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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumercuionS-Pret« 22^ Silbergr. (4 Thlr.) vierteljShrlich, Z Wr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Como., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Dienstag den 19. März 1844. Frankreich. Biographische Skizzen, von Mignet. °) Sieyös. — Broussais. Emanuel Joseph SieyoS wurde zu FröjuS am Z. Mai I748 geboren. Da er für die Kirche bestimmt war, so studirte er auf der Universität Paris und erhielt von der Sorbonne den Licentiaten-Grad. Wie die meisten seiner Zeitgenossen, wurde er von dem Geiste der Analyse und des Skeptizismus er griffen, der zu so neuen und weltumfassenden Plänen sozialer Verbesserungen führte. Vor Allem fesselten ihn die Schriften Locke's und Condillac's, und mit dem Studium der Metaphysik vereinigte er das der politischen Oekonomie. Von dem Bischof von Chartres zum Kanonikus und General-Vikar seines Kirchspiels ernannt, wußte er eine so allgemeine Achtung zu gewiitncn, daß ihn die Geistlichkeit von Bretagne zu ihrem Dcputirten und die Diözese Char tres in der Folge zum Commissair bei der kb-unkre 8upeneur« des fran zösischen Klerus erwählte. Hier lernte er den praktischen Theil der Politik kennen, in deren Theorie ihn seine früheren Beschäftigungen eingeweiht hatten. Unterdessen näherte sich die Revolution mit schnellen Schritten; die von der Nation mit solchem Ungestüm geforderten, von der Regierung mit solcher Hartnäckigkeit verweigerten Reformen wurden täglich nothwendiger, täglich unvermeidlicher. Die Unordnung in den Finanzen, die bereits zwei erfolglose Zusammenkünfte der Notabeln veranlaßt hatte, erreichte endlich eine solche Höhe, daß die Regierung gezwungen wurde, sich an die ekatn-genersux zu wenden. Wie sollten aber diese Stande berufen werdens Sollien die Stimmen wie im Jahre I6I4 nach Klaffen oder einzeln abgegeben werdens Sollte im letzteren Fall die Zahl der Deputirten des dritten Standes verdoppelt werden, oder sollte man nur die frühere Anzahl zulaffen? Sollte mit einem Worte die Mehrheit der Nation oder eine privilegirte Kaste, das öffentliche Wohl oder das Privat-Interesse vorherrschen? Diese Fragen waren es, die von dem Publikum und von der Regierung selbst aufgestellt wurden. SieyeS beantwortete sie. Er hatte sich nie zuvor als Schriftsteller ver sucht; in seine theoretischen und praktischen Studien vertieft, war ihm keine Zeit zum Schreiben geblieben. Sein erstes Auftreten wurde mit einem Er folge gekrönt, der ihm selbst unerwartet kommen mußte; das weltberühmte Pamphlet: tzu'esr-oe gue Io tiers-ölat? war die Signalglocke der Revo lution. DaS, was die Nation seit Jahren geahnt hatte, wurde hier deutlich ausgesprochen; es war das Resultat der vorherrschenden philosophischen Lehren und wurde mit stürmischem Entzücken ausgenommen. Man kann den Inhalt in drei Fragen und deren Antworten zusammenfaffen. Was ist der dritte Stand? — Die Nation. Was ist er bisher in der politischen Welt gewesen? — Nichts. Was verlangt er? — Etwas zu werden. Siepos behauptete, daß der dritte Stand die ganze Nation sey, und daß er recht gut die beiden anderen Stände, sie aber nicht ihn entbehren könnten ; da er 25 Millionen stark wäre, so müsse er wenigstens eben so viele Repräsen tanten haben, als die beiden anderen Körperschaften, die aus 8»,MU Geist lichen und IM,OM Adligen beständen, und es müsse ihm erlaubt werden, seine Abgeordneten unter seinen eigenen Mitgliedern und nicht wie bisher aus den Reihen des Klerus und des MilitairS zu wählen. Endlich forderte Sieyös den dritten Stand auf, da er keine Kaste, sondern die ganze Nation sey, sich zu einer National-Versammlung zu konstituiren und in dieser Gestalt für das allgemeine Beste zu handeln. So kühn diese Gedanken waren, wurden sie doch mit einstimmigem Bei fall empfangen. Was er anricth, wurde ausgeführt; aus seinen verwegenen Theorieen wurden noch verwegenerc Handlungen. Man berief die General staaten; SieyeS wurde zum Deputirten der Stadt Paris erwählt, und als sich die privilegirten Klassen einen ganzen Monat lang weigerten, in Verbin- '! dintic-« et ^lemoite- kli-torigue» zi^uet. peri» I"::. — Der roste Bänd LjesrS Werks füllt gewissermaßen Lie Lütten aus, die der berühmte Verfasser in "er „Geschichte der französischen Revolution" gelassen. Er enthält nämlich biographische Skizzen einiger der bedeutendsten Perlonen jener Epoche, oo» welchen wir die eine- Ttääts- manns und eine- Gelehrten hier mitthcilen. Früher bereit- hat da- „Magazin" einige dieser biographischen Skizzen Mignet'S — Dcstutt de Traen nnd Livingston — in freien Bearbeitungen mirgc,peilt, und auch Nachstehendes ist nur ein Auszug und keine wörtliche Uebersklzung. Wem es nm letztere zu thnn, den verweisen wir aus da« kürzlich erschienene Buch: „Biographische Bilder von Stepas, Röderer, Livingston, TaUepranL, Broussais, Merlin, Traey, Daunou, nebst mehreren Vorträgen in der Akademie, übersetzt von I. I. Stolz. Leipzig, Köhler, mr." düng mit dem dritten Stande die beiderseitigen Vollmachten zu prüfen, ließ er die Prüfung auch in Abwesenheit jener Klaffen vor sich gehen. Er brachte den dritten Stand dahin, sich zu einer National-Versammlung zu konstituiren, und entwarf im Ballhause den entscheidenden, von allen Mitgliedern beschwo renen Eid: „Sich nie zu trennen, sondern überall zusammenzutreten, wo es die Umstände erfordern möchten, bis die Constitution bestimmt seyn würde." In der feierlichen Sitzung des 2Z. Juni, als der königliche Befehl ergangen war, die Versammlung zu schließen, und als der Saal noch von der gewal tigen und hinreißenden Beredsamkeit Mirabeau'S wiederhallte, erhob sich auch Sieyös. Er fühlte, daß nach dem, waS man zuletzt vernommen, alle Rhetorik nur zahm erscheinen müffe, aber seine eigene Rede war nicht weniger erhaben in ihrer Art. „Wir sind heute", sagte er, „was wir gestern waren. Laßt uns berathschlagen (üelibörons)!" Es wurde zur Beratschlagung ge schritten, und die Revolution war die Folge. Sieyös war auch der Urheber des nachher in Ausführung gebrachten Plans, die alten Provinzen in Departements umzuwandeln. Er fuhr fort, an den Arbeiten der National-Versammlung theilzunchmen — als er aber auf Widerstand bei denjenigen stieß, die er zu leiten gehofft hatte, kühlte sein Eifer sich allmälig ab. Ungestüm und gebieterisch in seinen Theorieen, konnte er keine Einwendungen ertragen. Die Diskussionen über die Reichthümcr des Klerus erregten zuerst seinen Unwillen. Er hielt die Kirchenzehnten für unge recht und wünschte sie daher abzuschaffen; da sie aber eine Revenüe von 70 Millionen Francs bildeten, so schlug er vor, sie zur Abtragung der Staats schuld zu bestimmen, um auf diese Weise die Auflagen ermäßigen zu können. Da seine Meinung unbeachtet blieb und die Zehnten ohne Weiteres aufgehoben wurden, so gab ihm dieses zu seinem berühmten Epigramme Veranlassung: „Sie wollen frei werden und verstehen es nicht, gerecht zu seyn." Wegen dieses Epigramms angegriffen, wurde er zornig und behauptete von nun an ein hartnäckiges Schweigen. Umsonst bemühte sich Mirabeau, seinen Ehrgeiz anzuspornen; Skyes schwieg. Man wollte ihn zum Bischof von Paris ernennen; er schlug es aus. Bald darauf wurde er zum Mitglied der Departements-Regierung erwählt; er verließ die National-Versammlung und zog sich aufs Land zurück. So geschah es, daß er an der zweiten Periode der Revolution keinen Theil nahm. Man fragte ihn später, was er während der Schreckensherrschaft gcthan habe ? „Was ich gethan habe? entgegnete er. „Ich habe gelebt." Indem er am Leben blieb, hatte er in der That das schwierigste Problem jener Zeit gelöst. Nach dem 's. Thermidor trat er wieder als eines der Häupter der gemäßigten Partei im Konvent auf, wo er den Wiedereintritt seiner Freunde, der geächteten Girondisten, vorschlug und durch setzte. Zum Präsidenten des Konvents und Mitglied des neuen Wohlfahrts- Ausschusses ernannt, nahm er an allen Maßregeln desselben, so wie an den Unterhandlungen mit einigen europäischen Staaten, Theil und ging selbst nach Holland, um den Allianz-Traktat mit der neuen batavischen Republik abzuschließen. Er wirkte auch zum Frieden von Basel mit und that überhaupt sein Aeußerstes, um die Macht und das Glück seines Vaterlandes zu befestigen. Doch weigerte er sich, zur Ausarbeitung der Constitution vom Jahre VIII beizutragen, schlug den ehrenvollen, aber gefährlichen Posten eines der fünf Direktoren aus und zog sich noch einmal ins Privatleben zurück. Um diese Zeit war es, daß der Abbe Poulle in Sieyös' Zimmer cintrat und ein Pistol auf ihn abfeuerte. Eine von den Kugeln zerschmetterte ihm die Hand; die andere streifte ihn an der Brust. Sieyös legte eine bewunderns würdige Fassung an den Tag. Als er bei der gerichtlichen Untersuchung be merkte, daß die Beisitzer des Tribunals sich zu Gunsten des Mörders neigten, kehrte er nach seiner Wohnung zurück und sagte dem Portier: „Wenn Herr Poulle wieder vorsprechen sollte, so wirst Du ihm melden, daß ich nicht zu Hause sey." Bald nachher bot sich ihm eine Gelegenheit dar, die FriedcnSpläne zu verwirklichen, mit denen er sich schon unter dem Konvent beschäftigte. Sieyös, der einen Platz im Direktorium abgelehnt hatte, willigte ein, als Gesandter nach Berlin zu gehen. Es glückte ihm zwar nicht, ein Bündniß mit Preußen zu schließen; er überzeugte sich jedoch, daß dieser Staat sein Neutralitäts-System beibehaltcn werde, und berichtete dieses nach Paris. Bei seiner Rückkehr fand er eine allgemeine Entmuthigung; das Direktorium näherte sich seinem Ende. „Ich brauche einen Degen", sagte er und glaubte einen solchen in Joubert gefunden zu haben. Aber Joubert wurde bei Novi getödtet, und Napoleon kehrte bald darauf aus Aegypten zurück. Aller Augen, Aller Erwartungen waren aus den General Bonaparte ge richtet. Der Sieger in so vielen Schlachten hatte die Phantasie einer kriege-