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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961130020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896113002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896113002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-11
- Tag 1896-11-30
-
Monat
1896-11
-
Jahr
1896
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Reklamen unter dem Redactiousstrich (4ge- svalten) 50^, vor den Familiennachrichteic (6gespalten) 40^. Gröger« Schrislen laut uuserem Preis - Verzeichnis^. Tabellarischer und Zisiernlag nach höherem Tarif - —r—c-—- <ez,tra-Veil,tgk» (gesalzt«, nur mit Ser Morgen Ausgabe, ohne Posibeford.ru az .M 80-—, mit Posibeförderung .^l 70. —— Annahmelchluk für Anzeigen-. Abeud-Ausaabc: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen und stets an die hkrprdttton zu richten. — Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. Sv. Jahrgang: Amtlicher Theil. Versteigerung. Dienstag, Sen I. Tecember 1806, Vormittags 1t» Uhr sollen in den> Bersteigerungsraumc des Äönigl. Amtsgerichts hier PianinoS, 1 Musikautomat, 6 Bände Lparmer'S Welt geschichte, 1 Aktie Ser Dresdner tlhemischcn Vlcichcrei über >000 Mark, 600 Dtiick O'igarren, 1 kl. VcschiieiSrmaschiue, > LnlinScr-Trehmaschiue, 1 Baht maschine, 1 Thürschliefzcr Ur. 4, 1 Blcchjchcere, 1 Rund- und 1 Ltockscheere, I Feld- schmicde, 1 Petrolenmapparat, LaSentafclii, 1 visschrank, Regale, Ro»cr, 4 PserSe, 4 Wagen, 1000 Vilderrahmen, Kartons uns ffOO Lanipciiputzer-vartons, sowie eine Partie hcsscrc Monel u. v. a. meistbietend gegen Baarzahlung versteigert werben. Leipzig, am Ls. November 1896. Ter Otcrichtsvallzichcr beim König!. Amtsgerichte. Wachs, Actuar. Dlilische Tagesschau. * Leipzig, 30. November. Die zweite Lesung der Zusriznovelle im Reichstag ist am Sonnabend zu Ende gegangen, man könnte auch sagen: erloschen. Wenn in dritter Beratbung noch etwas zu Stande tommk, so wird hoffentlich kein Commentalor der neuen Ge- seyesbestinimungen den schlechten (Geschmack haben, auf in definiiiverAbstimmung geänderten Beschlüsse zweiter Lesung hin zuweisen, wie Las zur Erläuterung ter Entstehungsgeschichte eines Gesetzes sonst wohl geschieht. Tenn diese zweite Bcrathung war eine Farce, bei der man, okne das Gewicht der „Voten" berabznsetzen, an Stelle der Abstimmung cbcn'o gut den Würfelbecher hätte treten lassen tonnen. Der Abgeordnete v. Marquardsen Kat die zutreffende Kennzeichnung dieser Bcrathung des lkstllcr Reichstags der Geschichte überliefert, indem er am Freitag die Erklärung abgab, er habe zur Frage der Berufung, der wichtigsten des Entwurfs, daS Wort zu ergreifen unterlassen, weil er in dem „ebenso leeren wie hoben Hause" seine und der übrigen anwesenden Herren Zeit sparen zu sollen glaubte. Herr v. Marquardsen sah sich auch nur durch eine außerhalb der Materie liegende, jedoch in die Bcrathung bineingezerrte Frage zum Reden veranlaßt. Der konservative Adg. v. Buchka batte in Aussicht gestellt, daß daS Festhalten res Reichstages an der vollen Mündlichkeit in der Berufungsinstanz (bei den OberlanLcsgcrichten) neben dem Ent- ganz der Berufung gegen die Strafkammerurtkeilc überhaupt das Scheitern der Reform LeS bürgerlichen Strafverfahrens und damit das Nichterscheinen einer Vorlage über die Reform der Militairstrafproceßvrdnuiig zur Folge haben werde. Herr v. Buchka muß dabei bei der Regierung unlautere Ab sichten vorausgesetzt haben. Wenn vor zwei Zähren die Regierung, in der Annahme, daß Acndcrungen des bürger lichen Strafverfahrens bevorslehen, in der Angelegenheit LeS militairischen Verfahrens behufs Erzielung einer Uebereinstimmung beider Gesetze zuwarten zu wollen er- llärte, so war dies immerhin — ein wenn auch schwacher— Grund für die Verzögerung. Zöge sich die Regierung auf diesen Punkt zurück, nachdem die Reform für den bürgerlichen Slrasprocrß gescheitert wäre, so würde sie mit einem Vorwande Hauliren, der den Glauben an die Aufrichtigkeit einer freiwilligen Zusage des Reichskanzlers zerstören müßte. Abg. v. Marquardsen, wie übrigens vor ikm schon sein Fractionsgenoffe v. Cuny, war bei diesem Sachverbalt Vcr- tbeidiger der Ehre der Regierung, als er die Gedanken verbindung des Herrn von Buchka wieder auflösle. Dieser war allerdings nicht der Erste außerhalb des Kreises der Regierungen, der die Angelegenheiten der bürgerlichen und der Militairstrafproceßordnung verquickte. Der „Hannov. Cour." ist ibm darin zuvorgekommen, indem er der Be fürchtung Ausdruck gab, die nationalliberale Fraktion könnte, weil ein Tbeil ihrer Mitglieder gegen die Be seitigung des Zeugnißzwanges in der Presse gestimmt habe, bei der Bcrathung einer Militairstrafproceßordnung der Regierung zu viel „opportunistisches Entgegenkommen" zeigen. Es ist dem entgcgenzuhalten, daß die national liberalen Abgeordneten, die für die Beibehaltung LeS Zeugniß zwanges eingetreten sind, erklärtermaßen gemäß ihrer Rechts überzeugung nnd nicht im Interesse des Zustandekommens der Oustiznovelle gehandelt haben. Dieser Umstand entzieht der Auffassung des hannoverschen Blattes, die ihm Besorg nisse wegen der Militairstrafproceßordnung einflößte, den Boden. Das letzte Auftreten Les Abgeordneten v. Mar- quardscn wird dagegen die Gesinnungsgenossen in Hannover, die sich dem „Hann. Cour." anschließen zu sollen geglaubt haben, über das Ueberflüssigc ihres Schrittes aufgeklärt haben. An der Seite der Socialtcmokratie und deS Herrn Hauß mann wird man die nationalliberale Fraction allerdings auch bei der Beratbung der Militairstrafprvceßortnung nicht finden, denn sie will ein Len Anforderungen der Zeit ent sprechendes Strafverfahren im Heere und nicht die Con- servirung eines radikalen Agilationöstoffes. Was die Zustiznovclle angeht, so wagt nian in parlamentarischen Kreisen auch nicht die leiseste Vermuthung über ihr Schicksal iu dritter Beratbung. „Springt das Centrum über den Stock"? — die vornehme Wendung stammt aus den siebziger Jabrcn, wo die Nationalliberalen wegen des Zeugnißzwanges gegen die Presse nicht die gesammlen, die deutsche Reckts- eiuheit begründenden Zustizgesetze hatten zum Scheitern kommen lassen. — Oder hält das Centrum es für profitabler, „unentwegt" zu bleiben, richtiger: eö wieder zu werten, denn in der Commission war cs vielfach, um aber mals in seiner Sprache zu reden, „umgefallen"? Kommt nichts zu Stande, io wird man die Verzögerung der Wieder einführung der Berufung und noch mehr der Zuerkennung von Rechtsansprüchen an unschuldig Verurtbeiltc zu beklagen haben, politisch wäre aber Las negative Ergebniß als ein nicht umzukeutelndeS Zeugniß der Unfähigkeit dieses Reichs tages auf das nationale Gewinnconto zu schreiben. Was mit der Organisation des Handwerks werden wird, läßt sich nach den Mittbellungen der „Post", die wir in unserer Abendausgabe vom Sonnabend wörtlich wiedergegeben haben und die seitdem von anderer Seite in allen wesent lichen Punkten bestätigt worden sind, nicht ermessen. Was nicht an den Reichstag gelangen wird, entnimmt man diesen Mittbeilungen aber mit Sicherheit: der Berlepsch'schc Entwurf. Wir werden durch diese Wendung nicht überrascht, denn wir wußten, wie schwerwiegende Bedenken besonders die süddeutschen Regierungen gegen Len Entwurf hegten. Diese Regierungen durften der Vorlage nicht zustimmen, denn es hätte geradezu gegen die Moral verstoßen, wenn sie über ihre Bedenken sich hinweggesetzt hätten, um dem Hand werk fühlbar zu machen, was ein Theil seiner Vertreter verlangt. Daß die von Herrn v. Berlepsch abweicbendcn Regierungen über die Mehrheit der Stimmen im BunteSrathe verfügen, ist gleichfalls nicht neu. Sind nun aber begreiflicherweise die Parteien im Re'ckStage, die gleich der Mehrheit des BunveS- ratbes dem Berlepsch'schen Entwürfe schwere Bedenken ent- gegeiibrachteu, von seinem Fallen befriedigt, so kann die Art, wie die Frage der Organisation LeS Handwerks seit vier Zähren einer gesetzlichen Lösung entgegengeführt worden ist, die überzeugtesten „Zünftler" nicht mit tieferem Mißbehagen erfüllen, als die besonnenen Gegner der Zwangsinnung. Bei einem immerhin nicht unbeträchtlichen und politisch wichtigen Theile der Bevölkerung sind — erst Lurch die „unverbindlichen" Vorschläge deS Herrn v. Berlepsch, dann durch Verhandlungen von preußischen Ministerialbeamten mit Freunden der Zwangsinnungen und schließlich durch die Veröffentlichung des „verbindlichen" preußischen Entwurfs — Hoffnungen genährt worden, deren Unersüllbarkeit man unschwer hätte erkennen können, wenn man in Berlin mit den übrigen Regierungen sich zu verständigen versucht und sich nicht in dem Traume gefallen hätte, cs ließen sich gesetzgeberische Pläne auch ohne reifliche Ueberlegung und Verständigung mit anderen maßgebenden Faktoren über Las Stadium der Pflege ministerieller und geheimräthlicher Liebhabereien hinaus mit Erfolg betreiben. Die „Germania" erinnert — so weit der äußere Vorgang in Betracht kommt, mit Recht — an die Zurückziehung des Zedlitz'schen Schulgesetzes und be merkt, Laß die Mittbeilungen der „Post" das Vertrauen in bas Regiment zu erschüttern geneigt seien. Hat das Blatt nicht die Zwangsinnung an sich, sondern die Behandlung des Gegenstandes durch die in Sachen der Reichsgesetzgebung mit doppelter Verantwortlichkeit belasteten preußische Negierung im Auge, so müssen wir dem klerikalen Blatte leider beitrcteu. Die ultra montane Partei in den Niederlanden oder vielmehr die ultramonlancn Mitglieder der Zweiten Kammer haben nun das Programm, mit dem sie im nächsten Jahre vor den Wählern zu erscheinen gedenken, ver öffentlicht. Was bei jeder andern Partei undenkbar sein würde, ist der Umstand, daß dieses Programm in einseitiger und selbstherrlicher Weise von den Beauftragten der Partei festgesetzt und angenommen worden ist, ohne daß man eS für notbwcndig gehalten hätte, mit der breiten Masse der Partei selbst sich vorher zu verständigen. Freilich kommt hier die kirchliche oder bischöfliche Ge nehmigung in Betracht, denn die Formel Uomrr locutu cau^a tinitL giebt in dieser Hinsicht den Ausschlag. Mil lautem Posaunenton wird dem katholischen Volke kund und zu wissen gethan, baß jetzt die Einigkeit unter den katholischen Volks vertretern hergestelll sei und nichts mehr zu wünschen übrig kaffe. Dies ist aber eitel Selbstbetrug, denn vr. Schaep- m an z. B. ist überzeugter Freihändler, in dem Programm werden aber sehr entschiedene Schutzzölle für den notb- leidenden Ackerbau und die Industrie verlangt. Was soll man dazu sagen, wenn I)r. Schaepman auch Liefen Theil des Programms unterzeichnet, gleichzeitig aber seinem Wahlbezirk die Mittheilung gemacht Hal, daß er sich hin sichtlich dieses Punktes die volle Freiheit, nach seiner Ueber- zeugung zu hanteln, Vorbehalte? Zn socialpolitischer Hin sicht erklärt das Programm auf dem Boten der Encyclica von Leo XIH. „Kerum uovurum" zu stehen, aber auf steuer politischem Gebiet wird Abschaffung der Erbschaftssteuer in der geraten Linie, Beschränkung und in keinem Falle eine weitere AuStehnung der direkten Steuern verlangt, während doch die genannte Encycllca die in dem Programm verlangte Ausdehnung der indirekten Besteuerung gerade im Interesse der arbeitenden und ärmeren Classen verurtheilt. Zm klebrigen trägt das Schriftstück einen reactionairkirchlickcn Charakter. Beim Elementarunterricht soll die konfessionelle Schule im Laufe ter Zeil an die Stelle der öffentlichen konfessions losen treten, Besserungsanstalten und Gefängnisse süc jugendliche Verbrecher muffen der kirchlichen Leitung und Aus sicht unterstellt werden, die Formalitäten bei der bürgerlichen Ebeschlicßnng sind „zeitgemäß" zu ändern, d. h. der Geistliche, der die kirchliche Trauung vor der bürgerlichen vornimmt, soll nicht mebr gestraft werden, und was Heer unt Flotte betrifft, so soll es beim bisherigen System der Stellvertretung bleiben. Allgemeines Befremten bat es aber erregt, taß tie Forte rung der Wiederherstellung der niederländischen Gesandtschaft beim heiligen Stuhl nicht mit derselben Entschiedenheit wie die anderen Tbeilc im Programm formulirt worden ist, Opportunitätsrücksickten, namentlich aber die in manchen Be zirken nicht zu entbehrende Bundesgenossenschafl mit den Orthodoxen hat es rathsam erscheinen lassen, in diesem Puncle Wasser in den Wein zu mischen. Die Franzosen haben unter der Republik ein ganz neues Schulsystem bekommen, das durchaus auf weltlicher Grünt läge beruht und der staatlichen Regierung im Gegensatz zur katholischen Geistlichkeit den Einfluß auf die Erziehung der künftigen Geschlechter sichern soll. Tas bat sie ein Heiken gelb gekostet, bis jetzt in runder Summe 2 Milliarden. Zum Unglück aber erweist sich die weltliche Grunrlage des Systems nicht als solid genug, um Len Riesenbau des neuen Schulwesens zu tragen. Das Gebäude weist schon jetzt bedenkliche Sprünge auf und wird, theilwcisc wenigstens, gewiß wieder einstürzen. Zm Sccundärunterricht, d. h. in den Gymnasien und Progymnasien („Ineses" und yOottbges") gewinnen die - geistlichen Schulumernchmer den, Staate den theuer erkauften Boden immer mehr wieter ab. Bei der Berarhung des UnterrichlSbudgets erfuhr man vom Ausschußberichterstalter selber, taß der Staat die 86 000 Schüler, die er in seinen Gymnasien unterrichtet, hauptsächlich nur dadurch festhält, daß er weitaus die Mehrzahl sreihält. Nur 18 000 bezahlen Schulgeld, 68 000 genießen Freistellen, wogegen die Geistlichkeit 80 00" durchweg bezahlende Gymnasiasten hat und außerdem noch in ihre» Vorseminarien einer großen Anzahl von Schülern, die sich nicht zum geistlichen Stande vorberrilcn, Gymnasialbildung giebt. So ist der Staat mit seinen, Sccundärunterricht auf dem besten Wege, Bankerott zu machen. Anterersei-'s tritt in der Verweltlichung der Volke schulen auch ein Stillstand ein. Das Gesetz von 1886 stellte für die Einrichtung der weltlichen Knabenschulen in ganz Frankreich eine kurze Frist, weil es darauf ankam, die künftige Wählerschaft für die Republik zu erziehen. Mit den Mädchenschulen hatte man es nickt so eilig. Zn Liesen wurden die lehrenden Nonnen einfach auf den Aus sterbeetat gesetzt, sofern die Gemeinden nicht gleich rein weltliche Anstalten einrichten wollten. DaS Gesetz bestimmte nur, daß keine geistliche Lehrerin wieder ernannt werden dürfe. Seil einiger Zeit aber bemerkte man schon, daß in denjenigen Departements, welche eine klerikal-monarchistische Vertretung in der Kammer haben, eine Menge Nönnchen wieder an Stelle der ausgedienten Nonnen ins Lehramt ein gesetzt wurden, so daß der Aussterbeetat nunmehr üO Jahre und noch länger dauern könnte. DaS kam offenbar daher, taß die verschiedenen Ministerien sich in kritischen Ab stimmungen die Gunst der klerikalen Monarchisten erkaufen mußten, um ihr Dasein zu fristen. Dem Ministerium Msline wurde Las Verfahren zum bitteren Vorwurf gemacht von Ferrrllstsn. Hans Jürgen. Roman von Hedda v. Schmid. Nachdruck vkrkvte». Dann besann sie sich: „Du wirst es schon erfahren, Tante Susanne. Ich habe entsetzliches Kopsweh, ich will einen Spaziergang machen, unterdessen ist Netti wohl so gut, mein Zimmer einzurichten." Plan- und ziellos wanderte Ellen durch die Straßen, einmal kam sie an dem Hause, das sie heute verlaßen, vorüber, aus Hortensens Fenstern schimmerte «in schwacher Lichtschein, sonst war tie ganze Etage dunkel. Ob HanS Zürgen sckon zurückgekehrt oder todt war... Konnte sie dann überhaupt noch weiter leben? Sie lenkte ihre Schritte endlich der Wohnung ihrer Tante zu. Zm Flur, am Fuß der Treppe prallte sie fast gegen Frau Tröming. „Guten Abend, meine Liebe, lange nicht gesehen, wissen Sie rS denn schon, haben Sie die Neuigkeit schon gehört. Ach du liebe Zeit! Diese leichtsinnigen jungen Leute. Zck babe eS ja immer gesagt von diesem berühmten HanS Zürgen: „waS ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten". Fetzt bat er den jungen Mengen, wenn nicht ganz mausetott, so toch zum Krüppel geschoßen, eben hat der Pater das Telegramm mit der Unglücksborschaft aus Charlottenboff be- tommcn. Dort irgendwo hat sich der gottlose Mensch, der Hans Jürgen, mit Bruno, der doch seines VaterS einziger Sohn ist, Luellirt." „Sie sind ja bei Frau v. Lommerd Gesellschafterin, liebe Ellen, ist eS wahr, daß die arme Seele aus Schreck über riese Ducllgesckichtc krank geworden ist? Sie müssen das doch wißen, kommen Sie nur, Ihre Tante hört immer so gern zu, wenn man ihr etwas Neues erzählt, und besonders dann, wenn cs recht WaS Aufregendes ist. Und denken Sie nur, der alte Mengen hat gleich einen Extrazug bestellt unt Doctor Zansen, der ja so geschickt ist, wird mit ihm aus LaS Landhaus, wo der arme sterbende junge Mensch liegt, binauSfabren. Wer bekommt daun daS schöne Geld, daS dei alte M-naen erworben hat, wenn Bruno stirbt? Ach Gott, »< ist so furchtbar traurig." „Ja, sehr traurig", bestätigte Ellen mechanisch, aber in ihrem Herzen jubelte es: „Hans Jürgen lebt, Gott sei ge lobt dafür!" Ellen batte in diesem Augenblick vergessen, daß sie HanS Jürgen baßen zu müßen glaubte, weil er eine Andere liebte, jetzt beherrschte sie nur der eine Gedanke: „Er lebt — nun kann ick auch leben." Dock zu gleicher Zeil schrie eS in ihr auf: „Aber für Dick ist er todt — er wird auf den Höben des Lebens weiter schreiten und Du versinkst aus seinem Gesichtskreis wieder in die kleinbürgerliche Sphäre, der Du nun einmal angebörst." Zn Ellen sträubte sich Alles dagegen. Sie batte sich diese Verbannung in daS alte Giebelhaus selbst gewählt, nun er schien sie ihr unerträglich. Netti öffnete den beiden Damen die Tbür. „Freilein", flüsterte sie Ellen geheimnißvoll zu, „da drinnen bei alte Freilein iS ein Err, der eine albe Stunde auf Frei lein wartet." Ellen durchzuckte ein süßer Schreck. Sollte es HanS Jürgen sein, der gekommen war, sie auf zusuchen — was konnte er von ihr wollen? Die durch einen grünen Papierschirm verhüllte Tisch lampe Tante Susanne's besaß die Eigenschaft, fast das ganze Zimmer im Schatten zu lassen. Als Ellen, gefolgt von der vor Neugierde fast platzenden Frau Tröming ins Zimmer trat, erhob sich neben Tante Susannens Lehnstuhl aus einem der altmoLischen Sessel eine hohe Männcrgestalt. Ellen blickte scharf hin — daS süße wonnige Erschrecken, welches in ihr gebebt, wich einer küblen Empfindung, kenn in den Lichtkreis der Lampe trat — Herr o. Saliday. „Ihr Fräulein Tante war so gütig, mir zu gestatten, Sie hier erwarten zu dürfen, Fräulein Ellen." „Es war mir sehr angenehm", beeilte sich Tante Susanne zu sagen. „Ich trinke meinen Kaffee nicht gern allein, Ihre Gesellschaft, Herr v. Saliday, war mir eine große Ehre." ,^Au gütig", murmelte Herr v. Saliday und wandte sich an Ellen. „Könnte ich einige Worte unter vier Augen mit Ihnen wechseln? Es betrifft meine Tochter — Sie werden versieben, daß ich, nachdem ich Ihre Zeilen gelesen, das Bc- cürfniß fühlte. Sie aufzusucken, denn ich tappe im Dunkeln." Ellen öffnete ohne eine andere Erwiderung dir Thür ihres Zimmers. Dort brannte auck bereits eine Lampe, doch eaS Gemach mit den vorspringenden Wänden war düster und unwohnlich. „Bitte", sagte Ellen und schritt voran, Herr v. Saliday folgte ihr und schloß die Tbür hinter sich. Herr von Saliday schien ähnliche Gedanken zu haben, Ellen, die scköue, königlich gewachsene Ellen, mit den pracht vollen Augen, dem fein gemeißelten interessanten Köpfchen, sie erschien ihm eben wie ein armes, gefangenes Edelwild. Er schwieg und blickte Ellen, die sich ibm gegenüber auf einen der einfachen Stühle mit strohgeflochteuem Sitz nieder gelassen, an. Immer hellere Bewunkerung für die Schönheit des jungen Mädchens flammte in seinen Blicken auf, zuletzt leuchteten seine Augen in ganz jugendlichem Feuer. Ellen fühlte diesen Blick, trotzdem sie gesenkten Hauptes dasaß; nun erhob sie ihr Auge und fragte: „Sie haben meinen Brief erhalten, Herr v. Saliday? Ich vermuthete, daß Sie mit dem Siebenuhrzuge in Reval eintreffen würden?" „Ich benutzte nur die Post und langte vor einer Stunee etwa hier an, hörte, daß meine Tochter krank sei, aber außer jeglicker Gefahr, daß mein Schwiegersohn ganz plötzlich ver reist und daß Sie, Ellen, fort seien — gestoben gleich sam . Durch die Dienerschaft erfuhr ich die Adresse Ihrer Tante, ich setzte voraus, daß Sie sich hierher gewandt, und nun — Ellen, Fräulein Ellen, sagen Sie mir, erklären Sie mir, was bewog Sie, das HauS meiner Tochter so plötzlich zu verlaßen?" Ellen saß schweigend mit bochwogender Brust da, sie fühlte, daß sie ihr brüskes Fortgehen rechtfertigen mußte. „Herr d. Saliday", sprach sie entschlossen, „die Wahrheit wird Ihnen nicht verborgen bleiben, ja, in diesem Augenblick durcheilt bereilS die Kunde die Stadt, daß Herr v. Lommerd Bruno Mengen im Duell tödtlich verwundet, und letzteres hat Ihrer Frau Tochter wegen stattgefundcn." „Ein Duell", rief auf das Höchste überrascht Herr von Saliday. Ellen erzählte nun mit kurzen Worten, was gestern zwischen Bruno und Hans Zürgen vorgefallrn und schloß ihren Bericht, indem sie zögernd und stockend sagte: „Sie werden jetzt vielleicht verstehen, Herr v. Saliday, was eS für ein junges schutzloses Mädchen bedeutet, gleichsam mit in eine Affaire bineingezogen zu sein, welche bald daS Stadt gespräch bilden und willkommenen Stoff zu allerlei Zuiätzen und Ausschmückungen bieten wird. E» ist allgemein bekannt, daß Ihre Frau Tochter mich ibre» Vertrauens gewürdigt, die Bevorzugung, welche sie in dieser Saison Herrn Mengen angedeiden ließ, wird, obzwar letztere ja durchaus harmloser Natur war, rcnnoch Veranlassung zu manchen Mißdeutungen bieten. Mich wird man möglicherweise der Zwisckenträgerei beschuldigen und, Gott weiß, welch ein hartes, absprechendes Urtbeil über mich fällen. Zck bin schutzlos und daraus angewiesen, mein Brod bei Fremden zu verdienen, doch wer würde mich in sein Haus nehmen, wer mir die Erziehung seiner Kinder anvertrauen, wenn der leiseste Schatten aus nieine moralischen Eigenschaften fiele? Verdammen, tadel» Sie meine vielleicht etwas voreilige Handlungsweise, Herr v. Saliday?" Ellen erhob den tbränenumflorten Blick, ihre Ausflüchte erschienen ihr selbst erbärmlich, aber Herrn v. Saliday, der nur das in seiner Erregung doppelt schöne Mädchen vor sick sah, dünkten sie genügend stichhaltig. Er dachte auch eben nicht an seine erkrankte Tochter, nickt an die Krisis, in ter sich daS Eheglück derselben — das in seinen Augen alle>diii. stets ein sehr zweifelhaftes gewesen — befand, er fühlte m . Bewunderung, Liebe für die weinende Ellen, deren Gemüt! beuegung endlich in ausbrechenden Thränen ihre Nechw geltend machte. Da schlug es an ihr Ohr: „Wollen Sie mir die Serge» für Ihr Wohl und Weke anvertrauen, Ellen? Ich biet- Ihnen meine Hand. Ich bin kein junger Mann mehr, abe, wenn Sie mir Ihre Jugend schenken wollten, Sie sollte» eS nicht bereuen. Ich will Sie ans Händen tragen, Ihne» Alles, waS ich vermag, bieten. Ich fordere keine heiße Lieb von Ihnen, aber eine warme Zuneigung — davon bin ick überzeugt — werden Eie mir mit der Zeit nickt versagen." Ellen erfaßte ein Schwindel. Seit gestern stürmten die Ereignisse unaufhaltsam auf sic ein. Das Zimmer, der Tisch mit dem geschmacklosen Wachstuch, welches die Tisch Lecke vertrat, der alte Bettschirm dort in der Ecke, die häß liche Lithographie, eine Scene ans Paul und Virginie Lai stellend, an der Wand, Alles schien sich vor ihren Blicken tollem Wirbel zu drehen und dazwischen tauchte vor ihrem geistigen Au^e Schloß Allertberg mit seinen glänzende», prächtigen Räumen auf. Sie sah sich als Herrin dort u «mschiäntt wallen, ein alternder, aber noch stattlicher Mar.», der Träger eines vornehmen Namens, huldigte ihr. Sc ward gefeiert und umschwärmt. Hans Zürgen war für sie verloren — und doch, vielleicht lag cs noch in ihrer Macht, sich dafür, daß er sie verschmäh:, bitter an ihm zu rächen. „Ellen", fragte Herr v. Salidan, „geben Sie mir keine Hoffnung?" Ein Blitz der Entschlossenheit zuckte in Ellen'S schwarze»
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