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Dienstag, 20. Oktober 1S08. Veit Iw S»0» »wtti »i»n«ii! Nr. ALS. Dritter Jahrgang. Auer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge verantwortlicher Redakteur: sei» Ilrnhslll Für die Inserate verantwortlich: Walter Krau, beide in Aue i. Erzgeb. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntaasblatt. „ vr»-m.» ' ^ure VE-».i« U«nu,b H m. b. tö. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—r Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher in Aue i. Lrmeb Für unverlangt cingcsandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Bezugspreis: Durch Misere Roten frei ins Hans monatlich so j>a. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich S" pig. uuo wöcpenruch tu pfg. — Lei der Post bestellt und selbst abgcholt vierteljährlich >.so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich t>4- Mk. — Einzelne Nummer >u pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens y'/? Uhr vormittags. Für Aufnahme von größeren Anzeigen an brÄimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns eingehen. Jnsertionspreis: Die siebengespaltene Korpuszcile oder deren Raum <o pfg., Reklamen 2S Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Vkef« Arr-rinrer «nrfatzt 8 Das Gichtigste soA Tage. Die Wahlrechtsdepnicition der zweiten sächsischen Kammer hielt gestern wiederum eine Sitzung ab. (S. Art. i. Blg.) * Zum Kommandeur der Schutztruppe an Stelle des Oberstleutnants Quade in Oiurst v. G t cr s e u a p p ernannt worden. (S. pol. Tgs.) Zeppelins Aufstieg wird morgen erfolgen,- der Parscval- Ballon wirb, wie nerlaulet, am 2l. Oktober von der Militärverwaltung übernommen. (2. Alt. i. Blg.) Der junge Fürst Otto von Bismarck hat bei seinem Ohnmachtsanfall in der Walhalla eine leichte Gehirnerschütterung daoongeuagen. « Die amerikanische Flotte ist in Aokobama ein- getroffen und dort von einem japanischen Geschwader begrüßt worden. Wo vteivt die Wertzmvachsfteuer in Aue i' — o — Am 23. Oktober 1907 war«, da teilte Herr Bürgermeister Dr. Kretzschmar in einer gem.inschasllichen Sitzungen beider städtischen Kollegien mit, daß vom Fmanz- und Rechnungsaus- schuß den Kölle, ien die Frage unterbreitet werde, wie sie sich zur Einführung einer Wertzuwachssteuer in Aue verhalten würden. Nach längerem Referat, in dem die Berechtigung einer Steuer für unverdienten Wertzuwachs l-ci Grundstucksveikä'zstp, sehr klar und deutlich begrünoet worden war, trat ein größer Teil der Herren Stadtverordneten mit großer Wärme für Einfüh rung einer Wertzuwachssteuer in unserer Stadt cin. Daraufhin er klärten sich nach längerer DebatteRat und Stadtverordnete,,!!»Prinzip" mit der Einführung der Werizuwachsstcuer in Aue einver standen, die vorher in höchsten Lobesbczeugnngcn als die ge rechteste aller Steuern gepriesen worden war. Freilich gab es auch Gegner der Werlzuwachssteuer im Kollegium — wo wäre das aber nicht der Fall, wenn es gilt, eine Neuerung ein- zu führen, und wäre diese auch noch so vortrefflich. Darauf koiiiiin es für uns aber auch weiter nicht an, wir haben eS nur mit dem Resultat jener Sitzung zu tun und das bestand, wie ge'agt, in einer prinzipiellen Erklärung f ü r Einführung der Wcrt- zuwa-hssteuer in Aue. Das war, um es zu wiederholen, -un 23. Oktober 1907. Ein Jahr ist seitdem verflossen, und nie wieder Hal man etwas von der „im Prinzip" für Aue beschlossenen Wcrtzu- machssteiur gehört. Man sollte meinen, daß im Verlaufe eines Jahres reichlich Gelegenheit gewesen wäre, die Vorarbeiten zur Einführung der Steuer, nicht all.in cinzuleiten, sondern vollstän dig zu erledigen, so daß für Aue die Wertzuwachssteuer heu tigen Tags nicht nur „im Prinzip", sondern sogar tatsächlich bcst-hen könnte. Woran cs liegt, daß man die neue wirklich wünschenswerte städtische St.uer anscheinend wieder unter den Tisch hat fallen lassen, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls halten wir cS aber an der Zeit, wieder einmal an sie zu erinnern, damit sie unserer Siadt, für die sie einen großen wirtschaftlichen Fortschritt bedeuten würde, entlich beschleden werde. Die Weitzuwachsneuer hat sich in allen Gemeinden, in denen sie eingesührt wurde, im großen wie im kleinen, bestens bewährt, daß mögen eine Anzahl Urteile bestätigen, die wir hier folgen lassen. Oberbürge meister Dr. Adickes von Frankfurt a. M. schreibt in der Deutschen Juristenzeitung Nr. 5 vom I. März 1906: Was die praktische Handhabung der neuen Umsatzsteuer ordnung anlangt, so haben sich bis jetzt erhebliche Schwierig keiten nicht ergeben. Insbesondere baben die zur Feststellung des Wertzuwachses erforderlichen Ermiilluugsn meist unschwer auf Grund formularmäßiger Anfragen erlebt zt werben können, soweit die Unterlagen nicht schon aus den Voralten erhellten. Bcmerkenswelt ist aber vor allem, daß Prophezeiungen ü b e r o e r d e r b l i ch e Einflüsseder neuen Steuerordnung auf die Umsätze in Grundstücken sich als verfehlt heraus- gestcllt haben . . . Ferner schreiben aus Anlaß einer Umfrage der bayrischen Ne gierungen vöm Spätjahr 190 i. Der Oberbnrcprmeister vo» Gelsenkirchen: Ein Rückgang im Jmmvbilienumsatz infolge der neuen Steuer iss n i ch t hervvrgctretcn, auch hat die Stcuerord- nuug die vvu den s"Q""enl der Steuer prophezeite Lahm legung der Bautätigkeit st i ch s , nn Gc-folge gehabt. . . . (Hieraus) ergibt sich, daß . ch«-' Stencrorduung schrgut be w ährr, ihre Bestimmungen von den Steuerpflichtigen als eine übermäßige Härt? nicht empfun- den werden, und daß sie auch weiterhin eiiw wertvolle Er gänzung des kommunalen Steuersystems bilden werden. Der Oberbürgernreifter von Essen: Die Steuer hat sich im allgemeinen gnt bewährt. Dauernde un üinstige Einwirkungen auf die Entwicklung des Grundstückmarktes und auf die Bodenpreise sind nicht eingetreten. Der Gcmeindevorstand von Weißensee: Eine nachteilige Einwirkung der Steuer auf die Ent wicklung der hiesigen Gemeinde haben wir nicht wahr genommen. Der Gemcindevorftand von Reinickendorf: Die Veranlagungen hoben — entgegen den von einzelnen Scilen ausgesprochenen Befürchtungen besondere Schwierigkeiten nicht bereitet. Daß durch die Einführung der Steuer ein Nach- lassen der G r n n d st ü ck s u m s ä tz e eingctreten wäre, ist nicht anzunchmen; die Umsätze haben sich zweifellos verhält nismäßig in demselben Umfange wie in anderen Gemeinden, in denen die Steuer nicht besteht, vollzogen. Eine Ueberwälzung der Steuer auf die Käufer hat nach den Kaufverträgen durch weg nicht st a t t g ef un de n. Ob eine solche damit aller dings auch materiell — durch Erhöhung des Kaufpreises — nicht eingetreten ist, läßt sich naturgemäß mit Bestimmtheit nicht sagen; indessen ist unter Berücksichtigung früher und gegenwärtig bezahlter Kaufpreise anzunehmen, daß der Verkäufer die Steuer in den meisten Fällen auch wirklich getragen hat. Und nnn die Urteile einiger sächsischer Ge meinden: Der Gemeindevorstand von Stötteritz: Die Steuer hat sich gut bewährt . . . Eine nachteilige Wirkung der Steuer, z. V. auf die Wohnungsmietpreise, haben wir nicht wahrgenommen. Der Gemeindevorstand von Siegmar: Die Erhebung der Steuer ist allgemein äls gerechtfertigt anerkannt wurden. Der Gemeiudevorstand von Thekla» Die Steuer ist eine sehr gerechte. Der Gemeindevorstand von Leutzsch: Die Steuer hat sich hier bewährt. Der Gemcindevorftand von Reichenbrand: Durch diese Steuer ist der ungesunden Boden spekulation Einhalt geboten worden. -.'ststEl Der Gemeindevorstand von Mockau: r" -W Diese Art der Besteuerung wird hier auch von den^Be- steuertcn als gerecht anerkannt. . Kinderleben in Deutsch-Oftafrika. In einem demnächst erscheinenden Buche, betitelt: Negcrleben in Ostafrika, gibt Professor Weule, der im Auftrage der Kommission für die landeskundliche Erforschung der deutschen Kolonien den Süden von Dcutsch-Ostafrika durchforscht hat, unter anderem folgende launige Schilderung vom Leben und der Entwickelung unserer kleinen schwarzen Mitbürger in der Kolonie: In der mütterlichen Hütte ist das kleine Negerkind, das noch gar nicht schwarz, sondern ebenso rosig aussieht wie unsere Neugeborenen, zur Welt gekommen; der Herr Vater ist weit vom Schuß; ihn haben die weisen Frauen beizeiten gehen heißen. Säuberlich wird das Baby gewaschen und in cin Stück neuen Rinden stoffes gewickelt. Dabei salbt man seine Ohren mit Oel, damit es lhören soll; das Bändchen unter der Zunge aber löst man mit dem landesüblichen Rasiermesser, damit es spreche. Knaben werden wie überall gern gesehen; in bezug auf Mädchen verhalten sich die Stämme und, genau wie bei uns, auch die einzelnen Familien verschieden. In der Völkerkunde ist ost zu lesen, daß die Naturvölker die Geburt von Mädchen rein aus des Eeldsacks Gründen freudig begrüßten, brächten doch die erwachsenen Mädchen dem Elternpaar bei der Heirat den Kaufpreis ein. Bis zu einem gewissen Grade mögen derartige Momente auch hierzulande mitspielcn, im allgemeinen aber sind Mäd chen schon deswegen gern gesehen, weil sie der Mutter bei den man nigfachen Arbeiten in Haus und Feld frühzeitig an die Hand gehen jfdnnen. Nach ihrer Verheiratung wird der Herr Schwiegersohn zu- Le« gr.'.m treuesten, unentgeltlichen Diener des mütterlichen Hauses. Hier, nn Lande der sogenannten Außenehe, siedelt nämlich die junge ,Fraü nicht mit in das Heim des Ehemannes über, sie tritt auch nicht in seine Verwandtschaft hinein, sondern gerade unigekehrt: der Mann verläßt Vater und Mutter und zieht entweder direkt ins schwieger- müOerliche Haus oder baut sich doch unmittelbar daneben an; in jedem Fall aber sorgt er, bis seine eigenen Familienumstände es anders be dingen, mit voller Kraft jahrelang für die Erhaltung des schwieger mütterlichen Anwesens; er besorgt die Aussaat und die Ernte, macht neue Felder urbar, kurz, er sieht der Schwiegermama jeden Wunsch an den Augen ab. Er trägt sie auf Händen . . . Das erste Lebensjahr verfließt dem kleinen Negerkind in innigster Gemeinschaft mit der Mutter. Sie und ihr Neugeborenes zeigen sich schon nach einem Wochenbett von nur wenigen Tagen auf einem ersten Ausgang dem Volke, das, nicht anders als bei uns, den neuen kleinen Weltbürger gebührend bewundert. Wie ein Klümpchen Unglück hockt es in einem großen, bunten Tuch, das den Oberkörper der Mutter fast ganz umschließt. Meist hängt der Sack für die Aufnahme des Kindes auf dem Rücken, fast ebensohäufig aber schwenkt die Mutter Sack und Baby auf eine der Hüften herüber. Naht alsdann die Zeit der Nah rungsaufnahme für das Kind, so werden beide nach vorn befördert. Nichts macht aus mich so sehr den Eindruck des Armen und Primitiven als gerade diese Art der Kinderwartung: kein Wechsel der Wüsche bei Mutter und Kind; denn cs ist kein Ersatz vorhanden; kein Trocken legen, kein Einpudern, keine Windel, kein regelmäßiges Baden von den Tagen des Wochenbettes ab, keine Hygiene des Mundes. Dafür wund- ge,ressene Körperstellen bei fast jedem Kinde, besonders in den Gelenk beugen; verheilende Schorfe, ziemlich allgemein tränende, trübe Augen infolge der ewigen Fliegenattacken, vereinzelt schließlich Schwämme und Pilze in so furchtbarem Maße, daß sie den Ungliickswürmern direkt aus Nase und Mund hcrausguellen! Ich bin vor einer halben Stunde ins Negerdorf gekommen; die Männer und Knaben sind nach zwei Minuten bereits zur Stelle ge wesen, die Frauen kommen langsamer; dje kleineren Mädchen bleiben merkwürdigerweise ganz aus. Ganz wie bei uns hat sich die Frauen welt schleunigst zu einem dichten Klumpen zusammengeballt. Zunächst herrscht noch scheue Stille; kaum aber hat man sich an den Anblick des Weißen gewöhnt, da plappert es auch schon, selbst den riesigsten Lip- penscheiben zum Trotz, in allen Tonarten. Mindestens die Hälfte aller Weiber ist babybehastct, doch wie weit ist hier dieser Begriff zu deh nen I Wahre Riesen, von zwei, ja vielleicht drei Jahren gar räkeln sich aus den schmächtigen Hüsten der immerhin zarten Mama herum. So weit ist dies alles ganz lustig und gibt zu vielen Heiterkeitsausbrüchen Anlaß; zu unbändiger Heiterkeit jedoch steigert sich diese Lust bei uns beiden schlechten Europäern, wenn bald hier, bald da die Mutter ganz plötzlich mit der Hand energisch am Oberschenkel entlang fahren und rasche Schlcuderbcwegungen vollsührcn. Das ist die Folge der Windel- losigleit, die sich hier geltend macht; auch ein kleines Negerkind ist von Hause aus nicht stubenrein! . . . Wie das kleine Negermädchen in Wirklichkeit aufwächst, und ob cs die unsagbar glückliche Jugend unserer kleinen Lieblinge auch nur in abgeschwächtem Maße zu kosten bekommt, kann ich unter diesen Umständen nicht sagen; es spricht nicht viel dafür. Fraglos liebt der Neger fein Kind aus jenem angeborenen Triebe heraus, der allen Eltern eigen ist: er nährt es und schützt es, wo immer es schutzbedürf tig ist; er freut sich über sein Gedeihen und ist traurig über sein Siech tum und seinen Tod. Noch immer sehe ich Matola, wie er, dem an sich schon cin etwas melancholischer Eesichtsausdruck eigen ist, eines Tages nm tiestrauriger und doch sichtbar ängstlicher Miene höchst eigenhändig ein kleines Mädchen von fünf bis sechs Jahren herantrug. Es war nicht einmal sein eigen Kind, sondern nur eine Verwandte, doch bat er ii'ich so eindringlich, wie es ihm nur möglich war, der Kleinen meine Hilfe angedeihen zu lassen. Das konnte ich zu meinem aufrichtigen Be dauern in diesem Falle nicht; der Unglücklichen hatte eine bösartige Gangrän die ganze Vorderhälfte des einen Unterschenkels weggefressen, so daß die Bänder bloßlagen, und selbst die Knochen sich schon bogen. Ich habe Matola damals eine sehr eindringliche Rede gehalten, ob er denn ein ebensolcher Scheust sei wie seine Leute; diese gingen an ihrem eignen Stumpfsinn zugrunde, er aber sei doch der Aktde und ein kluger Mann dazu, und er wisse doch ganz genau, daß in Lindi deutsche Medizinmänner nicht nur vorhanden seien, sondern daß sie auch selbst solche Wunden heilten, wenn ihnen die Kranken gebracht würden; flugs solle er also das kleine Fräulein hinunter schicken; täte er es nicht, so würde das Kind unfehlbar sterben wie alle seine älteren Geschwister auch. s Zwischen Zweifel und Hoffnung schwankend hat Matola mich an jenem Nachmittag erst lange angeschaut, dann hat er nach meinen Wor ten gehandelt. Und er hat recht daran getan, denn wie ich höre, ist die Kleine aus dem besten Wege zur Besserung. Aber erstaunend befremd lich ist und bleibt es, wie weit selbst ein so einsichtiger Mann wie der Herrscher von Ehingulungulu den Krankheitsvrozeß erst hat fort schreiten lassen, bevor er sich ernsthaft um Hilfe umsah. >