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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrSmimerationS- Prei« 22^ Sgr. THIr.l vierteljährlich, Z THIr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. z i n für die Man pränumerirt auf dieses Beiblatt der Allg. Pr. Staaw- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Ctrag« No. Z4); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Ämtern. Literatur des Auslandes. 77. Berlin, Montag den 29. Juni 1833 Frankreich. Die Tuilericcn. Von Paul Lcrmond. Daß eigentliche Paris in Paris ist der Garten der Tuilericen. Das PalaiS-Royal Hal aus der Mode kommen könne» und sehen, wie das Leben, das es erfüllte, den Boulevard« ;uströmte; hier- und dorl- hin mag die Mode, „diese unbeständige Göttin", wie ei» Akademiker sagen würde, sich in ihren Launen ergehen, heul aufgeben, was sie gestern ergriffen, sie mag zum Bereich ihrer Tyrannei alle unsere Ver gnügungen, all' unsere 'Leidenschaften, alle unsere Schauspiele, Monu- menle und Promenaden rechnen; Eines giebl es, wa« ihrem Gesetz nichk unterworfen ist, was über ihrer beweglichen, stets wechselnden Phantasie sicher und unantastbar steht, und das ist der Garten der Tuilcrieen. Paris kann vergrößert und verschönert werden; der Luxus, die feine Welt, die Aristokratie können mit beiden Beinen über die Seine setzen und vom Faubourg Saint-Germain nach Neu-Athen ziehen, und von der Chaussee d'Anün nach dem Faubourg Saint-Honorö: die Tuilerieen werden nie etwas verlieren bei allen diesen Revolutionen. Ich rede nicht vom Schlosse; was kümmert mich das Schloß; vom Garten aus gesehen, finde ich, macht cs sogar eigen störenden Ein druck. Es ist ein Gebäude ohne Anmuth und schöne Verhältnisse, über mäßig lang, von einem düsteren Grau, ungleichmäßig und geschmacklos. Und doch giebt es junge Künstler und Kunstgelehrte, die es so, wie es ist, in ihrem Herzen tragen und sich in Schreien und AnSrufuugSzeichen gar nicht ersättigen könne», wenn die Leiter des Maurers an sciire Faxode gelegt wird und die Kelle über seine alten Steine fährt, Zeder Hammerschlag, den die ehrwürdigen Manern erleiden, hallt schmerzlich in ihrem omiquorischm Eingeweide wieder. Indessen, mag man die superstitiöse Verehrung, die'sich, beschützend an unsere alten Denkmäler knüpft, aus welchen allgemeinen Gründen man will, für löblich und zweckmäßig erklären, »immer wird sie in Bezug auf die Tuilericen durch den Gegenstand gerechtfertigt werden. In seiner ersten Anlage hätte das Gebäude für ein recht hübsche« kleines Schieß gelten können; aber wie lang ist cs schon her, daß man e« über sein Maaß hinauSgctrieben und unförmlich gemacht und entstellt hat. Doch kein Wort mehr hier über; Jeder mag die Augen aufmache» und selber sehen. Wir habe» vom Garten zu sprechen. Dieser Garten ist i» der That ein National-Eigcttthum, und nicht durch das Recht de« Krieges und der Revolutionen, zum Lohn, daß wir einige Male die Waffen ergriffe»; er gehört uns vermöge friedliche» und gesetzmäßigen Anspruchs, kraft des <üoiie rivil und nach dem Recht der Verjährung; cs ist unser Garten, unser-Aller, die wir keine» Garte» habe», ist ein Park, der zu »Niere» demüihigstc» Mansarden mit zu- gehört. Der Garten der Tuilericcn gehört jedem Bürger, der einen Hut auf dem Kopfe trägt und kein Packet unten» Arme. Ehemals und noch unter der Regierung Ludwig'« XVI!!., bei sei nen Lebzeiten le Destrü genannt, stellte das Palais-Royal Paris im Kleincii vor. Gegenwärtig, wenn man eine vollständige Idee von Pa ri« haben, ganz Paris innerhalb einiger Stunde» vor sich vorbeidefilire» sehe» will, muß ma» einen Tag im Garten der Tuilericen zubringen. Mit jeder Stunde de« Tages gewinnt dieser Garten ein neues Ansehen; jede Stunde eriicucrl sich dos Publikum, uiid immer wieder sind die Kommende» in Tracht, Manieren und Phvstognomie von den Gehenden berschicden. Ei» schöner Morgen in den Tnileriee», wenn die Bäume i» ihrem Laube prangen, ist etwas ganz köstliches. Diese dunkel» und dann wie der diese lichte» Alleen, dieser Blumenflor, dieser Dust überall, diese Fülle und diese Ruhe baden etwas Verführerische« und Erweckendes sür Lie Phantasie, mache» sie lebendig und kühn. Und so haben denn auch die Tuilerieen de« Morgen« einen ästhetischen Anstrich; eiue künstlerische und literarische Lust durchweht sic. Der junge Mann dort, der, die Hände auf dem Rücken, den Blick vor sich hin gerichtet, abgemessenen Schritte« unter den Wölbungen der Kastanien wandelt, ist ei» Dichter; stört ihn nicht in seinem Simien. — Jene Dame, in einen großen Shawl cingebüllt, mjl einem Hule, der ans der Mode ist und noch obencin verschossen, ist eine, Schriftstellerin; ungleichen schwankenden Schrittes geht sie einher, blaß, ihre Augen geröthet; sie trägt kein Schnürlcib, da« Schnürleib ist der Begeisterung hinderlich; sie hat keine Handschuhe an und kaut sich an den Nägeln: es ist eine Schriftstelle rin. Wenn wir ihr einen Moment folgen wollen, so können wir de» Dintcnflcck an ihren Fingern entdecke», der uns vcrräth, wer sie ist, und sehe», wie sie in ihrem Körbchen wühlen und die noch scuchtcn Korrektur-Bogen, die ihr der Buchhändler zugeschickt, herouslangen wird. ' Um zu lese», wird sie ihre Augen mit der Brille bewaffnen, um ihre Ideen in Fluß xu bringe», aus einer große» TabackSdose eine Prise nach der andere» nehmen. Wir scheu zur Genüge, daß e« eine Schrift stellerin ist. Lie« Geschlecht ist heutzutage sehr zahlreich geworden. Dichter und Schriftstellerin also, wie gesagt, spazieren unlcrm Schotten der Bäume. Auf der Seite der Pelite-Provcncc gicbt sich die drama tische Literatur ihr Rendezvous; dort finden sich die Burcaukrale» de« Vaudeville zusammen; auf und nieder wandelnd, machen sie hier ihre gemeinschaftlichen Arbeiten. Die erhöhten Portier» des Gartens, die Terrasse», die den Anblick ans die Champs-Elysöc« und die Seine ge währen, sind von den Künstlern unserer Theater in Anspruch genom men. Talma kam dorthin,-seine Rollen zu studiren; unsere dramatischen Veteranen spazieren noch heut dort umher, und zwei Sterne de« Theatre Les Boriötö«, Brunel und Ticrcclin, treffen gar oft dort zu sammen. Die Orangerie-Allee wird des Morgen« nicht besucht; die Terrasse läng« dcni kleineren Königlichen Garten bildet eine förmliche Straße; hier ist keine Spur von literarischem Treiben; keine» Schriftstellerinnen begegnet man hier, aber dafür desto öfter sehr hübschen und blühenden Frauen, in einem eleganten Morgen-Negligee. Unter der Restauration kam keine Frau mit Haarwickeln in die Tuilericen hinein; e« herrschte eine strenge Etikette, und der Schweizer, der am Gitter Wache stand, war unerbittlich in diesem Punkle. Heutzutage ist der Schweizer auf die minder schreckliche Gestalt eine« Soldaten ans -der Linie reduzirt, und dieser wird wieder lempcrirt durch einen National-Gardisten, das civile Element des militairischcn Wachtpostens. Der National-Gardist, der eine Frau, eine Schwester, eine Tochter hat, und den Bande aller Art an da« schöne Geschlecht seffeln, läßt die Haarwickeln ungehindert vorbei. Uebcrall ist das Verbot auch förmlich aufgehoben wvrdcn, eine natürliche Folge der veränderten Ordnung der Dinge. Die Damen, die so uncoesfirt ihren Weg durch die Tuilerieen nehmen, gehen gewöhnlich in's Bad. Herr Ligier, der seit I83V Ansehen und Rang am Hofe gewonnen, hat von der Juli-Revolution nur Eins verlangt, nämlich: alle llnsristrtcii durch die Tuilerieen passiren zu lassen, die bei der Wache eine Bade-Marke vorzcigen. Herr von Montalivct hat dieser liberalen Maaßregel die größtmögliche Ausdehnung gegeben — allen Unsiistrten ohne weitere Legitimation den Durchgang gestattet, und das um so geneigtcr und bereitwilliger, als der Graben der Tuilerieen zwi schen dem Respekt, dcn man der Majestät schuldig ist, und der Unehr erbietigkeit der Haarwickel» so»dernd zwischen inne liegt. Je höher die Sonne rückt, desto mehr verziehen sich die Künste und die Literatur ans dem Gartcii der Tuilcriccii und überlassen ihn. den lustwandelnden Politikern, die in seinem Schatten und in seiner Kühle dcn Europäischen Horizont zu studiren kommen. Gegen Mittag kann man hier eine beträchtliche Anzahl unserer Repräsentanten sehen; viele sorglos, nachlässig, satt, gehen vorüber, die Zähne stochernd, ans den Gcsetzgeberbänken die eingenommene Mahlzeit zu verdauen. Andere, die das Wort zu führen an der Reihe sind, gehe» langsamen Schrittes, versammel» die Elemente ihrer Beredsamkeit, erwäge» Hoch einmal be dächtig die Logik ihrer Gründe, lese» den freien Vortrag noch einmal durch, den sie hallen wollen. Um dieselbe Stunde kommen nun auch die Bonnrn und die Kinder. Die Pelite - Provence ist es nicht aus schließlich, wo sich diese frohe spielende Schaar versammelt. Die Pe lite - Provence hat ihren Ruhm, was den Sonnciifchein, die Bonncn und die allen Soldalcn anbclangt, verloren; die ehemaligen Voltigeur« komme» nicht wehr, zeichnen nicht mehr die strategischen Linien in .jenen Sand, in den so oft, wie die Kronik erzählt, der Stock cine« Invaliden den Plan der. Schlacht von Fontcnoy eingegraben. Da« Gelärm und Gelache der Kinder verbreitet sich nun durch den ganzen Garten, der sich von mm an mit Reise» und Bällen und dem ganzen Spiel-Arsenal der Jugend erfüllt und ganz davon in Beschlag genom men wird. Die Tuilerieen werden der Tummelplatz der Fröhlichkeit und jugendlichen Ausgelassenheit; man wird förmlich betäubt von all dem Jubel, aber es ist ein köstliches hinreißendes Vergnügen, um diese Zeit durch de» Garten zu wandeln. Von drei bis vier Uhr gewinnen die Tuilericcn ei» neue« Ansehen; dies ist die Stunde, wo sich die schöne Welt einfindet. An dem Git ter »ach der Straße Rivoli hinaus halte» zahlreiche Equipagen; aus der Terrasse des Fcnillans im Winter, und in den unteren Alleen im Sommer, wogt ein Schwarm von eleganten Spaziergängern hin und her. Unsere galanten Schönen tragen dort die neuen Moden zur Schau, die Herbomschen Hüte, die Pradelsche» und Gagelinschen Stoffe; um sie Herm» schwärmen die Elegant«, denen ihre Kasse nicht erlaubt.