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Nachbestellungen auf de« Monat Dezember werde« zum Preise von 75 Pfg. vo« alle« kaiserliche« Posta«stalte«, sowie vo« de« be kannte« Ausgabestelle« und der unterzeichnete« Expedition angenommen. Expedition des Freiberger Anzeiger. Die Präsidentschafts-Krisis. Alle Blicke richten sich jetzt nach Frankreich, welcher Staat am Vorabend großer Ereignisse zu stehen scheint. Der Staub, den der Limousin-Skandal aufwirbelte, hat sich bereits ziemlich verzogen; der Hauptübelthäter, der des Ordensschachers überführte Senator General d'Andlau, hat sich der strafenden Gerechtigkeit entzogen, dem General Caffarel, der Limousin und ihren Genossen wird man nicht viel anhaben können. Selbst die gegen den leichtsinnigen Schwiegersohn Grsvys, Wilson, geführte Untersuchung dürste ergebnißlos bleiben. Auf der Wahlstatt zuckt nur ein einziges Opfer; das ist der beklagenswerthe Greis, der neun Jahre hindurch der französischen Republik die Ruhe im Innern und den Frieden nach Außen erhielt und dessen treue Vaterlandsliebe von seinen wankelmüthigen Lands leuten jetzt so übel belohnt wird. Das Verhalten Grsvys mag bei den gegen seinen Schwiegersohn gerichteten An klagen kein ganz korrektes gewesen sein; er hätte sich als echter Republikaner der gerichtlichen Verfolgung Wilsons nicht widersetzen, nicht der Vertuschung Vorschub leisten dürfen, die auf der Pariser Polizeipräfektur bei dieser Ge legenheit versucht wurde. Wahrscheinlich trieb ihn dazu der Gedanke, daß man Wilson nur angreife, um ihn selbst zu kränken und daß die dabei zur Schau getragene mora lische Entrüstung Clömenceaus und Rocheforts, welche den Sturm gegen ihn und Wilson gleichzeitig entfesselte, künst lich gemacht war, um Rache für die Beseitigung Boulangers zu nehmen. Die „Times" schreibt: „Denen, welche der Bewegung fern stehen, ist es schmerzlich, daß ein alter Mann, nachdem er zwei Mal zu dem höchsten Amte in seinem Vaterlande erwählt worden ist, unter einem Sturme des Tadels und ohne ein Wort edelmüthigen Bedauerns aus dem Amte getrieben wird. Es bleibt zweifelhaft, wie weit Grsvys Verhalten in der Wilson-Affaire die gegen ihn geschleuderten Vorwürfe rechtfertigt. Niemand hat bis jetzt die persönliche Integrität des Präsidenten bezweifelt und es kann kaum weder etwas Schuldbares noch Unehrenhaftes darin gefun den werden, daß er zauderte, anzunehmen, daß sein Schwieger sohn sich so erniedrigte." Uebrigens war die Bestrafung oder Entfernung Wilsons zu erlangen, ohne Grsvy wider seinen Willen zum Rücktritt zu zwingen. Sehr viel trug zur Mißliebigkeit des Präsidenten dessen übertriebene Spar samkeit bei, die oft geradezu in Geiz ausartete. Grsvy bezog als Präsident 600000 Franks Gehalt, dazu 600000Frks. Repräsentations- und Reiseauslagen, sowie die freie Be nutzung der zu seiner Verfügung gestellten Staatsgebäude und Jagdgüter. Der Präsident brauchte aber seinen Gehalt lange nicht, denn er lebte höchst einfach und zurückgezogen. Die 600 000 Franks Repräsentations- und Reisekosten steckte er ganz in die Tasche, denn er repräsentirte nicht und reiste nicht; nur ein einziges Mal, im Sommer 1880 ging er zur Einweihung des neuen Hafens nach Cherbourg. Das sand man in Paris unanständig, um so mehr als Grsvy in den verflossenen neun Jahren kein einziges großes öffent liches Werk unterstützt, nichts für die Kunst, nichts für die Literatur, nichts für die Gesellschaft gethan. Das vergessen ihm die Pariser nicht, aber sie hätten dennoch bedenken sollen, welche hohe Verdienste Grövy um den allgemeinen Frieden und die republikanische Verfassung erwarb und daß seine gewaltsame Absetzung Frankreich vor das Ungewisse stellt und leicht zur Beute eines abenteuerlichen Dittators machen kann. Es ist ungerecht, den immer schimpfenden Thersites Frankreichs, den intransigenten Schriftsteller Rochefort, allein für den Fall des alten Mannes verantwortlich zu machen, der seinem Vaterland fast ein Dezennium hindurch Frieden und Ordnung erhielt. Selbst der ehrgeizige Nach ahmer Gambettas, der an allen Ministerien rüttelnde Volkstribun Clemenceau, der Grsvy den Gnadenstoß gab, trägt nur einen Theil der Schuld Alle republikanisches Führer von Bedeutung, Ferry, Raynal, Brisson, Freycinet, Ribot, Deves, Goblet, Maret und selbst der bisherige Konseilpräsident Rouvier zeigten durch ihr Verhalten bet der letzten Krisis, daß sie des ruhigen Leiters des fran zösischen Staates überdrüssig waren und einen Wechsel herbeiwünschten. Wie die Genossen des Odysseus haben sie leichtfertig die Winde entfesselt, die nun über Frankreich oahinrasen werden und dürsten noch manches Mal des alten Grsvy mit Bedauern denken, der die schlimmsten revolutionären Strömungen fest im Schlauch verschlossen hielte. Ribot, an den sich Grsvy zuletzt mit der Bitte wandte, ein Ministerium zu bilden, welches den Kongreß nach Versailles berufen und die Präsidentschaftswahl letten sollte, trug Bedenken, einen solchen Auftrag zu übernehmen. Zu letzt entschloß sich der bisherige Konseilpräsident Rouvier zu solchem letzten Liebesdienst für Grövy, um diesem den Rück tritt zu erleichtern, aber er stellte die Bedingung, daß die von demselben geplante Botschaft an den in Versailles zu sammentretenden Kongreß, ihm vorher zur Prüfung unter breitet werde. Unverkennbar sürchtete er, daß in diesem historischen Aktenstück sehr bittere Wahrheiten enthalten sein könnten und daß Grsvy, um sich selbst gegen schimpf liche Verdächtigungen zu Vertheidigen, in jener Äotschaft Andere anklagen und für Alles verantwortlich machen könnte, was jetzt über Frankreich Hereinbrechen wird. Wie verlautet, lehnte eS auch Rouvier, welcher Sonnabend Abend eine längere Besprechung mit GrHy hatte, entschieden ab, die Botschaft des Präsidenten in den Kammern zu verlesen, weil dieselbe Sätze enthielt, mit denen er nicht einverstanden war. Selbst aber, wenn Grövy sich jetzt schweigend in das Unab änderliche fügte, würden die Nachbarn Frankreichs nicht daran zweifeln, daß er nur das Sühnopfer für die Sünden der dritten Republik ist, die ihren Zerfall fürchtet, wenn noch länger ihre Leitung in den Händen eines Mannes von so friedlich spießbürgerlicher Art liegt. Die Gegner Grsvys, die dessen Verbleiben im Amte unerträglich fanden, weil sie dcs Friedens überdrüssig waren, werden bald genug in ehrgeizige Kriegsabenteuer hineintreiben, wenn sic sich nicht vorher bei dem unmittel bar bevorstehenden Kampf um die Macht unter einander zerfleischen. Die meisten Aussichten, der Nachfolger Gravys zu werden, hat Freycinet, der Boulanger mit einem hohen Amt betrauen würde. Dagegen wird Jules Ferry, für den bereits 60 Stimmen im Kongreß gesichert sind, durch den energischen Generalgouverneur von Paris, General Sausiier, mit seiner ansehnlichen Truppenmacht unterstützt. Der Gedanke Sausiier selbst zum Präsidenten zu machen, ist aufgegeben, da der General an den Leiter des Pariser „National" Fol gendes schrieb: „Obgleich es eigenthümlich erscheint, eine Kandidatur abzulehnen, die mir niemals angeboten wurde, für eine Stelle, die überdies noch nicht einmal vakant ist, halte ich es doch für nützlich, angesichts der lebhaften Polemik hierüber, zu erklären, daß ich nicht ein Kandidat für die Präsidentschaft der Republik bin. Ich ersuche daher eintretenden Falls meine wenigen Freunde, welche ich in bei den Kammern habe, es zu veranlassen, daß man die Stim men nicht auf meinen Namen abgiebt." Gegen eine Kandi datur Ferrys wüthen aber bereits die radikalen und in transigenten Blätter in fast unbeschreiblicher Weise und scheinen für einen solchen Fall Clemenceau, Rochefort und Felix Pyat alle jene dunklen Massen aufzuwiegeln, die von radikalen, intransigenten und anarchistischen Schlagworten betäubt und jede Umwälzung mit Freude begrüßend, sich vor den Bajonetten Saussiers um so weniger fürchten, als sie an den Soldaten Boulangers Bundesgenossen zu finden hoffen. Immerhin ist es aber auch möglich, daß sich die französischen Republikaner, um den drohenden Bürger krieg zu vermeiden, eine militärische Diktatur und den Krieg gefallen lassen, der sehr bald die jetzt sich so feind lich gegenüber stehenden Generäle Ferron, Sausiier und Boulanger zu Freunden machen würde. Zunächst sind alle in Paris anwesenden Korpskommandanten, darunter auch Boulanger, in ihre Stabsquartiere zurückgesandt worden. Die revolutionären Komitss in Paris halten jetzt täglich Versammlungen, aber ihre blutdürstigen Tagesordnungen erregen ebensowenig Furcht wie ein von mehreren Pariser Stadträthen unterschriebenes Arbeitermanifest, welches den Untergang der Bourgeoisie drohend prophezeit. Bei der Un gewißheit über den Nachfolger Grsvys ist eine Beendigung der Präsidentschaftskrisis frühestens an dem ominösen 2. Dezember, dem Gedenktage des Staatsstreichs, zu er warten. Tagesschau. Freiberg, den 28. November. Der deutsche Kaiser hatte am Sonnabend Bormittag eine längere Konferenz mit dem General-Feldmarschall Grafe» Moltke und dem General-Quartiermeister Graft« v. Walders«. Nachmittags empfing der Kaiser den von seiner Reift »ach Sa» Remo tu Berlin wieder eingetroffenen Chef deS Stabes der 4. Armee-Inspektion General-Major v. Winterfeld, der am Tage vorher in Koblenz der Kaiserin Bericht über das Be finden des deutschen Kronprinzen erstattet hatte. Die Aerzte deS Kronprinzen erhielten Weisung, ihre täglichen Beobachtung« in Spezialberichten für den Kaiser uiedrrzulegen und darin namentlich jede etwaige Veränderung in des Patienten Befinde» hervorzuheben. In ähnlicher Weise gehen täglich von Sau Remo Meldungen an die Kaiserin ab, und endlich erfährt regelmäßig vr. Mackenzie, welchen Verlaus das Leiden nimmt. Die Berichte an den Kaiser werden sämmtltch dem Archiv des Königlichen Hausministeriums einverleibt. Die Krankheits berichte für die Königin Viktoria und Mackenzie verfaßt vr. Hovrll. Der Letztere soll auf die in San Remo an Hl gerichtet« Frage, ob alle Hoffnung auf die Erhaltung d«I Lebens, auf Heilung vergeblich sei, im zuversichtlichsten Tone gesagt haben, daß er »heute mehr al- je von einer sichere» Heilung überzeugt sei." Im Widerspruch mit dieser Ansicht scheint folgende neuere Meldung aus San Remo zu stehen: »Obgleich eigentlich noch keine Aenderuug der örtlichen Zustände bemerkbar ist, besteht doch wieder die Möglichkeit eines neuerlichen Wachsens der früheren Schwellung." — I» San Remo werdeu der Erbprinz von Meiningen nebst Gemahlin im Laufe der nächsten Woche daselbst zu längerem Aufenthalt erwartet. Sonnabend Vormittag unternahm der deutsche Kronprinz mit der Kronprinzessin und dm Prinzessinnen Töchtern eine Spazierfahrt. Außerhalb der Stadt verließ der Kronprinz dm Wagm und machte einen längeren Spaziergang. Gegen Abend kehrten die hohen Herrschaften nach San Remo zurück. — Im deutschen Reichstage ist »uv die Vorlage über die Kornzoll-Erhöhung eingegangm, welche die Verdoppelung der bisherigen Zölle aus Weizen, Roggen und Hafer verlangt, welche der LandwirthschaftSrath beschlossen hatte. Für Gerste wird nur eine Erhöhung von 1,50 M. auf 2,25 M. vorg«- schlagen, statt auf 3 M., wie der LandwirthschaftSrath ver langte, für Raps von 2 auf 3, anstatt auf 5 M., für Mais von 1 auf 2, anstatt auf 3 M., für Malz von 3 auf 4, an statt auf K Mark. Der von dem LandwirthschaftSrath ge forderte Kleiezoll findet sich nicht in der Vorlage, ebensowenig die geforderte Zollerhöhung auf Fleischextrakt, Talg, Pferd« und Schweine. Die Vorlage wird durch ihre Schlußbestim mung über die Nachverzollung ihre Wirkung äußern, noch ehe sie die parlamentarische Genehmigung erhalten hat. Nach dieser Bestimmung sollen nämlich die betreffenden neuen Zoll sätze schon vom letzten Sonnabend ab giltig sein, d. h. eS soll wenn der Reichstag zustimmt, für die von gestern an einge- sührten Produkte die Zollerhöhung nachgezahlt werden. Es ist dmn auch bereits Vorsorge getroffen, daß bei der Zollab fertigung von Getreide die beim Inkrafttreten deS Gesetzes eventuell der Nachverzollung unterliegenden Posten notirt werden, und daß eine amtliche Feststellung des augenblicklichen Bestandes der Niederlagen an den in Betracht kommenden Artikeln eintritt. Die Maßregel hat offenbar eine schleunige Durchführung des Gesetzes und eine Verhinderung von Speku lationen zum Zwecke. — Der von den Abgg. Munckel und Genoffen eingebrachte Gesetzentwurf wegen lleberweisung der politischen und Preßvergehen an die Schwurgerichte bean tragt, den 8 80 des Gerichtsverfaffungsgesetzes in folgender Weise abzuändern: „Die Schwurgerichte sind zuständig für die Verbrechen, welche nicht zur Zuständigkeit der Strafkammern oder des Reichsgerichts gehören, desgleichen für die Vergehen gegen die 88 95, 97, 99, 101 bis einschließlich 112, 115, 116, 124 bis einschließlich 131, 135, 139, 141, sowie für die Vergehen gegen 88 185, 186, 187 und 189 dcs Straf gesetzbuchs, falls wegen der letzteren die öffentliche Klage er hoben wird, sowie endlich für alle mittelst der Presse begangmen Verbrechen." Es liegt, wie die Wiener „N. Fr. Presse" ausführt, nur in der alle Kreise der österreichische« Bevölkerung tief durchdringenden Friedensliebe und in dem Bewußtsein, daß von österreichischer Seite gar nichts geschehen ist, um Ruß land zu feindseligem Vorgehen zu reizen, daß die Vision der „Post" von der „Sonne eines russisch-österreichischen Krieges am Morgenhimmel" nicht lähmenden Schrecken hervorgerusen hat. Man belausche, sagt das Wiener Blatt, die öffentliche Meinung in beiden Reichshälften, man forsche in ihren Organen, man prüfe die Protokolle der eben geschloffenen Session der Dele- MMJiWer und Tageblatt. * Amtsblatt für die Amglichen Md städtischen Behörde» zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur: Iuliu» Brauu iu Freiberg. ^276 ! Erscheint jeden Wochentag Nachmitt. '/^Uhr für den ' - ! M-WS'LLL» Dienstag, de» SS. November Inserat« »erden bi» Bormittag 11 Uhr angenom- FUF»«* mm und bttrLgt der Pret» für die affpaltme Zeile > OO » oder deren Raum 15 Pf »