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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations-Preis 22H Silbergr. (Z Tdlr.) vierteljäkrlitl), Z Tdlr. für da- ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Literatur- Blatt in Berlin in der Expedition der AUg. Pr. Staats- Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllödl. Post - Aemteru. Literatur d e s Auslandes. .>1/ 128. Berlin, Mittwoch den 26. Oktober 1842. England. Spanische und Englische Zigeuner.") Die Zigeuner werden in allen Gegenden unseres Welltheils angctroffen und zeichnen sich überall durch dieselben moralischen und physischen Eigen- thümlichkeiten aus. Sie halten an ihrer Nationalität und ihrer originellen Lebensweise mit einer Ausdauer fest, welche sogar die der Juden über bietet. Es mag seltsam erscheinen, daß Dichter und Rvmanschreibcr dieses verachtete und verachtungswürdige Geschlecht von jeher zum Lieblings-Gegen stände ihrer Schilderungen erwählt haben, und muß man den Grund dazu in dem geheimnißvollen Dunkel suchen, das über den Ursprung, die Geschichte und die ganze Existenz desselben verbreitet ist. Cervantes, Walter Scott, Victor Hugo und viele Andere haben Zigeuner auftreten lassen und dadurch den poetischen Anstrich vermehrt, der sich schon in ihrem eigent lichen Wesen kundgiebt. Ihr Charakter ist meistcntheils mit ziemlich treuen Farben gezeichnet worden, was bei den scharf markirten Umrissen des Ori ginals nicht anders seyn konnte. Auf der Bühne erscheint die Zigeunermuttcr als Here und Wahrsagerin und das Zigeunermädchcn giebt durch seine Reize zu der Jnirigue des Stücks Anlaß, während es die Augen der Zuschauer durch wollüstige Tänze fesselt. Dieses romantische Interesse wird noch durch die physischen Vorzüge der Zigeuner gehoben. Sie sind in ihrer Jugend ein aus gezeichnet schönes Volk, obgleich die Mühseligkeiten eines unstätcn Lebens und der Mangel an Reinlichkeit beitragen, sie in ihrem Alter abschreckend zu machen. Die Schönheit der Mädchen ist mitnnter so außerordentlich, daß sie die Schilderung der Esmeralda in Victor Hugo's Xorrs vamo <ie l'aris zu rechtfertigen scheint: als Typus ihres Geschlechts kann jedoch eine junge Zi geunerin gelten, deren Bekanntschaft Herr Bvrrow in Sevilla machte. „Sie ist", — schreibt er — „von mittler Größe, weder stark noch schlank gebaut, obgleich sie in allen Bewegungen Leichtigkeit und Kraft an den Tag legt. Wie sie in stolzer Haltung dasteht, gleicht sie einem Falken, der sich eben emporschwingt, und sie würde mit Windesschncllc entfliehen, wenn man die Hand ausstrecken wollte, um sie zu ergreifen. Ihr Gesicht ist oval, ihre Züge sind regelmäßig, aber etwas rauh und scharf — denn sie wurde im Walde unter Felsenklüften geboren und hat von frühester Kindheit an dem brausenden Sturm und der brennenden Sonne getrotzt. Auf ihrer Wange bemerkt man hier und da eine Falte und wohl auch eine Narbe, aber keine Licbesgrübchen, und ihre Stirn ist mit Furchen bedeckt, obgleich sie noch in ihrer Jugendblüthe steht. Ihr Teint ist dem eines Mulatten ähnlich, und ihr Haar, welches in langen Flechten an beiden Seiten des Gesichts herabhängt, ist von pech schwarzer Farbe und so straff und grob wie die Mähne eines Pferdes. Ihre dunklen Augen haben einen listigen, schlauen Ausdruck und glänzen mit einem wilden Feuer, das ihre» Blick fast unerträglich macht; ihr Munv ist schön und fast zart zu nennen und es giebt keine Königin auf dem stolzesten Thron zwischen Madrid und Moskau, die sie nicht um die blendende Weiße ihrer Zähne beneiden würde, welche nicht von Perlen sondern von dem herrlichsten Elfenbein geformt scheinen. Sie ist nicht allein; ein brauner, zweijähriger Säugling schmiegt sich an ihren Busen, den nackten Körper nur zur Hälfte durch die wollene Decke verhüllt, die um ihre Schultern geschlagen und mit einem hölzernen Pflocke befestigt ist. Seines zarten Alters ungeachtet, giebt der schlaue, tückische Blick des Kindes es als einen echten Zigeuncrbuben zu erkennen. Ungeheure Ohrringe von falschem Golve, ein zerlumptes Gewand und hänfene Sandalen bilden das übrige Kostüm der wandernden Gitana, der Here von Multan, die nach Sevilla gekommen ist, um den Leichtgläubigen ihr künftiges Schicksal zu verkünden." Ein Seitenstück zu diesem Portrait ist die Schilderung dreier Englischen Zigeuner. „Ich habe", sagt der Verfasser, „die Zigeuner in verschiedenen Ländern, in Rußland, Ungarn und der Türkei, beobachtet, und ich habe auch die Eingebornen fast aller Weltgegendcn kennen gelernt; aber, was das Aeußcre betrifft, sind mir nie drei merkwürdigere Individuen zu Augen ge kommen, als die Englischen Zigeuner, denen ich hier begegnete. Zwei von ihnen waren so eben abgestiegen und hielte» ihre Pserde am Zügel. Der erste, der meine Aufmerksamkeit am meisten auf sich zog, war von riesenhafter Größe, indem er nicht weniger als <> Fuß Z Zoll maß. Es ist unmöglich, sich etwas Schöneres zu denken, als das Antlitz dieses Mannes: der geschickteste ') Nach Boreow's Werk: XiuoiM, or ^ceouut ot ttie ok 8psiu et,-., wovon in diesen Blätter» schon einige An«;üge mitgelhcitt wurden. Bildhauer Griechenlands hätte ihn als Modell zu einem Helden oder Halb gott nehmen können. Die Stirn war überaus hoch — eine Seltenheit bei einem Zigeuner — die Nase von zarter Form und Griechischem Schnitt; die Augen groß und von langen Wimpern bedeckt, die ihnen einen fast melancho lischen Ausdruck verliehe» und de» eigenthümlichen Zigeunerblick verbargen (wenn man überhaupt das einen Blick nennen will, was nichts als ein selt sames Starren ist, wie man es bei keinem anderen Volke antrifft). Die Haut war von einer prächtigen Olivenfarbe und die Zähne von einer Weiße, die ihren Besitzer sogar unter seinen Stammgenvssen auszeichnete, welche sich alle der schönsten Zähne zu rühmen haben. Seine Kleidung bestand aus einem ge wöhnlichen Fuhrmannskittel, der jedoch die edlen Verhältnisse seiner athleti schen Gestalt nicht ganz verhüllen konnte. Er mochte ungefähr 28 Jahre zäh len. Sein Gefährte und Hauptmann, Gypsy Will (Wilhelm), mochte die Fünfzig erreicht haben, als er zehn Jahr später (denn ich verlor ihn nie aus den Augen) in Bury-St. Edmonds gehängt wurde. Ich kann mich noch immer seiner buschigen, schwarzen Haare, seines schwarzen Gesichts, seiner großen schwarzen Augen und seines gedankenvollen, stieren Blicks lebhaft erin nern. Er war mit einem weiten blauen Oberrock, Nciterstiefeln und Hosen bekleidet, in der Hand trug er eine mächtige Reitpeitsche und aus dem Kopf einen breiten, hochaufgestülptcn Andalusischen Hut. Ohne der Riesengröße seines jüngeren Gefährten gleichzukommcn, war er doch wenigstens 6 Fuß hoch und wo möglich noch stärker gebaut. Welche Muskeln, Knochen und Schenkel! — Der dritte Zigeuner, der zu Pferde blieb, war einem Gc- spenste ähnlicher als einem menschlichen Wesen. Gesicht, Hut, Kleider, Alles, was ihm zngchörte, war staubfarben; seine Stiefel waren natürlich mit Staub bedeckt, da cs hoher Sommer war, und sogar sein Pferd hatte eine staubig-braune Farbe. Die Häßlichkeit seiner Züge streifte an das Possier liche; er hatte die meisten Zähne verloren, und sein Alter hätte man auf »0 oder 60 tariren können. Er war etwas lahm und hinkte, galt aber für einen vortrefflichen Reiter, weshalb er sich auch nicht beeilte, vom Pferde zu steigen. Ich erfuhr später, daß er den Hexenmeister seiner Bande dar stellte." Die braune Gesichtsfarbe, das schwarze, buschige Haar, die durchdrin genden Augen und der seltsame Jargon der Zigeuner unterscheiden sie eben so sehr wie ihr Kastengeist und herumziehendcr, räuberischer Charakter von. den übrigen Völkern, in deren Mitte sic leben. Das Kainszeichen, welches ihnen bei ihrer Erscheinung in Europa aufgedrückt wurde, ist noch immer sichtbar, ohne daß man, im Ganzen genommen, ihre Laster und Gebrechen den er littenen Verfolgungen zuschreiben kann. Der Haß und die Verachtung, die Unduldsamkeit und die Härte, mit der man sie überall behandelte, mag zwar ihre Natur zum Theil verschlimmert haben, aber nach dem Zeugnisse der Geschichte sowohl als unparteiischer Beobachter ist die Bösartigkeit derselben nicht dadurch verursacht worden. Abstammung, Neigung und Gewohnheit machen die Zigeuner zu Dieben und Landstreichern. Sie gleichen dem Un kraut, welches um so mehr gedeiht, je mehr es niedergetreten wird, aber auch dann noch Unkraut bleibt, wenn man es frei aufwachsen läßt. Ver. suchen sie es je, ihren Unterhalt durch Arbeit zu erwerben, so greifen sie zu den nicht sehr achtbaren Gewerben von Kesselflickern, Viehärzten, Roß täuschern und Wahrsagern; aber auch diese Handthierungen dienen meistens mir zum Deckmantel für eine Industrie von weit verwerflicherer Art. Man hat sich öfter bemüht, sie zu verjagen oder auszurotten, als sie zu bessern; das Eine hat jedoch eben so wenig Erfolg gehabt wie das Andere. Der Haß, den sie unter allen christlichen Nationen erregten, wurde von ihnen in zehn fachem Maße vergolten, und ihr festes Aneinanderschließen bestätigt das alte Sprüchwort, daß eine Genossenschaft von Räubern durch die stärkste aller Bande vereinigt wird. „Im Herbste des Jahres 183S" — erzählt Borrow — „landete ich, von der Barbarei kommend, in Tarifa. Ich befand mich auf einer kleinen Feluke, welche mit einer Ladung von Häuten nach Cadiz bestimmt war, wohin ich mich gleichfalls zu begeben dachte. Wir liefen in Tarifa ein, um Qnarantaine zu halten, die jedoch mit solcher Nachlässigkeit beobachtet wurde, daß der Hafenmeister, gegen ein Geschenk von einigen Hühnern, uns Allen gestattete, ans Land zu fahren. Wir bildeten eine buntscheckige Gruppe; sie bestand aus einem reichen Mauren und seinem Sohne, mit ihrem jüdischen Diener Jussuf, denen ich mich mit meinen, Begleiter, Chajim Ben-Attar, der gleichfalls ein Jude war, anschloß. Nachdem man uns in das Stadtthor eingelassen hatte, wurden die Mauren mit ihrem Diener durch den Hafenmeister nach dem Hause eines Bekannten geführt, wo er sie unterzubringcn versprach, während ein