aufnahmegesuche an den Geschäftsführer des genannten Vereins, Herrn Gemeindevorstand Zschctzsche in Niederfähre, zu richten sind. Meißen, am 17. October 1877. Königliche Amtshauptmannschast. — von Bosse Bekanntmachung. Für die Königliche Amtshauptmannschaft ist es von Interesse, ein Verzeichniß sämmtlicher Mitglieder der Gemeinderäthe zu haben. Die Vorstände derjenigen Gemeinden des hiesigen Verwaltungsbezirks, in welchen ein Gemeinderath besteht, werden daher hier durch veranlaßt, zu Anfang eines jeden Jahres und mithin das erste Mal Anfang Jannar 1878 ein solches Verzeichniß, i« welchem Namen mH Stand der sämmtlichen Gemeinderathsmitglieder anzugeben sind, anher einzureichen. Meißen, am 19. October 1877. Königliche Amtshauptmannschast. von Bosse. Tugesgeschichte. Der gesuchteste Artikel im Deutschen Reich ist die Justiz. Und wenn wir einen Homer hätten, so würden sich uichl so viele Städte um ihn streiten uud reißeu wie um einen Gerichtshof, um den Sitz eines Oberlandes-, eines Landes- uud Amis-Gerichtes. Cs isi ein wahres Kirchthurm-Rennen darum uud manche Stadt scblägt die andere kaum um eine Nasenlänge. Im großen Preußen iU'S grade so wie in den kleinen Staaten. In Preußen wird sich der in den nächsten Tagen zusammentretende Landtag mit der Sache zu beschäf tigen haben; denn die neue Organisation ist zugleich eiue gewichtige Finauzsrage. Es werden in Preußen errichtet werden ObcUandeS- gerichle 13, in den Provinzen Hessen-Nassau uud Ostpreußen aus nahmsweise je 2; Laudesgerichle werden es etwa 80 werden. Die Landesgerichlsrälhc und Vorstände der Amtsgerichte sollen nach dem Vorschlag der Negierung 2000 Thaler Besoldung erhallen. Wo etwa die Finanzen ein Velo eiulegcn, da wird man sich mit Assessoren behelfen. Frankreich hat sich in der jüngsten Abstimmung entschieden für die Republik ausgesprochen. Das muß zugegeben werden, wenn mau den Ungeheuern Druck nicht vergißt, den die Regierung, die allen monarchischen Parleien und die gesammle Geistlichkeit auf die Wähler ausgcübl haben. In der nengewühllen Kammer besitzen die Repu blikaner eine Mehrzahl von 100—120 Summen. Plan mag die Sache drehen, wie mau will, dle Kammer ist eiue weil überwiegend republikanische. Au Zahl ein wenig schwächer bildet die Mehrzahl eiue in sich nm so mehr geschlossene Blasse, als sie aufs neue vom Land die Zustimmung erhalten Hal, daß Frankreich nichlS wissen will von Wiederherstellung des Kaiserreichs, von Mac Mahon'schcuNettungs- plänen und geistlichen römischen Umtrieben; es verlangt vielmehr die Aufrechlhaltung der Republik und der Verfassung und die Anerkennnng der parlamentarischen Regierung d. h. der Minister aus der Majoriläl der Abgeordneten. — Welche Mittel die Negierung zur Erlangung angenehmer Wahlen anwendcte, darüber kommen wunderbare Berichle zum Vorschein. In manchen Orlen der Provinz wurde eiue Art Be lagerungszustand eingesührt. In Prech z B. wurde durch Trommel- schlag bekannt gemacht, daß am Wahltage höchstens 2 Mann ans den Straßen „zusammenstehen" dürften (warum nicht höchstens einer?") Von Politik d. h. von den Wahlen durfte weder auf den Straßen, noch im Wirlhshans gesprochen werden. Der „Pvsi" meldet man aus Paris vom 18. Oclober: Die allgemeine Situation ist eine schwierigere, die Snmmung der Parleien eine mehr gereifte geworden. Die Hoffnung anf ein Versöhnungs- Ministerium scheint unmöglich geworden zu sein, da der Marschall entschieden erklärt! Hal, mit dem Cabiuel Broglie-Forlou sowohl die Generalralhswahlen am 4 November machen, wie auch mil demselben vor die neue Kammer treten zu wollen. Im Elhsce neigte man zu der Absicht, ein anderes Ministerium aus Mannern derselben po litischen Färbung für das jetzige zu bilden, gab cs jedoch auf, da man Furcht und unruhige Besorgniß im conservaliven Lager davon befürchtet. Der Marschall selbst wünschte einen General an die Spitze des Cabinets gestellt. Alle diese Combinationen sind fallen gelassen. Vor der Hand bleibt das Ministerium Brvglic-Fortou wie der Ent schluß des Marschalls, sich nicht von den Conservaliven zu trennen, unwandelbar. Auch in gemäßiglen und ruhigen Kreisen wehren sich in Fvlge dessen die Gerüchte von einem Staatsstreiche, als dem ein zigen Mittel für einen Ausweg. Die Gefahr eines solchen Staats streiches tritt unzweifelhaft näher und näher und selbst in den Reihen der Republikaner .saßt man diese Eventualität ins Ange. Im Allge meinen also hat die Krisis an Schärfe nicht verloren, sondern ge wonnen. Der vom Lulu zum Louis hcrangewachseue Prinz Napoleon Hal ziemlich große Rosinen im Kopfe. Als ihn im geographischen Mltilchr-Examen in England der Professor fragte: womit fangen wir an? antwortete er leck und spöttisch: Fangen wir mit dem Rhein an! — Sein Papa Hal bekanntlich damit aufgehört. Immer wieder ist man erstaunt darüber, daß Europa der Wetter führung des Krieges an der Donau so gleichgültig zusteht. Ru mänien ist bereits in die Reihen der Kämpfer eingetreten, Serbien lieht auf dem Sprunge, seinem Beispiel zu folgen, Griechenlands Haltung ist sehr verdächtig — uud dennoch rührt sich das diplomatische Europa scheinbar nicht. Vielleicht aber nur scheinbar; denn im Stillen sagt man, daß sich die Großmächte über die Friedensgrundlagcn ver ständigt hätten, verständigt über das, was man den Türken unter keinen Umständen zumuthen, und verständigt über das, was man den Russen unter keinen Umständen verweigern dürfe. An diesen Grund lagen, sagt man, werde weder hüben noch drüben eiue Niederlage oder ein Sieg viel ändern. (Der Laienverstand würde unter diesen Umständen der Ansicht sein, man müsse dann um so rascher dem Blutvergießen ein Ende machen.) In Asien haben die Russen ihre Waffenehre durch einen großen Sieg über Mukhtar Pascha halbwegs hergestellt und dadurch vielleicht die Friedenshoffnungen verstärkt. Die Schlacht fand in der Nähe von Kars statt und endigte mit der vollständigen Niederlage der Türken. Der eine Theil der Türken wurde geschlagen und zerstreut, es wurden mehrere 100 Gefangene gemacht und viele Kanonen er obert; der andere Theil, 3 Divisionen mit 32 Kanonen wurde um zingelt und mußten sich nach großen Verlusten ergeben. Sechs Pascha's ergaben sich, Mnkhtar Pascha flücblele nach Kais. Die Depeschen aus Constantinopel gesteheu die türsische Niederlage zu und schreiben sie der rufsftchen Artillerie und der Uebermacht zu; die Russen führten 70,000 Mann in die Schlacht, die Türken 30—40,000. Auch in Bulgarien -suchen die Nnssen eine Enlscheidnngsschlacht herbeizu führen. P lew na wird seil mehren Tagen hcfttg bombardirt. Die Russen suchen mit überlegenen Kräften vorzudringen und den etwaigen Rückzug Osman Pascha's nach Sophia durch eiue Garde-Division, die bei Dalnu Lipnitza ausgestellt worden ist, zu verlegen. Auch am Lom werden herüber und hinüber große Recognoscirungen vorge nommen als Vorbereitungen sür den Entscheidungskamps. Das besser gewordene Wetter begünstigt die Märsche. (Kaiser Alexander tcle- graphirlc dein Kaiser Wilhelm den Sieg bei Kars und empfing sofort dessen Glückwunsch.) Aus russisch Armenien schreibt die in Tiflis erscheinende Westn.: Die Türkei Hal znm Unglück für unsere Grenzbewohner ein besonderes System von Knegsführung ausfindig gemachl, ein System, welches bei einem Zusammenstoß von 2 civilisüteu Nationen unmöglich ist. Schon in der Fricdcnszeit hatte unsere Grenze von räuberischen Ueber- sällen zu leiden. Gegenwärtig nun haben diese Ucberfälle einen systematischen Character angenommen und unterscheiden sich durch nichlS von Raubzügen, während sie angeblich nur eine Art des Guerilla krieges fein sollen. Die internationalen Gesetze respcctiren auch in: Guerillakrieg die Unverletzlichkeit des friedlichen Bürgers und des Privateigcnthums. Nichtsdestoweniger glaubt die Türkei berechtigt zu sein, die Schandthaten ihrer räuberischen Banden mit der Kriegsfahne zu decken. Ja, sie hat sogar einen flnchttgen russischcn Verbrecher, den bekannten Megrali, zum Partisanengeneral ernannt und ihm eine