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«WM ^ Feierabend Unterhaltungs-Verlage -er Sächsischen volkszeitnng Nr. 20 Sonntag den 18. Alai 1913 Der Thrsn Gottes. lenser Gott ist nicht die Erde, Nichts in der erschaffnen Welt; Ueber alle, alle Sterne Ist sein goldner Thron gestellt, Engel taten'-- auf den Fluren Bethlehems der Menschheit kund; „Ehre sei Gott in der Höhe!" Alang es dort aus ihrem Mund. I. Bergmann. 1. Sonntag nach Pfingsten. Ep. 1. Br. Joh. 4, 8-St. Die heilige Blindheit. Wenn jemand sagt: „Ich liebe Gott" und hasset doch seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder den er sieht, nicht liebt, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Wer ist von-dieser Logik des Liebesjüngers Johannes nicht schon tief erschüttert worchen, so oft sie ihm in die Ohren klang? Denn er hat gefühlt, daß ihm darin die göttliche Wahrheit in fast derber Weise ins Gesicht gesagt wurde. Und doch würde die Logik des natürlichen Menschen dem heiligen Johannes entgegnen können: Eben gerade weil ich meinen Bruder mit seinen abscheulichen Fehlern und Ge brechen sehe und täglich wahrnehmen muß, wie er mich zu ärgern und verletzen sucht, also gerade weil ich in ihm nicht ein Ebenbild Gottes, sondern ein Bild des Teufels vor meinen Augen habe, deshalb muß ich ihn hassen, kann ich ihn nicht lieben. Dagegen steht das Bild Gottes, obwohl ich ihn mit meinen Augen nicht sehe, als der Inbegriff aller Vollkommenheiten vor meiner gläubigen Seele, er hat sich in der Schöpfung, Erlösung und Führung des Menschen- geschlcchtes als ein so liebenswürdiges Wesen geoffenbart, daß. auch wenn ich ihn nicht sehe, die aus seinen Werken er kennbare Liebe mich zu inniger Gegenliebe entflammt. Warum fühlt sich nun gleichwohl die Logik des natür lichen Menschen der himmlischen Logik des heiligen Johannes gegenüber gleichsam wie entkräftet und nicht mächtig, diese natürliche Logik der himmlischen entgegenzustellen? Warum fühlt er sich dennoch in tiefster Seele gedrungen, den „Lügner" mit Beschämung auf sich sitzen zu lassen? Der heilige Johannes deutet den Grund dazu in dem jenigen, was er in seinem Briefe (I. 4, 8—19) zuvor sagt, selbst an, indem er schreibt: „Gott ist die Liebe. Dadurch hat sich Gottes Liebe gegen uns geoffenbaret, daß er seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt, damit wir durch ihn leben. Darin besteht die Liebe: nicht daß wir Gott geliebt, sondern er unS zuvor ge liebt und seinen Sohn gesandt hat zur Versöhnung für unsere Sünden. Geliebtests! Da Gott uns so geliebt, so müssen wir uns auch einander lieben. Nieinand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir aber einander lieben, so bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollkommen. Daran erkennen wir, daß wir in ihm wohnen und er in uns, daß er uns von seinem Geiste gegeben hat. Und wir haben es gesehen und bezeugen es, daß der Vater seinen Sohn als Heiland detz Welt gesandt hat. Wer da bekennt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er in Gott. Und wir! haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm . . . Lasset uns also Gott lieben, weil uns Gott zuerst geliebt hat." Und nun folgen, gleichsam nach stillschweigender Ein schaltung der Mahnung: „Und so lasset uns mit solcher Be harrlichkeit und Unerschöpflichkeit, wie Gott uns zuerst ge- liebt hat, auch unsererseits den Bruder zuerst lieben!" dis eingangs erwähnten Worte, welche gewissermaßen zeigen sollen, daß das Zuerst-Liebcn die eigentliche Liebe ist, wist sie Gott uns Menschen gegenüber betätigt hat, und datz dieses Zuerst-Licben seitens des Menschen vor allem seinem! Bruder gegenüber zum Ausdruck kommen muß. Denn trägt er diese Liebe, diese Gottcsliebe, im Herzen, so muß er sis auch seinem Bruder gegenüber betätigen, da er in ihm einest sichtbaren Gegenstand für diese seine Liebe vor sich hat. Wenst er dagegen diesem sichtbaren Gegenstände die Liebe versagt und gleichwohl versichert, er liebe Gott, so straft er sich selbst Lügen. Im übrigen setzt der heilige Johannes seinen Wartest dann selbst noch hinzu: „Auch haben wir dieses Gebot vost Gott, daß. wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe." Insbesondere erinnert man sich hierbei der Liebe de3 göttlichen Heilandes bei Luk. 6, 32—36. „Wenn ihr dis liebet, welche euch lieben, was für eist Lohn gebührt euch? Denn auch dis Heiden lieben die, vost welchen sie geliebt werden . . . Liebet eure Feinde. . . . und! ihr werdet Kinder des Allerhöchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen." Eine Antwort auf den oben erwähnten Einwand der natürlichen Logik gibt indessen der Brief des heiligest Johannes, der m diesem Passus dis Epistel des ersten Sonn- tags nach Pfingsten bildet, nicht, wohl aber das Evangelium! dieses Sonntags (Luk. 6, 37—42), so daß sich gerade in deij Zusammenstellung dieser Epistel und dieses Evangeliums so recht die Weisheit der vom heiligen Geiste geleiteten Kirchs erkennen läßt. Da wegen des aut den nämlichen Sonntag fallenden Dreifaltigkeitsfestes Epistel und Evangelium des Sonntags zurückzutreten Pflegen, so möge auch das Evan gelium zum Abdruck gelangen; es bildet die Fortsetzung obiger Stelle und lautet: „In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Seid also barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet werden; verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammet werden; vergebet, so wird euch vergeben werden. Gebet, so wird euch gegeben werden, ein gutes, ein eingedrücktes, gerütteltes und überfließende? Maß wird man in euren Schoß geben; denn mit demselben Maße, womit ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann Wohl ein