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Hört man heute Ludwig van Beethovens 2. Sinfonie op. 36 in D-Dur, dieses heitere, freudige Werk, so kann man die teilweise Ratlosigkeit der Zeitgenossen des Meisters nicht verstehen, die das Opus als „zu lang und einiges überkünstlich“ bezeichneten. Gewiß, über irgendwelche freundlichen musikalischen Unverbindlichkeiten und die einfache Erfüllung formaler Gesetz mäßigkeiten setzt sich Beethoven auch mit diesem sinfonischen Werk hinweg, gibt sich aus künst lerischem Zwang seine eigenen Gesetze, doch künstlich ist nun wahrlich nichts an der natürlich strahlenden Zweiten. - In der Nachbarschaft des c-Moll-Klavierkonzertes, des „Prometheus“-Bal- letts um 1802 entstanden, gibt die Sinfonie kaum Kunde von dem erschütternden Schicksal des Meisters, das sich gerade in dieser Zeit zur Gewißheit verdichtete, seiner Ertaubung. Das Heiligen städter Testament hat in diesem Werk musikalisch keinen Niederschlag gefunden, obschon es zur Entstehungszeit der 2. Sinfonie auf dem Höhepunkt dieser persönlichen Krisis des Meisters nicdcrgeschricben worden ist. Ähnlich der Überwindung der Tragik der g-Moll-Sinfonie durch die Jupitersinfonie im sinfonischen Spätwerk Mozarts ringt sich auch Beethoven zur männlich kraft vollen Freudigkeit der Zweiten durch. Sein Bekenntnis „Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll cs mich gewiß nicht. Oh, es ist so schön, das Leben tausendmal leben“ findet zumindest in seinem Schlußsatz durch die zweite Sinfonie seine klingende Bekräf tigung. Gemeinsam mit einer Wiederaufführung der ersten Sinfonie, der ersten Aufführung des dritten Klavierkonzertes in c-Moll und des Oratoriums „Christus am Ölberg“ fand die Uraufführung der D-Dur-Sinfonie in einer großen Akademie am 5. April 1803 im Theater an der Wien unter Beet hovens Leitung statt. Schon der erste Satz zeigt, wie weit Beethoven über seine Vorbilder hinaus geht, wie persönlich er die Form des Sonatenhauptsatzes erfüllt, ja sogar, wenn seine gedanklichen Intentionen es er fordern, gewisse Gesetze umstößt. Eine gewichtige langsame Einleitung - Adagio molto - er öffnet das Werk. Oboen und Fagotte tragen eine cantable Weise vor, die von den Streichern übernommen und ausgeziert wird. Doch sic kann sich nicht recht entfalten: impulsive Zwciund- drcißigstclabstürze wechseln sich in Streichern und Bläsern ab, das friedvolle Bild zerstörend. In machtvollem Crescendo steigert sich diese Bewegung zu einem markant rhythmisierten d-Moll- Drciklangabsturz, Vorahnung des ersten Satzes der Neunten Sinfonie. Langsam tritt Beruhigung ein. In kleinen Trillern der Flöte erkennen wir ein Hauptmotiv des letzten Satzes. Dann leitet ein rascher Lauf der Violinen zum Allegro con brio über. Aus einer motivischen Sequenz und einem Dreiklangabstieg besteht das erste Thema, von den tiefen Streichern nicht sonderlich mar kant vorgetragen, dann schon intensiver von den ersten Violinen übernommen. Auch das zweite Thema zeigt sich noch nicht gleich in strahlender Größe. Holzbläser stellen das marschähnlich klingende Thema vor, das dann in der Mollvariante stolz emporragt. Hier hat Beethoven die üblichen Charaktere der Hauptsatzthemen umgetauscht, gewinnt aber auch aus dieser Kombina tion dramatische Entwicklungen. Eine Steigerung führt zum verminderten Septakkord des Tutti- Orchestcrs, langsam rollen dann im Pianissimo die Sechzehntelfiguren des ersten Themas an und bringen die Exposition zu einem kraftvollen Abschluß. Die spannungsgeladene Durchfüh rung, die gegenüber der 1. Sinfonie schon erheblich umfänglicher und bedeutender geworden ist, wird vor allem durch das Kopfthema des Satzes bestimmt. Beethoven nimmt das Thema in einzelne Motive auseinander und stellt diese in die sinfonische Auseinandersetzung. Ganz be sonders das rollende Sechzehntelmotiv findet Verwendung, der Dreiklangabstieg wird zu einem chromatischen Aufstieg umgcdcutct, und das zweite Thema, jetzt recht zurückhaltend erklingend, wird durch drängende Triolcn der Streicher auf den Höhepunkt der Durchführung geschleudert. Plötzlich erstarrt das Orchester in den Streichern, eine Umdüsterung, ähnlich der aus der lang samen Einleitung, tritt ein, die jedoch mit der gleichen Vehemenz hinweggefegt wird und in der Reprise mündet, wie das schon am Beginn der Exposition erfolgte. Über die Reprise ragt dann noch eine bedeutende und von kämpferischem Geist erfüllte Coda hinaus, voll dynamischer Span nungen, aktiver Sforzati. Ein chromatischer Gang der Bässe, Violoncelli und Fagotte erhöht die Spannung, dann findet der Satz seinen markanten Abschluß. Welchen Gegensatz dazu bildet doch das nun folgenden Larghetto, ein gefühlstiefer Sinfoniesatz, der mit Recht große Popularität erlangt hat. In warmem Streicherklang wird das gesangliche erste Thema vorgetragen und unter Mitwirkung des Holzbläserchores weiterentwickelt. Eine schwär merische Note trägt das zweite, von den ersten Violinen angestimmte Thema, das dann rasch zu dynamischen Kontrasten und harten Akkordschlägen geführt wird. Schließlich bringt ein dritter, gemütvoller Gedanke der tieferen Streicher wieder Ruhe in das Geschehen. Im Durchführungs teil spaltet sich das erste Thema auf, wird figuriert, variiert, zu dramatischen Höhepunkten ge steigert. Bezaubernd in seiner Verhaltenheit der Schluß des Satzes, wo zwischen den einzelnen Thementeilen die Flöte kadenziert, drei Fortissimo-Takte, dann ganz verhalten die beiden Schlußakkorde im Piano. Zum ersten Mal bezeichnete Beethoven in der zweiten Sinfonie den dritten Satz als Scherzo - Allegro. Die Zeit freundlicher Menuette ist vorbei. Zwar ist noch nicht die häufig sarkastische Bitterkeit späterer Bcethovcnschcr Scherzi zu spüren, ein drastischer Humor aber läßt vergessen, daß an dieser Stelle in der sinfonischen Entwicklung früher ein höfischer Tanz gestanden hat. Hin und her fliegen die kleinen melodischen Wendungen, werfen sich die einzelnen Instrumente die motivischen Bälle zu, sie ins Piano, gleich wieder ins Forte, schließlich sogar an eigentlich ganz unbetonter Stelle ins Fortissimo des Tutti-Orchestcrs setzend. Ein Entwicklungsteil mit abstür zenden raschen Läufen folgt, dann wieder der Anfang, dieses Mal noch spannungsvoller in der Dynamik. Gemütlich läßt sich das Trio in den Holzbläsern an. Da fährt der Streicherchor ener gisch dazwischen, beteiligt sich dann aber selbst an der gemütvollen Weise. Dann wird der Scherzo-Teil wiederholt. Mit hart zupackender Geste wird der Schlußsatz - Allegro molto - er öffnet, dann huschen Violinenfiguren vorbei, als sei nichts geschehen. In dieser Gegensätzlichkeit stellt sich das erste Thema dar. Weitlinig ist das zweite Thema, aus den tiefen Streichern zu voller Entwicklung emporsteigend. Der ganze heitere Satz ist erfüllt von kunstvoll durchgeführter Verbindung und Gegencinandcrsetzung dieser Themen. Auch hier nimmt der Durchführungsteil wesentlichen Raum ein. Voller Überraschungen - wie das ganze Finale - ist schließlich auch der Schluß dieses heiteren und kraftvollen Werkes. Reinhard Schau LITERATURHINWEISE : Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende, Leipzig 1953 Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR, Leipzig 1959 Vorankündigung : Nächste Konzerte im Anrecht A 13., 14. und 15. 12. 1963, jeweils 19.30 Uhr Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr: Reinhard Schau. DRESDNER ,-^tt T7 c v n N Z E R T 1963/64 3. PHILHARMONISCHES K 6209 Ra III 9 5 1163 2 ItG 009 54 63