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Wöchentlich erichemcn drei Nummern. Pränumcraiionö- Preis 22^ Sgr. (z Tdlr.) oienchäbttich, Z THIr. sür Las ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Prcniuichcn Monarchie. a g a z i n für die Man pranumerirl auf dieses Literatur,Blatt in Beilin in der Expedition der AUg. Pr. Staats,Zeitung (ZricdrichSsir. Nr. 72); in der Provinz so wie im Ausland« bei den WohUöbt. Posi-Aemlcrn. Literatur des Auslandes. 142 UMWlllllW Mill«», I, , W 7»'l Berlin, Freitag den 26. November 1841. Spanien. Herr von Chateaubriand über Spanien. 1. Geschichtliches. Von der zweiten Hälfte des fünfzehnten bis zum Anfänge deö siebzehnten JahrhuiwcnS war Spanien fünf Menschenalter hindurch die erste Nation Europa's. In dieser Zeit bereicherte cs die Erde mit einer neuen Welt, gebar Krieger, welche sich den Ruhm der größten Feldherren erwarben, diktirte den Höfen der Könige und Fürsten die Gesetze der Mode und Etikette, herrschte in den Nieder landen durch Heirath, in Italien und Portugal durch Eroberung, in Deutschland durch Wahl, in Frankreich durch einheimische Zwietracht und bedrohte Englands Selbständigkeit, nach der Vermählung mit der Tochter Heinrich'ö VIII. Spanien sah unsere Könige in seinen Gefängnissen und seine Krieger in unserer Hauptstadt; seine Sprache und sein Genie gebaren uns den großen Corneille. Endlich kam die Stunde des Falles; der Ruhm der Spanischen Infanterie starb zu Rocroi unter der Hand des großen Condö, aber Spanien gab nicht seinen Geist auf, bevor Anna von Oesterreich den vierzehnten Ludwig der Welt geschenkt hatte. Spanien unter der Familie der Bourbonen begrub sich in seine Halbinsel bis zum Anfänge der Revolution. Der Spanische Ge- sandte wollte Ludwig XVI. retten und vermochte cs nicht; denn Gott hatte den Märtprertod über ihn verhängt. Man ändert nicht die Pläne der Vorsehung, wenn die Stunde der Umwandlung für die Nationen geschlagen hat. Karl IV. wurde 1778 auf den Thron gerufen, dazu fand sich der Emporkömmling Godoy, den wir haben Melonen pflanzen sehen, nachdem er ei» Königreich zum Fenster hinauSgcworfcn. Nach seinen Siegen im Norden wandte sich Na poleon nach dem Süden, um Portugal, den Schützling Englands, anzugreisen. Er verstand sich mit Godoy. Ein zu Fontainebleau den 2». Oktober 18M unterzeichneter Vertrag erklärte die Abdankung des Hauses Braganza. Junot drang den 10. November 1807 in Portugal ein, und den 27sten desselben Monats schiffte sich die Familie Braganza ein. Die Besetzung Portugals war die Lovsung zur Invasion Spaniens. Murat, der tU'nLral en oket, rückte aus Madrid los. Die Bevölkerung Madrids erheb) sich mit dem Rufe: „ES lebe der Prinz von Asturien, Tod dem Godoy!" Karl IV. dankt ab, der Friedensfürst wird ergriffen, der neue König, Ferdi nand VII., rettet ihn. Napoleon stellt sich unwillig über die Härte, die dem alten König widerfahren ist, und erklärt endlich, die Ver mittelung zwischen Vater und Sohn übernehmen zu wollen. Karl IV. wird nach Bayonne gerufen, und Godoy verläßt Spanien unter dem Schutze Murat's. Ferdinand findet sich, ungeachtet sein Volk ihr mißtraute und entgegen war, zu dieser Zusammenkunft ein. Dies war eine Scene aus dem Jtaliänischen Mittelalter, von dem Geiste Macchiavcll'S eingegeben. Karl IV., die Königin, der Günstling nahmen ihren Weg nach Marseille mit der Aussicht auf eine Pension, die Jnsanten begaben sich nach Valenoap. Die Metzeleien, welche am 2. Mai in Madrid stattfandcn, vollendeten den allgemeinen Aufstand. II. Der Charakter der Spanier. So oft man heutzutage über Spanien spricht, verfällt man in einen großen Jrrthum, weil man gewöhnlich von der Idee auSgeht, den rech ten Maßstab gefunden zu Haden, indem man seine Bewohner nach den Begriffen, die man von anderen knltivirtcn Nationen hat, beurtheilt. Napoleon thcilte diese allgemeine Täuschung; er glaubte die Jberier besiegen zu können wie die Germanen, durch Gewalt und Verfüh rung, und er verrechnete sich. — Die Spanier sind christliche Araber; sie haben etwas Wildes und UnberechncteS: das Mischlingsblut des Kantabrers, des Karthagers, Römers, Vandalen und Mauren, das in ihren Adern fließt, pulsirt nicht wie anderes Blut. Sie sind thatkrästig, trag und gravitätisch, nicht ruckweise, sondern Alles zugleich. „Jede träge Nation", sagt der Verfasser des Lspric ües Ioi8, indem er von den Spaniern spricht, „ist gravitätisch; denn die jenigen, welche nicht arbeiten, betrachten sich als Oberhcrren derer, weihe arbeiten." Die Spanier, die eine sehr hohe Meinung von sich selbst haben, bilden sich über Recht und Unrecht nicht dieselben Begriffe, wie wir. Ein Hirt jenseits der Pyrenäen, an der Spitze seiner Heerde, genießt der unbeschränktesten persönlichen Freiheit. Und diese Ungebundenheit ist es, wclche in diesem Lande Lcr Freiheit schadet. Was thun die politischen Rechte einem Menschen, der sich um sie nicht kümmert, dem zur Richtschnur seines Lebens das Sprüchwort dient: „.Vuesu üe cs8ta, Pn8lo üe graois, bsso üe cssa", (ein Racen- schaf, cine Mahlzeit umsonst, ein Kind deSHauscS); einem Menschen, der, wie der Beduine, mit seiner Stutzbüchse bewaffnet und von seinen Schafheerden begleitet, zu seiner Eristenz nur einer Eichel, einer Feige ober Olive nöthig halt Der Majo an den Ufern des Guadalguivir unterscheidet niemals die Sache von der Person und bringt zebe Meinungs-Verschiedenheit auf dieses Dilemma zurück: „Tödte oder stirb." Dieser Typus ist so tief dem Iberischen Charakter eingcprägt, daß der modernisirte Theil der Bevölkerung, ungeachtet er die neueren Ideen ausgenommen hat, mit der Hinneigung zu diesen, dem Genius seiner Heimat treu bleibt. Wer hätte z. B- geglaubt, daß die Spanier Priester ermorden könnten? Das haben ohne Gewissensbisse und mit Verleugnung aller Pietät die Liberalen gethan. Und doch schreibt sich das Ansehen der Geistlichkeit auf. der Halbinsel von sehr alter Zeit her. Dieser Einfluß ist nicht allein auf die Religiosität der Be völkerung gegründet, cr hat auch eine politische Quelle. Seit dem Jahre 882 opferten die Märtyrer von Cordova, Aurelius, Johannes, Felir, Georg, Martial, Roger, welche dem Schwerte oder den Wogen deö BctiS prcisgegebcn wurden, sich eben so sehr der nationalen Freiheit als dem Triumphe der christlichen Religion. Die Priester kämpften mit dem Cid und zogen mit Ferdinand in Granada ein. Und dennoch tödtet man sie. Warum'k Weil bei einer gewissen Partei ein Haß, der anderswo seinen Ursprung genommen, der übrigens zugleich undankbar und grundlos ist, gegen sic Wurzel gefaßt hat. In Spanien ist einmal, man liebe oder Haffe, tödtcn das Natürlichste; durch den Tod schmeichelt man sich, Alles zu er reichen. Die Abenteurer, welche, mit dem Schwert in der Hand, bis an den Gurt im Wasser standen, um den Stillen Ocean") zu erobern, schienen Amerika seinen ursprünglichen Einöden wieder über liefern zu wollen; der Spanier begehrte die Herrschaft der Welt, aber einer entvölkerten. Zu diesem unbändigen Despotismus des Charakters gesellt sich durch einen merkwürdigen Kontrast der Natur cine starke Beimischung von Apathischem und Komischem, von Trägheit und Aufschneiderei. Wenn z. B. in den Bürgerkriegen die cine Partei einen Erfolg er kämpft hat, glaubt Ihr, daß sie ihn verfolgen wird? KeincSwcgeS, sie hält ein, berechnet ihren Vortheil und fängt an, ihn vor den Augen der Welt prahlerisch zu übertreiben, ihre Siege zu besingen, Guitarre zu spielen, sich an der Sonne zu wärmen- Der Geschla gene zieht sich indeß bedächtig zurück und benimmt sich wie Einer, der gesiegt hat. So verläuft cine Kette von Begebenheiten ohne Resultat. Wenn die Angreifendcn eine Stadt nicht heute nehmen, so werden sie dieselbe morgen, übermorgen, nach zehn Jahren — oder auch, sie werden sie gar nicht cinnchmcn; was liegt daran? Die Hidalgos sagen, daß sie «00 Jahre gebraucht haben, um die Mauren zu vertreiben. Die Spanier wundern sich selbst über ihre Geduld; diese Geduld, der Gegenstand ihrer Bewunderung, ist, von Geschlecht aus Geschlecht übertragen, zuletzt ein Familienschild geworden, der nicht mehr schützt und als altcrthümlichcr Schmuck der erblichen Uebel des Landes paradirt. Das abgelebte Spanien glaubt sich immer unverwundbar, wie der alte Einsiedler deö Klosters St. Martin zwischen Saguet und Cartbagcna. Nach dem Berichte des GregorinS von TourS nämlich, fanden die Soldaten deö Königs Löwegild das Kloster ver lassen, den Abt ausgenommen, der zwar vom Alter gebeugt, aber nichtsdestoweniger sehr frisch an Tugend und Gesundheit war. Ein Soldat wollte ihm den Kops abschneidcn, fiel aber rück lings zu Boden und gab seinen Geist auf. Die Staatsmänner dieser Nation theilen die Fehler der Krieger. In den dringendsten Umständen beschäftigen sie sich mit nichtssagen den Maßregeln, halten schülerhafte Reden, hauen mit dem Munde Alles in Stücken, nur daß die Thatcn, welche man darauf erwartet, ausbleiben. Nun, wie geht das zu? sind sic boruirt oder feige ? Kei nes von beidcm; sie sind Spanier, sie werden von den Ereignissen nicht wie Ihr betroffen, sie sehen dieselben nicht von dem nämlichen Die schneidende Ironie zwischen dem l'-pö« » I» matn und Lem Oer,» ?ne!«<w«, welche sich dem Franzosen so natürlich dartot, gebt wohl sur uns verloren-