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Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg Md Brand. 164 Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg. Erschein! jeden Wochentag Nachmitt. Uhrsürdcn andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Psg-, > zweimonatlich 1 M. bv Ps. und einmonatlich 7b Ps. 42. Jahrgang. Mittwoch, den 17. Juli. Inserate werden bis Vormittag 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis sür die gespaltene geile oder deren Raum 1b Psg. 188S. Das belgische Arbeiterwohnungs-Gesetz. Der schlimmste Vorwurf, den man bisher dem klerikalen belgischen Ministerium Beernaert machte, war die Unterlassung jedes Schrittes zur Verbesserung der Lage der zahlreichen Arbeiterbevölkerung des so industriereichen Landes. Die wieder holten Arbeiterunruhen in Belgien, bei welchen ein tiefes soziales Elend grell zu Tage trat, vermochten nicht das mit so großen Verheißungen ins Amt getretene Ministerium aus seiner Unthätigkeit auf dem Gebiete der sozialen Reformen herauszubringen. Der sich bei der Wahl Paul Jansons kund gebende Wechsel in der Stimmung der Wähler und die Furcht vor weiteren Wahlniederlagen veranlaßten die belgische Regie rung, endlich einmal einen Versuch zu einer grundlegen den Besserung des Nothstandes der arbeitenden Bevölkerung zu unternehmen. Dem von dem Ministerium Beernaert der belgischen Repräsentantenkammer vor einigen Tagen vorgelegten Gesetzentwurf sür Herstellung gesunder, freundlicher und billiger Arbeiterwohnungen ist eine Begründung beigegeben, in welcher sehr richtig bemerkt wird, daß der Arbeiter für jede Art der sozialen Reformen unempfänglich bleibt, so lange das ihn physisch und moralisch zu Grunde richtende Wohnungselend nicht beseitigt wird. Die Wvhnungsverhältnisse der Arbeiter inBelgien lassen mit wenigen rühmlichen Ausnahmen, welchedurch privates Vorgehen einiger großer Jndustriegesellschaften bewirkt wurden, sehr viel oder Alles zu wünschen übrig. Mangel an Raum, Lust, Licht und trinkbarem Wasser ist eine stetig sich wiederholende Eigenthümlichkeit der belgischen Arbeiterwvhnung. Erst kürzlich noch hat das liberale Blatt „Reforme" in einer Reihe von eingehenden Berichten das furchtbare Elend enthüllt, welches in Folge dieses Abbruches an den Hauptlebensbedingungen in den Arbeiterfamilien herrscht. Unsauberkeit, Krankheit, Un sittlichkeit und Verbrechen haben in diesen Höhlen sich eingenistet, welche fälschlicher Weise als „Wohnungen" bezeichnet werden. Hierin Wandel zu schaffen, würde allerdings ein sehr verdienst- uches Werk und kein übler Anfang für weitere soziale Re formen sein. Leider geht aber die neue belgische Regierungs vorlage über den Begriff eines Versuches nicht hinaus und kann die Vorlage zunächst nur als Bekundung des guten Willens, nicht aber als der thatsächliche Beginn einer großen sozial reformatorischen Aktion gelten, für welche sie ihre Urheber gern ausgeben möchten. Die in Belgien bei den Wohnungsverhältnissen Verarbeiten den Bevölkerung herrschenden bedeutenden Uebelstände sucht das erwähnte Gesetz durch folgende Hauptbestimmungen zu besei tigen: „Es werden in den einzelnen Gemeinden sogenannte „MronaAks", das sind aus 5 bis 18 Personen bestehende Schutz vereine gebildet, welchen sowohl die gesundheitspolizeiliche Auf sicht über die Arbeiterwohnungen als auch die erforderliche Voll macht behufs Niederlegung gesundheitsschädlicher und Her stellung neuer und gesunder Wohnhäuser übertragen wird. Die Schutzvereine, deren Mitglieder von der Regierung ernannt werden, sollen in ihrer Thätigkeit von den Gemeindeverwal tungen vollständig unabhängig sein. Die zum Aufbau neuer Wohnungen erforderlichen Kapitalien werden von den öffent lichen Sparkassen den Schutzvereinen vorgestreckt. Dem Arbeiter wird es ermöglicht, vermittelst jährlicher Abzahlungen innerhalb einer gewissen Frist (vielleicht 20 Jahre) selbst Hauseigen thümer zu werden. Sämmtliche neuerbauten Arbeiterwohnungen sollen von jeglicher Grundsteuer befreit sein." Aus diesen aller dings etwas mageren Bestimmungen geht deutlich hervor, daß der belgischen Regierung die Mittel zur Herstellung einer genügenden Zahl neuer Arbeiterwohnungen sehlen und solche von den belgischen Sparkassen beschafft werden sollen, trotzdem sich diese bisher den kleinen ländlichen Grundbesitzern Belgiens gegenüber nicht gerade sehr leistungsfähig erwiesen haben. In der Begründung dieses Gesetzentwurfes giebt die belgische Regierung selbst zu, daß die staatlich gewährte Unterstützung zur Erreichung des Zweckes, der Linderung des Wohnungselends, keineswegs hinreiche, daß vielmehr die Hauptsache nach wie vor der Privatwohlthätigkeit überlassen bleiben werde. Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, wenn der neue Gesetzentwurf trotz seiner löblichen Tendenz in der belgischen Kammer selbst bei der klerikalen Regie rungspartei geringe Begeisterung erweckte und durch die Unzuläng lichkeit seiner Bestimmungen aus entschiedenen Widerspruch bei der liberalen Opposition stieß. Mit Recht bezweifelte der liberale Führer Janson, daß die Privatwohlthätigkeit, welche bisher so wenig zur Verbesserung der Arbeiterwohnungen beigetragen habe, nun auf einmal Größeres leisten werde. Deshalb empfahl Paul Janson, den Hospitälern und Wohlthätigkeits-Gesellschaften, welche in Belgien zusammen nicht weniger als 110 000 Hektar Grund besitz haben, die Verpflichtung aufzuerlegen, Arbeiterwohnungen zu bauen. Die aus den letzteren erzielten Miethzinfen könnten für Arme und Kranke verwendet werden, wodurch der Absicht oer Stifter Genüge geleistet würde. Von dem Ministerium Beernaert wird aber dieser Vorschlag als ein gewaltthätiger Eingriff in das Eigenthumsrecht angesehen und als ein neuer Beweis für die sozialistische Gesinnung Jansons hingestellt. Gegen die von der belgischen Regierung in's Auge gefaßte Einrichtung der Schutzvereine sind ebenfalls vielfache Bedenken aufgetaucht. Der klerikale Abgeordnete Woeste meinte, daß beständige Reibereien nur dann vermeidlich seien, wenn diese Vereine nicht unabhängig vonder Gemeindeverwaltung, sondern gezwungen sein würden, mit derselben Hand in Hand zu gehen. Woeste verlangte deshalb die Vertretung des Gemeinderatbs im Schutzverein durch mehrere Mitglieder und daß die Hand habung der Gesundheitspolizei ausschließlich der Gemeindever waltung überlassen werde. Die Linke der belgischen Kammer bekämpfte die von der Regierung vorgeschlagene Einrichtung der Schutzvereine, weil sie befürchtete, daß dieselben sich in dieser Fassung als gefügige Werkzeuge bei künftigen Wahlen erweisen würden. Die Radikalen wollen, daß außer einem Arzte, einem Architekten und einem Juristen auch noch einer Anzahl von Arbeitern Sitz und Stimme in den Schutzvereinen eingeräumt werde; auf dem Lande dürste ihrer Meinung nach den Ausschüssen die Gesundheitspolizei übertragen werden, keinesfalls aber in den Städten, wo bereits eine eigene Behörde hierfür eingesetzt ist. Großen Ruhm wird das Kabinet Beernaert also keinesfalls mit dem Gesetzentwurf ernten, der in einen viel zu engen und dürftigen Rahmen gepreßt ist und sich viel zu sehr auf das Eingreifen der Privatwohlthätigkeit ver läßt. Dem belgischen Ministerium, das dem Lande noch die oft verheißene Arbeitergesetzgebung schuldet, kann die Vorlage über die Arbeiterwohnungen kaum als eine vollgiltige Abzahlung angerechnet Werden.- Trotzdem liegt in dem unzulänglichen Gesetzentwurf ein ge sunder Kern, der auch für nichtbelgische Verhältnisse beachtens- werth erscheint. Auch anderswo sollte man oeherzigen, daß die segensreichsten Sozialreformen -erst dann ihre volle Wirksamkeit üben können, wenn das Wohnungselend thatkräftig gelindert wird, daß bei diesem Bestreven vor Allem nicht der Staat sondern die Gemeinden als Nächstbetheiligte mitzuwirkcn haben, daß ferner Sparkassen-und Stiftungs-Kapitalien für den Zweck der Erbauung von Arbeiterwohnungen herangezogen werden sollten. Die Kosten der Armenpflege und der Krankenhäuser lasten sich durch Herrichtung gesunderer Wohnungen für die arbeitende Bevölkerung wesentlich herabmindern; außerdem liegt es aber auch wesentlich im Interesse der Stadtgemeinden, zu Verhüten, daß die Arbeiter sich Wohnungen in den dörflichen Vororten suchen, durch die größere räumliche Entfernung oer Wohnung von ihrem Werkplatze an der Arbeitszeit verkürzt und ihren Familien entfremdet werden. Weder die Privat spekulation noch die Privatwohlthätigkeit werden die Erbauung passender Wohnungen für gering besoldete Beamte, kleine Hand werker und Arbeiter bewerkstelligen, während dies die Stadt gemeinden mit Hilfe einzelner von ihnen verwalteter Stif- tungskapitalien auf den ihnen gehörigen billigeren Parzellen sehr wohl ausführen und damit eine Rente erzielen könnten, die den jetzigen Zinsfuß der Hypotheken und Staatspapiere weit übersteigt. Tagesschau. Freiberg, den 16. Juli. Wie nachträglich bekannt wird, hat der deutsche Kaiser bei seiner Ankunft in Norwegen ein Begrüßungs-Telegramm des Königs Oskar erhalten und dasselbe sofort ausführlich beant wortet. Kaiser Wilhelm sprach sich mit größter Anerkennung über den schönen Empfang aus, der lhm bereitet worden, sowie über die trefflichen Maßnahmen mit Bezug auf seine Reise, welche schon vor seiner Ankunft getroffen worden seien. Gleich zeitig verbreitete sich der Kaiser über die großartige, schöne Natur des Landes, welche ihn völlig hingerissen habe. Aus Norwegen ist die Nachricht verbreitet worden, der Kaiser sei am 5. Jun, als er an's Land gegangen, um den großen Gletscher Bnarbrac zu sehen, von herabstürzenden Eismassen bedroht ge wesen. Daß dieser Meldung eine arge Uebertreibung zu Grunde lag, geht aus der folgenden Schilderung hervor, die einem an Bord oer „Hohenzollern" geschriebenen Reiseberichte an die „Köln. Ztg." entnommen ist: „Nachdem sich der Kaiser längere Zeit ganz dem Eindruck dieser gewaltigen Natur hingegeben hatte, wurde das Frühstück eingenommen, das in großen Körben von den wie Gemsen kletternden norwegischen Pferdchen hier heraufgeschafft worden war. Unter gegenseitigem Austausch der Eindrücke, die man empfangen, und bei manchem fröhlichen Scherz über den sonnigheißen Weg, den man zurückgelegt hatte, wurde der mitgebrachte Proviant aufgezehrt. Nun traten auch die freiwilligen Photographen, Maler Saltzmann und vr. Güß- feld, in ihr Recht. Letzterer hatte eben ein Gruppenbild aus genommen, als plötzlich ein gewaltiges Krachen erfolgte und vor den Augen des erstaunt aufspringenden Kaisers mit einem furchtbaren, donnerähnlichen Schlage das Eisthor des Gletschers zusammenstürzte. Die schweren Eismassen, die den Bogen des Thores gebildet, hatten sich losgelöst und waren dumpfdröhnend in den Bach gestürzt. Viele Zentner schwere Eisblöcke sprangen wie Bälle über Felsen und Geröll hinab oder wälzten sich in wuchtiger Schwere durch das strudelnde und hochaufschäumende Wasser. Alle Anwesenden standen wie gebannt vor diesem überwältigenden Schauspiel und schauten schweigend auf diesen imponirenden Ausbruch der elementaren Naturkräfte. Es ist aber solch ein Gletscher-Zusammensturz auch ein Bild, wie es nur wenigen Sterblichen vergönnt ist. Die wenigsten selbst der bekanntesten Bergbesteiger können nach dem Zeugniß des in diesen Sachen wohlerfahrenen vr. Güßfeld sich rühmen, einem solchen Einsturz beigewohnt zu haben. Dem ersten folgte bald ein zweiter Sturz von geringerer Bedeutung. Kurz nach 12 Uhr wurde der Rückmarsch angetreten, auf dem eine Zeit lang noch die rollenden Eisblöcke die Wanderer begleiteten, bis die Blöcke einer nach dem anderen an den Felsen zerschellten oder an den großen Steinen sich fest lagerten; kleine Eisstücke schwammen mit bis hinab zumÄe." — Am Sonntag den 14. d. M. früh gegen 6 Uhr langte der Kaiser in bestem Wohlsein und bei prachtvollem Wetter vor Tronthjem (Drontheim) an. Um 9'/? Uhr Vormittags hielt Se. Majestät Musterung der Schiffsmannschaft und um zehn Uhr perfönlich den Gottesdienst ab. Um 7 Uhr Abends begab sich der Kaiser ans Land, wo er von der Bevölkerung sympathisch begrüßt wurde. Se. Majestät besichtigte den Dom eingehend und nahm sodann den Thee beim Konsul Jenssen. Gestern Nachmittag gegen 1 Uhr nach Erledigung der Kouriersendung erfolgte die Weiterfahrt nach Bodö. Von dort wird die Fahrt nach Hammerfest und dem Nordkap gehen. — Der „Schl. Z." wurde aus Berlin über die Reisepläne des Fürsten Bismarck gemeldet: „Der Reichskanzler wird bis zum 10. August auf seiner Besitzung in Varzin verbleiben und von dort voraus sichtlich nach Berlin zurückkehren, um der Begegnung zwischen dem Kaiser von Oesterreich und Kaiser Wilhelm beizuwohnen. Alsdann will der Reichskanzler sich zum Kurgebrauch nach Kissingen begeben und später den üblichen Herbstaufenthalt in Friedrichsruhnehmen." — Bei dem Gewitter, welches sich am Sonnabend Nachmittag über Friedrichshafen entlud, schlug der Blitz in der Nähe des Königs von Württemberg ein. welcher sich auf der Veranda vor seinem Arbeitszimmer befand, König Karl blieb glücklicher Weise unversehrt. — Der Groß herzog und die Großherzogin von Baden verschoben ihre Abreise von Karlsruhe nach der Mainau, um den Verlauf der Erkrankung des Erbgroßherzogs abzu warten, der an katarrhalischer Erkältung mit Ent zündung der Luftröhre bei andauerndem Fieber leidet. Neber die gestern mitgetheilte Note des schweizerischen Bundesraths sagt die „National-Ztg.", daß nach dem Inhalt dieser Note der Zwiespalt der Ansichten und bezüglich der streitigen persönlichen, und sachlichen Fragen, d. h. also bezüglich der Wohlgemuth widerfahrenen Behandlung und der Auslegung des Art. 2 des Niederlastungsvertrages, noch derselbe sei, wie am ersten Tage. Andererseits zeige die Note, daß der schweizerische Bundesrath die ernsthafte Absicht habe, dieUeber- wachung der auf schweizer Gebiet weilenden gefährlichen Elemente ernsthafter zu nehmen als bisher. Daß die deutsche Regierung in diesem guten Willen noch kein Genüge erbliat, wird angesichts der Note recht begreiflich, denn gerade die Haltung, welche der schweizer Bundesrath in der persönlichen Seite der Frage beobachtet und in der Note wieder zum Aus druck gebracht hat, zeigt, daß er Wenüber den kantonalen Behörden nicht immer der stärkere Theil ist, und daß er sich auch gegenüber den radikal-demokratischen Bevölkerungselementen der Schweiz nicht stark genug fühlt, eine selbständige Austastung zu vertreten. In dieser Richtung scheint die wesentliche, aller dings nicht leicht zu nehmende Schwierigkeit zu liegen, welche einer endgiltigen Beilegung des Konflikts sich noch entgegen stellt. — Die „Kölnische Zeitung", welche die Anfeindungen des preußischen Ministers von Maybach in letzter Zeit beharr lich fortsetzte, bezeichnete neuerdings die vierte Wagenklasse als menschenunwürdig und als ein „soziales Verbrechen". Diese Angriffe des Kölner Blattes wurden anfänglich vielfach als offiziös betrachtet, und man wollte aus ihnen und aus ähnlichen Angriffen in den „Hamb. Nachr." auf den bevorstehenden Rücktritt des Herrn v. Maybach schließen. Neuerdings ist diese Ansicht gänzlich fallen gelassen worden, und führt man die Angriffe des rheinischen, wie des Hamburger Blattes auf die Unzufriedenheit rheinischer Fabrikanten und Hamburger Kauf herren mit den gegenwärtigen Eisenbahntarifen zurück — eine Ansicht, welche dadurch bestätigt zu werden scheint, daß die „Nordd. Allg. Ztg." wiederholt für Herrn v. Maybach energisch eingetreten ist und auch den oben erwähnten Vorwurf wegen der vierten Wagenklaste mit dem Bemerken abthut, daß dieselbe gerade auf den Privatbahnen im Westen eingeführt worden ist und daß die starke Benützung derselben den untrüglichen Be weis für das Bedürfniß erbracht habe. Die „N.A. Z." erklärt es auch für ungereimt, einen Nachfolger für Herrn v. Maybach zu verlangen, der in dem von ihm beherrschten Ressort unanfecht bare Beweise von Tüchtigkeit, Sachverständniß und Energie gab. — Die deutsche Expedition zur Erforschung der Meere, unter