Volltext Seite (XML)
eMail Mcbcnlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Dtadtrath daselbst. ^7 9.Dienstag, den 2. Februar 187^ Offene Lohn - Copistenstelle. Bei dem hiesigen Gerichtsamt macht sich anderweit die Anstellung eines Lohncopisten erforderlich. Bewerber haben sich sofort und längstens bis zum 15. d. M. an den Unterzeichneten zu wenden und über Erfüllung des 18. Lebensjahres, zeitheriges Wohlverhalten, tüch tige Schulkenmnisse und eine schöne Handschrift auszuweisen. Königliches Gerichtsamt Wilsdruff, am 1. Februar 1875. Leonhardi. Tages geschichte. 30 Männer des Reichstages bilden die Justiz-Commission. Sie bleiben auch nach dem Schluß des Reichstages zusammen und machen die neuen Justizgesetzc für das deutsche Reich fertig. Zu ihrem Vorsitzenden haben sie den bekannten Miquel, zu dessen Stell vertreter Schwarz (aus Dresen) gewählt. Wir bekommen eine Reichs bank in Berlin mit zahlreichen Fi lialen in größeren und kleineren Städten des Reiches. Diese Bank ist eine schwere Geburt; schon in den Commissionen Hal sie viel Kopnc: brechens gemacht, eS waren säst so viel Ansichten als Köpfe, wie sie einzurichtcn, auszustalten rc. sei. Auch im Reichstage selbst waren die Verhandlungen über das Bankgesetz lebhaft, aber was das große Publikum anbetrifft, so ergeht es ihm, wie weiland Klop- stocks Alessias: sie sind den Meisten etwas dunkel und mehr ange- stannt und bewundert, als gelesen und verstanden. Eine Forderung, welche die Negierung anfangs stellte und hartnäckig vertrat, hat auch Ler Reichstag nicht verstanden und gewürdigt, nämlich das Privile gium der cömmunalen Steuerfreiheit für die Reichsbank und ihre zahlreichen Filialen. Wie sollen diese Banken, also reine Geldge schäfte, dazu kommen, keine Steuern an die Stadlkasscu zu zahlen? Diese Steuerfreiheit wäre viel unverständlicher noch und jedenfalls viel unbegründeter, als die Steuerfreiheit der Offiziere. Der Reichs tag hat daher dieses Stcucrprivilegium mit großer Mehrheit (in 2. Lesung) verworfen. Mil einiger Verwunderung hören die deutschen Geschäftsleute, was Finanzministcr Camphausen im Reichstage über die Geld- und Geschäflskrisis äußerle. Er meinte, die Krisis werde so lange dauern, bis Deutschland fleißiger und sparsamer geworden sei. Die Industrie werde sich bequemen müssen, die Dinge wohlfeiler hcrzu- stellen, sie werde sich entschließen müssen, größere Anforderungen an die Arbeiter zu stellen und trotzdem die Löhne hcrabzujetzen. Mit der Reichsbanknolenpressc könne der Industrie nicht geholfen werden. Der Herr Finanzminister hat nur vergessen zu sagen, wie die In dustriellen daS machen sollen. AuS närrischer Freude am Geldaus- gcbcu verlheucrn sic gewiß nicht nnnölhig ihre Waarcn, und das Hcrunterzwacken der Löhne hat doch auch seine bestimmten Grenzen. Der Herr Minister mag nur daS Geheimniß vcrratheu, wie wir ohne Katastrophe zu den Durchschnittspreisen vor dem Jahre 1871 zurückkehren können. Ein Schnurrbart die Veranlassung einer AmtSsuspcnsion. Unter * dieser Uebcrschrift bringt die „Tribüne" folgende Mitthcilung: Am vergangenen Sonntage wurde der seit drei Monaten bei der Berliner . St. Marcuskirche angestellte Hülfsgeistlichc Kalthoff durch den Obcr- consistorialrath Vr. Büchsel in der St. Matthäikirche ordinirt, und sollte ihm darauf der Eid auf die Verfassung von dem Präsidenten des Consistoriums der Provinz Brandenburg, Geheimrath Hegel, ab- genommeu werden. Dieser hohe Kircheubeamtc nahm aber Anstand an dem Schnurrbart des jungen Geistlichen und verlangte von dem selben entschieden dessen Beseitigung. Der Betroffene erklärte sich da zu bereit, wenn eine gesetzliche Bestimmung einem Geistlichen das Tragen eines Schnurrbartes verbiete. Der Geheimrath Hegel er widerte dem jungen Manne, daß ihm die Berufung auf das Gesetz nicht wohl anstche; cs verbiete zwar das Gesetz das Tragen eines Schnurrbartes nicht, wohl aber werde dies durch die gute Sitte be dingt. Als hierauf Herr Kalthoff darauf aufmerksam machte, daß sowohl seine Gemeinde als deren erwählter Gemeindekirchcnrath bis her keinen Anstoß an seinem Schnnrrbarte genommen hätten, daß er jedoch einen dahingehenden Wunsch seiner Gemeinde sofort berück sichtigen würde, erwiderte der Präsident des Consistoriums kurz, daß nicht die Gemeinde, sondern die Behörde die Sitte zu bestimmen bätte. Der iu Eid zu nehmende Geistliche ver blieb bei seiner Weigerung, den Schnurrbart abzunchmen, und der Gemeiuderath Hegel suspcndirte unter diesen Umständen Herrn Kalthoff von seinem Amte, ohne ihm den Bcrfassnngscid abzunehmen. Wie wir onS zuverlässiger Quelle erfahren, hat der Gemeindekirchenrath der St. Marcusparochie bereits am Montag gegen diese Suspension Protest beim Obcrkirchenrath eingelegt. Die bairischen Bischöfe haben in einer gemeinschaftlichen Adresse an den König ihr Bedenken gegen Einführung des Neichsge- sctzes über die Civilehe in Baiern ausgesprochen. In der Schweiz gehen die Altkatholiken mit dem Plan um, sich ganz und gar vom Papste loszusagen, die Ehelosigkeit der Priester, die Ohrenbcichte und die letzte Oelung abzuschaffen und beim Gottes dienst nicht nur in der Predigt, sondern auch in der Messe die Landes sprache einzuführcn. Garibaldi hat im Triumphe seinen Einzug in Rom gehalten. Am Bahnhofe war das Gedränge so groß, daß man nicht durch kommen konnte. Das Volk spannte sogleich die Pferde aus und zog den General selbst in die Stadt. Das Vivatrufen, Tüchcrschwenken, Händeklatschen wollte kein Ende nehmen. Garibaldi trug seine be kannte Kleidung: rothes Hemd, Weißen Mantcllo, rothes Tuch um den Hals. Er blieb unbedeckten Hauptes und grüßte abwehrend mit der Mütze. AuS Frankreich sind jeden Augenblick die entscheidenden Nach richten über das Schicksal der coustitulionellcn Gesetze zu erwarten. Ob Mac Mahon trotz der Abwehrung der Vorlagen, die sein Sep tennat befestigen sollten, bleiben, ob er gehen wird, ist dann immer noch eine offene Frage. O ertliche und sächsische Angelegenheiten. Rach einer Verordnung des Ministeriums des Cultus und öffent lichen Unterrichts vom 7. d. M. wird die Normalzahl der von einem Lehrer an den Bürgerschulen wöchentlich zu ertheileuden Lehrstunden auf 28, Lie Normalzahl der von den übrigen Lehrern an städtischen Schulen wöchentlich zu erthcilendenen Lehrstunden auf 30 fcstgestellt. Im Ausschüsse der Handelskammer in Dresden hat man die Instruction des Finanzministeriums betreffs Erhebung der Einkommen steuer einer sehr scharfen Kritik unterzogen. Man findet allgemein das Verfahren zur Ermittelung des Einkommens für zu inquisitorisch; auch befreundet man sich wenig mit der Bestimmung des Gesetzes, daß derjenige Einkommenstcuerpflichtige, welcher die Declaration feines Einkommens verweigert, für das nächste Jahr seiner Reclamation gegen die Einschätzung verlustig gehen soll. Richtiger findet man cs, daß Jedermann gesetzlich zur Decklaration angehalten werden soll. Verrathen und Verloren. Criminal-Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Seit Jahren hatte er der alten Sage nicht mehr gedacht, die ihn in frühester Jugend so sehr bewegte und vielfach beschäftigt hatte; jetzt trat sie mit all' ihren Einzelheiten vor sein inneres Auge — und führte all' ihre schwärmerischen Bilder noch einmal an seinem Geiste vorüber. Lange hatte Theodor so bewußtlos dagestandcn und geträumt; husch, war ein Häschen auf den Weg gesprungen, hatte dicht vor ihm