Volltext Seite (XML)
Nummer 197 — 25. Jahrgang »mal wöch. vezu«epr«ls für Septbr. 8.0V eins-V, «efteUqetd. »nie igen» reis«: Dt« lgesp. Pelltzeit« «4, vt^ngesuch, « 4 Dt« Petttteklome^ttt. 8» Millt. »eter breit, 1 Offerten-ediHren für Seldftakchol«, rv 4. det Ulbersendung dnrch dt« Post autzevdem Vortoqvscklag. Linzel-Rr 1» 4 Sonvtaps-Nr IS 4- veschäsllicher Teil: I> Htlledrand in Dresden SöcklMe Mittwoch. I.Sept. 192S Im Fall« höherer «Sewalr erlischt ,eoe Lerpflichtuna «k Lieferung sowie Erfüllung o. Anzeiaenausträg« a. Leistung v. Schadenersatz. Für undeuL u. d. Aer ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir kein« D« antwortung, Unverlangt eingesandte ». m. Rückpor nicht versehene Manuskripte werb. nicht ausdrwahr Sprechstunde der Redaktion L—8 Uhr nachmittagi. Hauv--briftleit.: Dr. Joseph Albert. Dresde« volfsMung «elcheNeftrU«, «nur »»» «erl», I karmna. Vuch»ruck«r«> «mdH» D««d»nü». 1. Polierftra«« 17. ^ernrw AVIL. VoNlMeiNoni« Dritden IL,S7 «ankkonto: L««Od»«r va»k, Dr«-den Für christliche Politik und Kultur St«»ak»t,n der SäBiMch»« BolkS,,«,„>,« Dresden.«»Nabt 1. Volierltraße 17 iZeruru« 20711 >m d LI VIS. Was gehk in Rutzlan- vor sich? «BonunseremT. A. Vertreter) Riga, 28. August 1926. Ein Telt oer in- uno ausländischen Zeitungen hat vor emigen Tagen viel Uber erschütternde Ereignisse in Sow- setrutzland zu berichten gewußt. Hätte man allen diesen Meldungen glauben gewollt, w gäbe es ln Rußland keine Bolschewiken mehr: ihre Führer hätten einander aufge- fressen. Diese Meldungen in der trostlosen und ereignis- armen Sauregurkenzert waren direkt aus dem Finger gesogen. Aber etwas hat sich dennoch zugetragen. Ohne Feuer gibt es keinen Rauch und den schwelenden Rauch spürt man. Mehr noch: in Rußland vollzieht sich eine tiefere Wandlung, als die blutigen Ereignisse, über die in sensa tioneller Aufmachung berichtet wurde, bedeuten konnten. Dem lüsternen Leser muß man blutrünstige Geschichten auftischen, zumal über Rußland, wo die schauerlichsten Sa chen Vorkommen können. Der aufmerksame Beobachter wird mehr sehen, als nur dle roten Blut- und Feuer flammen einer neuen Revolution. Er wird den M.o der - geruch des Bolschewismus spüren. Der russische Schrecken ohne Ende kann ein schreckliches Ende nehmen, aber er hat es diesmal nicht getan. Lenins Tod brachte einen verhängnis voll e n R i ß in die Partei. Es schien damals, vor zwei einhalb Jahren, sie würde in die Brüche gehen. Schars wurde der Kampf um da« Sitz des bolschewistischen Dalai- Lama geführt und Trotzki unterlag damals der Partei, der Kaste. Man schickte ihn an die. frische Luft und sein Hitzkopf beruhigte sich. Lenin wurde durch die „Troika" Stalin-Sinowjew-Kamenew ersetzt. Der erste hatte die nötige Härte und Geradheit, der zweite war der Großredner der Kaste und der dritte war eine Null, vor der einmal Lenin als Nennzahl gestanden batte, ileberhaupt gehörte gerade Sinowjew und Kamenew zu der alten Garde der Bolschewiken. (In Paris gab es ein mal überhaupt nur diese beiden und Lenin in der Partei.) Mit der Schaffung der Troika erging der Befehl, die Diskussion zu unterbrechen. Und die Disziplin war so groß und der kürzlich verstorbene Dzerzinsky so all gewaltig, daß man die theoretischen Erörterungen über das was Lenin eigentlich mit der Revolution vorgehabt hatte, sofort unterbrach und selbst Trotzki aus dem Exil zurückkommen ließ, weil er schon maultot und somit un gefährlich geworden war. Was hatte er gewollt? Er wollte eine Fraktion in der Partei sehen, der es gestattet wäre. Kritik zu üben. Er wollte nur eine zahme Opposition innerhalb der Partei, ein wenig Parla mentarismus. Er wollte der Partei allmählich aus den Scheuklappen des mit seinem Meister erstarrten „Le ninismus" heraushelfen. Die Deuter und Epigonen Le nins hatten nicht das nötige Talent, lebenskräftige Folge rungen zu ziehen. Lenin hatte manches fieberhafte Zeug zusammengeschrieben, vieles nur im Schema gegeben und weil aus dem Ganzen richtig nichts zu machen ist. konnten die Theoretiker (Bucharin, Kamenew) weiter nichts er finden, als das leninsche Dogma kritiklos wiederzukäuen. Aber das Leben schmiß eins nach dem anderen aus dem leninschen Kram über den Hausen. Hatte man die Kritik in der Partei gedämpft, so war sie trotzdem da und vom Leben selbst gegeben. Die gelehrten Motten der Re volution konnten weiter an dem leninschen Archiv schnup pern, aber für die Großhälse waren die glücklichen Tage vorher Die hvhen Revett zogen nicht mehr. Sinow - s e w war überflüssig. Er war auch bis dahin nur ein Planet Lenins gewesen, der nur auf der Rednerbühne in fremdem Licht strahlte. Die Partei hatte 1924 ihm, das Leben Trotzki und der nach ihnen getriebenen Opposition rechtgegeben. Sinowjew sah dies wohl und um sich für jede Möglichkeit die Position zu sichern, legte er sich wie der auf die berüchtigte Weltrevolution. Dabei ist er zwei mal ukangenehm hereingefallen: vor den englischen Wah len im Herbst 1924 und mit dem Streik der englischen Grubenarbeiter. Den Zusammenbruch des Streikes schiebt man in Rußland dem Vorsitzenden der „Komintern" in die Schuhe, der nicht genug Klugheit walten ließ. Dastarb Dzerzinsky. Und wieder kam die zurückgehaltene Opposition zum Durchbruch. Es ist schon bekannt, welche Grobheiten sich die bolschewistischen Minister an den Kopf geworfen haben und was Dzerzinsky über einige seiner Kollegen gesagt hat. ... Es kam in der Folge zu argen und sehr heftigen Auseinandersetzungen, Sinowjew flog aus dem PolMschen Bureau der Partei hinaus, ebenso mehrere seiner Freunde, Kamenew verlor seinen Posten als Handelsminister. Um ein Haar wäre die Diskussion in die Provinz ubergegangen. Aber noch einmal siegte der Kastengeist der Partei: es erschien eine Order, den Streit zu unterbrechen und schon reonet es Resolutionen »»Die weMiche Macht -er Päpste im- -ie päpstliche Arra-Härrgigkeit" Don unserem ständigen römischen Verirrter Rom, 28. August 1S26. Nächsten Monat wird im römischen Buchhandel ein Auf sehen erregender, 90 Seiten starker Band unter dem Titel er scheinen: „Die weltliche Macht der Päpste und die päpstliche Un abhängigkeit" von Andrea Chiari, Verfasser der 1922 ver öffentlichten Broschüre: „Kritische Studie über die Lösung der Römischen Frage." Aus den mir vom Autor gütigst zur Ver fügung gestellten Korrekturbogen sei in Kürze folgendes über die überaus wichtige und aktuelle Frage der Versöhnung hervor gehoben. Gewissermaßen als Leitmotiv geht durch das ganze Buch der Satz: „Es ist nötig, dem Oberhaupt der katholischen Kirche eine unabhängige, moralische, soziale, religiöse und politische Stellung zu schaffen, die nichts mit der materiellen Form einer bürger lichen Regierung zu tun hat, um der so hervorragenden, höchsten Geivalt des Römischen Papstes über die religiöse und moralische Weltordnung und über die anderen Souveräne die nötige Achtung zu verschaffen." Nun fragen die Gegner: „Welche Stellung soll denn in der Praxis dem Oberhaupt der katholischen Christenheit geschaffen werden?" Antwort: „Eine juristische, soziale und poli tische Unabhängigkeit, die der Souveränität der anderen welt lichen Herrscher gleichkommt, die aber frei von jeder bürgerlichen Fessel ist, damit der Papst seine große apostolische Mission hie- nieden verwirklichen kann: mit anderen Worten, er bedarf einer absoluten Unabhängigkeit, mittelst deren er di« aus dem ganzen Erdenrund verbreiteten, mit christlichem Geist Killten Gewissen regieren kann: ohne fremde Einschränkungen. Widersprüche und Einmischungen." Da wirft sich dann von selbst die Frage auf: „In was wird die päpstliche Unabhängigkeit bestehen?" Chiari gibt darauf zur Antwort: „Die päpstliche Unabhängigkeit wird darin be stehen, den Papst nicht nur nationalen, sondern auch fremdlän dischen Einflüssen zu entzlehen." Der Papst kann sich nicht als unabhängig betrachten, selbst wenn das (italienische) Gesetz ihm eine Souveränität zuerkennen würde: Denn ein Gesetz ist immer eine juristische Verfügung, die von einer gesetzgebenden Macht er lassen und wieder aufgegeben werden kann: der Papst wäre mit hin immer ein Untertan einer anderen Macht, die größer als dil> seinige ist. Ein gewaltiger Irrtum würde es auch sei», das Papsttum unter die Obhut anderer Mächte zu stellen, denn dann chürde es den Einflüssen der ganzen Welt unterstehen. Nur, wenn das Papsttum unabhängig üasteht, und wenn es keiner anderen politischen und gesetzgeberischen Macht untergeordnet ist, wird es nicht nur ein selbständiges Dasein führen, es wird vielmehr in unbeschränkter Unabhängigkeit, sei es gegenüber Italien, sei es gegenüber den anderen Mächten leben." Um dies bewerkstelligen zu können, muß der Staat (also Italien) nach Ansicht des Verfassers zunächst auf das Vräsen- tatlonsrecht, auf den Schwur, das königlich« Placet (Emwilli. gung) und auf das Exequatur bei dem Klerus verzichten. Ebenso mühten die Verwaltung der für den Klerus vestimmten Güter, das Kultusministerium als solches, wo sich Kirche und Staat ver. mischen, wo die Religion einen amtlichen Charakter annimmt, zu existieren aufhören. Das kirchlich« Patrimonium Italiens würde autonom und der unbeschränkten Leitung des Papstes unterstehen. Kurz gesagt — der italienische Staat müßte endlich das Wort Cavours: „Freie Kirche im freien Staat" zur Wahrheit machen. Aber die Freiheit der katholischen Kirche müßte eine voll ständige sein, sie bedarf einer „territorialen Unabhängigkeit, nicht im gewöhnlichen, weltlichen Sinne, vielmehr im Sinne der eige nen Machtstellung, ohne Einschränkungen und mit der Fakultät, alle ihre katholischen Einrichtungen zu entfalten, die die Kultur, Erziehung, Wissenschaft, die religiösen Stiftungen zum Gegen stand haben." Wenn nicht bald in diesem Sinne vorgegangen wird, so befürchtet der Autor, daß die 400 Millionen Gläubig«? sich durch Vermittlung des Völkerbundes an Italien wenden un< ihm auferlegen, für jene Unabhängigkeit des Heiligen Stuhle? Sorge zu tragen, die der Kirche den Frieden und dem bürgen lichen Leben die Ruhe bringen wird. Am Schlüsse des zweite« Kapitels drückt Adv. Chiari die Ueberzeugung aus, daß jetzt du Zeit zu einem freundschaftlichen Uebereinkommen zwischen Kirch, und Staat reis sei, da der gegenwärtigen, auf Ordnung begrün« beten, von religiösem Geiste beseelten Negierung, weder von sei, ten des Papsttums, noch seitens der großen Mehrheit des italienr. scheu Volkes, Hindernisse in den Weg gelegt würden. Der ita lienische Liberalismus, der Italien von 1860 bis 1922 regierte, hai niemals die Größe des Papsttums erkannt. Wenn man dem Verfasser Glauben schenken darf, wird e» für die Regierung Mussolinis auf die Dauer zur dringenden Not wendigkeit. mit dem Papsttum Frieden zu schließen, um Italien von dem Indisferentismus, von dem zwischen Religion und Ge» sellschaft sich breit machenden Antagonismus zu Kurieren. Musso- lini dürfte sich bewußt sein, daß eine Versöhnung mit dem Stuhle Petri nötig ist, west es darauf ankommt, das italienische Volk nach der faschistischen Umwälzung wieder nach der moralischen und religiösen Seite hin in Reih und Glied zu bringen. Wie denkt sich nun der Autor die praktische Durchführung der päpstlichen Unabhängigenkeit? Er führt im 6. Kapitel aus, die italienische Regierung müsse, wenn sie dem Hlapste seine Aktionsfähigkeit wiedergeben wolle, von -cm juristischen, inter nationalen Kriterium ausgehen, ihm gleich den Botschaftern aller Mächte vor allem die Exterritorialität der eigenen Wohnung zu» sichern. Dem Papsttum muß außer dem, wovon bereits ein gangs die Rede war. eine ausgedehntere Zone, als es der gegen wärtige Garten ist, gewährt werden, schon um das diplomatische Korps, das Kollegium der Kardinäle, die Kongregationen, dis kirchlichen Kanzleien in seinem unmittelbaren Bereich vereinigen zu können." Eine weitere Notwendigkeit besteh darin, dem Papste nach Westen hin sein Gebiet möglichst in direkter Linie nach dem Meere hin auszudehnen und ihm mittelst Konkordat eine 15-Kilometerstrecke bis zum Strande als allein zu benutzender Privatweg zuzusichern, damit er sich mit der gan zen Welt von einer kleinen Landungsstelle aus. in Verbindung) fetzen kann. Da aber Italien das Recht und die Pflicht zustehe, über den Schuh der ganzen Meeresküste zu wachen, dürse keine neutrale Zone geschaffen werden. Nun könnte jemand einwenden, wie die Regierung den Papst aus der lö-Kilometerstrecke schützen wird, wenn sich der Pontifex zum Meeresstranöe begeben will? Wenn vor 1870 der Papst den Vatikan verließ, avisierte die Staatssekretarie die Polizei, die dann die nötigen Vorkehrungen traf. Genau das gleiche Verfahren kann auch nach der Versöh nung angewandt werden. Wenn sich morgen — so heißt es im Schlußworte — die italienische Regierung zu einer Befriedung mit der katholischen Kirche entschließen würde, so habe sie nichts anderes zu tun, als sich durch den Präfekten, dem Vertreter der ausübenden Gewalt, an den Kardinal-Vikar zu wenden. Es würde dann eine offi zielle. gemischte Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfes eines Fundamentalgesetzes des Staates eingesetzt, das dem Papsttum volle Unabhängigkeit und Exterritoriolstät zu. sichert. Dieses von den legislativen Körperschaften gebilligte n Völkerbund und allen einzelnen Mächten mit geteilt, die in diplomatischer Beziehung mit dem Heiligen Stuhl stehen. Natürlich müsse der erste Schritt von Italien ausgehen. Aehnliche Vorschläge wie die obigen sind zwar schon mehr fach im Auslande zutage getreten; diesmal aber tst das Wichtige, daß sie von einem Römer ausgehen, der sie in einem vielleicht nicht so bald ivlederkehrenden, günstigen Augenblick der Oessent« lichkelt übergibt. aus der Provinz, die sich gegen die Bildung von Frak tionen in der Partei aussprechen und die Opposition gibt defäitistisch klein bei. .. . Trotzki blieb diesmal im Schatten. Er war klug genug und schwieg. Er selbst hat einmal Sinow jew einen Dummkopf genannt und wußte, daß dieser Le bemann mit dem Nerogesicht kein Führer sein konnte. . . Trotzki war es. auf den sich viele Augen richteten. Man weiß, daß er in der Armee Anhang hat, aber er selbst fürchtet diese Armee. Eine neue Prätorianer revolte würde sich in nächster Zukunft gegen ihre kommu nistischen Helden richten. Denn die Armee ist nicht mehr kommunistisch, sie ist nicht einmal politisch gefärbt. Ihr kommender Diktator wird die Galgen für die Bolsche wikenführer aufrichten. . . . Daher wagte es auch die Opposition nicht, an die Armee zu appellieren. Und ohne militärische Gewalt ist nichts zu machen. Die Arbeiter lassen sich nicht mehr auf die Barrikaden locken... Daher hat sich die Partei auch jetzt behauptet, well ihr die Poll- zei und die umgetaufte Tscheka treu blieben und die Armeeaufth.renMannwartet.den Trotzki auf die Dauer noch nickt stellen kann. DiearößteMaNe ist passiv. Unter der kommunistischen Walze murve geworden. Und nach dem großen Aderlaß der letzten Jahre kaum gewillt, wieder einmal das Kanonenfutter der Revolution zu liefern. DieMassefürchtetsich in st in kt mäßig vor einem neuen Um stürz. Sie verfolgt mit Interesse den Zersetzungspro zeß innerhalb der kommunistischen Partei und sie duldet die Zwangsherrschast, wie sie den Zarismus in den Jahren seiner Fäulnis ertrug. Aber, gerade aus dieser Fäulnis stammt der Frühling 1917, der Frühling der russischen Freiheit. Man muß ihn nur ab, warten können. In Rußland hat es ln den letzten Wochen keine Sen- sationen gegeben. Und trotzdem ist vieles sichtbar gewor den: 1. es gibt eine starke Opposition innerhalb der Partei; 2. die fanatischen Nachfolger Lenins werden allmählich politisch kaItgesteIlt: 3. die Brücke zwischen der bolschewistischen Regierung und der Dritten Internationale (Sinowjew) ist zusammen, gebrochen! 4. die Armee hat mit keiner GruppemitmachenwoNen. ja keine dieser Gr,in. ven traut der Armee.