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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prännmeration«- Preis 22j Cgr. (j Thlr.) vierteliahriich, Z Thlr. für Las ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen Ler Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prönumerlrt auf dieses Beiblatt Ler AUg. Pr. TtaatS« Zcitung in Berlin in Ler Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in Ler Provinz so wie im Ausland« del Leo WvhUödl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. 63. Berlin, Freitag den 26. Mai 1837. Frankreich. I. Ianin's literarische Portraits I. Frau von Stavl. °) Nach den furchtbaren Erschütterungen, von dcuen Frantteich im letzten JahrzchenL des achlzehnlen Jahrhunderts hciwzcsuchl worden, al« in der detspiellosc» Umwälzung Lie Literatur und Dichtkunst zu Grabe getragen schien, war Fran von Stahl cie Erste, welche ihre Stimme erhob, die Erste, welche es laut in die Welt ries und zum Bewußiscr» Aller brachte, Laß die Kunst, die Poesie in Frankreich nimmermehr ver loren gehen könne. An ihr haben stch die Hoffnungen einer großen geistigen Zukunft aufgerichtet; sie hat, eine kühne Prophetin, den Arm au-gestreckt und dir Pforten de« neuen Jahrhunderts ausgeschlossen. Dieses neunzehnte Jahrhundert, in seiner Jugend schon so lhalen- und gedankenreich — so.ost die spätesten Geschlechter seiner gedenken, wird al« die Erste unter seinen Frauen, ja als die Erste unter den Männer» Frau von Staal genannt werden. Diese große Frau gehörte durch ihr Genie und ihre Schriften der neuen Zeit, durch Erziehung und Sillen aber noch ter allsranzöuichc» Gesellschaft an, wie sie vor der Revolution gewesen. Sie war geboren und ausgewachsen in jenen Umgebungen, ffn den Kreisen jener glänzen den modischen Well, die so elegant war und so witzig phantastisch, so gesprächig, so dispulir- und zwnselsüchlig, so sarkastisch, so leichtsinnig und doch so brav, und die 1703 von der Erde verschwunden ist im Nu, spurlos wegzesegt vom Sturmhauch der Revolution. Ale Kind, als Mädchen, nie herausgekommen über diesen vornehmen und enggc- zogene» GescUschaslSkrei«, lbat sic schon richtige Blicke in die Zukunsl und erkannte, das, der alten Nalion eine neue nachrücktc. Während ihr: SlandeSgenossen, von der Gewalt und Gräßlichkeit der Ereignisse belrübl, zu schwach zur Wehr, zu stolz zur Klage, lautlos der Guillo tine als Opfer sielen, vermochte dieses Mädchen, die Einzige vielleicht unter ihres Gleichen, eben so mulbig als lies ewpsindcnd, den Helden- muih einer Roland und die begeisterte Selbstaufopferung einer Char lotte Cordav zu begreifen und milzusüblcn. In jciicr für Frankreich ewig schmachvollen und entsetzlichen Zeil, als die Raserei der Mordsuchl am heftigsten wülheie, als unter ter Gewaltherrschaft des Schreckens jedes Gewissen verstummte, war es die junge Germaine Necker, die nicht verstummte, sondern ihren Schmerz und ihre Entrüstung laut aussprach, als man die schone, die unglückliche Königin von Frankreich vor das särchicrlichc Revolutions-Tribunal schtcppic. Drei Jahre spä ter, als Frankreich von der Schreckensherrschas, de« Konvents unter die Lasterkerrschafi des Direktoriums gcralben war, hören wir dieselbe kühne und jugendliche Stimme, wie sie den Regenten Les Tages Lie strengen und schlichten Tugenden dec allen Republikaner ins Gedächlniß ruft. Sic wagte es, Lem Direktor Barras Len Bries Le« Brutus an Cicero zuzuscnden. Sicheren MuihcS schrill sie einher unter Len Trümmern ces rcvolnlioucnren SchissbruckS, Lie der Slurm nach allen Seiten ge jagt haue und auf denen sich jetzt die Gereiteten allmälig wieder zum Vatcrlande sammelten; sie reichte den zurühkebrenden Bcrbannien Lie Hand — sie war damals di- Freundin aller gestürzten Vornehmen, wie sic in späteren Tagen die warme Berlhcidigcriu der proskribiricn An hänger ter Republik wurde. Wie groß war Bonaparte'« Erstaunen, sein Unwillen, als er, der nach Außen und nach Innen jeden Widerstand besiegt, La« forschende Auge tiefer Frau unwiderstehlich auf sich gerichtet sah, diese» Auge, Las die tiefsten Falten feiner Seele «„«spähst, Las alle Regungen sei ne« despotischen Ehrgeizes im Vorau« erriech. Diese Frau, die zu beachten er gar keine Zeit gesunden, stand plötzlich in Frankreich an ter Spitze einer geistigen Macht dem Kaiser gegenüber. In ihrem Salon versammelte sic Lie größten, die leitenden Geister der Französi schen Nalion und sprach i» ihrer Mitte muchig begeisterte Worte, gleich einen, Redner im Angesichte seines' Volke» und Vater landes; sic strcule die kühnsten Gedanken, die freisinnigsten Prinzipien au», sie beherrsch,- „„p lenkte die Gemülber; die Männer saßen zu ihren Füßen und lausch,en ihrem Worte, ohne daran zu denken, Laß solche Lehre nicht mi, den Geboten te» Kaisers stimmte. E» gilbt vielleicht i-j» zweite» Beispiel eines j„ so früher Jugend so männlich reisen Grist,«, wie es tiefe Frau gab. Al» Kind im Sa- «) Wir entlelmen dieses und einige andere Portraits Ler bereits von uns erwähnten, von Jntcs Janin inr da» voudoner »i-eu-ram bearbeiteten Ge schichte der Franzbt'schen Literatur Les »ren Jahrhundert». lon ihrer Mutter ausgewachsen, wo alle ernste und alle schöne Geister des achtzehnten Jahrhunderts sich cinsandrn, lcinie sie bei Zeilen, wie maii geistreich tragt und geistreich aniwoitcl. Als fnuszchiiiährigc« Mädchen Halle stc schon eimn Theil des ..Lazn-it stos Lois" nicht allein gelesen, sondern auch gründlich darüber nachgcdacht. Daneben las sic die „hinuvollv Uöiaisv", und dieser Roman wurde für ihr junges, empsängiichcs Ecmülh ein reicher Quell poetischer Anregung. Nächst ter Heloise war Richardson'S Clauffe ihre LiebtingS-Lekiiire. Um diese Zeit sing sie auch an, selbst einige kleine Romane zu schreiben, roll Trübsal, Thräucn und cntbläuencr Rosen, nach damaliger Mote. Lauge indeß hielt sich ihr Genius hierbei nicht ans, sondern erstieg mit einem Schritte seine Höhe in tcm trefflichen Luche über Literatur, (<!« la littoraturo consistörö« <Ioi>8 «es vazizwrls avoe los inslitulions, «ooialos) welche« im Jahre 1800, und i» cem Romane Delphine, wel cher 1803 erschien. Um tie Betcuimig jenes eisten Werkes reckt z» würtigen, muß man tie Umstänte tonnen, unter welchen es erschien. Ler Geist ter neue» Zeil in Frankreich Halle sich selbst damals »och nicht erkannt; durch die gewaltige» Umwälzunge», durch de» schnellen Uebcrgang des Despelismus der Guillotine znm Dcspolismn» des De» geil« betäubt, halte er noch nicht zier Besinnung kommen können. E« war ei» geistiger Stillstand eingtireleii, nnd Niemand schien tie Rich tung zu wissen, in welcher Frankreich seinen Weg zu ten künsligen Zeilallern sortsctzcn würde. Da erschien das Buch, in welchem Frau von Staöl mit eben so viel Geist al» Glück die Prinzipien der Literatur aller Zeilen zusammenfaßte und taistellie. Vom Glauben, von dcr Freiheit, von dcr Speculalio», von ter Krasl de» Griechischen und Germanischen Geiste» war darin die Rete; unzählige vergessene Erin nerungen de» literarischen Leben« wurden geweckt; das Buch wirkte wic ein Signal zum Waffenstillstand, d-n man sorlan der Literatur, inmitten Lc« Kampfce Ler Parteien, bewilligte; cs öffuclc gleichsam die Brcscht, durch welche ei» Jahr später Chateaubriand mit seinem Öönio stu Gliiiüti.Miüme einzog. Al» die schönste und herrlichste Vorahnung ter »cur» Zeit, muß jenes Buch unS werth'bleiben, nachdem die Streitig keiten, wozu es bei seinem Erscheinen Anlaß gegeben, Golt sch Dank, längst vergessen sind. Al» drei Jahre später dcr Roman Delphine hcrauskani, standen in Frankrrich eben die Republik und die Monarchie zum letzten ent scheidenden Kamps gegen einander, die erstere dem Unterliegen »atze, die letztere siegreich; beide entschlossen, nicht einen Fuß breit zu weichen. Mit der Delphine schließt gcwisscrmaße» da« erste Lebensalter der Frau vou Slaöl ab: c» ist die Gcschichie, richtiger gcsagt» der Roman ihrer Jugendzeit. Auch finden fich alle Meinungen, welche fie später ent wickelt und ausführlich vorgclragen hat, hier bereit» im Keime vor: über die CÜc, die Religion, die Politik, über Alle», was das Jntcrcffc der neu sich bildenden Gesellschaft anr-gie. Und mit wie glänzender, funkelnder Beredsamkeit ist psis Alle» verhandelt! wic erhaben, wic lebendig ihr Stpl und voller Anmulb! Lie Revolution schien gerechtfer tigt, sic schien siolz Laranf scv» zu Lürso, daß fie eine solche Schrist- sicllerin hervorgcdracht. Aber Frau von Staöl Halle auch für ihren Ruhm zu büßeu, fie mußte in» Erik; fie mußte Pari» mcibcn, Pari», in drffen Zirkeln fie wie eine Königin geherrscht, und wo der Kaiser keine Herrscherin neben sich dulde» wollte. Sie reiste nach Berlin und sah unterwege» Goethe, den Deutschen Dichtersülstcn; fie reiste nach Italien und fand, daß sie Italien bereit« gekannt, ehe sie es gesehen; von da nach Coppet, wo sic ihren Königssitz wieder ausschlug, aber nur von wenigen Getreue» »mqeben war. Sie beobachtete, sic erklmbigte sich, sic sammelle de» Stoff für ihre künsiigrn Werke; aber Lie schmcrz- Uche Erinnern,ig, die Sehnsucht nach Frankreich, „ach ihrer glänzenden Existenz zu Pari«, wich keine» Augenblick von ihr. Hin und wieder, wenn sie de« Wandern« müde war, erbat und erhielt sic von der eifer» süchtig mißtrauischen Negierung Lie Erlaubniß, Frankreich, La« Land ihrer Hoffnungen und Wünsche, j» betrete», doch durste sie sich Paris nicht nähern; in Saumür, Auxerre, Chalon mußte sie ihren Wohnsitz ausschlagen. Da« war ein dürsiiger Trost für einen so semigen, «»» geduldigen Geist. Von dem großen Cenlrum de« Franzöflschen Leben« »»«geschlossen, schmachtete sie in jenen engeren und kleineren Umgeb»»-- gen dahcn, lind nicht» konnte sic entschädigen; im schönsten, fruchtbar sten Lande, in Ler erhabensten und anmutbigstcn Gegend seufzte sie nack» ibrcm Stübchen in Ler Lus st» Lun. Endlich wagle sic sich einmal nach Pari» hinein, »m zur »ächllichen Slnnde durch diese Straße» zu wandcr», die ihr lieber wäre», al» da» herrliche Amphilkealer de» Gen- ser See ». Wie bitter mußte stc stch gekränkt sühlen, die reizbare und rcickxtegabtc Frau, wen» sie die Salon» von scstlichcn Lichtern schim mern sah, die Sammelplätze der Geistreichen und Gelehrten, die Schau,