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nicht Resignation, Freude, Auseinandersetzun gen, Schönheit, Aktivität und eine Ruhe, der man sich öffnen sollte. Doch unabhängig davon möchte ich sagen, daß diese Sinfonie sowohl einige in früheren Wer ken noch nicht so ausgereifte Züge aufweist als auch immer wieder etwas ausarücken soll, was viele heute bewegt. Klangliche Intensität und der lyrische Grund- cnarakter entsprechen einander. Das etwa 25minütige Stück gliedert sich in fünf ineinan der übergehende Abschnitte. Der erste, mit noch vielleicht als ungeordnet empfundenen Klängen, beginnt nach tropfenden Harfentö nen rasch und heftig, mit mehr oder weniger «'ein' zu nennenden Klängen, denen mit ei- r langen Horn-Ton der zweite Abschnitt jt. Er stellt eine Haupttongruppe von 7 Tö nen vor, die eine wesentliche Rolle in der fol genden Entwicklung spielt; in sinfonischem Sin ne entspricht sie einem Hauptgedanken samt seinem Gegensatz oder seiner Ergänzung. Durch geringe Veränderungen werden 5 Töne dieser Hauptgruppe später zu einem Zitat aus einer Motette von Palestrina verwendet, das somit in den musikalischen Gesamtprozeß einbezogen wird. Dies geschieht dann im dritten Abschnitt. In der Mitte der Sinfonie also vollzieht sich die musikalische Auseinandersetzung zweier gegen- poliger Kräfte, die sich dabei verändern, ohne ihr Wesen zu verlieren. Formal ist dieser Pro zeß in eine Art Fuge gebracht. Hier wird der führende Gedanke - nach einem klanglichen Höhepunkt, eingeleitet durch die tonleiterartig abwärts geführte Solovioline — dreimal durch Zwischenspiele gestört. Diese Störungen, in im mer anderer und immer primitiverer Gestalt, bleiben zwar letztlich .erfolglos', verändern aber den führenden Gedanken so, daß er, zuletzt unter brutaler Wucht der Schlagzeugrhythmen scheinbar zusammengebrochen, sich im vierten Abschnitt doch neu belebt, aufrafft, sich einbet- eine Klangfläche der Streicher, die wie bis dahin nicht erfahrene unbekannte Kraft sich in die Tiefe senkt, und schließlich wachsen ihm auch aus der Ferne noch Stimmen zu. Mit kaum noch vermuteter Energie schwingt sich eine Melodie im fünften, dem kurzen letzten Abschnitt, bis zum einstimmigen Gesang des gedehnten Rhythmus auf. Aus einem Mixtur klang löst sich in den Streichern der Anfangs ton des Palestrina-Motivs, das Stück so been dend, aber die Gedanken mitnehmend." Erst im reifen Alter von 43 Jahren, 1876, vollen dete Johannes Brahms seine 1. Sin fonie c-Moll op. 68 und schuf bereits neun Jahre später seine vierte und letzte Sin fonie. Sein sinfonisches Schaffen umspannt also zeitlich gerade ein Jahrzehnt. Aber welch eine Fülle herrlichster Musik, welch eine einzigartige Weite und Wärme musikalischen Ausdrucks verbirgt sich hinter dieser nüchternen Feststel lung. Brahms fiel die Auseinandersetzung mit der großen zyklischen Form des 19. Jahrhun derts nicht leicht (allein sein schmerzvolles Rin gen um die 1. Sinfonie bestätigt dies: lag der erste Satz bereits 1862 vor, so konnte doch das gesamte Werk erst 14 Jahre später vollendet werden). Mit seiner „Ersten" lieferte der Kom ponist ein hervorragendes Beispiel schöpferi scher Aneignung der sinfonischen Tradition eines Beethoven (dessen „Fünfter" sie an Tiefe des Ausdrucks und Größe der Problemstellung verwandt ist), Schubert und Schumann. Von dem berühmten Dirigenten Hans von Bülow stammt das bekannte Bonmot, daß Brahmsens „Erste" Beethovens „Zehnte" genannt werden könne. Damit ist die musikgeschichtliche Stel lung dieser Sinfonie als bedeutendster sinfoni scher Beitrag des 19. Jahrhunderts seit Beetho ven klar umrissen. Und nichts anderes stellte auch Eduard Hanslick fest, als er nach der ersten Wiener Aufführung schrieb: „Mit den Worten, daß kein Komponist dem Stil des späteren Beet hoven so nahegekommen sei wie Brahms in dem Finale der 1. Sinfonie, glaube ich keine paradoxe Behauptung, sondern eine einfache Tatsache zu bezeichnen." Die am 4. November 1876 in Karlsruhe unter Max Desoff uraufgeführte Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung (Un poco sostenuto) von 37 Takten, die den thematischen Kern in sich trägt, aus dem der erste Satz her vorwächst: ein chromatisch eindrucksvolles Mo tiv, zu dem in den Bässen ein unerbittlich häm mernder Orgelpunkt ertönt. Quälende Unruhe, Gefahr, schmerzliches Leid drückt die Einleitung aus. Das anschließende Allegro begehrt trot zig gegen diese Stimmung auf. Aber das chro matische Motiv, dem auch das zweite Thema (in der Oboe) unterliegt, löst ein leidenschaft liches Ringen aus, das in der Durchführung seine Höhepunkte erfährt. Mit dem Kopfmotiv der Einleitung kündigt sich die Coda an. Die verzweifelte Spannung löst sich trostvoll in C-Dur. Eine zwingende einheitliche thematische Ge staltung besitzt der zweite Satz (Andante sostenuto) mit seinem trostvoll innigen Haupt thema, das die Violinen, von den Fagotten unterstützt, anstimmen. Mehr elegischen kla genden Charakter hat das Nebenthema cis- Moll der Holzbläser. Im Mittelpunkt wechseln sich Oboe, Klarinette, Celli und Kontrabässe konzertant in der Führung ab. In der Reprise greift die Solovioline den zweiten Teil des Hauptthemas auf. Die verhaltene Heiterkeit des dritten Satzes (Un poco Allegretto e grazioso) läßt Hoffnung schöpfen, daß die düsteren Kräfte und Ge danken überwunden werden können. Holzblä ser führen die Motive dieses Satzes ein (die Klarinetten das wiegende, herzliche Haupt thema). Humorvoll musizieren Bläser und Strei cher im H-Dur-Trio gegeneinander. Mit Recht hat man das Finale dieser Sinfonie als den gewaltigsten Sinfoniesatz seit Beetho ven bezeichnet. Drei tempomäßig unterschied liche Teile geben die äußere Gliederung. Der Satz beginnt mit einer Adagio-Einleitung, die der des ersten Satzes ähnlich ist. Zunächst er klingt ein chromatisch-schmerzliches Motiv, das in eine drohende, unheilvolle Stimmung hin übergeführt wird (synkopische Pizzicato-Stei- VORANKCINDIGUNGEN: Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse gerungen, verzweifelte Bläserrufe, erregte Streicherfiguren). Da ertönt plötzlich — nach einem Paukenwirbel — ein Seelen- und fried volles Hornthema (Piü Andante), das an We bers „Freischütz"-Ouvertüre und Schuberts gro ße C-Dur-Sinfonie erinnert. Danach beginnt der dritte Teil des Finales (Allegro non troppo, ma con brio) mit seinem weitläufigen, jubeln den Marschthema in vollem Streicherklang, das teilweise an den Freudenhymnus von Beetho vens 9. Sinfonie gemahnt. Nun erfolgt der Durchbruch zu optimistischer Haltung; die dunklen Kräfte werden bezwungen. Neben dem innigen zweiten G-Dur-Thema und dem aktiv drängenden dritten Thema kehren auch die anderen thematischen Gestaltungen des zes wieder und beteiligen sich an der sti^^- schen Durchführung. Den hymnischen Ausklang dieser einzigartigen Sinfonie bringt das Piü Allegro. Prof. Dr. Dieter Härtwig Sonnabend, den 10. Oktober 1987, 19.30 Uhr (Freiverk.) Sonntag, den 11. Oktober 1987, 19.30 Uhr (AK/J) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Alain Paris, Frankreich Solist: Peter Rösel, Dresden, Klavier Werke von Ravel, Chopin und Berlioz Mittwoch, den 28. Oktober 1987, 19.30 Uhr (Anrecht A 1) Donnerstag, den 29. Oktober 1987, 19.30 Uhr (Anr. A 2) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 3. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Jörg-Peter Weigle Solist: Felix Sloväcek, CSSR, Saxophon Werke von Debussy, Milhaud und Mendelssohn Bar tholdy Das Foyergespräch am 3. Oktober 1987 findet in den Klubräumen im 2. Obergeschoß des Kulturpalastes, Seite Schloßstraße, statt. Wir bitten, die Garderobe unmittelbar nach Konzertende abzuholen. Chefdirigent: Jörg-Peter Weigle — Spielzeit 1987/88 Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 2,85 JtG 009-55-87 EVP —.25 M 2. PHILHARMONISCHES KONZERT 1987/88