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W»ch«nllIL »lchiinm drei Nummern. Prinumeration«.Prei« 22 j Silbrrgr. (t THN.) vlerttljLhrlich, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne SrdShung, in aUen ^heilen der Preußischen Monarchie, Magazin für die Vrinumeratlonen irerden von leder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Somv., Iigerstraße Nr. 28), so wie von allen Königl. Poft-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 4/ LOS. Berlin, Dienstag den 2. September 184S. Frankreich. Erinnerung an Eduard Gans. WaS bisher noch in Deutschland verabsäumt worden, die Errichtung eines literarischen Denkmals für den verstorbenen Eduard Gans, das hat Freundes hand in Frankreich bereits, wenn auch in einer sehr anspruchslosen Weise, zu Stande gebracht" Herr L. de Lomenie hat von des Verstorbenen „Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwickelung" eine Abiheilung, nämlich die „Geschichte des Erbrechts in Frankreich während des Mittelalters", ins Französische überseht und mit einer biographischen Einleitung aus der Feder St. Marc Girardin'S herausgegeben. °) So unscheinbar auch das bescheidene Bändchen sich darstellt, ist cs doch wohl geeignet, des Verstorbenen Namen in Frankreich in Ehren zu erhalten und seine deutschen Freunde zu beschämen, die balv nach seinem Tode zu- sammengetretcn waren, um das, was Gans an Handschriften hinterlassen, zu ordnen und gemeinschaftlich mit einer Auswahl seiner gedruckten Werke, so wie mit einer Lebens- und Charakterdarstellung des mit seltenen GeisteS- gaben auSgestattet gewesenen ManncS, herauszugeden. Wir bedauern um so mehr, daß aus der Ausführung dieses Planes nichts geworden, als sich Männer wie Varnhagen von Ense, Hotho, die Brüder Benarp, Hepdcmaim und Veit, die alle dem Verstorbenen persönlich nahe gestanden, dabei be- theiligen wollten. Hatte doch GanS selbst, als «S bei ähnlicher Gelegenheit galt, dem eben verstorbenen Hegel ein seiner würdiges literarisches Denkmal zu setzen, mit dem ganzen Eifer seiner anregenden und belebenden Persönlich, keit so lange gearbeitet, bis die Ausführung des Planes feststand, dis den Hinterbliebenen des großen Philosophen nicht blos die in zahlreichen Händen zerstreuten handschriftlichen Hefte, nach denen nachmals die meisten Bor- lesnngcn geordnet wurden, sondern auch die Bearbeiter dieser Hefte und end lich der Verleger nebst dem sehr ansehnliche» Honorar gesichert waren. Freilich war sein eigener schriftlicher Nachlaß nicht mit dem des viel älter verstorbenen Hegel zu vergleichen, aber nicht der innere Werth war eS, der diesem Nach- laß abging, sondern der Eifer, mit dem GanS selbst im I. I8ZI nach Hegel s Tod Alles in Bewegung zu setzen und für die Sache zu gewinnen wußte. WaS uns Herr St. Marc Girardin in seinen dem französischen Werke vorgedruckten „8ouvenir3 3i,r 6-1,3" sagt, besteht größtentheilS aus Unter- Haltungen mit ihm während seines Aufenthaltes in Berlin, so wie aus Bruch- stücken späterer Briefe. Die Unterhaltung, das Gespräch, war aber auch dasjenige Gewand, in welchem der GanSsche Geist am liebenswürdigsten er- schien. Er improvifirte gleichsam Philosophie der Geschichte, wenn auch hin und wieder etwas leichter Witz oder ein wenig Medisance mitunterlief, und wer ihm, aus dem Sopha oder am Thcetisch sitzend, nachgeschrieben hätte, der würde gewiß oft eben so viel als aus seinen Vorlesungen mit nachhause getragen haben. Kein Wunder, daß diese Art, daS Gespräch zu führen, die in der That etwas Französisches hatte, auch für Franzosen besonders anziehend war, und diese versäumten denn auch nicht, besonders wenn es Männer von Geist und Ansehen waren, ihn aufzusuchen, sobald sie nach Berlin kamen. St. Marc Girardin befand sich in der ersten Hälfte des Jahres I8ZO, also vor der Juli-Revolution, in Berlin. Ich lernte den französischen Pro feffor damals bei GanS kennen und erinnere mich sehr wohl, bald nach seiner Abreise einen Brief von ihm aus Paris gelesen zu haben, worin er seinem deutschen Freunde die nicht lange darauf eintretenden Ereignisse mit den Worten ankündigte: „Bald dürften wir eS wieder erleben, daß sich die Bour bons auf ein« Reise nach Gent begeben, aber dieseSmal werden sie nicht wie t8lS wieder zurückkchren." — Von seinen Unterhaltungen mit GanS erzählt er unter Anderem Folgendes: .... „Ich erinnere mich, eines Tages mit Gans aus dem Kreuzberge bei Berlin gewesen zu sepn. ES steht dort ein eisernes Denkmal zur Erinnerung an den Befreiungskrieg. Auf diesem Denkmale las ich die Namen mehrerer Schlachten, die ich niemals hatte nennen hören, denn die kaiserlichen BülletinS erzählten uns ja nur von unseren Siegen. Beim Nachhausegehen sprachen wir von Jena und Waterloo. „ES sind dies", sagte GanS, „Tage des Un- glücks, der eine für Preußen und der andere für Frankreich, aber diese Un- *) Ulrtoire 61» vrolt äe 8uoee««iou ea Vrrmee, au wozkeu-sxe. kar Läouarä 6ao», protea-eur 6« vrolt » I'uoiver«lte 6e Lerlio. I'raäuite eu frao^ai, par L.. äe I^oweole,' «t preeeäöe 6'uoe notier »ur I« vie et le» ouvraFe» 6e 620, par U. 8aIllt-Uarc- 6lr»r6!u, Gewirr« ä« 1« Okawbre äe» Vepute» «te. -- kari«, 1846. glückStage haben glückliche Folgen gehabt. Sie haben, wiewohl durch den Krieg, die Völker einander genähert und sie vermischt; ja sie haben an der moralischen Einigung Europa'S gearbeitet. Ihr Franzosen habt uns viel zu geführt, selbst indem Ihr uns besiegtet: Ihr habt uns die Gleichheit vor dem Gesetze und die Gleichmäßigkeit der Verwaltung, d. h. dasjenige gebracht, was Ihr Euch seit I78S angeeignet hattet. Wir unsererseits haben Euch nicht minder viel zurückgegcben, denn durch unsere Siege von l8lZ brachen wir die stolze Jsolirung, in der Ihr Euch befandet und vermöge deren Ihr, weil Ihr Nichts sähet, Nichts kanntet und Nichts bewundertet außer Euch selbst, eben so trocken und unfruchtbar als eitel wurdet. Wir wollen daher nicht allzu verächtlich auf unsere beiderseitigen Niederlagen blicken. Wissen Sir wohl, daß die Regeneration meines preußischen Vaterlandes von Jena her batikt? Jena ist eS, daS aus unserer Gesetzgebung und Verwaltung dasjenige be- seitigte, was der große Friedrich, aus Jrrthum oder auS Politik, darin noch aus der Zeit des Mittelalters gelassen hatte. Bis dahin hatten wir geglaubt, daß Preußen mit seinem nicht sowohl nationalen als adeligen Heere, mit seiner, alle Unterstützung von Seiten der Gemeinden und der Munizipalmacht von sich weisenden Verwaltung, mit den Marimen Friedrich s, die im Grundt nur eine übclverstandene Routine waren, unüberwindlich sep. Jena zeigte uns unsere Schwäche, und nun fingen wir an, das Fehlerhafte zu verbessern. Der Geist des Fortschritts, der zu allen Zeiten die Vorsehung Preußens war, kam uns zu Hülfe. Das Heer wurde national durch die Landwehr; der Minister v. Stein schuf die Städte-Ordnung und führte darin daö Prinzip der Gleichheit ein, das die Gemeinde-Verfassungen des Mittelalters nicht zugrlassen hatten. Und so haben wir, während Ihr in Westfalen und den mit dem französischen Reiche vereinigten deutschen Provinzen Eure Gesetze durch die Eroberung einsübrlet, die Prinzipien derselben auS freien Stücken adoptirt, indem wir dem Kaiser Napoleon die einzige Macht, die eS mit ihm ausnehmen konnte, nämlich den Liberalismus, und den Siegen des kaiser lichen Frankreichs die Grundsätze des rcvolutionairen cntgegenstellten. ES kann uns dies ein recht schlagender Beweis sepn, daß eS in Europa, welches bald «in einziges Volk ausmachen wird, nur einen und denselben Geist giebt, der sich durch den Krieg wie durch den Frieden Eingang verschafft und verbreitet, und dieser neue Geist ist es, den Ihr Franzosen im I. I78S in die Welt cingeführt habt." .... „Mein lieber Freund", sagte ich zu GanS, „dabei ist nur Eines, was mich ein wenig besorgt macht. WaS nämlich soll in dieser Epoche der Verschmelzung, oder vielmehr der Konfusion, waS soll da aus den Indivi duen werden?" „O", antwortete er, „Sie haben da gerade eine wunde Stelle berührt. Wenn die Ereignisse sich so gestalten, wenn sie ganze Nationen in Bewegung setzen, dann» gewinnen sic ein kolossales Ansehen und werden riesenhaft; die Menschen aber, ach! sie bleiben klein wie sie waren. Die Ereignisse verlängern sich, so zu sagen, über die ganze Oberfläche von Europa; sie dehnen sich aus, erheben sich und wachsen in maßloser Weise, aber der Mensch kann sein ge- wöhnlicheS Maß nicht überschreiten, und er bleibt, wie er cS auch anstelle» möge, innerhalb der fünf oder sechs Fuß seines Wuchses und innerhalb der fünf oder sechs Ideen seines Geistes cingeschlossen. Daher dieses Mißver hältnis zwischen den Dingen und den Menschen, daS uns Allen heutzutage auffällt und das täglich noch größer werden dürste. In der That ist allemal, wenn bei einem Ereignisse viele Menschen bctheiligt sind, der Antheil jedes Einzelnen sehr klein. Wenn sich viele Schauspieler auf der Bühne befinden, so hat jeder von ihnen nur wenig zu sagen; er erscheint einen Augenblick, wirft ein Wort oder zwei hi» und tritt dann wieder hinter die Couliff«. Die Politik und das Theater scheinen sich in dieser Beziehung gegenseitig auf eine merkwürdige Weise zu repräsentiren. Blicken wir auf die Tragödie der Alten, so haben wir das Gemälde der Leidenschaften und des Unglücks eines Helden vor uns, eine einzige Person füllt die Scene; eben so war eS in der Politik: eine einzelne Person, ein großer Mann, ein CpruS, ein Perikles, «in Sulla befand sich auf der Scene, und an ihn war alles Interesse geknüpft. Im neueren Drama dagegen haftet das Interesse nicht mehr an den Menschen, oder an den Charakteren, cS liegt vielmehr in den Begebenheiten, in den TheatercoupS, in unendlichen Wechselfällen, und darin gleichen sich das moderne Theater und die moderne Politik zum Erschrecken. „Heutzutage macht sich das Geschick der Völker von selbst und ohne Ein wirkung der Individuen; Letztere folgen vielmehr den Begebenheiten; sie mach«» fich, wie man es zur Zeit der englischen Revolution sehr treffend aus-