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SS «cheuat»n»«ochmtag vr«»« -fkt den 1b. s:L?rrNi«L!» 1881. E—W——— . JnserütewerdenbiSBormtttag-11 Nhrang«tovt- Freit-«, den 21. J-nu-r. - rB erzer M^iqE undT-MM. Amtsblatt für die Kniglichm nab städttscheu Bchördeu zu Freiberg und Braud. ! VennMo-rüscher Redakte« Illias Brau» io Freiberg. Vorwärts oder rückwärts? Geht es mit unserer volk-wohlfahrt i« All- gcmetnen vorwärts oder rkkSvärt»? Denn man die Klagen über das viele Ittad hört, welche- heute über all, wohin man auch blicken mag, vorhanden ist, und wenn man dann von den „guten, alten Zeiten" -liest, in denen es sich so behaglich lebte — so Amte man wohl zu der Ansicht kommen, es werde immer schlimmer in der Welt und wir hätten doch eigentlich viel schwerer zu tragen als unsere Vorfahren, die in Gemächlichkeit ihr Leben genossen, denen noch keine soziale Frage, keine Ueberproduktion, keine Schleuder-KoaAtrrenz rc. Kopf schmerzen machte. Wer sich aber nW von unklaren Stimmungen und subjektiven Neigungen leiten läßt, son dern frei von aller schwärmerischen Romantik an der Hand der Wissenschaft die sozialen Zustände der Vergangenheit mit denen der Gegenwart vergleicht, vchrd sehr bald finden, daß der Fortschritt, welchen die Menschheit und speziell unser Volk in diesem Jahrhundert gemacht, auch in Bezug aus den allgemeinen Volkswohlstand ein so riesiger ist, daß keine frühere Epoche dem gleichkommt. Denken wir nur an die Ausrottung der Sklaverei und den letzten Rest der Leibeigenschaft in diesem Jahrhunderte; verglei chen wir die Lage des Bauernstandes vor hundert Jahren mit der heutigen, so treten uns die gewaltigen sozialen Fortschritte recht deutlich vor Augen. Aber noch viel schlagender lassen sich diese Fortschritte nachweisen, wenn wir — natürlich immer in Durchschnitts ziffern — die Lebensweise der sogenannten niederen Klassen vor achtzig Jahren vergleichen mit der heutigen, oder auch den Komfort des damaligen Mittelstandes in Vergleich bringen mit dem des heutigen! Wie klein und jämmerlich nehmen sich alle die damaligen Verhältnisse gegenüber den jetzigen aus; wie wenig Genüsse, die heute sich selbst der Acrmstc bietet, waren damals sogar dem Wohlhabenden möglich; wie ärmlich erscheint heute alles das, was damals dem begüterten Mittelstände als behag liche Existenz galt! Wir brauchen gar nicht daran zu erinnern, was unser Geschlecht sich in Bezug auf Ver gnügungen, Reisen, Kunstgenüsse aller Art gönnen kann und auch wirklich gönnt; wir brauchen nicht daran zu erinnern, daß die Wohnungen heute — selbst da, wo räumliche Beschränkungen auferlegt sind, welche die Vor zeit Nicht kannte — im Allgemeinen gesünder, bequemer und behaglicher geworden sind; brauchen nicht die zahl reichen Wohlfahrts-Einrichtungen, die Lebensversicherungen, Krankenkassen, Sparbanken, Heil- und Pflege-Anstalten u. s. w. aufzuzählen, welche frühere Zeiten gar nicht oder nur in sehr beschränktem Umfange kannten — nein, nur darauf sei hingewiesen, daß die Statistik auch eine ganz beträchtliche Steigerung im Konsum aller den materiellen Genüssen dienenden Artikel nachweist, um den Beweis zu führen, daß der Mensch heute in allen Beziehungen besser lebt, als zu Anfang des Jahrhunderts! Nicht nur, daß der Konsum an Weizen — der sicherste Gradmesser für den Wohlstand eines Volkes — bei uns in Deutschland ganz erheblich zugenommen hat, auch der Konsum an Zucker, Kaffee, Fleisch, Bier, Wein, Tabak — alles Nahrungs oder Genußmittel, welche einen Rückschluß auf den Wohl stand gestatten — ist in ganz anderen und großartigeren Dimensionen gewachsen als die Bevölkerungsziffcr. Was noch vor fünfzig Jahren als Luxus galt, ist heute ein unabwcisliches Bcdürfniß geworden. Wenn heute Jeder, der über die „schlechten Zeiten" raisonnirt, so geringe Ansprüche an das Leben machen wollte, wie sein in gleichen sozialen Verhältnissen lebender Großvater gcthan, so würde er bald recht hübsche Sümmchen zurücklegen können. Dieser Erkenntniß gegenüber verschlägt auch der Ein wand nichts, daß, wenn auch das Durchschnittsverhältniß günstiger geworden, die Lage der sogenannten arbeitenden Klaffen sich entschieden verschlechtert habe. Im Gegenthcil zeigt die Wirthschast der Neuzeit den ausgesprochenen Zug für Ausgleichung der Gegensätze. Schon die größere Be weglichkeit des Kapitals bringt dies mit sich. Der Besitz ist heute viel flüssiger, veränderlicher geworden, als er vordem war, mögen die Sozialisten dies auch zehnmal verneinen. Was heute oben ist, kann morgen unten sein; schon diese Thatsache «Wn gleicht die Gegensätze aus. Diese ausgleichcnde Tendenz ist gerade das her vorragendste Merkmal im wirthschaftlichen Leben der Neu zeit. Wenn wir auch d«t der absoluten Gleichheit weit entfernt sind und dieselbe freilich nie erreichen werden, so muß man sich bei gewissenhafter Prüfung doch sagen, daß die Kluft zwischen Besitz und Besitzlosigkeit heute nicht mehr so groß ist wie früher. Die Vielbeklagte Macht des Kapitals drückt heute ge wiß nicht schwerer als früher, wo diese Macht ebenfalls vorhanden war, außerdem auch noch die Standesvorrechte und der Druck des staatlichen Absolutismus hinzutratcn. Der Arbeiter von heute, welcher wenigstens am Sonntage in seiner Kleidung sich kaum vom Arbeitgeber unterscheidet, der, wenn er sich sonst darnach beträgt, hunderterlei Ver gnügungen mit seinem Arbeitgeber theilen, mit ihm gemein sam in zahlreichen öffentlichen Lokalen verkehren kann, dessen Stimme bei den Reichstagswahlen eben so viel gilt wie die seines Arbeitgebers — ist er wirklich vom letz ter» durch eine so weite Kluft geschieden wie der stöh nende und zinspflichtige Bauer ehemals von seinem Guts herrn, ja selbst der arme Dorfhandwerker, der niemals Meister werden konnte und als „Böhnhasc" überall ver folgt und gehetzt wurde, vom Zunftmeister? Wir sind vorwärtsgekommcn, nicht so schnell vielleicht, wie der himmclstürmende Idealismus wünschen möchte, aber doch so schnell, wie nur Derjenige erwarten kann, der an der Hand der Geschichte gelernt hat, daß jedes Ding hieniedcn seine Zeit zur Entwicklung braucht und daß Alles, was ohne solche Entwicklung über Nacht her- cinschncit, uns nie dauernd zum Vorthcil gereichen kann, weil cs keinen Bestand hat. Wenn trotz alledem noch so viel zu klagen übrig bleibt, so liegt das weit mehr daran, weil die Bedürfnisse der Menschheit schneller gewachsen sind als die Mittel zu deren Befriedigung. Wo also die Hebel zur „Besse rung der Zeiten" einzusctzcn sind, ist leicht zu errathcn: in der Verminderung unserer Ansprüche an das Leben. Doch über dieses Kapitel behalten wir uns für morgen eine weitere Betrachtung vor. Das Arbeiter-Berstcherungs-Gesetz. i. Wir haben in Kürze bereits mitgetheilt, daß dem Bundesrathe vom Reichskanzler der Entwurf eines Gesetzes zugegangen ist, wonach im deutschen Reiche die Versicherung gegen Unfälle zwangsweise eingeführt, werden soll. Der Gegenstand ist zu wichtig, als daß wir im Nachstehenden nicht die wesentlichsten Bestimmungen dieses Entwurfes wiedergebcn sollten. Alle in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungs-Anstalten, Brüchen und Grnbe», auf Werften, bei der Ausführung von Bauten und in Anlagen für Bauarbcitcn (Bauhöfen), in Fabriken und Hüttenwerken beschäftigten Arbeiter und Betriebsbcamtcn, deren Jahresvcrdienst an Lohn oder Gehalt nicht über 2000 M. beträgt, sollen in Zukunft danach bei einer von dem Reich zu errichtenden und für Rechnung desselben zu verwaltenden Versicherungsanstalt gegen die Folgen beim Betriebe sich ereignender Unfälle nach Maßgabe der ein zelnen Bestimmungen dieses Gesetzes versichert werden. Den vorstehend aufgeführten Betrieben gelten im Sinne desselben diejenigen Betriebe gleich, in welchen Dampf kessel oder durch elementare Kraft, (Wasser, Dampf, Gas, beiße Lust u. s. w.) bewegte Triebwerke zur Verwendung kommen, mit Ausnahme des Schifffahrt-- und Eisenbahn betriebes, sowie derjenigen Betriebe, für welche nur vor übergehend eine nicht zur BetricdSanlage gehörende Kraft maschine benutzt wird. Als Gehalt oder Lohn im Sinne dieses Gesetzes gelten auch Tantiemen und Naturalbezüge. Als Jahresarbcltsvcrdienst gilt, so weit sich derselbe nicht aus mindestens wochenweise fixirten Beträgen znsammen- sctzt, das ZOOfache des täglichen Arbeitsverdienstes. Die ReichsversichcrungSanstalt dvmtzilirt in Berlin- Klagen aus Versicherungsgcschästen können nach Ermessen des Versicherten eventuell beim Gcrichtssih der Anstalt oder bei dem der Verwaltungsstelle, welche das Geschäft ver mittelt hat, angcstcllt werden. Die Organisation und Verwaltung der Versicherungsanstalt sollen, soweit das Gesetz nicht darüber noch besondere Bestimmungen enthält, durch ein vom Kaiser im Einvernehmen mit dem Bundes- rath zu erlassendes Gesetz geregelt werden. Tarife uud Vcrstchcrungsbcdingungen stellt der Bundesrath durch Be schluß fest, soweit das Gesetz nicht anders bestimmt. Die Tarife find alle 5 Jahre zu revidircn. Gegenstand der Versicherung ist der Ersatz des Schadens, welcher durch eine körperliche Verletzung, welche eine Erwerbsunfähigkeit von mehr als 4 Wochew zur Folge hat, oder durch Tödtung entsteht. " Im Fall der Verletzung besteht der zu versichernde Schadenersatz 1. in den Kosten des Heilverfahrens vom Beginn der fünften Woche; 2. in einer vom Beginn der fünften Woche für die Erwerbsunfähigkeitsdauer zählbaren Rente. Diese beträgt a) im Falle völliger Erwerbsun fähigkeit für die Dauer derselben 66'/« pCt.; d) im Falle der theilweisen Erwerbsunfähigkeit dagegen für die Dauer derselben einen Bruchtheil der Rente unter »), jedoch nicht unter 25 und nicht über 50 pCt. des Arbeitsverdienstes. Für den Fall der Tödtung sind vorgesehen 1. 10 pCt. des Jahrcsverdienstes als Bcerdigungskostenersatz, 2. falls der Tod später als 4 Wochen nach dem Unfall eintrat, in den nach Ablauf derselben aufgewcndeten Heilungs kosten und in einer weiteren Unterstützung im Betrage von 66'/z pCt. des bisherigen Verdienstes. Endlich in einer den Hinterbliebenen vom Todestage an zu gewährenden Rente. Ansprüche der Versicherten gegen eingeschriebene Hilfskasscn, sonstige Sterbe-, Invaliden- und andere Unter stützungskassen bleiben dadurch untangirt; die landesqe- sctztichcn Vorschriften der Verpflichtung solcher Kassen gegen dieselben treten dagegen infoweit außer Kraft, als die Versicherung nach Maßgabe dieses Gesetzes Platz greift. Für jeden oben aufgeführtcn Betrieb muß eine sämmtlichc in demselben beschäftigte Personen umfassende Kollektiv-Versicherung gegen eine feste Prämie stattfindcn, welche nach Maßgabe der im abgelaufencn Vierteljahre an die beschäftigten Personen gezahlten Löhne und Ge hälter zu bemessen ist. Die Prämicnsätze sind nach Gcfahrklassen in Prozenten der gezahlten Löhne und Gehälter zu bemessen. Die Ver sicherungsprämie ist aufzubringcn 1. für Diejenigen, deren Jahrcsarbcitsverdienst 750 Mark und weniger beträgt, zu V» von Dem, für dessen Rechnung der Betrieb statt- ftndct, und zu V« von dem Landarmcnvcrbande des Be triebsbezirks, soweit nicht nach verfassungsmäßiger lokaler Regelung des einzelnen Bundesstaates ein anderer Ver band oder der Staat cintritt; 2. für die Versicherten, deren Jahresverdienst 750 Mark übersteigt, zur Hälfte vom Arbeitgeber, zur Hälfte vom Versicherten. Die Ver sicherung ist von dem Vorstände des Landarmenvcrbandes oder dem Bundesstaate zu bewirken, welcher zur Prämien zahlung beizutragcn hat. Deshalb ist vom Verpflichteten der zuständigen ReichsvcrwaltungssteÜe von dem Betriebe Anzeige zu machen, und gilt die Versicherung mit der Absendung dieser Anzeige als abgeschlossen. Beschwerden über die Feststellung des Prämiensatzcs unterliegen der Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde. Die Be- tricbsuntcrnchmer sind berechtigt, den Beitrag, welchen die selben für die Versicherten zu leisten haben, bei der Lohn- odcr Gehaltszahlung auf den verdienten Lohn oder Gehalt anzurcchnen, doch müssen sie den sämmtlichcn Verpflichteten Einsicht in diese Berechnung gewähren.