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M Ivo f. Weißerih-Ieitvng 22. Wecember 1857. Inserate werden mit 8 Pfg. für tzir Zeile berechnet und tu assen , Expeditione» angenonineeft. Wienstag. Erscheint Dienstags unbs Freitags. , Zu beziehen durch alle Postanstal- te». Preis pro Qüart. tvNgr. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Redactenr: Karl Die augenblickliche Geldnoth. Di« Politik läßt i» diesen Wochen der Geldfrage de» Vorrang, mit einer Höflichkeit, in die sich leise Schadenfreude mischt. Die Geldfrage ist die Weltfrage; sie klopft an die Thüren der Comptoirs und verlangt Antwort, klingende Antwort; an die'Thüren der Schrift steller und verlangt Antwort, kluge Antwort; an die Thüren der Meister und verlangt Antwort, rettende Antwort; die Geldfrage irrt umher wie «in Gespenst, das zum Umgehen verdammt ist, und verlangt nach dem erlösenden Worte. Am stürmischsten rumorte die Frage in diesen Tagen in Hamburg. Von Amerika, wo die furchtbare Fluth der Geldnoth in schrecklicher Stärke auftrat, verbreitete sich dieselbe nach England und Deutschland. Täglich kommen Zahlungseinstellungen der größten Handelshäuser mit enor men Summen vor, und sie reißen auch andere Kaufleute mit in's Unglück hinein. Große Verluste sind schon über die Häupter der Kaufleute hereingebrochen, und es werden ihnen noch bedeutende Einbußen nachfolgen. Es ist für die großen Kaufleute schwierig, die Maaren, welche man gekauft hat, zu verkaufen und diejenigen zu bezahlen, welche man gekauft hat. Es ist dies doppelt schwierig, weil die früher» Käufer, denen man Kredit bewilligt hat, mit ihren Zahlungen säumen. Es ist dreifach schwierig, weil die Mittel, mit' denen sonst der Einzelne in solchen Fällen sich ohne Mühe Aufschub verschaffte, im Augenblicke von aller Welt in Anwendung gebracht werden, weil alle Welt statt der baaren Zahlung Wechsel anbietet, und weil das vorhandene Capital unter dem Eindrücke der von auswärts eintreffenden Hiobsposten sich selbst vor sichern Wechselan erbietungen zurückzicht. Das Vermögen des so vom Unglück heimgefuchten Kaufmannsstandes ist vielleicht doppelt so groß, wie die laufenden Zahlungsverbindlichkeiten, selbst wenn man in Anschlag bringt, daß alle Güter und Maaren sehr entwerthet sind. Das Unglück besteht darin, daß alle diese Zahlungsverbindlichkeiten in ein und demselben Augen blicke Anspruch auf Lösung in baarem Gelde machen, was selbst das solideste Geschäft der Welt nicht auszuhalten vermöchte. Es kommt nur darauf an, Zeit zu gewinnen für den allmählichen und unausbleiblichen Abfluß der Waarenvorräthe und für den Eingang der auswärts fällig werdenden Schulden. In dieser einfachen Zeitgewinnung liegt die ganze Zauberformel einer vollständigen Sicherheit für alle, für die Schuldner, wie für die Gläubiger. Wir reden hier nur von denjenigen kaufmännischen Existenzen, welche in sich gesund sind, d. h. von solchen, welche nicht auf Schwindel und auf bloßen Kredit und Täuschung gegründet sind. Zeiten, wie die jetzigen, sind gerechte Strafgerichte für Diejenigen, welche mit fremden Mitteln ein unverantwortliches Spiel getrieben haben. Solche Abenteurer der Börse fallen jetzt zu Dutzenden. Das muß Niemanden erschrecken; was wurmstichig in sich war, weht der Sturm über den Haufen, und die gesunden Jehne in Dippoldiswalde. n >> -H-»» I > Bäume gewinnen Raum, sich auszubreiten. Der Schrecken ist unvernünftig, mit welchem der Fall mancher auswär tiger, hochberühmter Firma die Gemülher in den großen Handelsstädten erfüllt hat; denn wie manche dieser hoch berühmten Firmen hat, bei Lichte besehen, von nichts Anderem gelebt, als von einem imponirenden Schwindel. Auch in der Handelswelt hat sich das Wort des Dichters bewährt: „Es ist von manchem hohen Stamme Die Wurzel faul." Die große Fluth, welche jetzt die Börsen und Kauf leute heimgesucht, und in Hamburg, unserm ersten Handels plätze, am heftigsten aufgetroffen ist, vertheilt nun ihre Gewässer unheilvoll in die kleinern Canäle, namentlich in die Fabrikdistricte. In den Seidenfabriken zu Krefeld in Westphalen sind bereits 4000 Arbeiter brotlos; in Chemnitz hat die Strumpfwaarenfabrik einen harten Schlag erlitlen; in der Lausitz ist der Absatz der Leinwandwaaren gestört. Die Königin von England hat es in dir Thron-- rede offen ausgesprochen, cs stehe zu fürchten, daß in den Fabrikdtstriktcn schwere Zeilen hcreinbrechen wurden. Zn verschiedenen Manufacturdistrikten Englands hat man die Arbeit auf die „Halbzeit" beschränkt, d. h. es wird nur an drei Tagen der Woche gearbeitet. Da die meisten, ja fast alle Fabrikarbeiter von der Hand in den Mund leben, und in guten Zeiten leider sehr selten an s Sparen denken, weil sie meinen, die Sonne scheine immer, so ist die Noth hoch gestiegen, und die Arbeiter sind zum Theil unverständig genug gewesen, große Versammlungen und Aufzüge zu machen. Jndeß hat doch die Vernunft inso- , 1 weit gewaltet, daß man sich jeder Thätlichkeil enthalten und sich in bescheidener Weise den Vertröstungen der l Behörden unterworfen hat. Die große Frage aber wird sein: ob die Behörden Mittel zur Unterstützung so vieler Tausende ausfindig machen kann. Die Gefdkrtsis wird nach und nach alle deutsche Staaten ergreifen, jedoch nicht in der argen Weise, wie Hamburg. Diejenigen Staaten, welche nach Hamburg und Amerika Exportgeschäfte getrieben, werden am meisten zu leiden haben, weil Verlust ihres Guthabens in Hamburg und Amerika bei dem Falle so vieler Handelshäuser un- . ausbleiblich sind, und weil für den Augenblick Niemand wagt, seine Maaren auf Conto oder Wechsel in jene Gegenden zu senden. Merkwürdiger Weise scheint Oesterreich, das man , ,8 finanziell am mißlichsten sundirt betrachtete, am wenigsten von der Geldnoth berührt worden zu sein. Die Wiener aß Kreditanstalt hat sogar Geld (10 Millionen Mark Banks in Barren) nach Hamburg gesendet. In der Nationalbaiik zu Wien sollen 100 Millionen Gulden baares Silber unbenutzt lieget». Es scheint aber, als ob dieses Geld zur Bekämpfung der allgemeinen Noth reservirt bleiben soll.