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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 31.12.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-12-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190812319
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19081231
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19081231
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-12
- Tag 1908-12-31
-
Monat
1908-12
-
Jahr
1908
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Fernsprecher: I169L I4WS, I«Wt- KiVigcr TliMM Handelszeituug Ämlsvkatt des Nates und des Votizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis sitr Anserate „» Leipzig uns ilm,«bün dle t>gespalten« Petitzeile 25 «tz stnnnzielie lllnzeigen öv^s. lsteklamen l »an »u«wörr« !lv ReNamen t.20 »»» Anöland S0^, finanz. Anzeigen 7L^s. ReNamen US» ^g. Inserate». Behdrden .» «ntlichenTeil»»-^. «rilagegedödr b lautend «xk. Post- gebühr. iAetHülteanzrigen an bevorzugte! Stelle im Preise erhöht, «»bat: nach Tar> Fester!eilt« Auttrtg« können nicht zurück gezogen werden. Für da« scheinen an bestimmten Tagen und Plötzen wird keine Garantie üdernemmen Antigen. Annahme: Nugustatzplatz 8, bei tömtlichen Filialen u. allen Annonce». Azpeditionen de« In- und «»»lande«. Haupt-Filiale verlia: >»rl Luncker, Herzogs, «agr. Hofbuch. Handlung, Lützowstraste iO. gleleobon VI, «r. «M3). Haupt-Ailiale Lresden: Seestrage 4, i (Telephon 4v2li- Nr. M. Da» wichtigste. * Ei» Raub anfall wurde gestern abend in dem Kontor der Baumaterialieahandlnng E. Flügel in der Berliner Straße von drei maskierten Männern versucht. Die Ueber - falleuen wehrte» sich jedoch, und die Angreifer mutzten ent fliehen. Trotz sofort aufgenommener Verfolgung sind sie ent- kommen. fS. d. bes. Art.) * Die Leipziger Stadtverordneten genehmigten in ihrer gestrigen Sitzung die Vorlage über die Neuregelung der Lehrergehälter in Gemäßheit der von den Ausschüssen gestellten Anträge. fS. Der.) * Nach den neuesten Meldungen soll sich die Zahl der bei dem großen italienischen Erdbeben Umgekom menen sogar angeblich auf 2UVUV0 belaufen. Doch ist ;u hoffen, daß umsichtigere Schätzungen diese Niesenzahl noch auf ein geringeres Maß herab drücke«. In Messina wurden 4« Deutsche unter den Trümmern eines einstürzenden Hotels begraben. Reggio ist, wie nunmehr feststeht, ebenfalls vollständig zerstört worden. In Rom laufen zahlreiche Bei leidskundgebungen ein. Auch der Deutsche Reichs tag und der Prinzregent von Bayern haben kondo liert. (Weitere Einzelheiten s. d. bes. Art. u. Letzte Dep.) * Die Erste Deputation der Ersten Kammer hat das Wahlgesetz in der von den Konservativen der Zweiten Kam mer gebilligten Form abgelehnt und sich bis Mitte Januar ver tagt. fS. Dtschs. R.) * Bei der Landtagsersatzwahl im Döbelner (9. städt.) Wahlkreise, die am Mittwoch in Döbeln stattfand, wurde der Kandidat der nationalliberalen Partei, Tr. K. Niethammer- Krieb- stein, zum Abgeordneten gewählt. sS. Dtschs. R.) * Im Auswärtigen Amte wurden am Mittwoch durch den Staats- sekretär v. Schoen und den österreichisch-ungarischen Botschafter von Szögveny-Marich die Ratifikationsurkunden zu den am 17. November 1908 zwischen dem Deutschen Reiche und Oesterreich und zwischen dem Deutschen Reich und Ungarn abgeschlossenen Ueber- einkommen, betreffend den gegenseitigen gewerblichen Rechtsschutz, ausgewechselt. Die Wirksamkeit der beiden Uebcr- cinkommen beginnt am 1. Januar 1909. Das offiziöse Tauschgeschäft. On xranck peupls n'sst jamal« xouvsi-n» par son souvsrnkrnsntz Das Wort ist ungefähr hundert Jahre alt und stammt von Josef de Maistre, dem leidenschaftlichen Vorkämpfer der gottgewollten Ordnung. Er muh, als er diesen Aphorismus prägte, doch wohl der Ansicht gewesen sein, dah eS daS gebe, was wir heute die „öffentliche Meinung" nennen, und dah die Regierung ohne die Unterstützung dieser öffentlichen Mei nung nicht regieren könne. Anders Iaht sich das im Hinblick auf den Sprecher und seine Zeit so merkwürdige Wort Wohl kaum deuten. Dah diese Erkenntnis, die damals auherhalb Frankreichs paradox schien, durch die Zeit bestätigt worden ist, bedarf nicht des Beweises. Heute ist in Kulturländern eine wirklich aktive Politik svom „Fortwursteln" soll nicht gesprochen werden) nur dann möglich, wenn sie von der Zustimmung der nationalen Majorität getragen wird. Auch Bismarck zeugt für diesen Gedanken: „Es ist heutzutage für eine grohe Regierung kaum möglich, die Kraft ihres Landes für ein anderes, befreundetes, voll einzusetzen, wenn die Ueberzeugung des Volkes es mißbilligt." Wenn man diese Prämisse zugibt, so wird man der Negierung daS Recht zubilligen, ja, man wird ihr sogar die Pflicht zuweisen müssen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Regierung ist imstande, manche politische Vorgänge auf Grund exakten Tatsachenmaterials, auf Grund intimer Personalkenntnis, sicherer zu beurteilen als der Privatmann. Wer will etwas dagegen einwenden, dah sie die Nation zu reifem und ruhigem politischen Urteil zu erziehen strebt, daß sie ihr die politischen Vorgänge in dem Lichte darstellt, in dem sie ihr selbst erscheinen, daß sie sich eine Gefolgschaft zu bilden trachtet? Dies Streben ist durchaus be rechtigt. Darum ist es auch töricht, einen offiziösen Schriftsteller ledig lich deshalb zu verhöhnen, weil er offiziös ist. Lothar Bucher war auch offiziös und niemand darf seinem Charakter und seinem Können die Achtung versagen. Manche Journalisten stehen im Dienst einer Partei, einer Jnteressentengruppe, andere wieder machen die Politik, die ihnen ihr Organ vorschreibt: auch sie sind offiziös, parteioffiziös, verlagS- offiziöS. Mr gestehen also der Regierung daS Recht zu, auf die öffentliche Meinung, daS heiht auf die Presse, zu wirken. Dies« Wirksamkeit kann notwendig, kann nützlich sein. Damit ist die prinzipielle Frage beant wortet. Nun aber handelt es sich um den besonderen, den aktuellen Fall. Man la» in Blättern, die der Regierung nahe stehen, e» werde eine „Er weiterung de» PrehdiensteS" beabsichtigt, und dies« Nachricht wird un» privatim bestätigt. Die Absicht scheint gefährlich, wenn die Meldung be deutet, dah das bisherige System beibehalten, ja, ausgestaltet werden soll. Die» System desteht in einem Handelsgeschäft, in dem Urteile gegen Informationen ausgetauscht werden. Ein Geheimrat gibt dem Vertreter eine» führenden Blatte» eine „Nachricht", eine „Information"; die Zeitung gewährt den Gegendienst einer wohlwollenden Beurteilung. Die» System ist seit Jahren geübt worden, hat zu einer völligen Ver fälschung der öffentlichen Meinung geführt, und da bereit» heute die Tätigkeit der meisten politischen Beamten ungefähr zur Hälfte im „Preß- dienst" besteht, so begreift man nicht recht, wie dieser Dienst noch „er weitert" werden soll. Der Reichstag wird gut tun, sich gegen jeden solchen Versuch, die öffentliche Meinung insgeheim zu verstaatlichen, energisch zur Wehre „ setze». Donnerstag 31. Dezember 1908. Wie hat denn das System bisher gewirkt? Zum Ruhme der leiten den Männer, aber nicht immer zum Nutzen des Vaterlandes. Es kam nicht darauf an, daß die Wahrheit gesagt wurde; es kam nicht darauf an, das deutsche Publikum über die tatsächliche Lage des Reiches aufzu klären; es kam nur darauf an, für den jeweiligen Kurs Stimmung zu machen. Ein Beispiel: Als Graf Waldersec zum Weltmarschall ernannt wurde, behauptete die vom Auswärtigen Amt gespeiste Presse, die. An regung dazu sei von Rußland ausgegangen. Prompt erfolgte ein Dementi Rußlands. Man hatte natürlich erwartet, daß Rußland schweigen werde, und hatte die Nation dreist genassührt. Man hatte nicht einmal die Ver schlechterung der Beziehungen gescheut, die aus einer solchen Des avouierung notwendig entstehen muß. Nur sehr wenige Blätter haben sich diesem Joch entzogen. Wenn aber die politischen Verhältnisse sich bessern sollen, dann muß dies System beseitigt werden. Das ist nur dann möglich, wenn die Presse sich daraus besinnt, daß ihre Unabhängigkeit wichtiger ist als die Brosamen, die von des Neichen Tische sollen. Das Publikum ist ja längst argwöhnisch ge worden: das beweist am besten die Tatsache, daß so viele Blätter sich heute als „unabhängige Blätter" bezeichnen. Wenn nur ihre Haltung dieser Etikette entspräche! Der Leser entsinnt sich jenes Spargedankens, dem das preußisch? Ministerium so viel Wohlwollen entgegenbrachte. Der Gedanke an sich war vielleicht gar nicht übel, aber seine Bortrcsflichkeit allein hätte ihm die Gunst der Mächtigen schwerlich erworben. Mit dem Sparmodus war das Projekt einer Zeitnngsgründung verbunden, und wie diese Zei- tung ausgefallen wäre, das weiß ein jeder. Und wer es nicht weiß, dem ist nicht zu helfen. Die Abhilfe kann auch hier nicht von oben, sic kann nur aus der Nation kommen. Das Publikum muß sich aus seinem politischen Quie tismus aufraffen, die Presse muß das Handelsgeschäft ablehnen. Sie muß sich die Freiheit der Meinung bewahren. Und die Regierung muß dazu erzogen werden, ihre Gaben ohne Ansehen der Partei und der Ge fügigkeit zu verteilen. Tonn wird sie in gerechten Sachen auch die wirk same Unterstützung finden, die nur die Selbständigen ihr zu geben ver mögen. Das Volk ist jahrelang düpiert worden; jetzt heißt es, die Augen offen halten. Es heißt auch den Beutel zuhalten, wenn verdächtige „Ausgestaltungs- und Erweiterungspläne" austauchen, deren Zweck die Uniformierung, die Nivellierung, zu deutsch, die Vertrottelung der öffentlichen Meinung ist. Das politische Aahr in Frankreich. (Von unserem Pariser D.-Korrespondenten.) Paris, 28. Dezember. Mit fester und vergnügter Stimme verlas Georges Elemenceau das präsidentielle Dekret, das die außerordentliche Session für beendigt er klärte. Die Parlamente gingen befriedigt in die Weihnachtsferien: sie bescherten dem Lande das größte Budget, das die Republik je gesehen Hot, einen Ausgabe-Etat für 1908 in Höhe von vier Milliarden fünf Millionen Franken. Ter Deutsche Reichstag mag in Ruhe die Tabak-, Bier- und andere Steuern votieren — Frankreich wird auch ferner stolz den Rekord der Steuerlast auf den Kopf der Bevölkerung halton. Als weitere Festgabe begrüßten die Republikaner den endlich auch vom Senat bewilligten Rückkauf der Westbahn, für den innerhalb vierzig Jahren fünf Milliarden an die Aktionäre für Material usw. zu bezahlen und viel weniger gutzuschrcibcn ist, dann die Vermehrung der Artillerie um ein drittes Regiment in jedem Armeekorps, Gejamtkosten rund 100 Millionen, die Anschaffung neuer Marinemunition, Voranschlag 300 Millionen, und die Ankündigung eines prima Flottenprogramms, jährliche Mehrausgabe 100 Millionen . . ., schließlich die Beibehaltung der Todesstrafe. Aufgeschoden wurden die Einkommensteuer, die Arbeiter-Versorgung und die Reform der Kriegsgerichte: man sieht an. dem. was die Kammer und der Senat geleistet haben, und mehr noch an dem, was sie nicht geleistet haben, daß sie jetzt eine starke „radikale" Majorität besitzen. Die innere Politik Frankreichs nahm unter Elemenceau eine andere Gangart an, als sie unter den früheren fortschrittlichen Ministerien hatte; sic verlangsamte sich. Der Mann, der die Prusche schwang, als er noch, ein unaohängiger Journalist und Senator, neben der Staats kutsche berlief und die republikanischen Rosse zum Galopp antricb, bis sie mitunter scheu wurden, durchgingen und die verantwortlichen Lenker, die Minister, von ihren Sitzen herunter in den Graben schleuderten -- dieser Mann schien plötzlich wunderbar viel Zeit zu haben, als er selbst auf dem Bock Platz und die Zügel in die Hand genommen hatte! Elemenceau konnte in früheren Jahren die Politiker nicht leiden, die für den Fortschritt nichts wagten uud sich an ihr Porte feuille klammerten; er begann am 23. Oktober sein drittes Jahr als Ministerpräsident, und niemand darf ihm vorwerfen, daß er um einer der großen fortschrittlichen Reformen willen tollkühn sein Portefeuille aufs Spiel gesetzt habe. Diese Reformen, die Einkommensteuer an Stelle des ungerechten, indirekten Steuersystems, und die Arbeiterversicherung, kommen in Kammer und Senat ans Debatten und Kommissionen nicht heraus, und man fragt sich schon, ob vor den Neuwahlen überhaupt noch daran zu denken ist, das eine oder andere der Gesetze unter Dach zu bringen. Was würden die Wähler dazu sagen, wenn ihre Erkürten mit leeren Händen vor ihnen erscheinen sollten? In ihrer Besorgnis bildeten die Radikalen in der Kammer wi:der die berühmte „Dslägation des Gauches", der die Führer aller Parteien der Linken angehören (aus genommen der sozialistischen) und die dem Ministerium Combes während des Kulturkampfes mit nützlichen Ratschlägen zur Seite stand. Diese „Dslägation" soll über den schnellen Gang der Beratungen wachen: bis zum Ende der Legislaturperiode hofft man Einkommensteuer und Arbeiterversichernng zu votieren, das praktische Erproben der neuen Re- formen aber erst beginnen zu lassen, wenn man für vier Jahve wieder gewählt wurde, was die Hauptfach; ist. Das französische Parlament krankt am Mangel einer Opposition. Eine Mehrheit ist nur stark und iatenfreudig, wenn sie sich fortgesetzt bedroht sieht. Klerikale und Nationalisten sind aber zum winzigen Häuflein zusammengeschmolzen und wagen nicht mehr, den Mund auf- zutun. Die Intransigenz Pius" X. hat nach dem „Kulturkampf" der Ministerien Waldeck-Rousseau und Combes den französischen Katholi zismus in eine Ohnmacht geworfen, von der er sich nicht mehr erholen dürfte. Nicht nur politisch gesprochen. Abgesehen von den klerikalen Wahlniederlagen (selbst in der Bretagne!) deuten vielfache Anzeichen auf das Nachlassen der Frömmigkeit hin. Die Pfarrer bestreiten eS nicht, daß der Kirchenbesuch nachläßt, daß selbst die Söhne der Bauern familien nicht meyr ihren Ehrgeiz darin sehen, einmal Monseigneur genannt zu werden, und dafür Nahrungssorgen zu haben, daß die Seminare leer stehen, daß sich nirgends in den Gemeinden Bereit willigkeit zeigt, durch freiwillige Opfer datz seit dem Trennungsgesetz ausaehobene KultuSbudget zu ersetzen, kurz, daß der Priesterstand und 1V2. Jahrgang. die Kirche an Ansehen verloren haben. Papst Pius^X. wird es viel leicht jetzt selbst cinsehen, daß er sich irrte, als er den versöhnlichen Ratschlägen der drei in diesem Jahre verstorbenen französischen Kardi- näle Mathieu, Richard und Lecot, sowie vieler Bischöfe nicht folgte — die Pilgerzüge sind weniger zahlreich, die Geldspenden fließen spär licher. — Die Agitation der „Gutgesinnten", der mehr oder minder offenherzigen Royalisten und Imperialisten, ist erlahmt, und beschränkt sich auf kindische Kundgebungen einiger adligen Studenten zugunsten Jeanne d'Arcs, die Nom heilig sprach. — Als man Zola ins Pantheon trug, schoß zwar der alte, verbitterte Journalist Gregori auf den „Ver räter" und wurde von den Geschworenen dank Major Dreyfus freige sprechen, der das Talent hat, sich persönlich unbeliebt zu machen, wo er erscheint; aber selbst die „Affäre" vermag heute nicht mehr die Massen zu erregen. Das feige, törichte Attentat des royalistischen Kellners Mathis auf den greisen Präsidenten FalliereS am Weihnachtstag zeigte auch nur, auf welch tiefem Niveau die Kampfesweise der Antirepubli kaner angelanat ist. — Die Opposition auf der äußersten Linken ist lärmender, aber nicht gefährlicher. Der vierundzwanzigstündige „Generalstreik", den die „Confederation du Travail" verordnete und der vor den Toren von Paris zu blutigen Zusammenstößen der Sand arbeiter an der Marne mit den Truppen führte, brachte das Ende der revolutionären Ncbcnregierung, die sich in der Arbeitsbörse etablierte. Zur geheimen Freude der parlamentarischen Sozialisten wurden alle Führer der nahezu anarchistischen Gewerkschaften monatelang von Elemenceau gefangen gesetzt und der antimilitaristische Pädagoge Herve selbst erduldete eine durch Austernvcrgiftung berühmt gewordene Kerkerhaft. So konnten die gemäßigten Elemente um Jaures auf dem sozialistischen Parteikongreß ruhigere Beschlüsse fassen, und da der radikale Parteitag das Zusammenarbeiten mit den Sozialisten auch nicht von der Hand wies, besteht für die Reaktion, wenn sie Clemen- ceau allzu unbequem wird, nur die Aussicht, den alten „Bloc" der Lin ken Wiedererstehen zu sehen. Das Merkmal der Session war jedenfalls, daß sich in den fort schrittlichen Mehrheitsparteien patriotische Regungen kundtaten, die von ihnen selbst noch vor drei Jahren als „Nationalismus" und „Milita rismus" getadelt worden wären. Die äußere Politik Frankreichs befindet sich in einer Aera der Er folge. Zwar hält sich der vorsichtige Minister des Auswärtigen, Herr Pichon. persönlich zurück, aber die offiziöse Presse redet nach dem Herzen Clemcnccaus bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit eine Sprache, die nichts mehr von „Charakterschwäche" bemerken läßt. Man fühlt sich stark, selbst Deutschland gewachsen und beinahe wieder als Mittelpunkt der Weltpolitik, wie es früher einmal gewesen. Man über sieht dabei, daß man die Erfolge mehr noch den Fehlern anderer als der eigenen Geschicklichkeit verdankt. Die glücklichen Jahre, die für die Republik begonnen zu haben scheinen, und nicht ganz ohne drohende Schatten. Der Außenhandel ging um 400 Millionen Franken gegen 1907 zurück, und die Schutzzöllner werden di- Erhöhung der Tarife durch setzen, ein der heimischen Industrie nur vorübergehende Erleichterung bringendes, gefährliches Hilfsmittel. Die französische Industrie krank! weniger an der ausländischen Konkurrenz, als an internen Leiden. ES erscheint wie ein Paradoxon, entspricht aber der Wahrheit: der allzu große Geldreichtum tötet die Arbeit. Jedermann wird zum kleinen Rentner und Bankier. Die Milliarden wandern hinaus, und man müßte von den Zinsen des Auslandes gut leben können, hätte man nicht gleichzeitig die Prätention, die Arbeitsprodukte deS Auslandes durcki Prohibitivzölle auszuschalten. Die Existenzbedingungen in der Republik verteuern sich sichtbar — und wieder einmal wird die Erfahrung gemacht, daß der wahre Reichtum eines Volkes nicht bloß die Ziffern auf Papier und Münzen, sondern die Arbeit und der rasche Produktionsumsatz sind. — Aber die Finanzmacht Frankreichs nach außen hin ist ein immer be deutender werdender Faktor seiner Politik. Rußland, ob es will oder nicht, ist an den Zweibund festgeschmiedet: seine Balkanpolitik richtet sick, nach den französischen Wünschen, denn die neue Milliardenanleihe steht vor der Tür. Oesterreich-Ungarn machte in dieser Einsicht nach seinen! bosnisch-herzegowinischen Handstreich der Republik Zugeständnisse in Marokko, auf Kosten Deutschlands, das dem kleinen Handelsgeschäft still schweigend zusehen mußte. Die deutsch-französischen Beziehungen wurden weiter ausschließlich von den Marokko-Ereignissen beeinflußt. Bevor beide Länder diese Frage nicht untereinander gelöst haben, ist an eine Beendigung der Schwierigkeiten nicht zu denken. Erwähnen muß man die lobenswerten Anstrengungen, die von Friedensfreunden zugunsten einer deutsch französischen Annäherung gemacht wurden. Das ComitS Commerciai franco-allemand wirkt segensreich, die Freimaurerlogen und die Stu denten tauschten Besuche aus, der deutsche Sieg beim Automobilrennen in Dieppe führte zu keinem chauvinistischen Zornesausbruch So haben sich im allgemeinen die Beziehungen zwischen beiden Nachbar völkern besser gestaltet; vielleicht wird das auf die Lenker der Politik von milderndem Einfluß sein. Dar italienische Drama. Aur Lrdbebenkatak rsphe in Slzil en nnd Aalabrien. Der Draht hört nicht auf, eine Hiobspost nach der andern zu übermitteln. Jedes neue Telegramm, oas von Süden her geflogen kommt, enthüllt neue Schrecken, die gesegnetste Stätten Europas in wenigen Stunden in Orte der Verdammnis und Zerstörung verwandelt haben. Es ist, als täte sich die grandiose Düsternis von Dantes Hölle auf. Wohin heute in Sizilien und Kalabrien der entsetzte Blick schweifen mag, überall wird er auf schauerliche Gemälde fallen, die nichts weiter zeigen, als Ruinen und Leichen, verwüstete Gegenden, denn die Ueberlebcnden, von Grauen gcschütteli, fliehen. Und ihnen, den Augenzeugen, die nur ihr nacktes Leben mit Mühe bergen konnten, versagen die Worte, um die rasenden Momente der Riesenkatastrvph? zu schildern. Wie eine Weltuntergangslegende berühren ihre Erzäh- lungen, wenn sie über die Zerstörung Messinas folgendes berichten: „Wahrend die Menschen in angstvollem Gewühl durch die Gassen dräng ten und von oben Stühle und Balken, ja ganze Balkons auf die Flücht linge niedcrhagelten, machte das Meer dazu eine Musik wie tausend loSgelassene Raubtiere. In den Straßen stand das Wasser bis an die Knie, und tiefste Finsternis herrschte, die nur durch den Feuerschein der brennenden Häuser erhellt wurde." Und dann kam die schäumende, weißzischendc Wut der entfesselten Meereswogcn donnernd über die flammenumloderte Unglücksstadt gestürmt, um zu vertilgen, was noch nicht vernichtet war. Räuberbanden, die gierig nach Beute in den rauchenden Trümmern wühlten, nutzten dann die Katastrophe aus, so daß wie gemeldet, der Belagerungszustand über Messina verhängt werden muhte, das heute ja nur noch ein Schutthaufen ist. Vor solchem An blick wird das Tichterwort Empfindung: Der Menschheit ganzer Jam mer packt unS an! Auch Reggio in Kalabrien ist dem Toben der Elemente zum Opfer gefallen. Auch dort, wie noch in vielen anderen kleineren Orten Süd- italienS, dasselbe Schauspiel, das die Feder nicht mehr zu beschreiben wagt, weil ganze Wunderländer mit ihren funkelnden Tustgesilden und klassischen Traditionen, mit allen Erzeugnissen ihres regen Fleiße» und reichsten Begünstigungen der Natur entschwanden. Der Italiener ist zwar gewissermaßen an Erdbeben gewöhnt. Aber in diesem Maße hat er ihre Zerstörungskraft noch nicht kennen gelernt. Und die bange Frage mag dort unten austauchen, wann wieder neues Leben auf den Ruinen blühen wird. Ja, wann wird sich da» Unheils-
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