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und Tageblatt — Erscheint jeden Wochentag Abend« s Uyr fttr den ^8 1 » »R I andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., I -I-OvF. zweimonatlich I M. SO Pf. u. etmnonatl. 7b Pi. Inserate werden bis Bormittag» 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zelle oder deren Raum 1Ü Pfämige. 1881. Donnerstag, dm S. Juni. Wetter-Prognose für Doonerstog, dm S. Juni: Seine wesentliche Amdemng in dm bestehende« WtttemngSverhültntffm z« erwarte«. Zn Vertretung: Irnst Mauckisch. 33. Jahrgang. Amtsblatt für die königliche« und städtischen Behörden zu Freiberg Md Braud. Verantwortlicher Redakteur Iuliu» Braun in Freiberg. Lriefe vom Reichstage. LIV. Ll. Berlin, 5. Juni. (Schluß aus voriger Nummer.) Bei dieser Lage der Sache kann man es dem Abg. Liebknecht nicht verdenken, wenn er die erste Gelegenheit benutzte, um einen Jubelgesang anzustimmen, daß Fürst Bismarck sich zu den Grundsätzen der Sozialdemokratie bekannt habe, daß nach den unerbittlichen Gesttzen der Logik diesem ersten Schritte auf der Bahn des Sozialis mus bald weitere folgen würden und die ganze Bewegung endigen würde mit einem glänzenden Siege der sozia listischen Idee. Ebenso wird man es verstehen, wenn vom entgegengesetzten Standpunkte aus der eifrige Manchester mann vr. Bamberger mit den Ausführungen des Herrn Liebknecht sich vollkommen einverstanden erklärte und meinte, die Unfallversicherung werde nur die Probirmamsell sein für die Altersversorgung, und die Altersversorgung werde wieder nur die Probirmamsell sein für den sozialistischen Staat. Vorläufig ist die Bestimmung, welche am meisten nach Sozialismus riecht, nämlich die Bezahlung der Ver sicherungsprämie für die Arbeiter mit einem Jahresver dienst bis zu 750 Mark durch das Reich oder durch den Staat beseitigt worden, und zwar mit einer so imposanten Mehrheit, daß jeder Versuch, in der dritten Lesung für diese Bestimmung, auf welche Fürst Bismarck bekanntlich einen entscheidenden Werth legt, eine Majorität zu ge winnen, von vornherein als aussichtslos angesehen werden muß- Aber selbst wenn es nach dem Willen des Reichs kanzlers ginge, so würde der Staatszuschuß doch nur in dem Sinne als sozialistisch bezeichnet werden können, als ja der Staat, insoweit sich seine Thätigkcit nicht auf den Rechtsschutz beschränkt, und noch mehr die Gemeinde über haupt einen sozialistischen Charakter hat. Die Armen pflege, die Unterstützung nothlcidender Distrikte durch Nothstandsarbeiten, die Erbauung von Straßen und Eisenbahnen zur wirthschaftlichen Hebung einzelner Gegen den, alle solche Maßregeln sind in gewissem Sinne sozialistisch, und doch wird Niemand dem Staate die Pflicht und den Beruf zu solchen Maßregeln bestreiten. Die staatliche Zwangsversicherungsanstalt für die Unfall versicherung wäre nicht viel anders anzusehen als die staatliche Zwangsversicherungsanstalt für die Jmmobiliar- brandversicherung, denn schließlich ist das Interesse des Staats daran, daß die verunglückten Arbeiter und ihre Angehörigen nicht der Armenpflege anheimfallen, nicht viel geringer als fein Interesse an dem Wiederaufbau von ab gebrannten Häusern. Mag dem aber sein wie ihm wolle, Vorsicht ist gewiß geboten, ehe man den Staat weiter fortschreiten läßt auf dem Wege des Sozialismus, wie dies namentlich von dem deutschkonservativen Abgeordneten vr. Frege und von Herrn Windthorst betont wurde, und deshalb kann man es gewiß nur billigen, wenn der Reichs tag, unter Ablehnung der weitergehendcn Pläne des Fürsten Bismarck, sich mit dem Minderen begnügte, was die Kommission empfahl. Bis § 41 wurden sämmtliche Anträge der Kommission angenommen. Ursprünglich bestand die Absicht, die zweite Lesung des Unfallversicherungsgesetzes bis Pfingsten zu Ende zu Wren; aber da in der vorletzten Woche die Hamburger Debatte eine volle Sitzung gekostet hatte, die nun wieder in der letzten Woche fehlte, und keine Mög lichkeit vorhanden war, den Reichstag über den als Termin für den Beginn der Pfingstferien in Aussicht genommenen Donnerstag hinaus in beschlußfähiger Anzahl zusammen zuhalten, so entschied man sich kurz dahin, bis Donners tag zu erledigen, was zu erledigen möglich war, und die Berathung, die voraussichtlich nur noch eine Sitzung in Anspruch nehmen wird, nach den Ferien fortzusctzcn. Es wäre auch ohnedem nichts Andres übrig geblieben, denn nachdem schon die Abstimmung über den so überaus wichtigen 8 13, bei dem die Frage des Staatszufchusses entschieden wurde, die überaus niedrige Präsenz von 225 Mitgliedern ergeben hatte, sank dieselbe innerhalb der nächsten Stunde noch weiter, und als über ein verhält- nißmäßig unwichtiges Amendement durch Zählung abge stimmt werden mußte, da wurden nur noch 184 Mitglieder als anwesend ermittelt. Die Beschlußunfähigkeit war also konstatirt und der Reichstag mußte in die Pfingstferien entlassen werden in genau dcmselbm Zustande, in welchem er acht Wochen vorher in die Osterferien eingetreten war. Außer dem Unfallversicherungsgesetze beschäftigte den Reichstag in der abgelaufenen Woche nur noch ein ein ziger Gegenstand, die Äbänderung des Zolltarifs in der Richtung, daß für Weintrauben, die bisher zollfrei waren, ein Zoll eingeführt wird und die Zölle für Mehl und für Zeug- und Wollwaaren erhöht werden. Die letzteren Maßregeln waren beantragt infolge der lebhaften Klagen der Mühlenindustrie und des Nothstands in der Gegend von Glauchau und Meerane, an dem einen nicht uner heblichen Antheil haben soll der ungenügende Zollschutz sür die leichten Damenkleiderstoffe, welche dort fabrizirt werden. Der Traubenzoll machte nicht viel Schwierig keiten, um so mehr Diskussionen veranlaßten die erhöhten Schutzzölle. Die schutzzöllnerische Majorität hatte sich dafür entschieden, der Zollerhöhung zuzustimmen; dagegen kämpften die Freihändler in langen Reden dafür, daß den nothleidenden Industrien vielmehr geholfen werden möchte durch Gewährung von Ausfuhrerleichterungen für das deutsche Mehl und durch Herabsetzung der Garnzölle für die Wollwaarenindustrie, weil her- Nothstand dieser In dustrien nicht sowohl in dem ungenügenden Zollschutz seinen Grund habe als darin, daß ihnen durch die jetzigen Zölle die Rohmaterialien verthcuert würden und dadurch die Konkurrenz auf dem Weltmärkte unmöglich gemacht werde. Da man drei Sitzungen der Woche für das Unfall versicherungsgesetz disponibel halten wollte, so sollte nach )cm Willen der Schutzzöllner die Zollangelegcnheit am Montage zu Ende geführt werden. Bis 4 Uhr wurden die Generaldebatte und der Traubcnzoll erledigt, zur Be rathung der beiden anderen Gegenstände wurde gegen den Widerspruch der Freihändler eine Abendsitzung angesetzt. Nach zweistündigen Debatten wurde der Mehlzoll be willigt, zugleich aber eine Resolution auf Gewährung mäßiger Ausfuhrerleichterungen für deutsches Mehl ange nommen. Um 10 Uhr, nach beinahe 9stündiger Sitzung, trat man in die Berathung der Wollwaarenzölle ein. Ein Vertagungsantrag wurde abgelchnt. Sonnemann sprach gegen die Zollerhöhung. Abermals wurde ein Antrag auf Vertagung gestellt und abgclehnt. Abg. Löwe (Berlin) ergriff das Wort ebenfalls gegen die Vor lage. Wiederum kam — die Uhr zeigte beinahe 11 Uhr — ein Vertagungsantrag. Die Schutzzöllner rührten sich nicht, augenscheinlich wollten sie ohne weitere Diskussion die Sache erledigen, und dabei hatte sich das Haus schon soweit geleert, daß Jeder sehen mußte, cs sei nicht mehr eine beschlußfähige Anzahl anwesend. Da machte der Abg. Rickert der Tyrannei der schutzzöllnerischen Majorität ein Ende, indem er die Auszählung beantragte. Sie er folgte und das Resultat war, wie Jedermann voraussah, die Beschlußunfähigkeit. So mußte man sich bescheiden, die weitere Berathung des Entwurfs bis nach den Ferien zu verschieben und die Debatte zu gelegenerer Zeit, in einer Tagessitzung weiter zu führen. An dem Resultate der Berathung ist nicht zu zweifeln; selbst wenn die Frei händler mit Engelzungen redeten, der Zoll würde doch bewilligt werden. Tagesschau. Freiberg, 8. Juni. Die in Berlin erscheinende konservative Zeitung, die „Post", bespricht heute in einem Leitartikel die gestern im Wortlaute mitgetheilte nationalliberale Erklärung in sehr versöhnlichem Tone. Der Schlußsatz dieses Artikels lautet: „Trotz dieser und anderer Bemängelungen im Einzelnen ebnet die maßvolle, nationale Gesinnung, welche aus der Erklärung spricht, unseres Erachtens einem Zusammen wirken mit den gemäßigt Konservativen doch die Wege. Unsern Parteigenossen wird das Bestreben, eine geschlossene Front aller gemäßigten nationalen Elemente gegen den oppositionellen Radikalismus zu bilden, wesentlich er leichtert. Denn auch die Deutschkonscrvativen werden, wenn anders sie die jetzt bei ihnen vorherrschende maß volle Richtung festhalten und nicht die Partei in extreme Bahnen gerathen lassen und so der Gefahr der Vernich tung bei einer veränderten Strömung an leitender Stelle aussctzen wollen, ein lebhaftes Interesse daran haben müssen, die Mittelpartcien in einer solchen Stärke zu erhalten, daß sie ein ausreichendes Gegengewicht gegen das Zentrum bilden und die Konservativen vor dem verhängmßvollen Loose bewahren, von diesem sich die Politik vorschreiben zu lassen. Manche konservativen Elemente, welche im preu ßischen Landtage noch mehr als im Reichstage sich geltend machen, drängen ohnehin mit aller Kraft nach jener Seite und der' voraussichtlich scharfe Wahlkampf wird dieser Richtung noch Stärkung bringen. Demgegenüber werden die gemäßigten Deutschkonservativen es wie im allgemeinen, so als im Interesse der eigenen Partei liegend erachten müssen, wenigstens da, wo es gilt, Fortschrittler, Sezessio- nisten oder Partikularisten zu bekämpfen, nicht blos mit den Freikonservativen, sondern auch mit den National liberalen zu gemeinsamer Aktion sich zu vereinigen." , Zugleich mit dem Kommissionsantrage, die im Nach tragsetat für den deutschen Bolkswirthschaftsrath in Ansatz gebrachte Summe von etwa 80000 Mk. zu be willigen, ist dem Reichstage der Entwurf der kaiserlichen Verordnung, betreffend die Errichtung eines deutschen Volkswirthschaftsrachcs, zugegaugen. 8 1 derselben lautet: „Entwürfe von Gesetzen und Verordnungen, welche wich tigere Interessen von Handel, Gewerbe und Landwirthschast betreffen, sind, bevor sic dem Bundesrathe zur Beschluß fassung vorgelegt werden, in der Regel von dem nach den Bestimmungen dieser Verordnung zu bildenden deutschen Bolkswirthschaftsrath zu begutachten. Entwürfe, welche bereits an den Bundesrath gelangt sind, hat der Volks- wirthschaftsrath zu begutachten, sofern der Bundesrath dies beschließt." Der Schlußsatz dieses ersten Paragraphen enthält die einzige Abänderung, welche der Entwurf im Bundesrathe erfahren hat. Im Wesentlichen bleibt die Verordnung vom 17. Dezember 1880, betreffend den preußischen Volkswirthschaftsrath, in Kraft. Letzterer wird lediglich durch Hinzutritt von 50 Mitgliedern aus den übrigen deutschen Staaten zu einem deutschen erweitert. Die Berufung der Ausschüsse, der Sektionen und des Plenums erfolgt durch den Reichskanzler, der auch den Vorsitz führt, sich aber „durch einen geeigneten Beamten" vertreten lassen kann. — In Karlsruhe wurde die allge meine deutsche Lehrer-Versammlung am Dienstag unter sehr zahlreicher Betheiligung des Publikums mit dem Gesänge des Liedes „Großer Gott, wir loben Dich" eröffnet. Es waren gegen 2000 Lehrer und Lehrerinnen aus allen Theilen Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz erschienen. Im Auftrage der französischen Re gierung ist Schulinspektor Joste aus Paris eingetroffen. In das Präsidium wurden Schulrath Hoffmann (Ham burg), Direktor Heinrich (Prag) und Rektor Specht (Karlsruhe) gewählt. Die Versammlung wurde von dem Bürgermeister Schnetzler (Karlsruhe) und im Auftrage der badischen Schulbehörden vom Ober-Schulinspektor Armbruster begrüßt. Gegen 10'/, Uhr Vormittags erschien Se. Königl. Hoheit der Großherzog von Baden und wurde mit einem stürmischen Hoch empfangen. Die schweizer Bundesversammlung trat am 5. Juni zur Sommersession zusammen. Die periodischen Wahlen sind durchaus radikal ausgefallen. Zum Präsidenten des Nationalrathes wurde Vcssaz, bisher Vizepräsident, zum Vizepräsidenten Zyro von Thun, zum Ständerathspräsi- dcnten der bisherige Vizepräsident Kuppeler, zum Vize präsidenten Cornaz aus Neuenburg gewählt. In der französische« Kammer steht nun die Budget debatte vor der Thür. Am 3. Juni las Rouvier im Bud- getausschusse seinen Generalbericht über das Budget von 1882 vor, der folgenden interessanten Einblick in die Finanz lage Frankreichs bietet: Die Budgets von 1876 bis 1880 haben 133 Millionen Steuerverminderungen und einen Uebcrschuß von 200 Millionen in den Einnahmen gebracht. In fünf Jahren wurden die Steuerpflichtigen um 269500204 Frks. entlastet. Wenn die Anträge für das Budget von 1882 angenommen werden, so würde die Ge- sammtsumme der von der Legislatur beschlossenen Steuer minderungen 285933204 Franks betragen. Die Summe der seit 1876 verwirklichten Steuerherabsetzungen kommt zwei Fünfteln der 700 Millionen neuer Steuern gleich,