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Wtchemli» malmen kiri Nunrniern. Pränumcraticnj.Prri« 22j SNbcrgr. (j Ldlr.) viertcßädrlich, 3 für d.i» ganz« I^dr, ohne Erhöhung, m ollen ^heilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (m Berlin bei Veit u. Comp., Zägerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Poft-Acmtern. angenommen. Literatur des Auslandes. ' - - 130. Berlin, Donnerstag den 30. Oktober 1843. Frankreich. Noch einige Worte über Thiers und seine Geschichte Napoleon's.*) Gewiß ist Niemand geeigneter, di« Geschichte des Jahrhunderts zu schrei' den, als wer, durch inneren und äußeren Beruf, selbst auf die Ereignisse der Zeit eingewirkt hat und in dem Drama der Weltgeschichte, welches sich vor den Augen der Zeitgenossen entwickelt, eine bedeutende Rolle spielt. Je mehr in dem Geschichtschreiber Wissenschaft und Leben sich durchdringen, desto geeig neter ist er, sich mit seiner Darstellung zu identifiziren und uns die Fäden des GespinnsteS zu zeigen, an welchem er selbst einer der Werkmeister zu sepn der- stände. Freilich giebt es nichts Vollkommenes unter der Sonne, und so geht bei diesem Standpunkte von der Unparteilichkeit des Historikers Manches ver. loren. Ein objektiver Standpunkt ist kaum möglich, wenn des Verfassers Subjektivität in den Begebenheiten oder durch sie so mächtig in Anspruch ge nommen ist, daß wir weniger den Weltbürger als den Genossen seines Volkes und seiner Zeit hören. Aber was die Kritik dabei einbiißen mag, das wird durch das rege, blühende Leben ersetzt, welches solchen Werken innewohnt. Man fühlt sich in die Begebenheiten hinein, wird in die Werkstätte der Zeiten eingeführt, das Gewordene wird gleichsam ein Werdendes, und der Geist, der durch die Weltgeschichte weht, stellt sich dem Leser lebendig vor die Augen. Nicht anders verhält eS sich bei de» Geschichtschreibern des Altcrthums. ThucpdideS, Lenophon, Livius, Tacitus find alle nicht das, was wir unpar° teiische Historiker nennen. Ihre Seele lebt in ihrer Zeit und ihren, Volke, und eben darum find ihre Werke ewig jung, ewig anregend, ewig fortbildend. Auch von diese» Meistern gilt indeß, daß der Leser, der sich auf einen objek tiven Standpunkt erheben will, ihnen nicht unbedingt folgen darf. Ihre Darstellung trägt immer Farbe, sie lieben und Haffen, bewundern und ver abscheuen. Wir wagen die Behauptung, daß die große und erhabene Gestalt des Perikteü den unvergleichlichen ThucpdideS selbst zu einer größeren Nachsicht für die Schattenseiten seines Charakters und seiner Verwaltung bewog, als diese vielleicht verdienten. Bei den anderen Geschichtschreibern des Altcrthums, die wir nannten, bedarf es beS Beweises nicht, daß Unparteilichkeit in unserem Sinne ihnen fehle.- TacituS liebt in den Germanen die Tugenden, welche seine Römerseele in den Volksgenossen schmerzlich vermißt, und er schildert die Tprannen mit einer Feder, die es bedauert, kein Dolch zu sepn. Livius treibt die Vorliebe für sein Rom, und Xenophon die für Sparta, die Aristo- kratie und (in der Cpropädie) sür den persischen Helden zu einem llebermaße, das wir nicht billigen mögen. Aber bei Allen wird, was in der Geschicht schreibung zum Theil der Berichtigung bedarf, selbst zur Geschichte, macht uns gleichsam zu Zeitgenossen der großen Geister, von welchen wir lesen, er wärmt unsere Seele und setzt uuS, eben durch das ungemeine Interesse, das es uns einflößt, in den Stand, bei ruhigerer Betrachtung, daS Subjektive vom Objektiven zu unterscheiden. Wir Deutsche sind, durch unsere Verhältnisse wie durch unseren Charakter, auf eine andere Art der Geschichtschreibung angewiesen, welche große Vorzüge wie große Mängel hat, die ihr eigenthümlich sind. Die Männer der Wissen schaft stehen bei unS zu entfernt vom Leben im Großen, um es, im höhere» Sinne des Wortes, mit durchlebt oder gar, wir möchten sagen, mit geschaffen zu haben. Kommt bei uns ein ausgezeichneter Schriftsteller, ausnahmsweise, zu einer hohen Stellung, so ist er dadurch nicht, wie bei den Völkern deS Alterthums und noch jetzt in England und Frankreich, in seinem Kreise und gewissermaßen in seiner Wirksamkeit geblieben, sondern aus beiden heraus getreten. Er ist in den Olpmp verseht worden, wo man die Bewohner der Erde zwar fieht, aber wenig von ihnen gesehen wird und noch weniger ge sehen sepn will. Darum fieht man bei unseren Geschichtschreibern weniger, wie das Gespinnst der Weltgeschichte fich bildet, aber man lernt es genauer betrachten und seine Fäden zählen. Tiefes Quellenstudium, gründliche For schung nach jeder Richtung hin, ein ruhiges, ernstes und unparteiisches Ur theil — sind die eigentlichen Vorzüge des deutschen Gelehrten überhaupt, wie des deutschen Geschichtschreibers insbesondere. DaS lebhafte und nicht selten leidenschaftliche Eingehen in die Begebenheiten ist der Stellung der Männer der Wissenschaft in unserem Lande und in mancher Beziehung auch dem National- Charakter deS Deutsche» weniger eigen, und diejenigen, welche fich in eine gewisse dithprambischc Begeisterung, oft ziemlich künstlich, hineinzuarbeiten ') Bou dir Niztoir« ütt >u s« l'Lm,"" ist nunmehr der fünfte Band erschienen. suchten, sind in der Regel nichts weniger als glücklich in diesen Versuchen ge- wesen. Der große Vorzug deS deutschen Geschichtschreibers ist, daß er der parteilosen, völlig objektiven Betrachtung am meisten fähig ist und die Mit. weit so ruhig und gründlich zu beurtheilen weiß, wie andere Völker kaum die Vorwelt. Seine Mängel, die nicht ihm, sondern der geringen Anerkennung, die er Hierlandes bei den Großen der Erbe findet, und noch mehr dem Mangel an eigentlich öffentlichem Leben in Deutschland zuzuschreiben find, bestehen darin, daß ihm, in der Regel, der große freie Blick des Staatsmannes fehlt, daß er in dem Strom der Zeiten die einzelne Welle zu sehr, die gewaltige Strömung oft nicht genug bcachlet. Ein großer Geschichtschreiber, sagt Johannes von Müller, muß die Eigenschaften eines großen Königs haben. DeS deutschen Gelehrten Königlhum aber ist nicht von dieser Erke, und darum steht sein praktischer Blick selten auf ver Höhe seines Geistes. Wie nach dem alten Testamente Moses die Gottheit, so fieht der deutsche Gelehrte den großen Weltgeist nur, wenn er vorübergezogen -, ihn selbst , sein Weben und Sausen, sein Wollen und Wirken, sein Wesen und Werk, hält man, so viel man es vermag, bei uns sorgsälug verborgen. Man hütet unS so sehr vor der Zug. lüft, daß die freie, frische Bergluft selten in ihrer ganzen Fülle zu uns zu dringen vermag. In England und Frankreich hingegen, wo sich der Geist Bahn gemacht und ein irdisches Königreich gegründet hat, find die Verhält nisse denen der Alten ähnlicher. Wer heute dort Geschichte lehrt, hilft sie morgen machen und hört nicht auf, sie zu lehren. Wissenschaft und Leben geben dort Hand in Hand, im Einzelnen vielleicht zum Nachtheil, im Ganzen und Großen aber gewiß zum Borthei' beider. Der bedeutende Redner findet im Parlamente, der bedeutende Schriftsteller im StaatS- oder Ministerrathe seinen Platz: Wort wird Tbat, und That bedarf des Wortes. Freilich wird dadurch der Geschichtschreiber auch in eine Partei gedrängt und findet nicht immer Zeit zu jener minutiösen Genauigkeit, deren Werth wir keineSwcgeS verkümmern wollen, aber er sicht, lernt und lehrt auch die Geschichte im Große», wird in die Seele der großen Männer, in das Herz der Zeit ver setzt, und während wir ihn lesen, leben wir uns i» seine Helden hinein. Mit wahrer Meisterschaft hat der Verfasser des vorliegenden GeschichtS. Werks in diesem, wie in seiner Geschichte der Revolution, dessen Fortsetzung es bildet, diese Vorzüge bewährt. Wenige verstehen es, wie er, die Bege benheiten so zu gruppiren, daß sie sich einander den Weg nie verschränken, fast immer bahnen. Dieke Klarheit der Darstellung entsteht aber aus der großen Klarheit der Auffassung. Er sieht die Verhältnisse der Länder und Zeiten im Großen, erkennt mit Staatsmannsblick, was in jeder Epoche Noth thut, und ist doch weit von jener diplomatischen Kälte entfernt, die überall nur That- sachen, nirgends Ideen erfaßt. Er zeigt dabei aufs einleuchtendste, wie in dem großen Drama, das wir die französische Revolution nennen, Vorberei- tung und Entwickelung mit solcher Blitzesschnelle auf einander folgen, wie Personen und Ideen in so kurzer Zeit fich verbrauchen mußten, daß der häufige Wechsel in den Zuständen weniger, als es scheint, in der Veränderlichkeit deS Volks und mehr in den immer neu auftauchcnden neuen Bedürfnissen, ich möchte sage» Rothwendigkeiten einer schnell veränderten Zeit liegt. Es ist wahr: auf das Drama der Revolution mußte gewissermaßen das Epos der Konsular - und Kaiscrregierung folgen, wenn jenes, so groß in seinen Mo tiven, in seinen Resultaten nicht fast zu einem Nichts, zu einer schlechten Komödie werden sollte. Als die blutige Schreckensregierung verbraucht war und das Advokatenregimcnt des Direktroiums sich unmöglich halten konnte, da bedurfte «S eines mächtigen ArmS und eines mächtigeren Geistes, um das Volk zurückzuhalten, in das entgegengesetzte Ertrem zu fallen und mit den Blut- scenen der Revolution auch ihren Wohlthaten zu entsagen. Die eigentliche Repräsentativ-Verfaffung aber war in jenem Augenblick schwer in ihrer Würde zu erhalten, selbst wenn der erste Konsul ihr eben so gewogen gewesen wäre, als er ihr grani war. So gräßliche Thatcn waren mit so schönen Werken verbunden worden, daß das Wort sein Ansehen in Frankreich für den Augen blick fast verloren hatte. So Vieles war zu thun, nach Innen, um eine feste bürgerliche Gesetzgebung, eine geregelte Avministration, einen ruhigen und festen bürgerlichen Zustand, eine religiöse Reorganisation hervorzubringen und zu begründen-, nach Außen, um die alten Dpnastieen in Europa zur aufrich tigen Anerkennung der neuen Ordnung der Dinge in Frankreich und ihrer, zwar der Freiheit abhold gewordenen, aber doch die Gleichheit und manches der moralischen Resultate der Revolution vertretenden neuen Regierung gleich- sam zu nöthigen, daß mancher Gewaltstreich jener Epoche in seinem innersten, tiefsten Grunde an Nothwehr streift und manche despotische Einrichtung gleich, sam geboten war, um ohne unersetzlichen Zeitverlust die Wiedergeburt des in