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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22^ Silbergr. (^ ThlrJ vierteljährlich, 3 Thlr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von .-jeder Buchhandlung (in Berlin bei B ei t u. Co MV., Jägerstraße Nr. 28), so wie von allen Königs. Post-Printern, angenommen. Literatur des Auslandes. »4/ 69. Berlin, Dienstag den 10. Juni 1848. Griechenland. Die griechisch-türkische Gränze. Vor kurzem sah sich der bekannte Gricchenfreund Herr Duvergier de Hauranne veranlaßt, in der französischen Kammer das Benehmen Englands gegen Griechenland ernsthaft zur Sprache zu bringen. Schon vor mehreren Monaten hatte er einen Theil der durch seine Studien gewonnenen Resultate, Griechenlands Charakter und Zukunft betreffend, in der kevue ckes äeux Momtes veröffentlicht. Seit jener Zeit aber ist dies Land schon weiter fort geschritten, und seine Politik namentlich ist um vieles gemäßigter und reifer geworden. Deshalb tadelte Duvergier mit Recht eine der liberalsten Zeitungen Englands, den Lxuimner, welcher den Gedanken „die Gränzen Griechenlands eines Tages auszudehncn und ihm die durch Sprache und Geschichte natur gemäß zugehörenden Provinzen wiederzugeben" verspottet hatte; und er fügte die merkwürdigen Worte hinzu: „Ueber kurz oder lang wird die Frage über die Gränzen Griechenlands bei den europäischen Kabinetten zur Entscheidung kommen, und ein Jeder wird seine Meinung abgeben müssen; dann wird ein zweideutiges Spiel nicht mehr möglich sepn, und Griechenland wird klar er- kennen, wer seine wahren Freunde sind." Soll man den beunruhigenden Gerüchten glauben, welche uns von Konstantinopel aus zukommen, so möchte es scheinen, als dürften die Ahnungen des französischen Philhcllenen noch schneller in Erfüllung gehen, als er vielleicht selbst geglaubt hat. An jene Aeußerungen Duvergier's anknüpfend, entwirft Herr Cpprien Robert in der Kev»e «les «leux Hlonäez so eben ein übersichtliches Gemälde der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart des griechischen Königreiches, und entwickelt auf anschauliche Weise die nothwendigen Folgen, welche aus diesen Grundlagen hervorgehen müssen. Seit 1833, sagt er, hatte Griechenland sich nicht mehr zu regen gewagt, als im Jahre 1840 der Brunowsche Vertrag, indem er die heilige Allianz wieder herstellte, Frankreich allein ließ und den Griechen die wohlbegründete Hoff nung auf die Hülfe des französischen Kabinettes wiedergab. Da brachen die Aufstände in Kreta, in Makedonien und in Bulgarien aus, welche, wären sie nach Verdienst unterstützt worden, der Pforte zu Gunsten der RajaS Zugeständnisse entrissen haben würden, die sich später für die Türken selbst heilsam bewiesen hätten; man unterdrückte jedoch alle hülfreiche Theilnahme der Griechen des Königreiches, und die Insurgenten mußten zuletzt den Drohungen Englands und der im Namen der Integrität des otto- manischen Reiches von den europäischen Konsuln über sie ausgesprochenen Mißbilligung weichen. Die drei Hauptanführcr der von den Großmächten verworfenen Bewegung, Velentsas, Tsamis Karataffo und der Kretenser ChäretiS, entkamen mit ihren besten Palikaren glücklich nach Griechenland; die europäischen Mächte zwangen jedoch die Regierung, diese Schlachtopfcr der Diplomatie in eine Art von vorläufiger Haft zu nehmen. Die griechische Nationalität also, daniedergetreten und gezwungen, die edelsten ihrer Kinder zu verfolgen, richtete nun während der Jahre 1842 und 1843 ihren ganzen Eifer auf die Verbesserung der bürgerlichen Ordnung, als auf das einzig übrige Mittel, eine patriotische Verwaltung im Innern zu erreichen, welche das Land befähigen könnte, kräftig auch nach Außen zu wirken. Der Sieg dieser reformatorischen Bestrebungen wurde durch den Mangel an Männern, die fähig gewesen wären, die Bewegung des Volkes zu leiten, am meisten ausgehalten. Die verständigsten und tüchtigsten Männer waren aus dem Lande entfernt; Mctaras war verbannt, Koletti als Gesandter nach Paris geschickt, Maurokordato wurde zwar von London zurückberufen, aber nur um ' unmittelbar darauf nach Konstantinopel gesendet zu werden, unter dem Vor wande, daß man gerade jetzt eines geschickten Diplomaten daselbst bedürfe. Doch auch dadurch glaubte man sich noch nicht gesichert; man verlangte von den Mächten eine zweite Anleihe, um „Vie Ordnung im Lande wieder herzustellen". Diese Forderung aber hatte gerade den entgegengesetzten Er- folg; die Mächte wurden jetzt aufgeklärt auch über die erste Anleihe, welche ebenfalls zu dem Zwecke bewilligt worden war, „die Ordnung im Lande wieder herzustellcn". Die drei Großmächte verweigerten nicht nur die Anleihe, son- der» verlangten auch die Rechnungen der griechischen Negierung cinzusche». Dieser unerwartete Umstand belebte das griechische Volk mit neuem Muthe; ehe es seinen König unter die Vormundschaft der fremden Mächte gerathcn ließ, beschloß es, lieber sich selbst der Souverainctät zu bemächtigen, um sie zu retten. Die angeblich russische Gesellschaft der Philorthodoxen bildete sich auf- neue und vereinigte sich mit der Insular - und der französisch gesinnten Partei. Alle politischen Schattirungen deS Landes verbanden sich einmüthig, Jeder opferte seine Privat-Ansichten dem Wohle des Vaterlandes, und die Conspiration dehnte sich so rasch aus, daß sie bald die ganze Nation um faßte. Die Verschworenen hatten alle Sicherheits-Maßregeln ergriffen, und am 3. September 1843 um zwei Uhr des Morgens strömte die Bevölkerung Athens über alle Plätze, umwogte den Palast des Königs und rief: „ES lebe die Constitution!" Der König rief seine Garde und seine Diener, aber auch sie gehörten zu den Verschworenen, und die ganze Besatzung von Athen, Artillerie, Kavallerie und Infanterie, stellte sich vor dem Palaste auf und stimmte in den Ruf des Volkes ein. Der König sah sich genöthigt nachzugcben; er erschien auf einem Balkon und versprach, dem Volke und dem Heere eine Constitution zu ertheilen, sobald er sich mit den Gesandten der drei Mächte und mit seinem Staatsrathe verständigt haben würde. Bei diesen Worten tritt KalergiS, der Kommandant der Besatzung, vor, erklärt dem Könige, daß der StaatSrath aufgehoben ist, und überreicht ihm die Adresse, welche die Wünsche des Landes und die Ernennung eines neuen Ministeriums enthielt. Zur selbigen Zeit waren die europäischen Gesandten, trotz der Dunkelheit der Nacht, herbeige kommen und wollen durchaus zum Könige gelassen werden; das Volk be- scheidet sie abschläglich und erklärt, daß der König aufgehört hat zu regieren, wenn er die in der Adresse ausgesprochenen Bedingungen nicht annehme. Der König liest sie und hat den edlen Muth, sic anzunchmen; er empfängt die neuen Minister in seinem Palaste und zeigt sich mit ihnen dem freudetrunkenen Volke, welches seinen constitutionelle» König mit endlosem Zito begrüßt. Um drei Uhr Nachmittags kehrten alle Truppen mit klingendem Spiele in ihre Kasernen zurück; eine der schönsten Revolutionen, weil sie nicht einen Tropfen Mutes gekostet hatte, war vollendet. Man glaubt gewöhnlich, daß Griechenland in drei Parteien zerfalle: die eine, an deren Spitze Maurokordato steht, soll die Republik unter dem Schutze Englands wünschen; die zweite, unter Metaxas, das Bündniß mit Rußland jedem anderen vorziehen; die dritte von Koletti vertretene constitutionelle Partei sich auf Frankreich stützen. Wer in Griechenland gelebt hat, sieht klar ein, daß diese drei Parteien nur drei Färbungen eines und desselben Patriotis mus sind. Es ist also nicht die französische Partei, welche am 3. September über die englische und die russische Partei gesiegt hat; es sind vielmehr alle drei Parteien zusammen, welche gemeinschaftlich das Ziel erreicht haben, nach dem Alle in gleicher Weise streben, die unbeschränkte Unabhängigkeit ihres Landes. Die wechselnde Gunst oder Ungunst, welche die Geschäftsträger Frankreichs, Englands und Rußlands am Athenischen Hofe erfahren, kömmt einzig und allein daher, daß die griechischen Patrioten in ihren Bestrebungen für die Wiederherstellung ihres Vaterlandes bald diese bald jene vorthcilhaftcr brauchen zu können glauben. Dies ist die Ursache, weshalb England, das sich für die Niederhaltung Griechenlands entschieden zu haben scheint, keine Freunde zu Athen hat, und was man die englische Partei nennt, ist eigentlich nur eine durch die außerordentliche Geschicklichkeit Maurokordato'S hervorge- brachte politische Erdichtung. Dieser Staatsmann, der erste griechische Diplo mat, konnte bei einem Volke, welches vorzugsweise dem Genie Bewunderung zollt, sür sich selbst eine Partei werden. Die russische Partei hat zwar einen breiteren Grund, weil sie sich auf den politischen Haß gegen die Beherrscher von Korfu und auf die religiöse Uebereinstimmung stützt, aber doch lebt sie fast nur auf den ionischen Inseln, im Königreiche ist sie mit der Revolution vom 3. September beinahe ganz ausgegangen. Die Zurückberufung und die Verleugnung des Gesandten Katakazi und die Verweisung von Kalergi's Bruder aus dem russischen Reiche haben alle diejenigen, die früher ihre Hoffnungen auf Nikolaus setzten, auf andere Gedanken gebracht. ES bleibt also nur noch die sogenannte französische Partei übrig, welche durch Koletti vertreten wird, der sich unter allen griechischen Staatsmänner» jederzeit auf die redlichste und würdigste Weise benommen hat; sieht man aber von Kolctti's rein persönlicher Vorliebe für Frankreich ab, und untersucht man seine Grundansichten, so findet man, daß diese nicht blos seiner Partei, sondern allen Griechen ange- hören, und daß mithin die Bezeichnung: französische Partei, sinnlos ist. Die Repräsentanten dieser drei großen Parteien stehen in der ganzen Kraft deS Alters und des Talentes. Um Koletti, welcher in EpiroS geboren ist, schaaren sich alle Führer aus Rumclien und dem griechischen Festlande. Maurokordato, der fanariotische Fürst, vertritt die geglättete, aber selbst süchtige und kalte Diplomatie Europa's. Der reiche Metaxas endlich schließt sich an Rußland, weil er als Ionier sein von England unterdrücktes Vater land rächen und seine bedeutenden, aus Cephalonia gelegenen Besitzungen