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Ausriilimmigsarbeiten der Reichsregierung. Regelung der Sftfragen. - Sutfcheiduug über das Reichsehrenmal. - Borbereitungeu für Seuf. Was bringen -ienachften Kabinetts'ihunqen? tDrahtmcldung unsrer BerllnerSchristlettung.l Berlin, 22. Nov. Der Wiederbeginn der ReichStagSvcr- kiaiidlttiigen scheint die psychologische Folge gehabt zu haben, -aß das RcichSkabinctt sich mit verdoppelter Arbeitskraft auch naheliegende», aber in der Oefsentlichkeit zurückgrtrctciien Problemen »»wendet, nm sie ihrer Lösung näher »n bringe». Es erscheint i» diesem Zusammenhang nicht notwendig, die ganze Kette von Gesetzcsvorlage» »och einmal einer Betrach tung »n unterziehen. Wenn wir nur die Schulvorlage kurz streik», so glaubt man in den politischen Kreisen der Rechten, daß selbst nach der Rede des volkSpartcilichcn Referenten Dr. Nnnkel in Braunschweig keine grundlegenden Schwierigkeiten mehr »« befürchten sind. Im Lanse des henttgen TagcS hat man sich an maß geblicher Stege nochmals mit der Slmnltanfchnlsrage be schäftigt «nd ist, wen« »tr »echt nnterrtchlet sirto, einem ge- wiffen ««»gleich »er Standpunkte «üher gekommen. Dahinter schweben Stak Sf ragen, die noch in ei« gewisses Dunkel gehüllt sin-, weil darüber Schipeigepflicht hetrsLt. Zunächst wird sich tintttal der ReichSrat mit dem HänShalt zu be schäftigen haben. Rentnerversorg u n gSgesrtz und deutsch-russische Wirtschaft-Verhandlungen sind weitere Punkte, die das Kabinett beschäftigen dürften. Die Krag« des OstkommisfariatS wird nach der Zwischenlösung, über die wir seinerzeit be richtet hatten, nunmehr wieder ln. den Brennpunkt des prak tischen Geschehens rücken. Die Not Ostpreußens hat sich in zwischen nur weiter gesteigert. Aber ein praktisches Abhilfe- Programm ist nunmehr.wenigstens in den Kernpunkten sertig- gcstcllt. Es wird naäx unseren Informationen noch in dieser Woche dem Kabinett vorgelegt werden. Es handelt sich um eine für Ostpreußen günstige und seine Lage erleichternde Regelung in den Reichsbahn tarisfragen, im Kre ditwesen und in der Versorgung mit Kunst- diinger und Kohle. In diesem Zusammenhang scheint auch die Personalsrage des OstkommlssarlatS einer Lösung ciitgcgenzugehen. Da ein Mintstcrposten zu- nächst nicht mehr in Frage kommt, treten wohl dle ln der Presse genannten Persönlichkeiten zurück. Von Ostpreußen ans hatte man großen Wert daraus gelegt, eine anerkannte ostpreußische Persönlichkeit an die leitende Stelle zn bringen. Demgegenüber wird von anderer Sette geltend ge macht, daß cs wohl bester wäre, in diesem Ostkommistariat Ostpreußen nicht isoliert zu sehen, sondern bet Aufnahme der Arbeit dieses Amtes die ganze Front von Ober- schlestenüber bi« Grenzmark und Pommern bis hinaus nach Tilsit im Auge zu behalten. Für die Leitung des Ostkommistariats wirb der Name des Leiters der Ostabtcilung im Innenministerium, des Ministerial direktors Stammann, genanstt, dem vermutlich ein Dirigent »nü zwei OberregierungSräte beigegeben werden würben. Ob auch bei der Reichskanzlei ein Spezialberater für die Ost- fragcn bestellt werden wird, steht bislang noch dahin. Auch eine weitere Frage, die nach anfangs lebhafter Er- Srtcrnng stark in den Hintergrund getreten ist, dürfte dem- nächst dem Kabinett zur entscheidenden Beschlußfassung vor- gelegt werde». Eo handelt sich um die weiteste Volkskrelsc unmittelbar angehende Endregelung. wohin das deutsche Reichsehrenmal kommen soll und in welcher Form es errichtet wird. Waren zum Schluß zwei Vorschläge vorgesehen worden, nämlich die Umwand lung der alten Schlnkelschen Wache in Berlin und die Bestimmung eines Ehrenhat ns ln Berka, so glauben wir recht unterrichtet zu sein, wenn wir der Mei nung Ausdruck geben, daß der Reichspräsident entscheidenden Wert darauf legt, das Projekt Berka dnrchgestthrt zu sehen. Einmal handelt cd sich um den geographischen Mittelpunkt Deutschlands, der damit gewählt würde, und dann wird noch geltend gemacht, daß ein Reichsehrenmal ln ktner gewissen Stille und Abgeschiedenheit vom großen Getriebe, das gleich sam als großer heiliger Hatn'Nm Herzen Deutschlands liegen würde, dem deutschen Bolksempfinden mehr entspräche als Formen, wie sie die Ententestaaten mlt Gräbern des unbe kannten Soldaten mitten im Trubel ihrer Hauptstadt ge- schasse» haben. Im Kabinett hofft man für -lesen Plan auf nugetrilte Zustimmung, so daß die praktischen Vorarbeiten dann alsbald ln Angriff genommen werden könnten. Schließlich ist bereits heute das Kabinett in die Erörterung eingetreten über die Plane «nd Vollmachten der dcutschen Delegation ans der De-embertagnug ln Gens. Wenn auch die Zusammensetzung der Abordnung noch nicht festfteht, so interessiert doch die Frage, ob auch bet dieser Ge- lcgenheit wieder, wie man sich in politischen Kreisen scherzhaft auSzndrttcken v'leat, das gesamte Auswärtige Amt 'einen Sitz in die Genfer Hotels verlegen will. Abgesehen von diestn for malen Frage« tnteresstcrt inhaltlich vor allen Dingen daS Zusammentreffen, daS der dentsche Außenminister Dr. Strcscma « n mit dem russische« Delegierten Litwlnow, der erstmalig beim Völkerbund zur vorbereitenden Tagung der AbrüstnngSkommissto« erscheint, haben wird. LS könnte sehr wohl sei«, daß der dentsche Außenminister bei einer solchen Gelegenheit sich vor Entscheidungen gestellt sehen könne, die den Rahmen des sonst beim Völkerbund Ucblichen über schreiten. Man erinnert deshalb an die Vorgänge, die mit der Paraphierung des Locarnovertrages zusammenhtngcn und die damals Anlaß zu ei""r sehr weitschweifigen Diskussion darüber gaben, ob der Außenminister selbst in solcher Lage ohne weiteres und ohne Anhörung des Kabinetts oder gar ln Neberlchreitung allgemein festgelcgter Richtlinien zu han deln die Befugnis hätte. Da diese Erörterungen seinerzeit zu beträchtlichen Schwierigkeiten geführt hatten, glaubt man heute zur Vermeidung solcher Komplikationen alle Möglich keiten, die a»S den bevorstehenden Genfer Tagungen ent- wringen können, vorhcrbis ins einzelne in Betracht ziehen zu sollen. So sicht nicht nur daS Parlament, sondern vor allem auch daS Kabinett angestrengtester Arbeit entgegen, von der wir angesichts dEr Fülle wichtiger Probleme nnr wünschen könne», daß sic nicht bnr' -chwierigkeilen in kleineren Fragen unlieb- samc Unterbrechungen erfährt. Dr. Schachts „gefährliche" Pläne. In einem ernsten Artikel »nb in einer eindringliche« Mahnrede in Bochum hat der Reichsbankpräsident seine Fol gerungen auS der Denkschrift des ReparationSagenten ge- zogen. Er hat dabei zum Teil recht bittere Wahrheiten gesagt. Deswegen ist man ihm auf der Linken sehr böse, deswegen verfolgen ihn jetzt gerade die Kretle nicht nur mit scharfer Kritik, sondern' auch mit übelwollenden Verdächtigungen, denen er einst politisch näher stand und die ihn. als er noch der Demokratischen Partei angchörte, gegen die Kandidatur HclffertchS für den Neichsbankpräsidentenposten aus sede Welse unterstlltztcn. Znzugebcn ist, daß Dr. Schacht den Kamps mrt einer gewissen Schärfe führt, da ihm leine weitgehende persön liche Unabhängigkeit eine Rücksichtnahme auf sonstige politische Interessen entbehrlich macht. Wenn aber setzt die sozialistische Presse einen konzentrischen Feldzug gegen thn eröffnet und ihm ganz unverblümt den Borwurf macht, daß er auS rein privatkapitalistischem Interesse zu einem großen Schlage gegen Betriebe der öffentlichen Hand aushole, daß dle Kreditpolitik des Nelchsbankpräsidenten einen E n t sch e i d u n g S k a m Vf zwischen den privaten und den öffentlichen Be» trieben bedeute, dann ist das nicht nur etn Bewet» dafür, wie aus parteipolitischem Fntereffe die großen Zusammen hänge zwischen Finanzpolitik und DaweS-Syftem zur Sette geschoben werden, sondern zugleich eine beachtliche Erkenntnt». quelle dafür, wie schwer die Parteipolitik dazu zu bringen lei« wird, die Selbstkontrolle an die Stelle der ausländischen Finanzkontrolle durch den ReparationSagenten zu setzen. ES mag für Sozialisten schwer lein, das hochkavitaltsttsche Dame». System, das sic selbst einst io willig auf sich nahmen, plötzlich eine scharfe Front gegen die öffentlichen Betriebe annehmen zu sehen: denn wie der Wiener Sozialistensührer Rudols Gold» scheid auSfllhrte, kann sich „der sanfteste Uebergang vom kapi talistischen zum sozialistischen Staat nur aus dem Wege des Staatskapitalismus vollziehen". Aber seit langem schon krankt linier Wirtschaftsleben an der schleichenden Krankheit der Sozialisierung im stillen. Daß die öffentliche Hand eine Privat initiative nach der anderen an sich riß und den eigenen Staat», bürgern Konkurrenz machte, hat die staatlichen und kommu nalen Bilanzen so stark anschwellen lassen, baß der Nevära- tlonsagent dagegen Stellung nahm. Und eS war. wie der „Vorwärts" ihn nennt, „ein so ruhiger und sachlicher Be urteiler der deutschen Lage wie der NeparatlonSagent". der t» seinem Memorandum den Nus gegen die »über ihre Mittel lebenden" Länder und Gemeinden erhob. Es war der Repa rationsagent. der aus den übermäßigen Anleihebebarf der Länder hinwies. Und wenn Tr. Schacht setzt auch keinerseits die Folgerungen aus gewissen Tatsachen zieht, dann wird man Ihm schwerlich „gefährliche Pläne" zugunsten dcS großen Trust- kapitalismuS unterstellen können. Noch dazu, wenn man mit so nachweislich falschen Behauptungen arbeitet wie der. daß die groben Privatbetriebe „weit über die Grenzen ihre» Kapitalbedarfs hinaus mit ausländischem Gelbe etngedeHt seien, den Gemeinden, den Betrieben -er öffentlichen Han- abcr, die gerade io produktiv «nd «irUchastlich arbeiten, bi« Aufnahme von Ausländsanleihe» orichwert, sozusagen uw- möglich gemacht worden sei". ' Schon der Reparationsagent hatte tA keinem vertcht darauf Hingewielen, daß die Auslandobegebuugcn der Länder und Gemeinden und ihrer össentlichen Unternehmungen ungefähr in gleicher Höh« mit denen der gesamten Geschäftswelt und Industrie stehen. Tr Schach» hat in Bvchun, nnr diese Angaben dahin ergänzt, daß von den rund SK Milliarden langsrtittgen Ausländsanleihen 2K Milliarden auf die üfscnlltche Hand, 2K Milliarden aus die Privatwirtschaft un,- eine halbe Milliarde aus halböffentliche Anleihen. wiez.B herÄesUenbankkredttanstalt. entfallen. Trotzdem richten sich die sozialistischen Angriffe nicht gegen den »so ruhigen und sachliche« «enrtnler der deutschen Lage", Parker Gilbert, sonder» gsgon de» rrustkapttoUSmuS Dr Schachts! Dabei läßt es Dr Schacht dahingestellt, ob die ttt öffentlicher Hand befindliche»« Betriebe wirtfchastlicher un sozialer arbeiten als die Privatwirtschaft Immerhin hält er cS mit Recht für angebracht .einmal die ivlrtschaslllche Kon kurrenz der öffentlichen Hand gegen, ihre eigene» Staatsbürger ebenso zu prüfen wie die Rcntabilitäl und die vielfach nicht» aiibcrc» al- eine versteckte Steuer darstellende Tarisvolirtk össcnilich-rechtticher Monopotbetriebe" Die Ga», und Strom preise reden dabei eine beredte Sprache Bedeuilamer aber ist es wie sich Dr Schacht mit den Einwänbcn von komniunal« politischcr Seite auseinandersetzt dab die Kommunen nur tür produktive Zwecke Ausländsanleihen ausnehmen und daß die als Luxus erscheinende» Ausgaben wie die berühmten Stadien nnr einen verschwindenden Bruchteil der Gesamtausgaben an»« machen. Dr. Schacht stellt demgegenüber au» den kommunale» Fördert Rußlands Teilnahme dle Abrüstung? Hoffnungen un- Besürchiunyea. lDrahtmeldung unsrer Berliner LLrtstlettnna.I Berlin, 22. Nov. lieber die Gründe, die die Sowietmacht- habcr bewogen haben, durch ihre Reise nach Genf ihr Interesse der AbrllstungSfrage zuzumenden, dle für die „kapitalistischen" Staate» eine der schwierigsten ist, weil keiner der ln Betracht kommende» Staaten überhaupt ernstlich daran denkt, seine militärische Sicherheit zu verkletnern, hat sich Lttwinom in einer langen Unterredung mit den Pressevertretern a»Sge- sprachen. Was Litwinow in diesen sehr auf dekorative Wir- kung berechneten Ausführungen sagte, kann von Desttschland größtenteils unterschrieben werben. Wenn er beispielsweise erklärte, daß man anstatt einer greifbaren Abrüstung bisher als Ergebnis der Tätigkeit de» Völkerbünde» lediglich eine belanglose Deklaration und ei« Häuflein von Resolutionen und Anträgen hätte, so ist bas eine Feststellung, die auch von tentschcr Seite schon wiederholt gemacht wurde, ohne daß sich etwas änderte. Glaub« man nnn in Moskau, baß ein sowjet- russisches Dränge« a«s Abrüstung den verlaus der Dinge wesentlich ändern würbe? Sicher nicht! Denn selbst Vit- winow kündigte an, daß Rußland mit einem eigenen Pro- lekt in Gens erscheine» würbe. Die Frage, wie baö russische Programm aussteht, läßt sich zurzett noch nicht beantworten. Litwinow selbst ha« sich darüber nur in sehr allgemeinen Redensarten ausgesprochen. Eine andere Frage ist die, welche tieferen Gründe Rußland eigentlich für eine Tetluahme an den AbrüstungSverhanblungen hat. Man kommt dabei ohne weiteres aus Zusammenhänge mit dem englisch-russischen Konflikt. Man fürchtet in Rußland immer noch das Zustandekommen eine» europäischen AntisowsetblockcS, und man weiß, daß die Rote Armee Im Falle kriegerischer Bcrwtcklungen den militärischen Kräften der europäischen Staaten, die in Betracht kommen könnten, nicht standhalten könnte. A»S diesen Erwägungen heraus hat man sich in Moskau gesagt, baß e» für Rußland nnr günstig sein könnte, wenn die Abrüstung weitcrkäme. Weil Eng land al» Rußland» Hanptgegner natürlich diese Zusammen hänge kenn«, wird man jetzt schon damit z« rechnen haben, daß England sich allen Projekten ans da» energischste wider» setzen wirb, die von Rußland onSachen. Schließlich wird Frankreich der Svnr solcher Widerstände nnr ,« gern folgen, «n» so ergibt sich die auch uns interessierende Krage, ob die russische Teilnahme an den Abrüst«nq»konteren-en nicht eher einer Erschwerung als einer Förderung dcS Abrüst«nq«gcdankcnS bient. Eine genaue Antwort aui diese Krage wird sich naturgemäß erst geben lassen, wenn da» Pro gramm. von dem Litwinow sprach, bekannt sei« wirb. » Kowno. 22. Nov. Wie au» Moskau gemeldet wirb, ist der stellvertretende Anßenkvmmlssar Litwinow nach Berlin ubgcrcist. Dle Abreise erfolgte für daS ganze diplomatische KorpS unerwartet.