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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.03.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-03-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050314021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905031402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905031402
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-03
- Tag 1905-03-14
-
Monat
1905-03
-
Jahr
1905
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Auuuhmeschluß für Au-et-e»: Abtod-Au-gab«: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet- au die Expedition zu richte». Extra-Beilagen (nnr mit d«r Marge»- Ausgabe) »ach besonderer Vereinbarung. Bie Erpebttio» IP Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Balz in Leipzig «Inh. vr. B„R. är W. «linkhardtl Nr. 134. Dienstag den 14. März 1905. 99. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Die Arbeit im Simplontunnel ist gestern wieder ausgenommen worden; die Arbeiter haben die Forde rung der Verlängerung der Arbeitszeit anerkannt. * Das italienische Ministerium Fortis ist durch Weigerungen TittoniS und LuzattiS gefährdet. (S.Aus land.) * DaS englische Unterhaus bewilligte gestern mit 215 gegen 84 Stimmen die von der Regierung für die Marrne geforderten Ausgaben. S. Pol. Tagesschau.) * Die Besetzung TienlingS durch die Japaner wird als unmittelbar bevorstehend angegeben. (S. rufs.-jap. Krieg.) * An der Beulenpest starben in Port Pisagua in Peru viele Hunderte von Menschen. (S. Aus aller Welt.) „kin Aon rum Zcdulantrag." Wie bekannt, wird sich der preußische Landtag voraus- sichtlich schon im Herbst dieses Jahres mit einem Schul- Unterhaltungsgesetz zu beschäftigen haben. Der heiße Kampf, der sich hierbei im Parlament eukspinnen wird, hat sich bereits angekündigt durch die lebhafte Preß polemik, die sich um das sogenannte „Hackenbergsche Schulkompromiß" entspannen hat. Wenn es in der letzten Zeit stiller davon geworden ist, so ist dies nicht etwa als ein Zeichen dafür cmfzufassen, daß das Interesse an der Sache nachgelassen hat; im Gegenteil, das unheil- volle Kompromiß, das den konfessionellen Charakter der Volksschule gesetzlich festgelegt sehen will, wird nach wie vor von liberaler Seite mit Recht nachdrücklich ver urteilt. Ebenso hartnäckig tritt aber die Gegenpartei für das Kompromiß ein, und so dürften die parla- ncentarischen Kämpfe um das Schulunterhaltungsgesetz zu den heftigsten zählen, die jemals im Landtage ausge fochten worden sind. Zur rechten Zeit macht daher der Marburger Professor Paul Natorp in einer Bro schüre „Ein Wort zum Schulantrag" (Verlag von Julius Klinkhardt, Leipzig) darauf aufmerksam, daß der preußische Staat den bedenklichen ersten Schritt vom Wege tun will, der Konfession einen Rechtsan spruch auf seine Schule einzuräumen, was zu der Kon sequenz führt, daß ohne Aenderung der Schulverfassung tatsächlich der ganze Sinn, die ganze Handhabung fast jedes einzelnen Paragraphen ins Gegenteil verwandelt wird. Demgemäß stellt Natorp als Forderung auf: Gemeinsame Belehrung über Religion, aber unter strengster Fernhaltung jedes dogmatischen Anspruchs, jeder Absicht, ein Bekenntnis irgendwelcher Art beim Schüler zu erzielen, dagegen bezweckend Kenntnis und soweit möglich inneres Verständnis des Religiösen, in jeder für unsere heutige Kultur in Betracht kommen den Form. Dieses Prinzip überwindet die Kousessions- schule und die Simultanschule von heute; es überwindet auch Len bloßen Moralunterricht, der, sonst unver werflich, ja an sich gefordert, doch darin es verficht, daß er die religiöse Frage totschweigen möchte, die einmal nicht totzuschweigen ist. Zur Begründung führt Natorp weiter auS, daß man in Sachen der Schule alle nur erdenklichen „Inter- essenten" mitsprechen und einander in die Haare geraten läßt, und erst zu allerletzt Lenkt an Len eigentlich alleinigen „Schulinteressenten": das Kind, welches er zogen werden soll. Das Gewissen des Kindes ist zu achten, auch vor den: der Eltern, denn dem Kinde gilt die Schule, nicht den Eltern; sie gilt der kommenden Generation und nicht der abtretenden. Die Achtung der Gewissensfreiheit des Kindes aber gebietet, daß ihm überhaupt keinerlei Bekenntnis aufgedrängt werLe, weder im Namen des Staates, noch der Kirche, noch der Familie oder eines Verbandes von Familien, sondern vielmehr ihm ermög licht werde, zur Freiheit selöstergener Entscheidung, nach seinem, und keinem fremden Gewissen, heranzureifen. Auf diese Gewissensfreiheit hat jedes Kind ohne Aus nahme, sei es bekenntnisgläubiger oder Lissidentischer Eltern, Las gleiche, unveräußerliche Reckst. Dann aber ist eine staatliche konfessionelle Zwangsschule überhaupt ein Unding. Der Staat als solcher hat keine Konfession, darf also auch dem Kinde keine Konfession durch seine Schule auf zwingen wollen. Er darf aber auch nicht, indem er den Konfessionen selbst gestattet, sich durch seine Schule auf- zuzwingen, sich seines Rechtes auf die Schule in einer der wesentlichsten Beziehungen begeben. „Käme ein Staat wie der preußische dahin, die Zügel des Schulregiments, die er nun einmal in den Händen hat, aus die Straße zu werfen, so würde er in meinen Augen wert und reif sein, L m Polen geoierteilt zu iverden": so schreibe nicht irgend ein Roter, sondern Friedrich Wilhelm Dörpfeld, der Hort der evangelischen Konfessionsschule; er schreibt es an Len Philosophen Friedrich Albert Lange, als Antwort auf dessen Vorschlag, zur Rettung der Gewissensfreiheit nach amerikanischem Muster unbeschränkte Unterrichts freiheit einzuführen, insbesondere jedem religiösen Be kenntnis ohne Ausnahme das Reckst zur Einrichtung von Schulen nach seinem Bedarf einzuräumen; was in der Tat der einzig mögliche Weg wäre, dem Konfessionsprin- zip ohne Zwang für die schwach vertretenen Bekenntnisse und die überhaupt Bekenntnislosen zu genügen. Natorp sagt dann weiter: Könnte die Schule sich frei nach ihren Grundsätzen, nach den Grundsätzen der Pädcu gogi.k und ihren wissenschaftlichen Voraussetzungen: Er kenntnislehre, Ethik, Aesthetik und Psychologie, ent scheiden, so würde mau mit Erstaunen bemerken, daß die ganze eingebildete Schwierigkeit gar nicht besteht; daß ein autoritatives Erziehen und Unterrichten zwar möglich, aber elende Stüniperei ist gegen die Erziehung und den Unterricht, der ganz und ausschließlich, von den ersten Stufen an, auf Entwickelung der Selbsttätigkeit im Zög ling hinarbeitet. Und nion würde entdecken, daß eine Ueberzeugung, die in eigener, freier Entscheidung wurzelt, an Tiefe, Lebendigkeit und fortwirkender Kraft der äußer lich aufgepfropsten unendlich überlegen ist. Die Schule soll nickst bloß unterrichten, sondern er ziehen, sagt man mit Recht; uni dann zu folgern: also muß sie Sittlichkeit beibrigen; also Religion; also Kon- fession. Die Kriminalstatistik mag sich müde rechnen, und Jahr um Hahr beweisen, daß die Blüte des Verbrechens mit der Blüte des Konfessionalisinus zujammengeht; der Psycholog mag sich heiser reden, um zu zeigen, daß aus sehr einfachen und naheliegenden Gründen auch gar nichts anderes zu erwarten ist; die Fabel findet immer noch und immer wieder Gläubige, daß Sittlichkeit an Religion, und zwar an dieNeligion des Bekenntnisses, gebunden sei. Wie man dem nicht Bekenntnisgläubigen in sein Gewissen hinein behauptet, er müsse unselig und trostlos zerrissen sein, so behauptet man ihm auch in sein Gewissen hinein, er müsse unwillig oder kraftlos zum Guten sein, weil ihm der „Halt" an Gott fehlt, ohne den man keinen Willen und keine Kraft zum Guten haben könne. Man wird uns die Freude am Leben und Wirken damit nicht trüben. Aber ich zweifle, ob man „Gott" damit wirklich ehrt, wenn man ihm nickst den Willen zutraut, daß sein edelstes Geschöpf durch Wahrheit frei sei, und in Wahr heit und Freiheit das Gute wolle, nicht aber in der Flucht vor ihr. Zum Schluß mahnt Natorp daran, daß der gesamte deutsche Lehrerstand, vom kleinsten Dorflehrer bis zum stolzesten Universitätslehrer, treu zusammenstehen und in der bisher bewiesenen Gesinnung fest bleiben muh. Auch das deutsche Volk wird die Kämpfer für die Schule nicht dauer''id im Stich lassen. Gäbe es seine Schule preis und den Geist, in dem sie einst gegründet und seither erhalten worden, so gäbe es sich selbst auf und alles, was es in der Welt zu bedeuten hat. Tas ist nicht zu besorgen; es schläft nur jetzt: man wird es wecken müssen. Dazu wirke jeder an seinem Platze. Vie Flirir in ffurrlsna. Die Regierung. Es wird heute aus Petersburg gemeldet, vor Mitt« Mai je: die Verkündigung dsr jetzt ausaearbeiteten, grund legenden Bestimmungen einer Verfassung nicht zu er warten. Der Zar habe einem Zweikammersystem mit einem Herrenhaus« zugestimmt, nach Muster des öfter- reichstchen, sowie einer Vertretung der Semstwos mit fünfjährigem Mandat. Wesentlich unwahrer klingt die Meldung, Witte habe die Weisung erhalten, bis zur Be endigung der Arbeiten in den Kommissionen, denen er präsi diert, im Amte zu bleiben. Mit der gewohnten Sicherheit endlich meldet der „Daily Chronicle" aus Petersburg: Eine hochgestellte Persönlichkeit erklärt, daß zwischen dem Zaren und den Ministern im letzten Ministerrat ein ernster Austritt stattgesunden habe, der einen jehrpeinlichen Eindruck gemacht habe. Der Zar soll den Ministern seine Unzufrieoenheit ausaftprochen haben, worauf sich Witte angeblich erhoben und erklärt habe, nach den Worten des Zaren bleibe den Ministern nichts anderes übrig, als zur u ckz u t re t e n. Es verlaute, Trepow werde den Vorsitz der Nationalversammlung, deren Zusammen berufung bevorsteht, übernehmen (!). Neber Exzesse wird heute auf allerhand Wegen gemeldet, daß Polizei und Militär zur Aufrechterhaltung der Ruhe unzureichend seien, daß gestern auf dem Newsky-Prospekt ein Arbeiter einen General geohrseigt habe und daß ein anderer General auf offener Straße beschimpft worden sei. Die in der gestern abend abgehaltenen Verrammlung der Arbeiterdele- gierten gefaßten Beschlüsse würden streng geheim gehalten, doch treffe die Negierung bereits Vorkehrungen, um auf eventuelle, neue Unruhen vorbereitet zu sein. In Wladimir sei ein Militärkommandovon Arbeitern über fallen worden, wobei mehrere Soldaten getötet (?) und verwundet worden seien. Rur Russisch-Polen wird gemeldet, es seien in daS Haus eines Direktors einer Zementfabrik bei Sawierce nachts 20 Maskierte mit eisernen Stäben eingedrunaen; sie hätten dem Direktor einen Arm ge brochen und die Frau gezwungen, alles Silber und den Juwelenschmuck herauszugeben. In einem anderen Otte hätten gleichfalls Maskierte den Direktor der Werkstätten der Elek- trizitätsgesellschaft überrascht, alles geraubt und den Direktor, sowie dessen Frau und das Dienstpersonal verwundet Auf vielen Gütern im Gouvernement Lublin sind, wie weiter gemeldet wird, unter Erhebung von Forderungen die Dienstleute in den Ausstand getreten. Biele Gutsbesitzer verhandeln mit den Leuten. In einem Mäd chenprivatpensionat verlangten nach einem War schauer Telegramm gestern die Schülerinnen plötzlich die Unterbrechung des Unterrichts. Nach eurer vor allem verdächtigen Krakauer Meldung wurden am Freitag an der Warschauer Zitadelle 15 S o l d a t en, die sich geweigert hatten, nach dem Kriegsschauplatz abzugehen, standrechtlich erschoss en (?). Die Ernennung -er Grafen Woronzow. Aus Petersburg wird vom heutigen Dienstag gemel det: Der Kaffer ernennt durch ein vom 11. Mär- datierte» Repript den Grafen Worvn-on>-Daschkow -um Statthal ter imÄaukasuS und spricht die Erwartung aus, daß eS dem Grafen gelingen möge, bei seiner Kenntnis deS Kaukasus und seiner staatsmännischen Erfahrung das von Unruhen heimgesuchte Land zu beruhigen. Zum stellvertretea- denHetmandes Don-Heeres wurde der Kommandeur der ersten Garde-Kavalleriedivrsion, Fürst OdojewSki-Maß- low, ernannt. vrr rurrirch-lapanirche Weg. Der Aüekzng -er russischen Armee. Nach einem Petersburger Telegramm wirb vom russischen General st ab behauptet, daß Kuro. patkin noch über 160 000 Mann kampffähiger Truppen habe. Er werbe versuchen, die Japaner so lange in Schach zu halten, bis Verstärkungen da seien. Nach einer Depesche hat dos 1. Armeekorps Rennenkampfs seinen Rückzug rn vollster Ordnung vollzogen und in mehreren Gefechten dem Feinde bedeutend« Verluste beigebracht. Eine andere, jedenfalls überholte Meldung be hauptet, es herrschten ernste Besorgnisse wegen des Schicksals der Nachhut der zweiten Armee, die man ab geschnitten und in Gefangenschaft geraten glaubt. Zeitungs- Feuilleton. Die Wehrlosen. Von Charlotte EilerSgaard. 7s Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal. Nachdruck Verbote». Eines Tages kam Helwig vergnügt nach Hause. Man hatte ihm die Zusage gemacht, Kaj als Lehrling in der Stadtapotheke anzunehmen. Und gerade, daß die Stelle in derselben Stadt war, war ein großer Vorteil für Helwig. Bevor Helwig einen endgültigen Entschluß faßte, beriet er sich natürlich mit seiner Frau. Aber gleich zeitig kam er mit so vielen Gründen für die Annahme der Stellung heraus, daß sie keinen besonderen Wider stand leistete. Sie dachte wohl manchmal anders, beugte sich aber in der Regel immer unter den Willen des Mannes. Hier sagte sie zuerst, allerdings ganz bescheiden, daß Kajs Natur wohl kaum zur Arbeit in einer Apotheke paßte. Der Junge war nicht recht veranlagt, um mit Grammen zu rechnen. Doch Helwig versetzte auffahrend, sie hätten kein Vermögen, um sich den Luxus zu leisten, auf Lust mrd Anlagen Rücksicht zu nehmen. ES gäbe auch etwas, daS hieße Pflicht und Notwendigkeit. Jetzt hatten sie einen vorteilhaften Antrag bekommen, und es wäre mehr als dumm, ihn nicht anzunehmen. ES gab Eltern, die bedeutend besser gestellt waren, als sie, die eine solche Stellung für ihr Kind mit Freuden annehmen würden. — Kurz und gut, er fuhr mit dem ganzen Geschütz von Vernunftgründen auf, vor denen Frau Helwig sich immer gefügig beugte. Kaj hatte kein rechtes Verständnis, waS und wie die Sache war, und sagte: „Ich kann eS ja immerhin probieren." UebrigenS lockte e» ihn, denn er hatte gehört, bei den Apothekern würde flott gelebt. Aber der Vater sagte bestimmt: „Du sollst es nicht allein probieren, sondern auch deine Zeit aushalten." Kurz darauf kam Kaj in Stellung. ' XV. Zu Hause waren aller Gedanken von Eriks nun bald bevorstehenden Examen in Anspruch genommen. Helwig ging mit heimlichem Stolz umher und freute sich, daß der Sohn Las erreichen sollte, was er selber nicht erreicht hatte. Man hoffte zuversichtlich auf eine Zensur No. 1. Es war eine Notwendigkeit, daß er diese Zensur bekam; denn sonst waren ihm Stipendien und Unterstützungen so gut wie verschlossen. Und selbst, wenn Helwig bereit war, verschiedene Opfer zu bringen, war er doch nicht imstande, den Sohn vollständig in Kopenhagen zu erhalten. Aber natürlich bekam Erik die beste Zensur, er lernte ja bald Tag und Nacht. Aber eS gab auch allerdings ein sogenanntes Examenpech. Aber warum sollte das gerade ihren Erik treffen? Sogar Kaj hatte doch sein Examen gemacht, da wäre es ja ungerecht, wenn eS dem fleißigen und pflichteifrigen Erik nicht gut gehen sollte. Jeden Abend sandten Vater und Mutter Gebete zum lieben Gott wegen dieser ersten Zensur. Sogar Karen wurde in das Examenfieber mit hineingerissen und betete ebenfalls für den Bruder. ES gab Zeiten, wo sie wünschte, sie selber sollte daS Examen machen. Aber sie wußte ja, daS Wünschen nützte nichts. Erik saß ununterbrochen und repetierte. All' das stille Rücksichtnehmen der andern wirkte fast aufreizend auf ihn und machte ihn nervös. Er fühlte, eS wäre ihm leichter geworden, wenn sie di« Sache ganz natürlich genommen hätten. Aber daS ganze HauS war ja wie im Fieber. Wenn diese Zensur No. 1 nur nicht so bestimmt gefordert worden wäre, dann hätte er sie vielleicht viel sicherer bekommen. ... Na ja, ging eS nun schlecht, dann war er di« Geschichte wenigsten» los. Ueber die einförmige Mühe und Plackerei dieser Tage kam man wohl auch hinweg. Aber dahinter lagen mehrere Jahre genau derselben Arbeit. Nur, daß er auf einem stillen Zimmer in Kopenhagen sitzen würde, während er jetzt zu Hause saß. Und dann würde er auch nicht seine Mutter haben, seine liebe, kleine Mutter. — Erik traten die Tränen in die Augen. Er fühlte, daß er diese Mutter liebte. Wie ec sie entbehren würde, wenn sie nicht mehr zu ihm kam, ihm über die Haare strich und ihn so mild ansah! Und Vater — ja, Vater hatte er auch lieb. Vater hatte nur nicht so viel Zeit, um freundlich zu sein. — Und wenn er sie beide so lieb hatte, dann mußte,er sie doch auch erfreuen. Ja, er mußte die beste Zensur beim Examen bekommen. Und er begann von neuem. Er konnte auch während der Zeit Freude erleben. Es war -och ganz schön, Student zu werden. Ob ec wohl einer von den lustigen, sorglosen Burschen werden konnte, von Lenen Hostrup in seinen Komödien schrieb? — Nein, daS log ihm wohl nicht. Oder ob doch unter der Studentenmlltze eine Zauberei steckte, die den Humor und das fröhliche Glück erzeugte? Dann war eS wohl wett, für die Mütze zu kämpfen. Auch Las war eine ernste Frage — in welcher Kleidung sollte Erik zum Examen gehen? Da kam Helwig auf eine gute Idee. Er und Erik waren un gefähr gleich groß. Sein Leibrock mußte dem Sohne paffen. Und sofort wurde davon gesprochen, eine Probe zu veranstalten. Aber eS zeigte jetzt sich ein seltsamer Widerstand bei Erik. Er wurde ganz wütend und zankte geradezu. » Die Eltern wurden ganz verwundert. DaS sah ja dem bescheidenen und sonst so sanftmütigen Jungen gar- nicht ähnlich. Aber da» ging auch vorüber. Al» er den Leibrock anprobierte, der ihm ganz gut paßte, und gleichzeitig die betrübten Augen seiner Mutter bemerkte, fügte er sich, ging still zu den Eltern und sagte, sie sollten sich nicht darum kümmern, daß er vor hin so heftig gewesen, er wäre doch fröhlich, wie eS fick nun gerade auch verhielt. Im letzten Jahre war auch hier und La darüber ge- sprachen worden, was Erik studieren sollte. Die Eltern waren meist dafür, er sollte Theologie studieren. Das war daS Schnellste, und es gab auch die meisten Stipen- dien für Theologen. Aber auch hier leistete Erik Widerstand. Und als besondere Gnade bekam er die Erlaubnis, Jura wählen zu dürfen. — Alles jedoch unter der Voraussetzung, daß er die Zensur No. 1 bekam. Jetzt, da die Zeit sich näherte, wo Erik im Münd- lichen geprüft werden sollte, wurde Frau Helwig von einer zitternden Angst ergriffen. Was sie bis dahin nur gedacht, stand nun plötzlich so deutlich vor ihr. Wie eine drohende, ttnschnürende Kette hatten sie Erik diese Zensur No. 1 um 'den Hals gelegt. Mehrmals träumte sie, er bestände sein Examen nicht. Betrübt und elend wankte er verzweifelt umher und wagte nicht, nach Hause zu kommen. Wenn sie in der Morgenstunde erwachte, lag sie in Schweiß gebadet da. Ach, daß Träume Loch so lebendig und so angstvoll sein können. Am letzten Abend, bevor Erik zum Examen sollte, kam -er Traum wieder. Sie erwachte diesmal schnell, aber daS Entsetzen blieb an ihr haften. Sie stand auf, kleidete sich notdürftig an und ging bi» zu ErikS Zimmer, um zu lauschen. Als sie sah, daß noch Licht war, ging sie hinein. Und sie fand ihren Jungen schlafend, den Kopf auf dem aufgeschlagenen Buch. Ein unendliches Mitleid ergriff sie. Aber, du lieber Gott, jetzt hatte sie ihn ja noch. Wie hatte ihn auch die letzte Zeit mitgenommen! Nie hatte sie das so deutlich vor sich gesehen, wie jetzt. Dieser blaffe, zusammengefallene junge Mensch, in dessen Stirn sich bereit» die Runzeln eine» alten Mannes ge bildet hatten, war do» ein achtzehnjähriger Jüngling? Wie wenig war bei ihm von der Spannkraft diese»
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