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Nr. LLS V. Jahrga«,z Etwoch de« L. Juni LV10 Erlchclrit täglich »ach«, mit klu-nahme der Loim» und Festtage. gab« t. > Mit .Die Zeit In Wort und Bild- diertelsShrlich. In Dresden durch Bote» 2,10 In gani d sret Haus 2,52 10 Deutschland kluSgabe Ohne illustrierte Beilage Viertels. 1,80 Dresden d. Boten 2,10 In ganz Deutschland frei ' 2,22 ^ - Einzel-Nr. 10 S - Zetlungspreirl. Nr. ' I» i Haus «858. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat« werden die «gespaltene Pctitzeile oder deren Raum mit 15 ^.Reklamen mit 50 1 die Zeile berechnet, bei Wiederholung«» entsprechende» Rabatt. Vuchdrvilerel, Redaktion und «eschäft-ftelle, DreSdeu, Pilluiyer Strafte 10. — Fernsprecher 10«« gt. SchriftftUikc keine Verbiudlichkett sprechslunde: I I—12 Uhr. Ois dsstsn ^nfni86f>rMA8-6or>bor>8 pfunct IS unct 2V Pfennigs, onsnldsbellosi suk 8sissn unrt ^uaslügsri, si-tisltsn 8is bsl: diisrlst'ssßlsn In silsn LtsZtdsilsn. iisi Keine neuen Steuern! Aus durchsichtigen Gründen wird in einem Teile der Presse der Nus nach neuen Steuern erhoben. Manche wollen schon wissen, daß abermals 250 Millionen Mark Reichs steuern neu gefordert werden sollen. Es gehört viel Phan tasie dazu, um solche Behauptungen niederzuschreiben, weil kein verantwortlicher Staatsmann die Hand zu einer Neu belastung bieten könnte. Man schaue nur einmal ein Jahr fünft zurück und stelle zusammen, was seit 1905 dem deut schen Volke an neuen Abgaben öffentlicher Art in diesem Zeiträume auferlegt worden ist: 1. durch den neuen Zolltarif (geschätzt) . . 70 Mill. Mk. 2 ., die Fiuanzreform von 1906 . . 140 . 3^ „ „ „ » 1909 435 „ 4. „ „ Erhöhung der Steuern in den Einzelstaaten (geschätzt) 200 „ 5. „ „ Erhöhung der Gemeindesteuern (geschätzt) 200 „ Insgesamt 1045 Mtll. Mk. Wenn in dieser Rechnung auch einzelne Posten schwan kend sind, so ist es doch nicht zu hoch gegriffen, daß die Steuern und Zölle aller Art um eine Milliarde in die Höhe gegangen sind. Selbst wenn man die jährliche Zunahme des deutschen Volksvcrmögens auf drei Milliarden schätzt, so ist eine Aufsaugung derselben von 33^ Prozent ein höchst bedenkliches Zeichen und muß sich im Wirtschaftsleben gel tend machen. Selbst wenn die neuen Steuern nur die „obe ren Zehntausend" treffen würden, müßte eine Rückwirkung eintreten. Aber zu diesen öffentlichen Lasten treten noch die bevorstehenden sozialen Mehrkosten, wobei die laufen den Mehrausgaben gar nicht berücksichtigt sind, als solche kommen in Betracht: 1. Kosten der Reichsversicherung (einschl. Ver sicherungsämter) mit rund 200 Mill. Mk. 2. Kosten der Privatbeamten - Versicherung (geschätzt bei 2 Millionen Versicherten zum DurchschnittSqehatt von 2500 Mark und 8 Prozent Beiträgen) 400 „ „ Also soziale Neulast 600 Mtll. Mk. Wenn die amtlichen Denkschriften auch etwas niedrigere Zahlen angeben, so nähert sich doch die gesamte Mehrbe lastung seit 1905 der Summe von rund 1600 Millionen Mark pro Jahr. Das sind solche erschreckende Zahlen, daß nur eine Notlage oder Staatsnotwendigkeit eine Erhöhung der Neichssteuern rechtfertigen könnte. Man muß alle diese Mehrausgaben zusammenrcchnen, weil es für den Gewerbe treibenden, Landwirt usw. ganz gleichgültig ist, unter wel cher Firmicrung die einzelnen öffentlichen Abgaben erhoben werden und weil in den weitesten Volksschichten der Gedanke Raum gewinnt, daß es in dem Tempo der letzten fünf Jahre nicht mehr weiter gehen kann, falls das Reich gesund und kräftig bleiben soll. Ist nun die Schaffung erhöhter Reichseinnahmen eine unaufschiebbare Notwendigkeit? Mit nichten; es soll gar nicht bestritten werden, daß der Ncichsschatzsclretär mehr Geld los werden könnte, wenn er solches hätte. Aber die Negierung hat dem deutschen Volke in feierlichster Weise Sparsamkeit zugesagt. Wie steht es mit der Einlösung dieses Wortes? Die Neichsfinanzen sind geord net und es ist keine Erscheinung zutage getreten, die das Gegenteil erkennen ließe. Das Jahr 1909 hat mit einem etatmäßigen „lieber- schuß" von 100 Millionen Mark abgeschlossen. Leider ist es nur ein rechnungsmäßiger Ueberschuß: denn in Wirk- lichkcit hat sich nur der tatsächliche Fehlbetrag von 210 Mil lionen auf 140 Millionen Mark ermäßigt. Immerhin kann eine erfreuliche Besserung der Finanzen konstatiert werden. Wenn der neueste Aprilausweis ein weniger günstiges Bild gibt, so braucht man noch nicht nervös zu werden. Der erste Monat des Etatsjahres ist noch nie entscheidend ge wesen und schneidet in der Regel schlecht ab. Eine neue Reichsfinanzreform kann sich nicht auf den Wechselfällcn eines Monats aufbaucn. ES soll gar nicht geleugnet wer den, daß es Schwierigkeiten bereiten wird, den Etat für 1911 im Gleichgewicht zu erhalten; die Ursache hierfür ist in erster Linie in der Liquidation der Blockschulden zu suchen, die alljährlich mit 50 Millionen Mark einzusctzen sind. Erst 1913 ist die Schuld getilgt; dann wird diese Summe frei und man hätte Steuern auf Vorrat. Die im Herbste zu erwartende Verabschiedung der Wertzmvachs- steuer bringt auch eine kleine Erleichterung und ebenso das neue Kaligesch mit der Kontingentsabgabe. Wer unsere Reichsfinanzreform kennt, der wußte schon lange, daß das Jahr 1911 daS kritische sein wird, da die neuen Steuern noch nicht voll fließen, aber neue Ausgaben (Abbürdung der Matrikularbciträge, Erlöschen des Reichs- invalidcnfonds, Zunahme der Flottenkosten, Anwachsen der Zinsen und Tilgungsabgabe) hinzutreten werden. Nach 1911 sind wir über den Berg. Daher ist der Ruf nach neuen Steuern sachlich ganz unbegründet und nur partei- taktischen Erwägungen entsprungen. Das deutsche Volk hat jetzt ein Anrecht darauf, eine kleine Ruhepause zu genießen, denn sonst geht ihm der Atem ays, ehe die höchste Kraft leistung gefordert wird, und das kann kein Staatsniann herbciführen helfen. Zum Schulkampfe. Aus dem Berichte des „Meißner Tagebl." über die letzte Diözesanversammlung der Ephorie Meißen geht her vor, daß die „Neform"bestrebnngen des Sächsiscl>en Lehrer vereins scharfen Widerspruch seitens des Superintendenten und des größten Teiles der Versammlung erfuhren. Das ist um so bemerkenswerter, da gerade auch im Meißner Ephoralbezirkc mehrere protestantische Geistliche auf der Seite der Zwickauer Thesen stehen dürften. Tatsächlich haben sich auch auf der Versammlung drei Geistliche gegen die Resolution ausgesprochen, die folgenden Wortlaut hatte: „Die Beschlüsse und Vorschläge der Vertreterversamm lung des Sächsischen Lehrervereins vom 3. Januar d. I. wegen künftiger Gestaltung des religiösen Mcmorierstoffes haben in den Kirchgemeinden tiefe Beunruhigung und die begründete Befürchtung hervorgerufen, es werde mit dieser alles Maß überschreitende und von der Schrift des Evan gelisch-lutherischen Schulvereins („Was soll aus dem Kate chismus werden" usw.) treffend gekennzeichneten Beschnei dung des religiösen Lernstoffes unseren Kindern eine emp findliche Schädigung an den für das Leben ihnen mitzu gebenden Glaubensschätzen zugefügt werden. Die heute versammelte Diözesanversammlung legt gegen diese bedenk lichen Vorschläge entschiedene Verwahrung em, erhofft sicher ihre Ablehnung durch alle hierfür maßgebenden Kreise und richtet an die vielen Lehrer auch unserer-Ephorie, die jene Vorschläge nicht billigen, die dringende Bitte, dieselben in ihren Vereinen und sonst offen und mutig zu bekämpfen und so auch an ihrem Teile zur Erhaltung der konfessio nellen evangelischen Volksschule, zur Sicherung eines kla ren, lebendigen, fruchtbringenden Religionsunterrichtes und zu friedlicher gemeinsamer Arbeit von Kirche und Schule an der Wohlfahrt unseres Volkes beizutragen." Vor Einbringung dieser Resolution, die gegen drei Stimmen angenommen wurde, sprach Kirchenrat Super intendent Grieshammer von den „Neformbestrebun- gen" des Sächsischen Lehrervereins zur Neugestaltung des Religionsunterrichtes und des religiösen Memorierstoffes. Er führte ungefähr aus: In treffender und anschaulicher Weise zeigt der „Note Katechismus", daß alle Sprüche, die die großen Heilstaten Gottes in Christo verkünden, als „dogmatisch" gestrichen werden sollen. Ebenso aufregend ist die Art, wie in der Vertreter-Versammlung des Sächsischen Lehrervereins über Gottes Wort gesprochen worden ist; höchst bedenklich ist auch die Forderung, daß regelmäßiger Religionsunterricht erst vom fünften Schuljahre an erteilt werden soll. Wenn Lernstoff gekürzt werden soll, warum nur der religiöse? Man sagt: Luther habe den Katechismus nicht für Kinder geschrieben; haben Goethe und Schiller für die Kinder geschrieben? Es muß alles daran gesetzt wer den, den konfessionellen Religionsunterricht in der Schule zu erhalten; es ist doch auch nicht die ganze Lehrerschaft, dir hinter den radikalen Führern des Lchrervereins steht! Die Bitte müssen wir an unsere Lehrer, die mit den Bcstrebun- gen dieser Führer nicht einverstanden sind, richten, daß sie ihnen offen die Gefolgschaft kündigen und sich regen. Ein ländlicher Kirchenvorsteher bemerkte in der De batte, verschiedene Aeußcrungen, wie sie in der Dresdner Vertreterversammlung gefallen seien, ließen auf ein ziem liches Maß von Unreife schließen; die Herren, die so abfällig über Sprüche und Liederverse geurteilt, mühten noch nichts erlebt und erfahren haben und den Wert des Gotteswortes und des evangelischen Liedes noch nicht kennen. Mehrere Redner wiesen darauf hin, daß die radikale Lehrerschaft den Fehdehandschuh hingeworfen habe; daß es gegenüber den radikalen Forderungen kein Nachgeben, keine Kom promisse geben könne, daß die Schuld allerdings nicht nur die Lehrer, sondern auch die „modernen" Theologen treffe. Schulrat Dr. Gelbe erklärte, er wolle zur Beruhigung — die Debatte hatte, wie das „Meißner Tagebl." berichtet, ziemlich erregten Ton angenommen — feststellen, daß der alte Lehrplan noch in Kraft sei und der Katechismus noch seine Gültigkeit habe. Man solle zu den obersten Schul- und Kirchenbehörden das Vertrauen haben, daß der reli giöse Lernstoff erhalten werde. Kantor Fleischer gab im Namen der als Gäste anwesenden Kirchschullehrer die Erklärung ab: Da weder Schule noch Kirche den Memorier stoff festzusctzen hat, auch alles daran gelegen sein muß, den Frieden herzustellen, verzichten die anwesenden Lehrer auf Klarlegung der Stellung des Lehrervereins. Daß diese Er klärung vom Standpunkte der zu den Zwickauer Thesen haltenden Lehrer aus gesprochen wurde, scheint uns klar zu sein: eine Stellungnahme gegen die Tendenzen des Lehrer- Vereins scheint sie wenigstens nicht darstellen zu wollen. Jedenfalls dürste es mit den Verhandlungen der Diö zesanversammlung Zusammenhängen, daß in den nächsten Tagen vom hiesigen Lehrervereine ein Elternabend ver anstaltet wird, auf dem allen, die es hören wollen, klar ge macht werden soll, daß Religion und Katechismus durch die radikale protestantische Lehrerschaft keinen Schaden leiden sollen. Hoffentlich wird sich auch auf dieser Versammlung die Opposition im Sinne des Evangelisch-lutherischen Schulvereins kräftig regen. Politische Rundschau. Dresden, den 31. Mai 1910. — Die Verhandlungen im BuudeSrate über die Schiff- fahrt-abgaben werden voraussichtlich in der Zeit vom 16. bis 18. Juni stattfinden. Man darf annehmen, daß eS verhältnismäßig rasch gelingen wird, im Bundesrate eine Verständigung zu erzielen. Danach bleibt das Hauptboll werk gegen die Benachteiligung Sachsens — der Widerstand Oesterreichs. Mag auch Sachsen durch die sicher bevor stehende Majorisierung genötigt sein, in den Verhandlungen eine möglichste Berücksichtigung seiner Wünsche durchzusetzen um eine Schädigung auf alle Fälle abzuwehren, so steht zu seiner Rückendeckung der Vertrag mit Oesterreich hinter ihm. Solche internationale Verträge werden aber nicht durch Majorisierung in Stücke zerrissen; da müssen beide Teile einverstanden sein. Wie der BundeSrat und Reichstag über diesen Berg kommen wollen, ist zur Stunde noch ein Rätsel. — Der Reichstagsabgeordnete für den Wahlkreis 4 (Frankfurt a. O.), Gymnasialprofessor Drtto (natl.), ist am 30. Mai in Frankfurt a. O. an Lungenentzündung gestorben. Detto vertrat den Wahlkreis Frankfurt a. O.-Lebus seit 1907. Er wurde gewählt mit 30434 Stimmen (28116), Soz. 12 388, Natl. 10070, Reichsp. 7722. — AIS uatioualliberaler Kandidat ini Wahlkreise Cann- statt-Ludwigsburg ist an Stelle HieberS Rechtsanwalt List-Reutlingen aufgestellt worden. — Sterbende Jugend. Unter dieser nicht üblen Spitz marke teilt die nationalliberale „Dortmunder Ztg." mit, daß in der letzten Zeit in der Provinz Westfalen folgende jungliberale Vereine eingegangen sind: Gelsenkirchen-Schalke. Günnigfeld, Hamm. Herne, Horsthausen, Langendreer. Wattenscheid, Weitmar und Witten. DaS ist die Antwort der Großindustrie an die Jungliberalen. — Ueber die Haltung des Zentrums in der Wahl- rechtsfrage urteilt die „Deutsche Tageszeitung" (Nummer vom 28. Mai 1910) folgendermaßen: „Am schärfsten standen sich wohl die Interessen deS Zentrums und der Nationalliberalen in dem Wahlrechts- streit gegenüber. Wie man aber auch sonst über die Taktik des Zentrums denken mag, in dieser Frage scheint sie uns einheitlich und natürlich gewesen zu sein. DaS Zentrum hat bekanntlich die Einführung deS ge heimen, direkten und gleichen Wahlrechts auch in Preußen als Endziel proklamiert; aber daS Zentrum ist seiner ganzen Veranlagung nach am meisten geneigt und zu gleich am meisten befähigt, eine Politik des Erreichbaren zu betreiben. ES war nun von Anfang an klar, daß das gleiche Wahlrecht diesmal auf keinen Fall, daS geheime und direkte Wahlrecht zusammen bei der Haltung der Regierung und des Herrenhauses auch nicht zu er reichen war. Die geheime Wahl war naturgemäß daS wichtigere unter den beiden erreichbaren Zielen; so lag von Anfang an für das Zentrum der Gedanke nahe, dieses große Zugeständnis an den demokratischen Gedanken zu erlangen, dem eS in der Wahlrechts vorlage grundsätzlich zuneigt. Hätte eS in eine erheb liche Vergrößerung der Drittelungbezirke gewilligt, so würde eS nicht nur seine Parteiinteressen direkt in einer Reihe von Wahlkreisen geschädigt, sondern auch den Erfolg der Erreichung des geheimen Stimmrechts, der ihm bei seiner grundsätzlich radikalen Stellung zur Wahlrechtsfrage das Eingehen auf eine Abschlagszahlung möglich machte, zum guten Teile wieder aufgehoben. UeberdieS war eS seit je ganz besonders für die kleinen DrittelungSbezirke eingetreten. Nach feiner ganzen Stellung konnte man in dieser Frage darum ein erheb licheres Entgegenkommen kaum von ihm erwarten. Die Taktik der Nattonalliberalen dagegen war überaus widerspruchsvoll und ließ trotzdem nur zu deutlich er kennen, daß diese Partei sich nur von der reinen Mandatspolitik leiten ließ. Ihr Streben ging darauf ans, das Dreiklassensystem nach Möglichkeit zu durch- brechen und zu verwässern zugunsten derjenigen Volks- kreise, in denen sie ersahrungSgemäß die meisten Chancen hatten. Einzelne Anträge, wie der bezüglich der Aus- Wahl der Wahlmänner und der Fristwahl waren auf nichts anderes als auf die Förderung ihrer Agitation gerichtet. Am zweideutigsten aber war ihr Spiel in der DrittelungSfrage. Deutlich ging ihr Hauptbestreben da hin. größere Stimmbezirke mit ihrer plutokratifchen Wirkung zu erreichen." Wir haben dem nichts hinzuzufügen. — Ein Zentrumöblatt in Deutsch-Ostafrika sollte laut Mitteilungen in der Presse vor kurzem begründet worden sein. Eine Erklärung für die Entstehung dieser NyKricht