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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.05.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120529021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912052902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912052902
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-05
- Tag 1912-05-29
-
Monat
1912-05
-
Jahr
1912
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Mip.ügcrTagMatt » . -a l " b32 lNachtensthUr») Lel.-IinschUj 14893 f 14634 Handelszeitung. s Ullaemetn« Dentlch« Tredit- arrrrlehnrrfn* / Anstalt Brühl 75/77 vaMiLoNio.r Deutsch» Bank, Filiale l!«tr>,i, l Dep.-Naffe vnm«. Steinweg L MLV Amtsklatt Ses Aales und des Aolizeiarntes der Ltabt Leipzig. WML' Lnzeigeu-Preis »eil« l Rl. om> -»»wärt» SÜ PI. Aeklam«, IM ML Lnlerat» oon Behörden t» «nrt- ltche» IeU dl, PetiteeU. M Bk. P,Ichaft,an,eigen mU PlagvorlchrM«» im vreil« erhöht. Aabatt nach Tarif. Veilagegedühr Seianrt» auslag« S ML^Tmrlend^«^«. Postgebühr. Festerteilt« Austräa« Iönn«n nickt »nrüä» ge,og«n w«rd«a. Für da» Trlchetn«, an bestimmten Tagen nnd Plätzen wird kein« Garantie Übernommen. »n»«ig«n. Annahme: S»h»,«»gaII« «. bet lämUichen Filialen » ollen Ann»»«» Lrvedittonen d«, 2» nnd Au.land«. »e«r NN» P«la, »»» glich«, ch Astest«, 2nhad«r: Paul kürst«». A«d«M»n «n» »«Ichüft,stell«: Iodam»t»gag« L -«uost-Fillil« Dr»o»«»: Seegiaft« < l (T«l«oh»n «S21>. Nr. 270. Mittwoch, üen LS. Mat ISIS. 106. Zshrssny. Die vorliegende Ausgabe umfaßt 10 Seiten. vss Wichtigste. * Zn London befanden sich am Dienstagabend 370 000 Arbeiter im Ausstande. (S. des. Art.) * An der spanisch-portugiesischen Grenze haben blutige Kämpfe mit portugiesischen Royalisten stattgefunden. (S. Ausl.) * Die Lage in F e z ist nach spanischen Meldungen sehr ernst. (S. bes. Art.) Der sächsische Dssserwirtschsktsverdsnü. Die große Bedeutung des Wasserschatzes für die Volkswirtschaft ist durch die außerordentliche Trocken periode des sommers 1911 vor Augen geführt worden. Nicht nur der Wert der Niederschläge und Gewässer, sondern auch der der Erundwäsier für den menschlichen Bedarf ist ins Helle Licht gesetzt worden. Das plötzliche starke Anschwellen der Wasierläufe im Januar 1912 hat aber wiederum dargetan, daß unsere Wasserwirtschaft nicht darauf gerichtet ist, mit dem Wasser in geregelter Weise hauszuhalten. Der Wert einer richtigen Wasserwirtschaft, welche auf Ausgleichung der verschiedenen Wasserstände und Förderung des Nutzdarkeitsgrades der Gewässer hin strebt, gewinnt immer mehr Beachtung. So steht auch jetzt Sachsen an einem Wendevunkr. Ueberall regen sich die Wassergewerten und Wasserbeteitigten, den Nutzbarkeitsgrad der Gewässer zu erhöhen. Nach der letzten Eewerbezählung gibt es in Sachsen 4434 benützte Wasserkräfte mit 122482 ?. 8. Für das Königreich Sachsen kommen die Flußgebiete der Neiße, Spree, Schwarzen Elster, Mulde und Weißen Elster in Betracht. In allen diesen Gebieten mangelt es noch an einer Regelung und Ausgleichung der natürlichen schwankenden Wasserstände. Auch die Errichtung von Anlagen gegen Hochwassergefahr, zur Entwässerung, Bewässerung, Abwäßeruna, Kanalisation und Wasserversorgung liegt noch sehr im argen. Ilm alle diese Bestrebungen zum Wohle der Allgemeinheit wirksam zu unterstützen, wurde ein sächsischer Wasserwirtschaftsverband gegründet. Seine Aufgabe besteht in der Förderung der Wasserwirtschaft in Sachsen und der Bertretung der Wasserwirtschasts- und Rechtsinteressen der Mit glieder, die durch Beratung, Stellungnahme zu Ge setzen, Wasserwirtschaftsplänen, Vermittelung in allen wasserwirtschaftlichen und rechtlichen Angelegen heiten usw. wahrgenommen werden sollen. Zur För derung der Wasserwirtschaft wird der Verband insofern beitragen, als ihm eine öffentliche gemein nützige Zentralstelle für Wasserwirtschaft, in der die hervorragendsten Sachverständigen tätig sein sollen, angegliedert wird. Diese Zentralstelle ist Beratungsstelle in wasserwirtschaftlichen Fragen betr. Talsperren, Wasserversorgung, Abwasser beseitigung, Kanalisation, Wasserkraftnutzung, Ent wässerung. Bewässerung usw. Sie übernimmt im volkswirtschaftlichen Interesse die Ausführung allge meiner Vorarbeiten, Untersuchungen, Beobach tungen, Kostenanschläge, Rentabilitätsberechnungen. Ferner wird sie wissenschaftliches Material aller Art sammeln und bearbeiten. Auch die Erforschung der Grundwasserverhältniffe wird sie sich angelegen sein lasten. Endlich stellt sie sich den Wasserinterestenten einzelner Flußgebiete und öffentlichen Waßergenoßen- schasten zur Verfügung, um in deren Auftrag die Er richtung und Unterhaltung von Talsperren usw. vorzunehmen. Der sächsische Minister des Innern, Graf Vitzthum v. Eckstädt, sagte am 29. November 1911 in der II. Ständekammer: Der Bau von Tal sperren ist keine Aufgabe des Staates allein. Bei der großen Kostspieligkeit solcher Anlagen und ihrer Bedeutung für ganze Landesteile würde die Ausführung nur durch einen Verband oder eine Genossenschaft möglich sein. - Der Sächs. Waster- wirtichaftsoerband kommt daher den Wünschen der Wasserbeteiligten entgegen, wenn er in umfassender Weise eine Förderung der Wasserwirtschaft an strebt. Da diese Tätigkeit im öffentlichen Intereste liegt, so steht zu hoffen, daß viele Wasserkraftbesitzer, Wasterinterestenten. wirtschaftliche Vereine, Wasfer- genossenichaften, Handelskammern und Gemeinden der genannten Flußgebiete die Mitgliedschaft er werben. Die Arbeiten der Zentralstelle werden von einer Kommission wahrgenommen, die aus dem Geschäftsführer und mehreren Sachverständigen für Wasserbau, Wasserwirtschaft, Gewässerkunde und Eheinie besteht. Die Geschäftsstelle des Verbandes befindet sich in Dresden-A. 10. Die Berliner unü Kölner Zentrums richtung unü üer Psplt. -s- Man ist sich schon seit geraumer Zeit in den weitesten Kreisen nicht im unklaren darüber, daß von den beiden Zentrumsrichtungen, der Kölner politischen und der Berliner streng konfessionellen, die letztere in Kreisen des Vatikans und auch vor allem beim Papste wohl angesehen ist. Die Streitigkeiten zwischen Berlin und Köln, die trotz der mehrfachen Reisen des Kölner Kardinals Fischer keinen Erfolg für die Kölner Richtung zeitigen konnten, haben die prekäre Situation der Kölner Richtung innerhalb des offi ziellen Katholizismus schon wiederholt klar zutage treten lasten. Nun hat der P apst in einein Schreiben an die in Berlin tagende Delegiertenversammlung der katholischen Arbeitervereine auf deren Huldigungs adresse eine Antwort gesandt, in der es, Berliner Blättern zufolge, folgendermaßen heißt: „Ich kenne Euere Grundsätze und Euere ve- strebungen und besonders auch die Differenzen zwischen Euerer Organisation und anderen. Euch lobe ich, Euch billige ich, und Euch erkenne ich an (vos Lpvrodn), und mit allen Kräften strebe ich an. daß alle Euere Grundsätze sich zu eigen machen mögen. Die anderen billige ich nicht (revrobo); ich verdamme sie nicht; denn es ist nicht meine Sache zu verdammen; jedoch ihre Grund sätze, welche falsch sind, kann ich nicht anerkennen (app-vbare von ^Oksaw). Wenn man die Religion von einer Betätigung des Lebens ausschließt, z. B. von den wirtschaftlichen Bestrebungen, so wird sie bald auch von anderen auf das praktische Leben gerichteten Fragen ausgeschlossen werden, und so wird man bald zum Akonfessionalis- mus (Konfessionslosigkeit), d. h. zur Leugnung aller Religion auf schnellstem Wege gelangen. Deshalb kann ich derartige Organisationen nicht billigen. Man kann auch nickt das Individuum, das einzelne Mitglied, von der Organisation trennen, so daß man sagt, die einzelnen Mitglieder unter stehen zwar der Autorität der Kirche, nicht aber die Organisation als solche; das ist ganz un richtig, unhaltbar und undenkbar. Die Kirche hat auch den Organisationen zu gebiete n." Man darf einigermaßen gespannt sein, was die Kölner Richtung angesichts dieser außerordentlich deutlichen Stellungnahme des Oberhauptes der katho lischen Kirche unternehmen wird. Daß auch sonst die Beziehungen »wischen den beiden Richtungen im deutschen Zentrum recht ge spannt sind, geht aus einer neuerlichen Auslastung der „Kölner Korrespondenz", des Organs der Oster- dienstagsleute (Berliner Richtung), hervor. Im Anschluß an den Zusammenstoß des preußischen Landwirtschaftsministers Freiherrn von Sckorlemer mit dem Zentrum im preußischen Abgeordnetenhause wartet die „Kölner Korrespondenz" mit höchst inter essanten Enthüllungen auf. Bekanntlich brach der Hauptlärm im Zentrum los, als der Landwirt schaftsminister erzählte, ein Pfarrer habe für des Ministers Vater, des alten Zentrumssiihrers v. Cchor- lemer-Alst, Bekehrung gebetet, als dieser im Jahre 1893 im Gegensatz ium Gros des Zentrums für die Caprioijche Militärvorlage ein trat. Wie nun die Kölner Korrespondenz mit teilt, ist dieses Bekehrungsgebet gar nichts Unge wöhnliches gewesen. In einem westfälischen Kloster seien sogar Novenen, d. h. neuntägige Gebetsübungcn veranstaltet worden, um ein Zcntrumsmitglicd voin konfessionellen Trierer zum „interkonfessionellen" Kölner Standpunkt zu bekehren. Allerdings verläßt sich —immer nach der „Kölner Korrespondenz" — die Kölner Richtung nicht nur auf die magische Macht des Gebetes, sondern auch auf — sagen wir — weltliche Mittel, nämlich auf Eeheimdossiers mit Personalakten über ihre Hauptgegner und auf Ge heimzirkulare, in denen ihre Hauptgegner verun glimpft werden. Laut der „Kölner Korrespondenz" haben solche „Praktiken" eine „Erbitterung" im Zentrum hervorgerufen, „von der sich Außenstehende keinen Begriff machen können". Ssrnsck suk üem evsngelilül-lozlalen Kongretz. Esten, 28. Mai. Unter zahlreicher Beteiligung von Vertretern sozial-interessierter Kreise und Organisationen, sowie von Einzelpersonen trat hier in der Stadthalle der evangelisch-soziale Kongreß zu seiner 23. Tagung zu sammen, die mit einem Bearüßungsabend eiicaeleitet wurde. Superintendent Klingemann (Esten) be grüßte die Erschienenen. Dann nahm Stadtpfarrer Lehmann (Mannheim) das Wort. Es freue ihn, daß er noch so manchen Kämpen sehe aus der Zeit, als vor 23 Jahren der Kongreß begründet wurde, in einer Zeit, als der manckesterliche Gedanke ins Wanken kam. Wir meinen, daß es nickt einer neuen Ethik bedarf, sondern daß es zweierlei Ethik überhaupt nicht geben kann. Wir haben den alten sittlichen Standpunkt des Thristentums und wir wollen den auch auf das neue wirtschaftliche Leben übertragen. Hierauf nahm, von stürmischem Beifall begrüßt, Geheimrat Exzellenz Professor Dr. Harnack (Berlin) das Wort, indem er ausführte: Wir gehören hierher nach Esten, wo soviel Arbeit geleistet wird, wo die Fahne des Fortschritts und der Arbeit aufgepflanzt ist. Worauf es ankommt, das sind nicht Beschlüsse. Wenn wir alles vor 23 Jahren hätten feststellen wollen, wie es heute aussieht, müßten wir uns vielfach korrigieren. In zwei Punkten aber nicht, nämlich, daß wir eine be stimmte Richtung innehalten, Richtung und Kraft sind die großen konservativen Elemente, die wir brauchen. Wo gibt es noch einen Satz von Plato, den wir heute noch unterschreiben können. Ja, wo gibt es nur einen solchen Satz von Kant. Aber Plato hat eine Rich tung angegeben, die unvergänglich ist und ebenso Immanuel Kant. Der evangelisch soziale Kongreß hat von Anfang an seine Richtung eingehalten. Wir wollen Zusammenarbeiten und erben, was uns über kommen, mit der Kraft der Selbständigkeit und unserer Erfahrung. Wir wollen weder Sklaven sein noch Vagabunden, die hineinleben in die Zukunft, ohne daran zu denken, daß es eine Vergangenheit gegeoen hat. Im vorigen Jahre ist in Hamburg von einem lecken Mann gesagt worden: Ich eröffne hiermit das monistische Jahrhundert (Lachen). Das ist schon er öffnet worden, als jemand schrieb: Im Anfang schuf Gott Hcmmel und Erde. Es kommt nur darauf an, was man unter Monismus versteht. Es gibt nur einen Monismus der Energie, und der ist überall derselbe. Das wird in einem der folgenden Jahr hunderte entschieden werden, jedenfalls aber nicht im 20. Dieses törichte Schlagwort, töricht, weil es so weitschichtig ist, daiz man alles darunter verstehen kann, soll uns doch nicht noch lange zum Narren halten. (Lebhafte Zustimmung.) Alan wird niemals aus uns herausbringen, daß wir kämpfen müssen, daß es einen Kampf des Guten gegen das Böse gibt, des Starken gegen das Schwache, und daß wir kämpfen müssen für unsere Freiheit von finsteren Triebkräiten und Naturgewalten. Wann wird eine Zeit kommen, wo der Dualismus je mals ausgerottet ist? Solange das nicht möglich ist, ist der Ausdruck Monismus ein Schattenspiel. An Küferbeinen und an einem Elektrophor kann man keine Weltanschauung gewinnen. Wir Christen haben eine Persönlichkeit, die uns eine Richtung gibt, die ein Hebel in allen Weltteilen geworden ist, weil diese Persönlichkeit Worte sprach, die zeitlos sind, die eingreifen in die Seele der Jugend, in die Seele des Alters, das ist die ^!agva 6k»rr» unserer Kraft. Die albernen Unterschiede zwischen liberal und konservativ machen eigentlich nur solche Leute, die beides nicht sind. Ich habe diese beiden Kleiderhaken in logischen Fragen nie benutzt. Wir haben vier Aufgaben zu lösen: die Wohnungsfrage, die Heimarbeit, die Fürsorge für die Jugendlichen und die Frage, wie das Ver- antwortlickkeitsgefühl des einzelnen gestärkt werden kann, was eigentlich das schwerste ist. Wenn ich auch vom Präsidium zurücktreten muß wegen vieler Arbeit, so wird der Kongreß doch seine Arbeit weiter führen wie bisher, und er wird im Alter das sein, was er in der Jugend war. (Langanhaltender Beifall.) Deutscher Lehrertsg. IV. Berlin, 28. Mai. (Fortsetzung der Beratung über die Arbeitsschule.) In der darauffolgenen Diskussion begrünet? zunächst Lehrer Gläser (Hamburg) einen Antrag der Gesellschaft für vaterländische Kunst in Hamburg, der die Leitsätze des Referenten dahin abgeändert wissen will, daß die Handfertigkeit nicht als eines der Mittel zur Entwicklung der im Kinde schlummernden Kräfte betrachtet werden soll, sondern als das Mit tel. — Lehrer Euttmann (München) bekennt sich als ein noch entschiedenerer Gegner der Arbeitsschule, als der Referent. Sollte das Kino den Gang des Unter richts allein bestimmen, dann wäre ein« intellektuelle Anarchie im Unterrichtswesen proklamiert. Der Wille des Kindes muß einer festen Leitung unter stellt werden und im gegebenen Falle auch gebrochen werden können. Vollständig verkennt die Arbeits schule die Pflicht, di« Schulkinder hier vorzubcreiten. II) heilige Pflicht, um Rudolfs willen es noch einmal zu versuchen mit diesem neuen Leben und ihm dabei getreu zur Seite zu stehen . . . nicht allein deshalb, weil ich es ihm gelobt habe vor dem Altar — du siehst ja, wie schnell ich ihm dieses Gelübde der Treue schon gebrochen habe — sondern, weil er dann erst in Wirklichkeit meiner Hilfe und — meines Mitleids bedarf. Alle meine Kraft und Widerstandsfähigkeit muß ich aufsparen für diese Zeit." Wieder erstickte ein Schluchzen ihre Stimme, als sie hinzufügte: „Es ist ohnehin schon nicht mehr viel davon übriggeblie ben in mir." „Weil du diese — Lebensfähigkeit jetzt gewaltsam in dir zu unterdrücken suchst, Hanna." Er hatte es leise und noch immer begütigend gesagt; seine heiße Liebe zu ihr wuchs wieder mächtig empor in ihm, als sie so hilflos und doch auch wieder so gefaßt, voll ruhiger Würde und mit stiller und zu gleich stolzer Resignation ihre Gedanken und Emp findungen vor ihm enthüllte. „Nenne es, wie du willst, Georg. Vielleicht bin ich in der Tat — müde geworden ... Ick sagte dir ja schon neulich, als ich von meinem — Zusammen leben mit Rudolf sprach, ich hätte in diesen drei Jahren die Tage und Wochen kommen und wieder gehen sehen, ohne mehr als die Alltäglichkeit des Lebens zu empfinden, und ich sei darüber — alt geworden ... Es war keine Phrase. Georg, das siehst du wohl jetzt ein." „Nein — das kann und will ich nicht einsehen? Und wenn ich es schon versuchen wollte, mich an diesen Gedanken zu gewöhnen: vor wenigen Minuten hast du selbst mich eines anderen belehrt . . . Als ich dich in meinen Armen hielt, Hanna ... als du mir die Lippen botest, als du meine Küste erwidertest — heiß und brennend, voll ungestümer Lebensfreudigkeit und Lebenssehnsucht ... kam alles das — konnte alles das aus einem müden, alt gewordenen Herzen kom men? . . . Nein — und tausendmal nein . . . Hanna!" Sie lächelte — ein unendlich wehmütiges und trauriges Lächeln, das ihm ins Herz schnitt. „Es war das letzte Aufflackern meiner Sehnsucht nach dem Leben — wie du es nennst ... ein glim mender Funke unter grauer Asche, den der Sturm deiner Lttdenschaft noch einmal angesacht . . . Sprich nicht mehr davon, Georg, ich bitte dich . . ." „Du bereust also?" : er, „und . . . willst du küssen . . . zum . . . zum „Ne'N. Es sollte ein Abschied sein; und deshalb brauchen wir nicht zu erröten vor einander; aus diesem Grunde, denke ich, soricht auch unser Gewissen uns frei. Wir haben — iyn . . . wir haben Rudolf nicht beraubt." „Und — dieser Funke wird weiterglühen?" . . . „Nein. Er ist erl ..." — sie atmete tief und schwer auf — „er muß erlöschen — muß, Georg" . . . Eine lange Pause trat ein. Georg war wieder an das Fenster getreten und sah in den sinkenden Abend hinaus. Soviel er auch darüber sinnen und nachdenken mochte: eine Lösung fand er nicht. So raffte er sich denn schließlich aus seiner Ver sunkenheit auf und ging zu ihr: „Lebe wohl, Hannast' Er hatte ihr« beiden Hände ergriffen und sah ihr in die Augen. Sie reKe sich kaum. „Lebe wohl, wiederholte mich nicht noch einmal küsst Abschied?" Ihre Augen flehten förmlich zu ihm: „Fordere es nicht!" Und er verstand sie. Langsam zog er ihre Hände an seine Lippen und ging . . . Sechstes Kapitel. Kurz nach der Rückkehr Rudolf von Warnows aus Wien war Georg auf etwa acht Tage nach Berlin gereist. Er trug sich mit allerlei Plänen uno Absichten. Der Aufenthalt auf seinem Guts war ihm fast zur Qual geworden seit jener letzten Unterredung mit Hanna. Rudolf Warnow war äußerst zufrieden uno „mit reichster Beute", wie er versicherte, heimgekehrt und hatte sich nun wieder mit doppeltem Eifer an die Arbeit gemacht. Aus diesem Grunde hatte er Georg von neuem gebeten, möglichst oft nach Dentin zu kommen und Hanna Gesellick/aft M leisten, wäh rend er selbst in seinem Zimmer sag und arbeitete. Dieses Alleinsern mit Hanna, nur durch eine Tür oon Warnow getrennt, ertrug Georg nicht lange. Die alte Sehnsucht begann sich wieder zu regen, und so hatte er deun eine, Tages, kurz entschlossen, seinen Koffer gepackt und war nach Berlin gerefft. Er backte alles Ernstes daran das Gut zu ver kaufen und ganz noch Berlin üoerzusiedeln. Aber was sollte «r dann beginnen? Einen Beruf hatte SeimUche Liede. Roman von Konrad Remling. (Nachdruck verboten.) Sie beachtete seinen Einwurf nicht; aber sie sah ihn groß und vorwurfsvoll an, als hätte diese un zarten Worte ein völlig Fremder zu ihr gesprochen. Dann fuhr sie fort: „Auch auf Denzin werden wir uns über kurz oder lang nicht mehr halten können. Das Gut ist stark belastet, und wie es mit Rudolfs wirtschaftlicher Tüchtigkeit bestellt ist, weißt du. Ich mache ihm keinen Vorwurf daraus — ganz gewiß nicht. Im Gegenteil: ich selbst trage mindestens die gleiche Schuld daran; an mir wäre es, für ihn einzutreten und es wenigstens zu versuchen, dem drohenden Ruin vorzubeugen. Ich bin eine schlechte Hausfrau ge wesen und eine ebenso schlechte Gutsherrin in den drei Jahren unserer Ehe. Ich habe zu viel mit mir selbst zu tun gehabt. Das einzige Gute, was ich viel leicht getan habe, war — für Rudolf wenigstens innerhalb seiner vier Pfähle ein angenehmes Heim zu schaffen und ihm nach bestem Wollen und Können eine gute Lebensgefährtin zu sein. Und wenn nun das Ende kommt, dann sind wir ohne Heimat und so gut wie mittellos." „Du stehst wohl doch zu schwarz, Hanna. So schlecht kann es ja nicht stehen.'' Sein Unwille war plötzlich gewichen, das Mitleid begann sich wieder zu regen in ihm, und er versuchte, sie durch ein paar beruhigende Worte zu trösten. Aber sie schüttelte nur immer wieder den Kopf. „Nein Georg! Ich sage nicht zu viel damit. Ich habe viel und oft darüver nachgedacht in den letzten Wochen und in den langen, einsamen Stunden, seit Rudolf verreist ist . . . Auch an die . . . an die Mög lichkeit einer Trennung habe ich gedacht; aber es war eine häßliche Stunde, in der ich das tat. Ich darf Rudolf nicht verlaßen, wenn wir eines Tages — wie schon von Wilkenau — auch von Denzin Abschied nehmen müßen." Ein leises Weinen verschleierte bei den letzten Worten ihre Stimme, und ihre Augen stillten sich mit Tränen, die schwer und langsam über ihre Wangen rollten, ohne daß sie es zu verbergen suchte . . . Unterbrich mich nicht" — fuhr sie fort, als sie sah, daß er sprechen wollte — „wir werden dann ein neues Leben beginnen müßen . . . Gott weiß, unter welchen Bedingungen! Aber er ist meine er nicht. Er hatte zwar „arbeiten" gelernt drüben in Amerika; aber das war keine Tätigkeit, mit der der Freiherr Georg von Helldorf auf Helldorf sein Leben hätte ausfüllen können. Die Offizierslausbahn war für ihn verschloßen, oder er hatte doch wenigstens seinerzeit freiwillig darauf verzichtet und konnte und wollte jetzt nicht mehr zurück. Für irgendeinen Zweig des feudalen Sportes" interessierte er sich nicht genug, so etwa einen eigenen Rcnnstall zu grün den, oder eine leitende Stellung in irgendeinem Sportklub einzunehmen. Ebensowenig konnte er sich dazu entschließen, Mt, mit beinahe dreißig Jahren, noch irgendein ernstes Studium zu ergreifen, das ihm einen wirklichen Lebensberuf gesichert hätte; dazu hätte übrigens auch, wie er sich selbst gestehen mußte, seine wissenschaftlich« Befähigung kaum ausgereicht. Er war viel zu ehrlich gegen sich selbst, um das nicht einzusehen; er war eben ein Durchschnittsmensch mit geradem, gesundem Verstände, mit einem iwlich ten, gutmütigen, nur etwas leicht erregbaren Herzen und mit einem nicht sonderlich stark ausgeprägten Willen, der ebensowenig großen Hindernissen wie großen — Versuchungen gewachsen war. Niemals hatte er dies deutlicher empfunden als jetzt, in dem Augenblicke, wo er zum ersten Male seine eigene Vorsehung spielen» sollte. Dor fünf Jahren, als ihn das Schicksal zwang, da hatte er alle leine Widerstandskraft zusammengesucht uno hatte sich leidlich zurechtgefunden in den veränderten Ver hältnissen . . . Und nun? Es war nicht eigentlich Bitterkeit, die ihn bei diesem Bewußtsein überkam, aber es war doch eine reckst unfrohe Empfindung, die ihm das Leben mit einem Male farblos und zehr wenig lebenswert er schienen ließ. Nun war er sckon seit fünf Tagen in Berlin, ohne daß ihm eigentlich das abwechslungsreiche Leben oer Großstadt, das er «inst als junger Leutnant in vollen Zügen genoßen, irgendwelche nennenswerte Zerstreu ung oder Anregung geboten hätte. Er war «:n paar mal im Theater gewesen und hatte sich leidlich unter halten; dann hatte er ein paar Besuche bei entfern ten Verwandten gemacht und war liebenswürdiger, als er es erwartet hatte, ausgenommen worden. Nun aber saß er wieder in seinem mit der typi schen Eleganz großer Hotels ausgcsiatteten Zimm«r und blies Trübsal. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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