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Nummer 124 - 24. Jahrgang vmol wöchtl. Bezugspreis: für Mai 8,50 einschl. Bestellgeld- «nzc gcnprcise: T«e Igesp. Petitzeile 30 Stellengeluche 20 Pf. Tie Petit-Rellamezeile 80 Millimeter breit, 1 Osfertengebühr für Selbst abholer 20 H, bet Uebersendung durch dt« Post außerdem Portozuichlag. Einzrl-Nr. 10. SonntagS-Rr. Ist Pf. Geschäftlicher Teil: Joses Fohmann. Dresden. vü. «sdl»l Prager 8tr. 34 Sti-llapl, RkstWstNlst SiilksWe DolfSMtUN Sonntag, 31. Mai 1928 Im stalle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung «ckf Lieferung soM Erfüllung von Anzeigen. Autträgenu. Leistung von Schadenersatz. Für undeutlich u. d. sternruf übermittelte Anzeigen übernehmen wir keine Verant wortung. Unverlangt eingrsandte und mit Rückporta nicht versehene Manuskripte werden nicht auibewahrt. Sprechstmide der Redaktion 5 bi» 0 Uhr nachmittag«. Hauptschriftleitrrr DL Joses «lbert. Dresden. Ves«iist»fte0«, Druck und Berlag, Saroina- Bnchdrnckerel GmbH.,Drerden-il. >ü.Holbeinstraket«, ,!erim» 327N. Postscheckkonto Dresden 14707. Bankkonto Bassennc L strltzsche, Dresden. Für christliche Politik und Kultur Ncdnktio» »cr Lachsischr» -vuiks.ceilunn DreSden-AIlin io. Holbcnnirntze 4S. ,7rr"rn> a-722 und^-jc>a->. Das Höhere Die Katastrophe, die wir 1918 erlebten, und die ganze Not des Jahrzehnts, das darauf folgte, hatte ihre letzten Gründe in der Weltanschauung des Materialis mus. Europa und nicht an. letzter Stelle Deutschland war im verflossenen Jahrhundert einer Periode entgegen ge gangen, in der allmählich das menschliche Leben mecha nisiert, die Schaffenskraft industrialisiert und der Geist getötet wurde. Es wäre nicht unbedingt notwendig ge wesen, daß mit einer Höherentwicklung der wirtschaft lichen und maschinentechnischen Arbeitsweise auch die Verkümmerung der seelischen Kräfte Hand in Hand ging. Auch der in Fabrik und Bergwerk arbeitende Mensch, auch der von der Glut der Hochöfen, von dem Dröhnen der Eisenwerke Umgebene, mußte nicht notwendig zu einem seelenlosen Wesen werden. Und es hat in Wahr heit hochherzige Menschen gegeben, die sich immer wie der die Frage nach dem Sinn des Lebens beant worteten und alles Wirtschaftliche nur als ein Mittel, nicht als Endzweck ihres Lebens betrachteten. Der grö ßere Teil der Masse aber fand begreiflicherweise keine Widerstandskraft und ließ sich willenlos weitertragen von dem neuen Strom. Bevor der Materialismus kam, ging jene sog. Pe riode der Aufklärung, des Rationalismus, voraus. Da mals stürzten die alten Begriffe von Religion und Mo ral. Der Mensch wurde als selbstherrlicher Gott in den Mittelpunkt dieser Welt gestellt. Die Freiheit des Men schen wurde proklamiert, ohne Gebundenheit an eine an- dere höhere Weltordnung. Auswirkung aller Menschen kräfte: es gibt nur einen Zweck: das ist der Mensch selbst. Es erscheint vielleicht auffallend, wie aus diesem Rationalismus, aus dem System der freien Menschlich keit, aus dem System, das in erster Linie eingeistiges, frei herrschendes sein sollte, jenes andere des Materialis mus, des im irdischen Güterstreben sich ergehenden, er wachsen konnte. Und doch war es nur eine Selbstverständ lichkeit. Sobald der Mensch sich den Gesetzen der Welt ordnung entzieht und sein eigenes Ich als unbeschränkte Gottheit innerhalb dieses Lebens erblickt, kann alles Streben nur nock darauf gerichtet sein, dieses Ich zu einerrücksichtslosen Geltung innerhalb dieser Welt zu bringen. Und weil das höhere Ziel, das Reich des Idealen, des Ewigen, des Nichtirdischen, dann keine Nolle mehrt spielt, kann schließlich nur noch der möglichst große Genuß irdischer Güter in Frage kommen. Der Weg von der sog. Aufklärung bis zum Materialismus ist in der Tat ein kurzer. Der Siegeszug der Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert aber bereitete geradezu den Boden vor für das fruchtbarste Gedeihen dieser ma terialistischen Lebensauffassung. Wenn dieses neue Sy stem die Menschen in die Fabriken und Bergwerke Hinein trieb, wenn diese Menschen Tag für Tag nur noch das eine Ziel vor sich sahen, möglichst viel Güter zu produzie ren, möglichst viel Dinge herzustellen, die alle nur für das irdische, leibliche Wohl der Menschen bestimmt waren, dann konnte es nicht ausbleiben, daß auch der Arbeiter allmählich daran glaubte, es gebe nichts anderes, nichts besseres mehr in diesem Leben. Und so manche Ideale sind dann Jahr um Jahr begraben worden. Genau wie im Leben des Einzelnen spielte sich diese Tragödie im Leben der Völker ab. Machtpolitik, engbe- grenzter Nationalismus, der keine andere stärkere Macht neben sich duldet, war das Ziel der Nationen. Die gei stigen Zusammenhänge unter den Völkern schwanden, das Ringen um den materiellen Vorteil setzte ein. Und so wurden die Mächte in den größten aller Kriege hinein gerissen. Dieser Weltkrieg nun hat in erschreckendster Weise die Oede und Unkultur des ganzen materialistischen Sy stems demonstriert. Zusammenbruch der Nationen war die Folge, Revolutionen in den größten Reichen. Die Menschen wollten befreit sein von einer Last, die uner träglich für sie geworden. Man spürte im geheimen, daß es noch etwas anderes, besseres geben müsse, als dieses Jagen und Ringen um Macht und Besitz. Ihre Ideale, die sie seit Jahren verloren hatten, drängten sich von neuem empor. Und als die Revolution von 1618 den Ab- chluß des Weltkrieges herbeiführte, glaubten viele, es sei etzt eine Zeit der geistigen Erneuerung ge- wmmen. Hat nun das Jahrzehnt nach dem Weltkrieg diese Hoffnungen erfüllt? Ist es ander» geworden im Leben WttlMW OM MM Paris, 30. Mat. Die Botschasterkonferenz hält heute ihre entscheidend« Sitzung ab. Im Ministerium des Auswärtigen wird betont, daß zwischen Paris und London setzt restloses Einverständ nis erzielt worden sei. Die Sitzung der Botschaftcrlionfercnz wird demnach rein formalen Charakter haben. Es ist nicht ausgeschlos sen, datz die Abrüstungsnote schon heute abend nach Berlin abge sandt wird, und Anfang der nächsten Woche, voraussichtlich am Dienstag, der Reichsregierung bei ein«H Kollektivschritt der alliierten Botschafter ausgehändigt wtzK. Der britische Bot schafter in Berlin, Lord VAbernon, soll dem „Temps" zufolge als Senior des diplomatischen Korps die slote überreichen. All -er illlmiioM MMMeiiz Gens, 30. Mai. Die Kommission der internationalen Arbeitskonferenz für Berufskrankheiten beschloß ein stimmig, dem Artikel 2 des Konventionsentwurfes eine Minimal liste der allgemein als solche anerkannten Berufskrankheiten anzugliedern und auf ihre Ausmerzung hinzuarbeiten. Diese Liste umfaßt Vergiftungen durch Blei, Vergiftungen durch Queck silber und Milzbrand. Sie bezeichnet die verschiedenen In dustrien, denen Bergistung oder Infektion bei der Berussaus übung zugeschrieben wurden. Das Spezialkomitee für Nachtarbeit in den Bücke- reien führte gestern die Aussprache über die Zusatzanträge zu Artikel 2 des Konventionsentwurfes zu Ende, die von den Negie rungen Großbritanniens, Belgiens, Italiens, Ungarns und der Schweiz eingebracht worden waren. Das erste Amendement, das den Staaten freie Wahl zwischen dem Arbeitsbeginn um 5 oder 4 Uhr morgens läßt, wurde mit 11 gegen 10 Stimmen bei 3 Ent haltungen verworfen. Hingegen wurde ein Zusahamendement des Vertreters des irischen Freistaates mit 12 gegen 9 Siimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen, wonach der Arbeits beginn um 4 Uhr morgens im Falle eines Abkommens zwischen dem interessierten Meister und den Arbeitsorgani sationen gebilligt werden soll. Der ungarische Zusntzanlrag, wonach der Arbeitsbeginn um 4 Uhr morgens in den Fällen ge- stattet werden soll, wo die Lebensbedingungen der Bevölkerung es erfordern, wurde verworfen. Die Kommission beriet sodann die verschiedenen Zusatzantrüge zum Konventionsvorentwurs zu Ende. In ihrer nächsten Sitzung wird sich die Kommission mit dem vorzulcgenden allgemeinen Bericht befassen. Suche nach Amurwseri im Pv:arNL^sl Berlin, 30. Mai. Die Blätter veröffentlichen einen Funk spruch von Bord der „Fram", wonach heute nebeliges Wetter eingetreten sei, das sich im Polarbecken ausbreliete. Die Meteoro logen hätten berechnet, daß sich der Nebel bis zum 85. Breiten grad ausgedehnt habe. Es sei möglich, daß er den Nordpol be reits erreicht habe. Wahrscheinlich dürsten die Polarslieger, selbst wenn sie den Rückzug bereits angelreten Hütten, eine Landung vornehmen, um zu vermeiden, daß die beiden Flug zeuge sich aus dem Gesichtskreis verlieren Die „Hobby" Hube die Packeisgrenze bei Kap Welcome bis zuin Längengrad von 18,23 abgesucht, ohne die Flieger gesichtet zu haben. Neuyork, 30 Mai. Der Chef der Polizcistaiion von Alaska hat telegraphisch der Negierung vorgcschlagen. sosort den staat lichen Küstendampfer „Bear", der nur arktische Gewässer besähet apf die Suche nach Amundscn zu senden Die ..Bear" könnte Flugzeuge mitnehmen. Der Kommandeur der Knsteiischissahrt Admiral Billard, hält den Vorschlag für erwägenswert. Alle Nachforschungen nach Amundsen im Norden von Alaska sind bis her erfolglos geblieben. Berlin, 30. Mai. Professor Fridjos Nansen hat heule abend 6.40 Uhr voin Anhalter Bahnhos aus Berlin wieder verlassen Mit Dr. Eckener hat er in Berlin leider nicht Fühlung nehmen können. Nansen hält eine Uebcrsliegung der arktischen Gebiett mit Zeppelinluftschisien in absehbarer Zeit sür durchaus möglich. AWIllM i»es MsstzwMWUs Berlin, 30. Mai. RelchssinanzminiM Dr. von Schlicken veröffentlicht in der ^,D..Z." einen bemerkDnverten Artikel, in dem er, wie er es vor einigen Tagen im HMshaltausschnß getan hat, seiner Sorge um die Balanzierung desMtats Ausdruck gibt. Er weist darauf hin, daß dte Regierung VSxanlassung habe, dem Reichstage und vor allem dem HauZhattsanssch „ ß kür die Unterstützung und sachlichen Anregungen bei den bisherigen Steuerberatungen dankbar zu fein, daß aver diese Zusammen- arbcit nur dann Wert habe, wenn die vertiefte Erkenntnis von dem Ernst unserer finanzielle» Lage in her Ausschußberatung, die sich mit finanziellen Dingen befasse, dauernd als Leitmotiv dien«. Die Folge» des verlorenen Krieges, der Inflation, des Ruhr- embruches, des allgemeinen Kapitalmangels und der anderen bekannten Faktoren lasten außerordentlich schwer auf der Wirt schaft und den breiten Schichten unseres Volkes. Für das Volks leben unentbehrliche Berufsschichten haben ihre wirtschaftlichen Grundlage» bis auf Bruchstücke eingebüßt. Dte verschuldeten Bermögensetnbußen und die Existenznot weiter Kreise sind so groß, daß die Sorge um die finanzielle Stützung dieser Schichten auf jedem Deutschen, der mit seinem Volke mitlebt, lastet. Hilf« ist jedoch nur möglich auf der Grundlage eines in sich ausgeglichenen Etats. Jeder Schritt über die Grenze der Tragfähigkeit des Etats hinaus bedeutet die Gefahr einer Wieder kehr der mühsam überwundenen Finanznot und damit neues, schlimmeres Elend. Hieraus ergibt sich als unerbittliche Schluß- jolgerung die Notwendigkelt stärkster Ausgabe nein schrän- knng und größter Sparsamkeit ans allen Gebote», in allen öffentlichen Körperschaften. Wir dürfen uns vor allem nicht ver leid:» lassen auf Grund eines augenblicklichen, scheinbare» lieber« flnsses dauernde Lasten zu übernehmen, die für den Etat der kommend«,, Jahr« wie Bleigewichte lasten würden. Man hat von Thesüurierungspolitrk gesprochen und sie ver urteilt. Es wäre in der Tat «in« Torheit, mehr Geld aus der blutarmen Wirtschaft in die öffentlichen Kassen zu leiten, als es zwingende sMtSpolitisck« Rücksichten erfordern. Kein vernünftiger wird die Quellt verschütten, aus der er sein Einkommen lten leivlicke Not insl-M des verlorenen Krieges sick noch erheblichem Maße gesteigert hatte. Notwendiger«» aber ki tte das wiederum zur Folge, daß das Aolk ln ^ rwm Streben sott immer nur aus das Materielle hin Wielen wurde. Der Sinn des Lebens wurde ihm auch i -Ä-chE erschlossen. Dazu kam jrne Liesseit» k, t ssr der grlißtesi'Verbände, in denen ein großer Teil! zieht. Von einer Thesanriernngsvoliiik ist jedock jorg'ani .u nck.er« scheiden e:»e Finanzpolitik, die sich nicht daraus beschränkt, für die Deckung dec Ausgaben cckes Jahres zu sorgen, di: vielmehr auf Grund eckes vocansschanendcn Fi-.anzvlanes ver sucht, die Balanzierung de? Etats ans »l ö gli ck. st lau ge S ich t zu sichern. Kein« Rejchsrigjernng. !cin Fi wn-.minister, keck Reichstag, die sich vrranyvorningc.vewnist sind, können ich dieser Pflicht entziehen, so unbegn.'ni sie ancb ini Augenblick lein mag. Ich gebe gern zu, daß es nicht le-ch! ist, den Geldbedarf c>es Staates und der Wirtschaft gegeneinander abznwägen. T>e dem Reichstage vorliegende Steuerreform hat diese» Versuch gemacht) und ich glaube, mit größter Aussicht auf Erfolg. Sic wird jedoch nur dann zum Ziele lonimen, wenn be> der Beratung der Stenergesstze die gleiche Rücksicht ans den Etat genommen wird ww bei den Ausgaben. Die Aeurstzcluug -er Lvhnsteucr ab 1. Juni Berlin. 30. Mai. Reichstag „nd Reichsrat habe, den durch die Presse bekanntste,nackten und von den Finanzämter» durch Merkblätter verbreitete» Aendcrungen der Lohnsteuer zngcstinimr. Die Aenderuilgcn treten am 1. I „ n > 192', >n vircht Stillegung von JnSusir-vd-p.rep. Essen, 30. Mai. Die Industrie und der Bergbau der Vochumcr Bezirke haben einstimmig beschlossen, sämtliche in dustriellen Bauten unverzüglich stiilzulcgc» Der Grand ftii dieses Vorgehen liegt darin, daß die im neuen Abkommen des Baugewerbes vom 22. Mai sestgelegte» Lahne, die durchschnilt- lich 60—100 Prozent über den ortsüblichen Lohnen liegen, von der in bedrängter Lage befindlichen Industrie des besetzten Ge biets nicht getragen werden können. Von der Stillegung werden mehrere tausend Arbeiter betroffen. Es komme» in Betracht zum Beispiel bei der Bergwerk-Aktiengesellschaft Lothringen 1700 Arbeiter, bei der Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- Aktiengesellschaft 500, bei dem Bochumcr Bercin 300 Arbeiter usw. Wie weiter verlautet, wollen sich unmittelbar nach Pfing sten der Arbeitgeberverband für die nordwestlichen Gruben, sowie der Zechenverband sür die Gesamtheit des Bergbaues und der Eisenindustrie im Ruhrgebiet diesem Schritt anschlicße». Masse wirtschatt'.ich organisiert ist. Auf einer and./rei'. Seite aber wird heute sehr viel und schön und klangvoll von kultureller Erneuerung geredet, aber nichts ge- t a n. Wir können ruhig behaupten, daß sich seit 1918 das Gesicht der Welt zwar verändert hat, aber nicht erneuert. Neue Mächtegruppen sind an die Stelle der alten getre ten, man hat wunderbare Worte zur Verschleierung seinei geheimsten Absichten erfunden, aber im Grunde feiert dei Materialismus noch heute seine höchsten Triumphe. Mii neuen Errungenschaften der Technik glaubt man auH heute, den Tiefstand unserer Kultur verbergen zu können