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IS. Juni 18SS Nr. 138 Deutsche Allgemeine Zeitung «Wahrheit und Recht, Freiheit und Beseh I» Preis für das Vierteljahr I'/, Thlr.; jede einzelne Rümmer 2 Ngr. Zu beziehen durch alle Postämter des Zn- und Auslandes, sowie durch die Grpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Insertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Sonntag. ivelPzig. Di. Zeitung erschein! mit Ausnahme des Montag« täglich und wird Nachmittag« 4 Uhr au«- gegebeo. Der Erwerb von Grundbesitz der Franken in der Türkei. 21 Konstantinopel, 30. Mai. Eine der wichtigsten Verheißungen des großherrlichen Ferman-, der die Emancipation der Christen in der Türkei verspricht, dessen Ausführung aber durch den Friedensvertrag ganz und gar in das Belieben der Türken gestellt wird, ist die, daß eS fortan den Fran ken freistehen solle, in der Türkei Grundbesitz zu erwerben. Diese Ver heißung unterscheidet sich von den übrigen in jenem Ferman gespendeten dadurch, daß sie eine völlig neue ist, die jetzt zum ersten mal, seit Türken Konstantinopel beherrschen, auftaucht, während die übrigen lauter alte Be stimmungen enthalten, die früher nicht beobachtet sind, nach denen aber fortan ganz gewiß daS türkische Gouvernement sich genau richten wird, wie «S verspricht. Wir wollen wünschen, daß es dieser neuen Verheißung nicht ebenso ergehe wie jenen altern, und daß nicht noch wieder neue Kriege und neues Hinschlachten von Hunderttausend««: erfoderlich sein möge, um dereinst nach Jahren das erneute Versprechen ans Licht zu bringen- es solle nun ganz gewiß zur Wahrheit werden, daß die Franken Grundbesitz in der Tür kei erwerben dürfen. Als ein großes Unglück müßte man es ansehen, wenn eS mit der gedachten neuen Verheißung eine solche Wendung nehmen sollte; denn würde sie unumwunden und ohne Rückhalt jetzt gleich erfüllt, so würde sie eine der großartigsten Veränderungen iin Leben des Orients her- vorbringen, welche sowol für die christlichen Staaten Europas als für die Türken selbst von den segensreichsten Wirkungen sein müßte. Wir glauben, daß dies aus folgenden einfachen Betrachtungen hinlänglich erhellen werde. Sowol an den Küsten Kleinasiens, Rumeliens und Syriens als im Innern dieser Länder liegt ein ungeheurer Schatz des vortrefflichsten Bo- den- unter dem gesegnetsten Himmelsstrich der Erde, unbebaut, unbenutzt. Die herrlichsten Product« gedeihen hier; ein vortrefflicher Wein, nur durch schlechte Behandlung jetzt größtentheils in MiScredit gekommen, vortreffli ches Oel, nur wegen schlechter Bereitung dem Oel der Provence nachste hend, dazu Korn, Flachs, Südfrüchte, kostbare Arznei - und Farbestoffe rc. In den Gebirgen liegen reiche Schätze von Metallen und Kohlen, das Klima ist fast überall, namentlich an den Seeküsten und in den höher ge- legenen Gegenden gesund und qnmuthig und auch dem Nordeuropäer zu träglich, Wenn es nun erlaubt ist, daß Franken sich in diesen gesegneten Ländern als Grundbesitzer ansiedeln dürfen, so werden wir in kurzem nach ihnen einen Strom der gedeihlichsten Auswanderung entstehen sehen. Wozu nach Amerika, nach Australien auSwandern, wenn ein so vortreffliches Land un- offensteht, das von Triest in vier bis fünf Tagen sich erreichen läßt? Warum sollten die christlichen Länder Europas nicht lieber den Ueberfluß ihrer Bevölkerung nach einem naheliegenden Lande wandern lassen, wo er nicht für die Mutterländer verloren wäre und ein besseres Loos zu erwar ten hätte als in jenen transoceanischen Ländern? Warum sollte Europa den blühenden Handel verschmähen, der mit den Ländern der Türkei, sich entwickeln müßte, wenn sie von einer kräftig aufblühendcn Einwanderung regenerirt würde? So wäre eS also unwidersprechlich, daß unermeßliche Vortheile aus der Erfüllung jener großherrlichen Verheißung hervorgchen müßten für die christlichen europäischen Staaten. Ob aber auch für die Türken? Wir glauben auch dies entschieden bejahen zu müssen. Das Herbeiströmen einer Menge intelligenter, in den Künsten des Abendlandes erfahrener, betriebsa mer Menschen des besten Stamme-, müßte ein neues Leben in die erstar- rcnden Adern des türkischen StaatSkörpers bringen. Denn in jedem Zweige de- menschlichen Wissens fehlt es den Türken an tüchtigen Männern, die niedrigern Leistungen menschlicher Thätigkeit ausgenommen. Ja, es gibt bei ihnen allerdings arbeitsame Bauern, geschickte und fleißige Ruderer, in den niedern Sphären von Handwerk und Gewerbe fleißige und in dem nach altem Herkommen Erlernten geschickte Arbeiter; es werden in den untern Schichten deS Volk- auch Mäßigkeit und Genügsamkeit in einer Weise ge übt, die den Franken als Vorbild dienen könnte; auch findet sich in diesen Schichten ein überraschendes Maß von physischer Kraft und gesundem Men- schenverstand, denn di« Masse de- türkischen Volks ist ja keineswegs ein abgelebter, verfaulender Mann, sondern ein lebensfrischer und lebenskräfti ger, und nur in den hohem Schichten liegt der fressende Schaden. Aber dir Lürken haben keinen einzigen hervorragenden Kaufherrn, keinen ein- zigen tüchtigen SchiffScapitän, in keinem andern Gewerbe ausgezeichnete höhere Persönlichkeiten, keinen Einzigen. ,hfr sich hervorragend in Wissen schaft oder Kunst auszeichnete. Kerner wksden die herbeiströmenden Geldmittel reiche Schad» apß aam Europa in« Land führen, d«nn gewiß kein europäischer Staas M s» «ich die Türkei, wenn sie Land verkauft» will. Auch müßte» durch die ge- dachte Einwanderung zum Rutzen der Türkei «inReichthum v»n Produc- ten und eine Fülle von GewcrbS- und Handelsthätigkeit sich entwickeln, die jetzt in ihrer ungeheuer» Größe noch kaum geahnt wird. Aber es würde gewiß für die Türken nicht bei der Einführung und Festhaltung von fremden Capitalien und tüchtigen Menschen, bei der Vermehrung der Pro ductions- und Handelsthätigkeit durch die Franken stehen bleiben; nein, die großartig auf tausend Flecken sich entwickelnde Thätigkeit würde die Tür- ken zur Nacheiferung anreizen und mit Donnerstimme sie aus ihrem Schlaf wecken, denn sie schlafen nur; die Entwickeluugsthätigkeit ist in ihnen nicht erstorben, sie würden gezwungen sein, es der Betriebsamkeit der Franken nachzuthun, wenn sie nicht zugrunde gehen wollten. Muß aber nicht ge rade die Gefahr, von den Franken überflügelt zu werden, ein Grund für sie sein, die Erfüllung jener gegebenen Verheißung möglichst zu hintertrei- ben? Gewiß, wenn sie sich nicht aus der bisherigen Erstarrung erwecken, wenn sie die schönen Anlagen, mit denen die Natur sie ausgestattet hat, nicht benutzen, wenn sie in althergebrachter Weise weiterwirthschaften wol- len, gewiß, dann müssen sie durch eine fränkische Einwanderung sowie ohne sie zugrunde gehen; wenn sie aber ihre Kräfte benutzen wollen, um sich zu einem Volk zu erheben, das nicht einzig und allein durch die Zwietracht und Eifersucht der christlichen europäischen Mächte sich als politischer Körper lebendig erhalten kann, so haben sie keine Gefahren, sondern nur Heil und Segen von einer fränkischen Einwanderung zu erwarten. Es ist übrigens wohl zu beachten, daß ihnen als Compensation für die einstweilen höhere Intelligenz und Betriebsamkeit der Franken die durch den Verkauf von Ländereien in ihren Besitz kommenden großartigen Geldmittel zufallen wür- den, deren weiser Gebrauch, wenn sie ihn machen wollen — und wer hin dert sie daran? — ihnen immer einen gewissen Vorsprung vor den Franken sichern würde. Zur Vermehrung des öffentlichen Reichthums des türkischen Staats würde aber auch der Umstand wesentlich beitragen, daß die bisher ewig wechselnde fränkische Bevölkerung sich durch die gedachte neue Ord nung der Dinge in eine stabile verwandeln würde. Denn was geschah-im bisherigen Zustande? Die Franken kamen hierher, um durch Handel und Gewerbe sich Reichthümer zu erarbeiten; da ihnen aber der Besitz von Grund und Boden versagt war, so zogen sie stets mit den« Erworbenen wieder außer Landes und der Türkei wurden jährlich ungeheure Summen auf diese Weise entzogen. Dürfen sich die Franken hier ankausen, so w«r- dm alle diese Summen im Lande bleibe. Könnte man aber nun von türkischem Standpunkt au- nicht sagen: „Wohl, der materielle Nutzen einer fränkischen Einwanderung in unser Reich ist außer Zweifel, aber wird sie nicht tödtlick unsern Islam gefährden?" Ich glaube, die Einsichtigen unter den Türken antworten sich auf diese Frage: „daß eine Religion nur dann zugrunde geht, wenn sie keine innere Lebensfähigkeit hat, und daß man eine Religion, der die innere Lebens fähigkeit fehlt, mit allen äußern Mitteln nicht beim Leben erhalten kann, daß aber eine Religion, welche diese Lebensfähigkeit besitzt, nicht dadurch zugrunde gehen kann, wenn neben ihr eine andere ihre Gebräuche und Dog- men beobachtet." Es ist übrigens charakteristisch für das Türkenthum, daß in seiner Mitte an eine Gefahr für den Islam vom Christcnlhum her sehr wenig gedacht warb; man hält ihn für erhaben genug, um nicht durch da- Christrnthum überflügelt zu werden. Gerade ebenso wie man in einer tür- kischen Einwanderung in Deutschland oder Frankreich keine Gefahren für das Christenthum erblicken würde. So würde also für Franken sowol als Türken die Erfüllung der Ver heißung von Grundbesitz unermeßliche Vortheile und den Türken so wenig als den Franken irgendwie Nachthcile bringen. Desto mehr aber muß eS befremden, zu sehen, wie es mit der Erfüllung jener Verheißung in der Wirklichkeit steht. Erstens ist die Verheißung schon in ihrer Fassung ver- clausulirt durch den Zusatz, daß sie erst nach besonder«, mit den verschiede nen christlichen Regierungen zu schließenden Conventionen zur Ausführung kommen soll«, und mithin diese Ausführung auf die lange Bank geschoben und durch ganz unnöthige Weitläufigkeiten erschwert. Zweiten-: einstweilen haben die Türken zu dem Mittel gegriffen, die Schwierigkeiten, welche mit d«m Erwerben von Grundbesitz für die Franken bisher verknürft waren, noch bedeutend zu verschärfen. Das früher bestehende Gesetz nämlich, das den Franken den Erwerb von Grundeigenlhum verbot, wurde vielfach in pisxi umgangen und viele Franken sind in dem thatsächlichen, wenn auch nicht für alle Zeiten so fest als in den christlichen Staaten gesicherten Besitz von Grundeigenthum. Die beiden Hauptarten der Umgehungen waren die, daß die Frau des kaufenden Franken ohne weitere Schwierigkeiten und Ge- fahr übler Folgen als Rajah betrachtet und da« zu erwerbende Grundstück auf ihren Namen geschrieben wurde, oder aber daß das Grundstück nomi nell in den Besitz irgendeines Lürken oder Rajah überging, der den Kauft contract auf seinen Namen ausgestellt erhielt, gegen dessen etwaige Ansprüche man sich aber dadurch zu sichern wußte, daß man von ihm sich eine Schuld-