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PicnK-g. 37. 1V. Mai 1864. Erscheint „ MWeißerih-Zeitung. M Amts- und Anzeige-Dlatt der Königlichen Gerichts-Ämter und Stadträthe zu Dippoldiswalde, /rauenstein und Altenberg. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne rn Dippoldiswalde. Tagesgefchichte. Dippoldiswalde, 9. Mai. Die erste diesjährige Turnfahrt des „Gauverbandes der sächsischen Mittel elbe" fand am gestrigen Sonntage statt und ging, wie wir schon in der letzten Nr. d. Bl. mittheilten, von Dresden über Dippoldiswalde nach Tharand. In unserer Stadt wollten die Turner Mittag essen, und um dies an einem Platze, dem Markte, zu be werkstelligen, um aber auch den hiesigen Gastwirthen ein mögliches Risico nicht zu bereiten, war von Spei sung der Turner durch die Wirthe abgesehen, wohl aber vom Turnrathe die oft schon bewiesene Opserfreudigkeit unserer Einwohnerschaft wieder in Anspruch genommen und diese gebeten worden, in ausliegenden Listen die Zeichnungen zur Lieferung von Speisen zu bewirken. In erfreulichster Weise ist diese Bitte erfüllt worden, denn über 400 Speisen-Portionen waren gezeichnet und am Sonntag Morgen in durchgehends so reichem Maße abgeliefert worden, daß wir getrost der Ankunft von 600 hungrigen Turnern entgegensehen konnten, ohne zu fürchten, daß sie sich an dem Gebotenen nicht würden sättigen können. Der Morgen drohte zwar mit Regen; doch heiterte sich der Himmel auf, und bei Sonnen schein, wenn auch nicht bei zu wünschender Wärme, zogen gegen 12 Uhr, eingeholt von unseren Turnern, unter Musikbegleitung, die fremden Gäste, 451 an der Zahl, ein, empfangen und begrüßt von lautem „Gut Heil!" von Tücherwehen und Sträußchen, die ihnen von zarten Händen zugeworfen wurden. Nachdem sie um den Markt gezogen, die Fahnen aufgepflanzt und in musterhafter Ordnung riegenweise an den auf unserm schönen regelmäßigen Marktplatze aufgestellten langen Tischen, deren jeder 100 Mann aufnahm, Platz ge nommen, nachdem sich auch die einzelnen Riegen oder einige zusammen mit Bierstoff in ganzen Fäßchen ver sorgt hatten, wurde ihnen das aus Braten, Schinken, Wurst aller Arten, Eiern, Butter und Brod bestehende einfache Mahl ausgetragen, sie aber beim Beginne mit folgenden, von Herrn Oberlehrer Engelmann, Mit glied des Turnrathes, gesprochenen Worten angeredet: Vielwerthe Turngenossen! Seid uns willkommen, seid uns gegrüßt mit lautem Gut Heil! Glaubt es nur, Turn genossen, als wir die Kunde vernahmen, daß Ihr bei Eurem ersten Frühlingszuge auch uns mit Heinisuche» wolltet, wenn auch nur auf eine kurze Stunde, so hat uns das herzlicb ge freut. Konnten wir doch aus Euren, Entschlüsse abnehmen, daß Ihr unserem Streben, auch bei uns der Turnerei abermals eine Stätte zu gewinnen, entgegen kommet mit brüderlicher Theil- nahme, daß es Euch be, Euerem Auge weniger um die Blüthen des Lenzes zu thun ist, die uns die Natur spärlicher und später schenkt, als Euch, als vielmehr um die Bluthen, die die Tur nerei im bescheidenen Maßstabe auch bei uns schon gezeitigt hat und von denen wir Alle hoffen, daß sie sich für den Einzelnen, wie für dasAllgemeine bald zu Früchten enfalten mögen. — Gefreut haben wir uns Eures Kommens, weil jede Turnfahrt ein Kreuz zug ist gegen die alten Erzfeinde alles Wirkens und Strebens, gegen Gleichgiltigkeit, Lauheit, Vorurtheil, Beschränktheit, gegen Zöpfe aller Art;' weil wir hoffen, daß auch bei Eurem heutigen Frühlingszuge das kN der Tnrnerei manchen Widersacher in die blöden Ängen beißen nnd ihm beweisen werde, was das Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm der Turner bedeute. — Ge freut haben wir uns Eures Kommens, weil es uns die frohe Gewißheit gibt, daß Leipzig Euch nicht verwöhnt hat, daß Ihr es nicht verschmäht, auch im beschränkteren Kreise fröhlich zu sein, gefreut hat cs uns, weil cs uns die Hoffnung gibt, Euch bald einmal auf längere Zeit wiederzusehen. Darum, Tuyigcnosseu, heißen wir Euch herzlich willkommen! Längere Rede erlaßt mir, nur um Eins mochte ich Euch noch bitten: Beweis't uns, daß Leipzig Euch wirklich nicht verwohnt hat, nehmt freundlich für- lieb mit dem eilig Herbeigeschassten, das Euch unsre turnsreund- lichcn Mitbürger und Mitbürgerinnen als einfachen Reiseimbiß darbieten. Gesegnete Mahlzeit! Es entwickelte sich nun ein äußerst reges und lebendiges Bild, und um es anzuschauen, waren alle Fenster der am Markte gelegenen Häuser besetzt. Um aber nun ein bleibendes Bild dieser Riesengruppe zu schaffen, hatte Hr. Photograph Roßberg einen Apparat auf dem Balkon eines am Eingänge zum Markte be findlichen Hauses aufgestellt; die vorher bekannt ge machten Signale (das erste: Achtung! das zweite: Ruhe! das dritte: Ab!) wurden gut beachtet, und wie wir hören, ist die Photographie mit wenigen, durch Unruhe entstandenen Ausnahmen, sehr gut gelungen. — Nach dem nun von sämmtlichen Turnern ein auch unter die Bewohner unsres Stadt vertheiltes Lied*) „Gruß an Dippoldiswalde" gesungen war, nachdem manches Gut Heil und Hoch erklungen, nachdem die lieben Gäste gesättigt (wir hoffen und wünschen dies wenigstens), wurde kurz nach 1 Uhr schon durch den Vorsteher des Dresdner Vereins, Herrn Advocat Hippe, zum Auf bruch gemahnt. In gediegener Rede, weithin verständ lich, äußerte sich derselbe Sprecher über den Nutzen der immer weitere Ausbreitung erlangenden Turnerei, wünschte auch unserm Vereine gedeihliches Wachsen und schloß dann, für die den fremden Turnern gewordene Gastfreundschaft herzlich dankend, mit einem Hoch „auf die liebenswürdigen Bewohner von Dippoldiswalde." In bald geordnetem schönen Zuge verließen die lieben Gäste unsere Stadt, „Gut Heil!" uns zum Abschied rufend und Grüße mit Hand und Mund empfangend. Sie gingen, begleitet von unfern erwachsenen Turnern, über Seisersdorf und „Edle Krone" nach Tharand, wo sie nach 3 Uhr eingetroffen sind, um Abends mit einem Extrazuge nach Dresden zurückzukehren. Wir schließen den Bericht nicht ohne den herzlichsten Dank an unsre *) Exemplare dieses Liedes sind bei Hrn. Adv. Schumann und in Expedition der Weißeritz-Zeitung unentgeldlich zu haben.