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WöchenlU» erla>«ln«n drei Nunimkr». Prinumeraliont- Pni» 22 i Sgr. (j Thlr.) »ttrttljskrli», Z Thlr. lür ds» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prünumcrirt auf diese» Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Alla. Pr. Siaaie-Zeitung (Zriedrichtstr. Nr. 72); in der Provinz so wie in> Ausland« bei den Wohllöbl. Poft < Aemtern. Literatur des Auslandes. 17 Berlin, Freitag den 7. Februar 1840 WH Frankreich. Das phantastische Drama. Von George Sand. II. Byron's Manfred. Absichtlich Hoche ich es unterlassen, neben Goethe auch Schiller's zu gedenken. Dieses beständige Dergleichen Beider, die eifrige Par teilichkeit für den Einen oder den Anderen, die Rivalität, die man zwischen zwei großen durch Freundschaft verbundenen Herzen aufzu stellen sich bemüht hat, sagen mir gar nicht zu. Ich kann mich nicht entschließen, durch eine unzarte Zergliederung die Majestät dieser ehr würdigen Manen zu trüben, die sich jetzt im Schoße Gottes fest um schlungen halten, nachdem sie schon oft hier auf Erden ihre Meinungs verschiedenheit im Austausch edler Sympathie vergessen hatten. Auch ich fühle, von einem bedeutenden Gesichtspunkte aus betrachtet, mein Herz lebhafter zu Schiller hingezogen; soll ich aber, weil die Be schaffenheit seines Genius dem Verlange» meiner Seele mehr ent spricht, deshalb der Größe Goethe's und seiner ruhigen, patriarcha lischen HcrzenSgüte nicht gedenken, an welcher mich kein Urtheil irre machen wird, das verletzte Eitelkeit oder eifersüchtige Mittelmäßig keit fällte. Er mochte eitel, er durfte stolz sevu, dieser vom Himmel so begünstigte Mann! Ganz besonders mußte er groben Schmeich lern und niedrig denkenden Neidern so erscheinen; und welcher Ruhm gekrönte kann dem Staube ausweichen, den sein Siegeswagen aus dem Wege aufrührt? Goethe aber liebte seinen Freund Schiller, diesen von ihm so ganz verschiedenen Genius. Er liebte ihn innig, zart und väterlich, er duldete die Ungleichheiten seiner Gemüthsstim- mnng, beschwichtigte die Stürme seiner Seele, er erkannte, würdigte und achtete die ausgezeichneten Schätze seines Herzens. O Goethe! ich liebe Dich um dieser Freundschaft willen, deren vielleicht ost schwere Pflichten wenigstens Eine Religion in Deinem stolzen Leben waren. Ich kann Dich wegen des fehlenden Ideals nicht hassen, daS Deinen gewaltigen Genius über die Gränzen hinaus erhoben hätte, welche die göttliche Weisheit dem menschlichen Fortschritt setzte. Diese Weisheit wollte das nicht gestatten. Aber sic hat Dir außer dem noch immer zu viel gegeben, als daß unsere Sehnsucht nach der Zukunft und unser Durst nach Religion berechtigt wären, Dir Deine Kronen abzustrelten. Wir sind viel zu wenig mit den gebeimniß- vollcn Absichten der Vorsehung vertraut, um zu wissen, von welcher Wichtigkeit einst solche reine Verstandes-Werke scyn werden, die uns jetzt frivol erscheinen, weil wir von dringenderen moralischen und religiösen Bedürfnissen ganz eingenommen sind. ES wird ohne Zweifel eine Zeit kommen, wo alle Anstrengungen des menschlichen Geistes ihre Anwendung, ihren nothwendige» Zweck finden werden. Nichts ist unnütz, nichts wird in diesem großen Laboratorium ver loren gehen, wo die Menschheit langsam und mit Ordnung das ver schiedenartigste Material für das große Werk einer allgemeinen Wiedergeburt aufhäuft. Schon hat uns eine philosophischere Wür digung per Geschichte gezeigt, daß kein großer Geist nachtheilig auf den Fortschritt der Menschheit einwirkte, sondern daß alle im Gc- genthcil njehr oder weniger direkte Werkzeuge waren, welche die Vorsehung iur Förderung dieses Fortschrittes erweckte, selbst die, welche im Verhältniß zu ihren Zeitgenossen und zu ihren eigenen 3deen über de» Fortschritt in einem widerstrebenden Sinne zu han deln schienen; was auf die Staatsmänner der Vergangenheit anwend bar ist, kann auch auf pjp Philosophen und folglich auf die Dichter und Kunstler bezogen werden. Die Zrrthümcr und die Verblendung großer Geister m den strengen Wissenschaften haben nicht einmal dem Fortschritt der snentifischcn Wahrheit geschadet. Indem diese Jrr- thümcr den Schwung des menschlichen Geistes nach gewissen Gesichts punkten hin beschrankten oder aufhielten, trieben sic ihn unwidersteh lich nach anderen bis dahin vernachlässigten Richtungen, wo unver hoffte Entdeckungen seiner harrten. Ucberlaffcn wir darum der Nachwelt die Sorge, unseren großen Zeitgenossen ihren wahren Platz anzuweisen. Hüten wir uns, die beschränkten Urtheile und thorichtcn Proscriptioncn des Katholizismus nachzuahmen, indem wir diejenigen großen Männer aus den Hallen unseres neuen Tempels verbannen, deren Lehrsätze nicht mit unserer idealistischen Rechtgläubigkcit übereinstimmen. Betrachten wir mit Ehrfurcht diese erlauchten Häupter, die uns eine Wolke och halb verbirgt. Bewahren wir unteren Glauben und scycn wir auf unse rer Hut vor Allem, was ihn zerstören könnte; die glänzenden Ver führungen des Genie's dürfen uns nicht irre leiten, nicht von dem Wege ablenken, auf welchem wir wandeln sollen; unsere noch so neue Strenge muß aber auch nicht frecher Weise jene erhabenen Geister angreifen, die ohne bestimmte Prinzipienformcln doch dazu beitrugen, daß wir die Vollkommenheit lieben, wünschen und aussuchcn lernten. Eine schöne Kunstform ist auch eine Wohlthat für unseren Geist. Sie bildet unser Urtheil, sie läutert und veredelt unseren Geschmack, sie adelt unsere Sitten und belebt unsere Gefühle. Nur gemeine und niedrige Organisationen werden durch materiellen Reichthum verdor ben; eine edle Seele weiß auch davon einen edlen Gebrauch zu machen. Verarmt etwa durch die geistigen Reichthümer der Geist, dessen Nahrung sie sind? Nein, sicherlich nicht, und in diesem Sinne hat uns Goethe ein kostbares Acrmächtniß hinterlassen. Welches nun auch der Gedanke des Erblassers gewesen scyn mag, empfangen wir die Wohlthat mit Erkenntlichkeit und bemühen wir uns, Vortheil daraus zu ziehen. Wenn diese Art, zu fühlen und zu denken, die richtige ist, so kann sic noch besser auf Byron als auf Goethe, auf Manfred noch mehr als auf Faust angcwendct wcrvcn. In diesem Gedichte, dem Nachfolger des ersteren, erblicken wir sogleich einen noch unglück licheren, noch strafbareren, noch verdammteren Menschen als Faust. In historischer Beziehung ist es derselbe Mensch wie Faust; cs ist nur der von dem verhaßten Geleit des Mephistopheles bcsrcitc Faust, der ganzen Hölle widerstehend, Besieger der Sinne, Besieger der eitlen Wißbegier, dcS eitlen Ruhmes und der glühenden Leidenschaften. Psychologisch ist cs nicht mchr derselbe, sondern ein neuer Mensch, denn cs ist der verwandelte Faust, der alle Qualen cincS regen Le bens empfunden hat, Faust, ein Mörder wider Willen und darüber in Verzweiflung, Faust, der Witwer Margarethens, aller Hoffnung und alles Trostes bar. Seine Seele zerreißen nicht mchr Ucbcrdruß und Unruhe, sondern Gewissensbisse und Verzweiflung. Er ist in eine neue Phase seines schrecklichen DasepnS eingetretcn. Der unse lige Dunstkreis, der ihn umgab, hat seine Natur geändert, und so hat auch sein Wese» sich ganz umaewandclt. Nicht mehr reizt ibn der Spötter Mephisto durch seine Witzeleien und berauscht ihn durch Wollust, um ihn zu zwingen, nach dem Gesetze des Zufalls zu leben: eS ist die ganze Legion der Finstcrniß, alle Teufel Ahrimans, es ist der Fürst der Dämyneu in eigener Person, welcher mit Nemesis und allen Schrecken dcs Schicksals kömmt, um einen Kampf auf Leben und Tod zu beginnen, aus welchem Faust-Manfred als Sieger hcr- vorgehcn wird, und doch werden Qualen, schrecklicher als alle vor- hergcgaiigcnen, sein Sterbelager umgeben. In dieser neuen Phase, die man Faust'S Buße nennen könnte, hat der große Verbrecher, der erhabene Verdammte freilich nicht mchr die Martern eines unersätt lichen Geistes zu dulden, der Geist hat auf seinem kühnen Fluge an dem Tage eingehakten, wo das Herz brach. Aber aus dieser Zer rissenheit eines Herzens, welches sich m Faust gar nicht regte, schöpft Manfred erhöhtes Leben, das ganz Schmerz und Reue, eine immer, währende, unaussprechliche, unerhörte Buße ist. Dieser neue Faust ist weit lcbenSfrischcr, mehr unserem Gefühl verwandt und Mensch in einer edleren Bedeutung als der erstere. Bei ihm stoße» wir nicht mchr auf die Widersprüche, die uns bei Faust mit Staunen und Zweifel erfüllen. DaS Gcheimniß, welches sein vergangenes Leben einhüllt, bezieht sich nur aus Begebenheiten, die wir nicht zu ergründen brauchen. Seine Geschichte ist uns unbekannt, aber sein Herz ist entschleiert. Dieses Herz liegt offen und blutend vor uns da; eS leidet, und wir verstehen cs, denn dcr Schmerz ist unser aller Theil, und wir brauchen gar nicht selbst ein Verbrechen verübt oder veran laßt zu haben, um zu begreifen, was eS heißt, ewig weinen und ohne Hülfe leiden. Manfred ist also ein weit höherer Mensch als Faust. Wie dieser, tst er von lyrischer Begeisterung für die Schönheiten der Schöpfung beseelt; aber er fühlt anders, er vergöttert anders als Spinoza und Goethe; er verkörpert nicht den göttlichen Gedanken, sondern er ver geistigt im Gcgcnthcil die materielle Schöpfung. Auch cr kennt „seine Brüder, im stillen Dusch, in Luft und Wasser", doch cruiedrigt er sich nicht zum Niveau der Materie, er schwürt nicht die Unstcrb- lichkeit seines Gedankens ab, um mit den rohcn Elementen des physi schen Lebens in verzweifllmgSvollcr Resignation sich zu verbrüdern. Manfred im Gegenthcil haucht nach Art der Pythagoräer de» stum men Schönheiten dev Natur rin göttliches Leben ein oder schreibt ihnen eine Intelligenz zu, welche der des Menschen überlegen ist. Er ruft die Feen im reinen Weiß des Schnees oder im strablcndeu