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Die englischen Waffenlieferungen an Frankreich. ----- Leipzig, 1. Oct. Es liegen uns jetzt zwei wichtige diplomatische Aktenstücke in der vielbesproche nen Frage der Waffenlieferungen Englands an Frank reich vor. Das erste ist ein „Memorandum, dem Earl Granville mitgetheilt vom Grafen v. Bernstorff am 1. Sept. 1870." Nach einer etwas weit ausholenden Einleitung faßt dasselbe seine Betrachtungen in folgen den Hauptstellen zusammen: Angesichts der beständigen Ausfuhr von Waffen, Muni, tionen, Kohlen und anderm KriegSgeräth aus diesem Lande nach Frankreich, angesichts der Thatsachen, deren sich der französische KriegSminister öffentlich gerühmt und welche die britische Regierung nicht abgeleugnet hat, ist es nicht noth- jede etuzelne Nummer s Ngr. Somtt»,, 2. Oktober 187V. Inserate find -a haaseastem a vogter tu Leipzig oder -m deren übrig« Häuser zu seüde». Znsertioasfitbühr für die Spalteuzeile 1 ANgr., unter «iogefimdt N-r. vielleicht in Verbindung mit inzwischen heranrückenden Reservetruppen wener südlich nach Lyon zu marschi- ren, um auch dort etwaige Truppenansammlungen zu hindern und auSeinanderznsprengen. Nachdem Baza ine am 27. Sept, nochmals einen Ausfall gemacht zu haben scheint, ohne den geringsten Erfolg zu erzielen, dürfte nunmehr die Uebergabe von Metz, wo die sich anhäufende Masse der Tovten, Verwundeten und Brotlosen den Zustand unhaltbar macht, sehr nahe gerückt sem. Die Truppenbewegungen in Ruhland, an die von französischen und englischen und auch von manchen deutschen Blättern die weitgehendsten Com- binationen geknüpft worden waren, stehen, wie sich jetzt herauSstcllt, mit den gegenwärtigen kriegerischen Verwickelungen in gar keinem Zusammenhänge. Die diesmal etwas später als sonst erfolgte Aufhebung der Lager von Moskau und Twer hat zur Folge ge habt, daß die dort angrsammelten Truppen nunmehr wie gewöhnlich nach den westlichen und nördlichen Provinzen aufgebrochen sind, um dort ihre Cantonne- ment« zu beziehen. Während nord- und süddeutsche Brüder sich ge meinsam zpm letzten Entscheidungskampfe um Frank reichs Hauptstadt rüsten, wird in Deutschland selbst eifrig daran gearbeitet, die Verbindung des Sü dens mit dem Norden, die dieser Krieg gezeitigt hat, zu einer denselben überdauernden Lebensform zu machen, sie politisch zu gestalten. Die in München abgehaltenen ministeriellen Vorbesprechungen haben ein günstiges Resultat ergeben. Die so glänzend bewährte norddeutsche Bundesverfassung scheint als Grundlage beibehalten, berechtigte EigenthüMlichkeiten und Son- derinterefsen BaiernS und WürtembergS scheinen berücksichtigt zu sein. Hoffen wir, daß die letzter» beim weitern Ausbau dieser vorläufig gewonnenen Grundlagen sich nicht allzu sehr in der Vordergrund drängen. Gerade der gegenwärtige Kampf hat deut lich gezeigt, daß die Südstaaten nur im rückhaltSlosen und opferfreudigen Anschluß an den Norden die Kraft gewinnen, sich selbst zu schüHm und dem Bqterlande rühmliche Dienste zu leisten. wendig, zu beweisen, daß die Neutralität der britischen Re gierung, weit entfernt davon, gegen die Regierung, die nach dem allgemeinen Ausspruche in ihrem Recht« ist, un parteiisch zu sein, im Geaentheil derart ist, wie sie nur möglicherweise hätte sein können, wenn diese Partei in den Augen de« britischen BolkS und der britischen Regierung unrecht gehabt hätte. Als die Vertreter der Regierung die neue fremde Werbeordnung (korejgn LoUstment ^ot) ine Parlament vertheidigten, erklärten sie, daß da« Gesetz die Executive bevollmächtige, die Au«fuhr von KriegScontre- bande zu verhindern, aber daß, um eS gegen die Krieg- führenden gültig zu machen, «S allgemein in Kraft treten müsse und somit sich selbst auf den Verkehr diese» Lande« mit andern neutralen Ländern erstrecken würde. Diese Er klärung ist jedoch nicht zulässig, denn die Beeinträchtigung des Verkehrs mit neutralen Mächten durch Verhinderung der Ausfuhr von Kriegscontrebande an Kriegführende ist keine Nothwendigkeit. Hätte die Regierung solche Ausfuhr an kriegsührenhe Völker für gesetzwidrig erklärt, so würde st« eine Ausnahme geblieben und im Falle der Entdeckung straffällig gewesen sein. Der bona ücke-Verkehr mit neu- tralen Böllern würde nicht im geringsten dadurch beeiu- trächtigt worden sein. Aber die Regierung, entfernt davon, die« zu thun, verweigerte sogar, solche Vorschläge anzuneh men, welche die directe oder heimliche Ausfuhr von Kriegs contrebande nach Frankreich verhindert haben könnte. ...E» handelt sich darum, ob England dem gerechten Vorwurf von feiten Deutschlands entkommen kann: daß es einerseits den Vortheil, welchen Frankreich schon zur See besitzt, noch durch Ausstattung seiner Seemacht mit den Erfordernissen, um die Seeküsten Deutschlands anzugreifen und seinen Han- del zu vernichten, bedeutend vergrößert, sowie andererseits, daß es die französische Garde-Mobile mit englischen Hinter ladern (breeed-Ioaäor«) zum Gebrauche gegen di« deutschen Soldaten im Felde bewaffnet hat. England wird somit augeklagt werden, daß es einen Krieg nährte, welcher frü her zu Ende gekommen sein würde, wenn Frankreich von seineu eigenen HülsSqurllen abhängig gelaffen worden wäre. Es ist hieruach die Politik der brnischen Regierung, unge achtet de» Urtheilspruch» der öffentlichen Meinung in die sem Lande zu Gunsten der deutschen Sache, wenn nicht ab sichtlich , wenigstens thatsächlich, wohlwollend gegen Frank reich ohne irgendwelche wirkliche Begründung der Entschul digung, daß die commerzielleu Interessen dieses Lande» durch eine andere Handlungsweise ernst beeinträchtigt würden. E« wird in Bezug auf die Handlungsweise der briti schen Regierung noch rin andrrrr Grund in einer Anspie lung auf die preußische Neutralität während des Krim krieg« angeführt. C« heißt, daß Deutschland in Betracht ziehen solle, daß zu dieser Zeit „Waffen und Munitionen frei au» Preußen nach Rußland ausgefahren wurden und Waffen belgischen Fabrikats, trotz eine« von der preußischen Regierung erlassenen Verbots der Durchfuhr von aus frem den Staaten kommenden Waffen durch preußisches Gebiet, ihren Weg ebendahin fanden". Alle diejenigen, welche sich der politischen Verhältnisse jener Zeit erinnern, werden zugeben, daß zwischen den zwei Fällen keine wirkliche Analogie besteht. Zu der erwähnten Zeit war die öffentliche Meinung in Deutschland in Bezug auf die Rathsamkeit, einem Napoleon beizustehen, von neuem der Schiedsrichter von Europa zu werden, sehr zweifelhaft. Außerdem war das nicht ein Kampf auf Leben und Tod zwischen zwei Völkern von gleicher Macht, sondern es war ein in entfernten Gegenden für entfernt liegende Interessen von vier Mächten gegen Eine Macht geführter Krieg, durch welchen die Nationalexistenz Englands nicht im mindesten gefährdet war. Wäre England allein Rußlands Feind ge wesen, so würde der Vergleich weniger uutreffend sein. vr. L30. Leipzig. S«tch«tn» außer Sonntag« — »»glich. VSÄxk vierteljährlich Leipzig, 1. Oct. Die Besetzung von Orleans durch die Unsern wird von mehrer» Seiten her bestätigt. Dieselbe ist Nach verschiedenen Richtungen hin von Wichtigkeit. Sie zeigt, daß unsere Heeresleitung es bei zeiten ver standen hat, der im Süden von Paris operirenden Armee den Rücken zu decken. Die militärischen Neu bildungen an Fer Loire, die mit so vieler Sicherheit augekündigt waren und von denen die eingesperrten Pariser in ihrer Herzensangst Entsatz zu hoffen schie nen, find durch dieses rasche Vordringen und Fest- setzen unserer Truppen im Keim erstickt oder doch nach andern, minder gefährlichen Punkten abgedrängt. Or leans ist ferner ein äußerst günstig gelegener und, - wenn einmal genommen, leicht zu behauptender Kno tenpunkt, von dem auS zahlreiche Verkehrsadern rasch und sicher in das Innere und an die Grenzen von Frankreich führen. Es liegt im Mittelpunkte einer der reichsten und fruchtbarsten Gegenden des Landes, die nicht nur diese- selbst mit Korn und Früchten ver sorgt, sondern in der Regel noch über die Grenzen des Reichs hinaus einen beträchtlichen Exporthandel treibt. Was die Erlangung eines solchen Schlüssels für die Verpflegung unserer Truppen bedeuten will, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Auch ist nach dieser Besetzung von Orleans die der Nachbarstadt TourS nur noch eine Frage der Zeit, und die dortige Pseudoregierung wird daran denken müssen, wie sie sich möglichst rasch aus dem Staube mache, wenn sie es nicht bereits gethan — ein trauriges Zeichen der Schwäche, dessen moralische Wirkung nicht zu unter schätzen ist. Freilich kann diese Regierung durch solche Stöße von außen schwerlich noch ärger compromittirt wer den, als sie eS bereits selbst gethan hat durch das Lügensystem, das sie aus Paris mit nach TourS über tragen hatte, sodaß es fast einen komischen Eindruck macht, diese, wie eS schien, unverbesserliche Lügnerin einmal die Wahrheit bekennen zu hören. Nachdem nämlich die Capitulation von SlraSburg, als fest- stehende Thatsache von König Wilhelm nach Berlin gemeldet und in mehrer» ihrer Einzelheiten in Deutsch land bereits bekannt, von TourS aus in der unver schämtesten Weise kategorisch abgeleugnet worden war, wird sie jetzt endlich auch dort zugestanden. Möge dies eine gute Vorbedeutung sein dafür, daß eS Deutschlands kräftigem Arme gelingen werde, auch für alle andern Wünsche und Forderungen, die der verblendete Gegner jetzt noch abweisen zu können glaubt, diesem schließlich dennoch die Zustimmung ab zuringen. Die durch die Einnahme Strasburgs frei geworde nen Truppen scheinen bestimmt zu sein, theilS den südlichen Elsaß, der bis in die jüngste Zeit hinein der Herd aufrührerischer Umtriebe und Freibeutereien geblieben war, vollständig zur Ruhe zu bringen, theils cht MWtim Zcitiiilg. -Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Rückblicke auf den zweiten und Vorblicke auf den dritten Pariser Frieden. *) I. ---Leipzig, 1. Oct. Die Denkschriften, welche bei den Verhandlungen 1815 wegen Elsaß und Lothrin gen gewechselt wurden, erlangen heute, wo dieselbe Frage wieder zur Debatte steht, eine neue und er höhte Wichtigkeit. Sie bieten zu den heute in der selben Sache vorgebrachten Gründen für und wider manche interessante Analogie. Wir wollen die Haupt- gesichtSpunkte daraus kurz wiedergeben, indem wir diejenigen, welche sich näher zu unterrichten wünschen, auf ein Werk verweisen, welches diese diplomatischen Aktenstücke in übersichtlicher Zusammenstellung enthält, nämlich: „Diplomatische Geschichte der Jahre 1813, 1814, 1815" (2 Bde., Leipzigs. A. Brockhaus, 1863). Bon den Gegnern der deutschen Ansprüche auf Elsaß und Lothringen (und das waren, wie unsere Leser bereits wissen, nicht bloS die Franzosen, son dern auch die Engländer und Ruffen) wurden da mals zwei Gründe geltend gemacht, die wir in ganz ähnlicher Weise heute wiederkehren sehen. Fürs erste ward gesagt: man habe nur mit Na poleon l. Krieg geführt, nicht mit der französischen *) Di«s«r und die zwei noch folgenden Artikel find ein« Fortsttznng zu den früh» von uns grgebenen Ar tikeln: „Die Frage wegen Elsaß und Lothringen im zweiten Pariser Frieden". In den letztgenannten beiden Artikeln wurden nur mehr im allgemeinen die Stimmungen geschil dert, welche damal» in Bezug auf jene Frage herrschten; jetzt soll dem eigentlichen Inhalte der Verhandlungen selbst naher getreten werden. Nation, noch weniger mit Ludwig XVIII., dessen Sache vielmehr auch die Sache der Verbündeten sei. Also ganz so, wie heute die Herren Jules Favre und Genossen die Republik und Frankreich als nicht- verantwortlich hinstellen möchten für das, was Napo- leon III. gethan! Darauf erwiderte aber 1815 sehr schlagend der preußische Bevollmächtigte Wilhelm v. Humboldt: Das französische Volk, dessen Sache die Verbündeten scho nenderweise von der Napoleon's I. (nach dessen Rück kehr von Elba) hätten trennen wollen, habe selbst seine Sache mit der Napoleon's untrennbar verbun den, indem es denselben wieder als Kaiser angenom men, und ihm die Mittel zum Kriegführen gewährt habe. Ludwig XVlll. seinerseits habe für seine Wie derherstellung nichts gethan. UebrigenS, fügte Humboldt hinzu, und dieses Ar gument hat durch die neuesten Vorgänge eine neue schlagende Bekräftigung erhalten — übrigens beweise gerade diese jetzt gemachte Erfahrung, daß die bloße Einführung einer andern Staats- oder BerfassungS- form in Frankreich gar keine Bürgschaft gegen neue Ausbrüche des kriegerischen Temperaments der Fran zosen und neue Bedrohungen des Friedens biete. Ein zweites Argument, welches gegen die Forde rung von Gebietsabtretungen Frankreichs ins Feld geführt ward, war genau das gleiche, welches wir heute so vielfach zu hören bekommen. Frankreich, hieß es, werde eine Verkleinerung seines Gebiet« nie verschmerzen, sondern sobald eS sich wieder stark ge nug fühle, deshalb neuen Krieg anfavgen, und so werde Europa nie zur Ruhe kommen. Die Antwort darauf enthält eine Denkschrift des Generals ».Knesebeck — eine so zutreffende Antwort, wie die, womit jetzt Graf Bismarck in seinen neue sten Circulardepeschen ähnliche Behauptungen in ihrer Nichtigkeit gezeigt hat. Jede Großmuth, sagt Kne sebeck, sei den Franzosen gegenüber verschwendet. Wie überaus glimpflich habe man sie im ersten Pariser Frieden behandelt, und doch hätten sie jetzt schon wie der den dort geschaffenen StatuSquo zerstört, Frank reich werde nie vergessen, daß eS unterjocht worden sei. (!) Neue Bewegungen würden nicht ausbleiben, allein mit solchen reellen Sicherheiten wie die links rheinischen festen Punkte könne man denselben ruhig entgegensehen. Nur dann, setzte Knesebeck hinzu, könne dies künf tig einmal anders werden, wenn Frankreich seine Be friedigung in innerm Glücke statt in leerem Ruhmes glanze suche. DaS jetzige revolutionäre Geschlecht werde revolutionär, anmaßend, unzuverlässig bleiben. Ist es nicht, als ob Knesebeck die Franzosen von heute schilderte? Und liegt nicht in der Erfahrung von der Unverbesserlichkeit deS französischen Charak ters in diesem Punkte, liegt nicht in der schlagenden Thatsache, daß die Franzosen, obgleich man ihnen auch 1815 wiederum so wenig Opfer angesonnen, dennoch nicht aufgehört haben, über Ungerechtigkeit der Ver träge von 1815 zu schreien und nach dem Wirder- besitze deS ganzen linken RheinuferS zu verlangen, liegt nicht darin die handgreiflichste Widerlegung jenes Geschwätzes, als ob man, um fernerhin Ruhe vor Frankreich zu haben, ihm keine territorialen Abtretun gen zumuthen dürfe?