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Nr 13 IS. Januar 1851 Deutschs Agcmcmc Zcitung «Wahrheit und Recht, Freiheit.und Gesetz!» Zu jbcziehen durch alle Postämter des In- und Au-landeS, sowie durch die Erpedilion in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Preil für das Viertel jahr 1'/, Lhlr.; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. Hnsertion«g«dühr für dcnRaum einerZeile 2 Ngr. Sonntag. Lie Zeitung «rstheint mit Ausnahme de- Montag» täglich und wird ' Nachmittags -1 Uhr aut- gegeben. D'Jsraeli über die gegenwärtige Krisis. — Leipzig, II. Jan. Unlängst ist in England eine Schrift erschienen, welche sowol wegen des Namens ihres Verfassers D'Jsraeli (eines Haupt wortführers der englischen Protectionistenpartei und Schatzkanzlers im letzten Toryministerium) als deswegen Aufmerksamkeit verdient, weil hier ein «nglischer Staatsmann sich über die muthmaßlichen Folgen der orientalischen Krisis für den innern politischen Zustand Europas und über die Rolle aus spricht, welche England in dem ausgebrochenen Conflicte nehmen solle. D'Jsraeli trennt sich in dieser Frage entschieden von seinen bisherigen Parteigenossen, den Tories; er „übcrfeuerbrandet" sogar Lord Palmerston, indem er offen die Propaganda der Freiheit — der constitutioncllen Frei heit, als die Pflicht und den Beruf Englands verkündigt. Was man auch von seinen Anschauungen der festländischen Zustände halten möge: jedenfalls ist es wichtig, die Ansichten eines Mannes über die in ihren Verwickelungen so weitauSsehcnde orientalische Frage kennen zu lernen, welcher möglicher weise noch berufen sein kann, an der Lösung dieser Frage einen sehr maß- gebenden Antheil zu haben. Folgendes ist der Kern dieser Ansichten D'Jsraeli's. „Wenn das Gleichgewicht der Mächte", sagt er, „wenn un sere ostindischen Besitzungen, wenn der Constitutionalismus wirklich in Ge fahr sind, was haben wir zu thun? Wir antworten in der unzweideutigsten Sprache: daß wir um keinen Preis den Unglückstag aufzuschieben uns be mühen dürfen. Mag der Krieg zwischen Rußland und der Türkei seinen Lauf haben! Er darf nicht von außen aufgehalten werden. Kein thörichter Schrei um das Vergießen menschlichen Blutes darf euch für einen ein zigen Augenblick schwankend machen. Der Sturmwind ist weit besser als hie Pest und wird weit schneller vorübergehen. Wir wünschen weder den einen, noch die andere; aber eins von Beiden müssen wir haben. Man sagt uns, daß Rußland in dem Conflicte von Oesterreich, vielleicht von Preußen und all den andern Regierungen unterstützt werden würde, die im Bereiche seiner Macht sind und der Frage nahestehen. Wohl, sei es so; wir haben alles Das in Betracht gezogen, und doch sehen wir keinen bessern Weg, als den Krieg ausrasen zu lassen. Gibt es einen Leser, der nicht wüßte, daß, wenn die österreichische und die preußische Negierung etwas bedeuten, ihre respectiven Völker auch etwas und zwar ganz Entgegengesetztes bedeuten? Ein Morgenblatt, auf das wir uns schon bezogen (derMorningHerald), hat nur zu deutliche Winke gegeben, daß ohne den Einfluß, welchen Rußland auf den Geist Derer übt, die des Druckes müde sind, dieselben rasch die Gelegenheit, auf die sic solange gewartet, ergreifen und mit allen Vortheilen früherer Erfahrungen die traurigen und elenden Scenen von 1848 und 1849 erneuern würden. Und es hat unzweifelhaft Recht. Diese warten nur auf die schickliche Zeit und fragen: welche in solchem Kampfe möglicherweise ihre Freunde sein wür den. Der Nimbus Englands im 17. Jahrhundert würde sie veranlassen, emf uns zu sehen, wenn nicht um directe Hülse, so doch wenigstens um einen ermuthigenden Blick und ein freundliches «Glück auf!» Allein zwi schen den Heroen der genannten Periode und den Männern von heute liegt eine dunkle Zwischenzeit in der politischen, militärischen und maritimen Ge schichte unsers LandeS. Alle liberalen Geister des Continents haben sich ge lohnt, auf jene Zwischenzeit wie auf eine Kluft zwischen ihnen und Eng land zu sehen. Aber wir werden diese Kluft aussüllen oder, wenn dies un möglich, eine Brücke darüber aufrichten und unter dieser Brücke für immer die Misgeschicke der Vergangenheit begraben. Dabei gilt kein Schwanken und Zaudern. Geben wir zu, daß wir einen großen Antheil daran haben, daß der Eifer der Freunde der Freiheit gedämpft, der Eifer der Zar feinde auf dem Continente! Wir haben es gethan, aber es soll nim- mer wiedergelhan werden. Mag unsere gegenwärtige Regierung bedenken, daß die Nationen gar sehr in der Lage sind, die Canning in seiner be rühmten Rede am 12. Dec. 1826 zeichnete, und daß diese Lage uns mit ^iner gewaltigen Macht bekleidet: einer Macht, die England anwcndcn kann, sobald es dazu Neigung hat. Jetzt rathen wir unserer Regierung, Das «vahrzunehmen, was Canning verdeckt andeutete: den Nationen zu sagen, daß wir ihnen wenigstens ein «Glück auf!» zurufcn würden in allen Ver- süchcn, die sie machen könnten, um manche Fesseln loszuwerdcn. Ist dies geschehen, so mag England seine Schiffe vom Bosporus zurückrufen, seine Soldaten mögen ruhig in ihren Belten schlafen: sie werden nicht nö- thig haben, einen Schuß zu thun. Die Nation mag ruhig dasitzen und der Emancipation der Welt zuschauen. Rußland, ausreichend mit den Türken beschäftigt, würde mehr als überwältigt sein, wenn Polen und seine andern Länder sich erhöben; Oesterreich könnte nicht unmöglicherweise mit seinen Ungarn beschäftigt sein. Dann dürften die italienischen Völker eine gewisse Mannhaftigkeit behaupten wollen, und das Land der «Musen, Historiker und Heroen», frei an seiner Stelle unter den Nationen sich erhebend, könnte manches Schwert entblößen, das sonst in nicht guter Absicht zur Donau getragen werden würde. Wir, die freien Unterthanen der britischen Krone, sind berufen zu einer feierlichen Pflicht. Wir sitzen wie die Jury zu Gericht, von der die große Frage abhängt, die jetzt schwebt zwischen den Herrschern Europas und den von ihnen beherrschten Völkern. Laßt uns besonnen und fest sein. Solch eine Haltung, in rechtem, gutem Ernste an genommen, wird alle Feinde des Menschengeschlechts in Furcht halten. Und dann, wenn wir so gehandelt haben, komme was mag: wir haben nichts zu fürchten. Laßt den Krieg ausbrechen: wir sind in Sicherheit und wir werden die Welt sichern. Der nordische Herrscher, dessen Ucberhebungen jetzt den Aergcr Vieler erregen, würde aufgchalten werden in seiner Lauf bahn; seinen Absichten auf den Frieden und die Freiheit der Welt könnte ein Halt! geboten werden; die Gedrängten würden versuchen sich zu erheben aus dem Staube und würden die göttliche Macht segnen, welche dann den Sinn der Sterblichen gehemmt hätte, um ihre Gme und Gnade zu ent falten; Institutionen vom höchsten Werthe würden dann mit der Aufmerk samkeit behandelt werden, welche die veränderten Zustände der Zeiten mit sich brächten; sociale Rechte, besser verstanden und überall gesichert durch constituiionclles Gesetz, würden, in der ganzen civilisirtcn Welt eingeführt, die Wiederkehr solcher Aengste und Nöthen unmöglich machen, wie sie jetzt die Ruhe der Nationen stören. Und unter der langersehnten Herrschaft von Regicrungsprincipien und Gesetzen, welche Gott ehren und den Menschen Segen bringen, würde bas menschliche Geschlecht vorschreiten zu dem glor reichen Ende der Dinge, da allgemeine Eintracht das Kennzeichen des Zu sammenlebens von Menschen ist." Was eigentlich England thun solle, er fährt man freilich aus der ganzen Broschüre D'Jsraeli's nicht, sondern nur was er wünscht, daß Andere thun möchten, damit England „ruhig und in Sicherheit" dasitzen und dem Kampfe zuschauen könne. Nichtsdestoweni ger liegen in den Aeußerungen des englischen Staatsmannes in Bezug auf die continentalcn Zustände manche wichtige Mahnungen, von denen wir wohl wünschten, daß sie an der rechten Stelle beherzigt würden, damit un serm Welttheil der Friede und den Völkern jener Zustand von Zufrieden heit und Wohlergehen gesichert werde, welcher das Ziel jeder weisen Regie rung sein muß. D eutschls»«-. Frankfurt a. M., 12. Jan. In der 34. Bundestagssltzung vom 22. Dec. v. I. ist in der lippeschen Verfassungsangelegen heit Ausschußbericht erstattet worden, dessen Schlußantrag dahin geht: Hohe Bundesversammlung wolle beschließen: I) Daß die Beschwerde der Aus- schußdeputirten des Furstenthums Lippe wegen einseitiger Aufhebung der Verordnung vom 16. Jan. 1819 über die Wahl der Landtagsabgeordneten und derjenigen von demselben Lage über die Zusammensetzung des Landtags und die Ausübung der ständischen Rechte, soweit letztere die Zusammensetzung des Landtags und den Ab stimmungsmodus betreffen, als unbegründet zu verwerfen, im Uebrigen aber die fürstlich lippeschc Regierung zu veranlassen sei, den nach Maßgabe der Verfassung vom 6. Juli 1836 einzuberufcnden Ständen, zur nähern gesetzlichen Bestimmung des den Landständen verwilligten entscheidenden Stimmrechts in Gesetzgebungssachen und der ihnen in Finanzangelegenheiten zuerkannten Rechte, die erfoderlichen Ge setzentwürfe vorlegen zu lassen. 2) Den Ausschußdeputirte» des Fürstenthums Lippe, in Erledigung ihrer Beschwcrdeschrift und der dazu nachträglich übergebenen An träge, hiervon Nachricht zu geben. — Die Grafen von Erbach-Schönberg, Erbach-Fürstenau und Erbach-Erbach haben an den Bundestag das Gefach gerichtet, derselbe möge sich dahin aussprechen: daß die großherzoglich hessische Staatsre gierung verpflichtet sei, ihnen und den von ihnen und ihren Vorfahren herrührenden milden Stiftungen den durch Art. 11, S. 12, des Gesetzes vom 7. Aug. 1848 zugefügten Schaden zu ersetzen. Sie beantragen, daß die ihnen aus der Herabsetzung der Ablösungsgelder erwachsenen Verluste aus Staatsmitteln bezahlt und die entzogene Staalsrente vergütet werde. Preußen. /X Berlin, 13. Jan. Nach einer gestern hier cinge- gangencn Nachricht ist durch einen Kurier aus Triest die Meldung gemacht worden, daß am 3. Jan, die vereinigte französisch-englische Flotte in das Schwarze Meer eingelaufen ist. Die von den Vertretern der Groß mächte in Konstantinopel getroffenen Vereinbarungen sind nach Wien expedirt worden, um in der dort tagenden Confcrenz formulirt und sodann nach Petersburg gesendet zu werden. Es stimmt mit dieser Arbeit die an den Kaiser von Rußland gerichtete Vorfrage: „ob derselbe gegen ein allge meines europäisches Protectorat über die Christen in der Türkei etwas ein zuwenden habe?" insofern völlig überein, als cs sich wesentlich darum han delt, dem Kaiser in diesem höchst kritischen Momente die Zustimmung zu den gemeinsamen Beschlüssen der vier Großmächte möglichst zu erleichtern und demgemäß auch die Form der ihm vorzulegenden Vorschläge von vorn herein annehmbar zu fassen. Es darf ohne Wagniß angenommen werden, daß die europäischen Mächte über die Grenze derjenigen Concessionen nun mehr einig sind, welche sie im Interesse des gemeinsamen Zwecks: Erhal tung des europäischen Friedens und folgerecht der Integrität der Psorte,