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variiert und nut glanzvollen Passagen umspielt wird. Den Durchführungsteil be herrscht in erster Linie der Solist, obwohl das Orchester durchaus selbständig in dio musikalische Entwicklung eingreift und den Satz — nach der solistischen Kadenz — epilogartig beschließt. Von intimem Stimmungsgehalt erfüllt ist der Mittelsatz, ein As-Dur-Largo, das wie eine große lyrische Gesangsszene des Solo instrumentes anmutet. Innige Empfindungen drücken das kantable Hauptthema, dio reichen Verzierungen und Kantilenen dieses Satzes aus. Das Orchester, mit dem Solisten dialogisierend, steigert den Gefühlsgehalt der musikalischen Aus sage. Mit einem übermütigen tanzliedhaften Thema eröffnet das Soloklavier das Rondo-Finale (Allegro). Auch das Kontrastthema berührt wie ein Volkslied. Hu morvoll, spritzig ist der Charakter des Finales, das wirkungsvoll das Konzert krönt. Heinz Bongar tz, aus Krefeld stammend, studierte in seiner Vaterstadt sowie in Köln bei Fritz Steinbach, Otto Neitzel (Komposition) und Elly Ney. Seit 1921 war er Dirigent In Düren, Mönchen-Gladbach, Berlin (Blüthnerorchester), Meinin gen und Gotha. Als leitender Kapellmeister wirkte er von 1933—1937 am Staats theater Kassel, danach als Generalmusikdirektor bis 1944 in Saarbrücken. Nach Kriegsende holte ihn das Pfalzorchester Ludwigshafen als Chefdirigenten. 1946/47 wurde Heinz Bongartz als Professor und Leiter der Dirigentenklasse an die Musik hochschule Leipzig berufen. Seit 1947 ist Prof. Bongartz künstlerischer Leiter der Dresdner Philharmonie. Es ist ein besonderes Verdienst des Dirigenten, der ein ausgezeichneter Orchestererzieher und Programmgestalter ist, diesen Klangkörper nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches zu neuen Höhen geführt zu haben. Für seine außerordentlichen künstlerischen Leistungen als Interpret zeitgenössi scher, klassischer und romantischer Musik wurde er mit dem Nationalpreis unse rer Republik und mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber geehrt. Konzertreisen führten den Künstler, der zu den namhaftesten deutschen Dirigen tenpersönlichkeiten gehört, in nahezu alle europäischen Musikzentren. Prof. Bongartz trat auch mehrfach erfolgreich als feinnerviger Komponist spät romantisch-impressionistischer Haltung hervor, so schrieb er u. a. Orchestersuiten, Mozart-Variationen für Orchester, Konzert für Streichquartett und Orchester, „Japanischer Frühling" für Sopran und Orchester, ein sinfonisches Vorspiel „Patria o muerte“, ein Requiem für Alt und Orchester, ein Streichquartett, Lieder, Chöre. Mit seinem jüngsten Werk, der heute zur Uraufführung gelangenden 1. Sinfonie, op. 44, hat sich Heinz Bongartz nunmehr erstmalig auch mit dem großen sinfoni schen Zyklus auseinandergesetzt. Die im Frühjahr 1962 begonnene und am 9. März 1963 vollendete Partitur, die man fraglos als einen Gipfelpunkt seines bisherigen schöpferischen Werkes betrach ten kann, zeugt von der Ernsthaftigkeit und der großen künstlerisch-menschlichen Reife des Komponisten-Dirigenten. Bongartz' 1. Sinfonie ist ein Spätwerk — das inhaltliche Geschehen ist immer wesentlich und überzeugend in seinem Anliegen, die handwerklich-technischen Mitte), die Bongartz naturgemäß als erfahrener Or chesterleiter souverän beherrscht, sind nicht um ihrer selbst willen, aus Gründen äußerlicher Effektsucherei eingesetzt, sondern dienen der Sichtbarmachung der geistig-emotionalen Substanz der Komposition. Wie immer bei Bongartz herrscht ein Wille zur Klarheit in Aussage und Form, der gegenüber vorausgegangenen Schöpfungen in der Sinfonie noch gesammelter in Erscheinung tritt. Durchsichtig ist die Faktur des Werkes wie gleichwohl farbig die Instrumentation. Obwohl ein großer Orchesterapparat beschäftigt wird, kommt es nicht zu klanglicher Üppig keit. Die früher oft bei Bongartz beobachtete Neigung zu impressionistischer Klanglichkeit ist nicht aufgegeben, doch wirkt die harmonische Sprache der Sin fonie wesentlich verdichteter, ja herber, der musikalische Ausdruck verinner lichter. Chromatik, Quarten- und Quintenintervalle, dissonante Sekundspannun gen, Kontrapunktik und vor allem eine (auch formbildende) impulsschaffende Rhythmik sind einige musikalisch-technische Merkmale der Partitur, deren Inhalt, ohne daß einer bestimmten programmatischen Idee Ausdruck verliehen würde, von überwiegend ernsten, nachdenklich-betrachtenden Gedanken geprägt wird. Gleich der erste Satz (Andante) versetzt den Hörer in diese ernste Grundstimmung des Werkes. Formal handelt es sich um eine zuchtvoll gearbeitete Passacaglia. Das viertaktige stufenweis-schreitende Thema erklingt zuerst in den Bässen und wird sogleich wiederholt, gemeinsam mit den Violoncelli. Das Thema, das durch die verschiedenen Stimmen des Orchesters wandert, mehr oder weniger abge wandelt wird, bleibt den ganzen Satz hindurch gegenwärtig. Auf seinem Funda ment erheben sich Variationen und neue musikalische Gedanken. Ein chromati sches Klarinettenmotiv der Exposition gewinnt im Verlaufe des Satzes Bedeutung. Hinzuweisen ist noch auf die gleichsam reihenmäßige Klangauffächerung und — in einer Episode — auf die große kontrapunktische Verdichtung des Themas. — Der zweite Satz (Molto vivace) bringt den stimmungsmäßigen Kontrast zum ersten Teil der Sinfonie. Sein Geschehen entfaltet sich lockerer bei starker Bewegung. Nach zögernd-geheimnisvollem Beginn bringen die Holzbläser (Piccoloflöte!) ein hurtig dahineilendes Sechzehntel-Thema im Staccato über gehaltenen Streicher akkorden — einen scherzohaften Gedanken, den auch die Streicher übernehmen. Seine starken Bewegungsimpulse, die einen motorischen Charakter besitzen, be stimmen im wesentlichen den Verlauf des reichgegliederten, ausgedehnten Satzes und führen auch die brillante Schlußsteigerung herbei. In den Bläsern bereichert zeitweilig das chromatische Motiv des ersten Satzes die musikalisch-gedankliche Entwicklung. — Nachdenklich-sinnend gibt sich der knapp gehaltene dritte Satz (Lento) mit seiner ausdrucksgespannten Melodik (wesentlich wird ein zuerst von Englischhorn und Fagott angestimmtes, dann von den Violinen übernommenes Motiv mit einem großen Septimen-Sprung). — Das Finale wird mit einer schwer lastenden, machtvollen langsamen Einleitung eröffnet, deren Stimmung sich all mählich etwas beruhigt. Dann erklingt u. a. die schmerzlich gespannte Thematik der dritten Satzes wieder. Nach einem Crescendo beginnt der Hauptteil des Finales (Allegro) mit Sechzehntel-Staccato-Figuren der Holzbläser. Eine energiegeladene, rhythmisch fesselnde musikalische Gestaltung mit großen Intervallsprüngen schließt sich an und geht in ein Presto-Tempo über. Schließlich mündet der rhyth mische Fluß der Entwicklung in eine H /s-Takt-Episode, die durch musikalischen Einfallsreichtum und instrumentatorische Lockerheit gekennzeichnet ist. Nach einer tempomäßigen Verzögerung setzt über ostinaten Bässen der ruhige Schluß teil der Sinfonie ein, der rein stimmungsmäßig den ersten Tonfall des Anfangs wiederaufnimmt. In Selbstbesinnung und Verinnerlichung schließt das Werk. Zu den nachdenklichen Tönen tritt das verdeutlichende gesungene Wort: ein Sopran solo stimmt Johannes R. Bechers Gedicht „Der Engel des Schweigens" an: Sieh’ her auf mich. Ich schweige auch für dich in meinem Schweigen. Er schweigt das Leid der Welt in sich hinein und fragt zugleich, indem den Kopf er neigt, als horchte er. „Wann wird das Leid, das schweigt, für alle Zeiten ausgeschwiegen sein?“ Dr. Dieter Härtwig DRESDNER V oiankündigung: Nächste Konzerte im Anrecht A 7., 8. und 9. Februar 1964, 19.30 Uhr Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr: Dr. Härtwig Dienstag, 21. Januar 1964, 19.30 Uhr, Steinsaal Deutsches Hygiene-Museum 2. Kammermusikabend im Anrecht D und Freiverkauf der Kammermusikvereinigung der Dresdner Philharmonie Werke von: Purcell, Haydn, Ravel und Schubert PHILHARMONISCHES KONZ E RI I >63/64 III 9,14 EMZ 1263 2 Ic-G 039/5/64