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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.08.1910
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-08-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100827016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910082701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910082701
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-08
- Tag 1910-08-27
-
Monat
1910-08
-
Jahr
1910
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Letzte Dep.) * Die Königsberger Kaiserrede wird von der ganzen deutschen Presse anfslebhafteste besprochen. (S. Leitart.) «Roosevelt erzielt auf seiner Agitations - reise in den Westen der Union außerordentlich große Erfolge. Man rechnet bestimmt auf seine Kandidatur bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. (S. Ausl.) * Die Nordpolexpedition des Grafen Zeppelin soll nunmehr doch imnächstenSom- mer stattfinden. (S. Tageschr.) * Auf der deutschen Abteilung der Brüsseler Weltausstellung wurden Glas- Hütter Uhren im Wertevon 30 000 ^tge stöhlen. (S. Tageschr.) « Die Cholera nimmt in Rußland in be ängstigender Weise zu. (S. Tageschr.) * Die Waldbrände von Zdaho sind zum Stillstand gekommen. (S. Tageschr.) Der Sailer sprach. In den letzten Tagen hat der Deutsche Kaiser im Gegensatz zu der seit den trüben November wochen des Jahres 1908 glücklicherweise geübten Gepflogenheit wieder häufig das Wort ergriffen. Einige von diesen jüngsten Ansprachen machten einen sympathischen Eindruck, besonders weil ihr Inhalt sorgfältig auf die Grenzen Rück ficht nahm, die in einem konstitutionell regierten Lande dem Träger der Krone ge steckt find. Ein Spiegelbild des innersten Wesens und der Lebensauffassung des Kaisers boten diese Reden freilich nicht. Die Psyche des Kaisers, wie sie in der Tat ist und wie sie seit je war, wird erst durch die letzte Rede wieder offenbart, die im Königsberger Schlöffe bei dem Festmahle der Provinzialstände Ost preußens gehalten worden ist, und die Wirkung dieser Worte wird gewaltiger, wird furcht barer sein als der Eindruck der November enthüllungen. Wenn man die vor jenem Wende punkt gehaltenen Kaiserreden der früheren Jahre überschaut, so springen ohne weiteres zwei äußerst charakteristische Zeichen der Weltanschauung des Kaisers in die Augen. Wilhelm ll. schätzt über alles die Traditionen des Hohenzollernhauses; in dankbarster Ver ehrung hebt er die Verdienste seines Geschlechts um das Preußenreich in seinen Reden hervor, ja seine Empfindungen streifen hart den Bereich des Ahnenkultus. Und weiter kennzeichnen sie aufs schärfste die Anschauung von der un bedingten, gottgegebenen und gottgewollten Führeraufgabe des Herrschers, deren notwendiges Korrelat die unbedingte Gehorsams- und Ee- folgspflicht der Staatsbürger, oder aus diesem Gesichtswinkel heraus: der Untertanen, ist. Eine Pflicht, die keine Widerrede gestattet, die stummes Hinnehmen und Befolgen der aller höchsten Willenskundgebungen zur Folge hat. Beide Charakteristika des Wesens Wil helms ll. wiederholen sich in ausgesprochensten Formen in der Königsberger Tischrede. Es soll da zunächst ein historischer Rückblick auf die Beziehungen des Hohenzollerngeschlechts zur Stadt Königsberg gegeben werden. Mag ein derartiger Exkurs noch so viele Ein seitigkeiten und Schiefheiten enthalten, man könnte sie hingehen lassen, ohne sich zu be stimmtester Betonung gegensätzlicher Auf fassung verpflichtet zu fühlen. Aber der Kaiser, oder strenger genommen in diesem Zusammenhangs: der König von Preußen, exemplifiziert von der Vergangenheit auf die Gegenwart. „Als Instrument des Herrn mich betrachtend, ohne Rücksicht auf Tagesansichten und Meinungen, gehe ich meinen Weg, der einzig und allein der Wohlfahrt und friedlichen Entwicklung unseres Vaterlandes gewidmet ist." Damit wird aber nichts mehr und nichts weniger als eine durchaus abso lutistische Staatsauffaffung dokumentiert, wie sie in dieser Deutlichkeit wohl noch von keinem konstitutionellen Herrsch«» der Gegen wart bekundet worden ist. Der Kaiser kann ebenso wie der König von Preußen gar nicht „ohne Rücksicht auf Tagesansichten und Mei nungen" in seiner Eigenschaft als Träger der Krone die für richtig gehaltenen Wege gehen, denn er ist eben in der ihm verfassungsmäßig zustehenden „Ausfertigung und Verkündigung" der Gesetze an die Beschlüsse des Reichstages und des preußischen Landtags gebunden. Der Kaiser hat aus einer mystisch-romantischen Stim mung heraus gesprochen, wie sie zuletzt noch Friedrich Wilhelm IV. eignete, wie sie heute aber unter gänzlich veränderten, längst auch bereits historisch gewordenen Verhältnissen gar nicht mehr verstanden werden kann. Die Worte des Kaisers werden gerade bei den besten Vaterlandsfreunden die schwerste Verstimmung, den schärfsten Widerspruch aus lösen. Das Volk wird darin einen Rückfall des Kaisers in seine früheren Ansichten sehen, es wird das strenge Einhalten der konstitutio nellen Grenzen vermissen, ja, wir haben zu befürchten, daß damit den Gegnern der Monarchie Waffen geliefert werden, die diese in geschicktester Weise für ihre Zwecke be nutzen. Mit einem Worte: Wir stehen wieder auf demselben Fleck wie vor zwei Jahren, als das Toben der Nooemberstürme begann. Wir haben eine mächtig verstärkte Wieder holung dieser Stürme zu gewärtigen, wir müssen eine beängstigende Erschütterung unseres gesamten innerpolitischen Le bens befürchten, und wir fragen von banger Sorge erfüllt: Wo ist der starke Staatsmann, der das bedrohte Reichsschiff aus Klippen und Brandung mit sichrer Hand in ein ruhiges Fahrwasser leitet? * . PeetzstimmeR. Natürlich beschäftigt sich die gesamte deutsche Presse mit der jüngsten Kaiserrede. Wie in den No vembertagen 1008 ist auch jetzt das Urteil von sel tener Einmütigkeit. Allenthalben herrschen Verblüf fung, Verstimmung und bange Sorge um die Zukunft vor. Die „Tägl. Rundschau" schreibt: Diese Rede deutet auf Sturm. Sie wird in die sen Tagen politischer Verstimmung und Verärgerung mehr als zu irgendeiner anderen Stunde brau sendes Aufsehen erregen. Sie wird es um so mehr, als man gerade in diesen Zeiten sich so scharf akzentuierter programmatischer Ausführungen aus dem Munde des Kaisers am wenigsten versehen hätte. Seit den Novembertagen haben wir mehr als einmal dankbar der großen Zurückhaltung gedacht, die der Kaiser sich in seinen Reden auferlegte, um so mehr bedauern wir, daß der Kaiser sich jetzt ohne zwingenden Anlaß in das Feuer der öffent lichen Kritik stellt und auf den Gang unserer Politik in einem Sinne einwirkt, der ihr nicht von Nutzen sein kann." Das Blatt meint, daß die Königsberger Rede alles das, was in den kaiserlichen Aussprachen früherer Jahre oft weit und breit verstimmt hat, „wie in ei nen Brennpunkt sammelt" und mit einer Schärfe ausspricht, wie es noch nie zu vor der Fall war. Niemals hat Kaiser Wilhelm der mittelalterlich-romantischen Idee eines von aller Ver antwortung vor Menschenurteil losgelösten, von aller Gebundenheit an die verfassungsmäßige Mitwirkung des Volkes befreiten Eottesgnadentums so scharf in Gegensatz gestellt zu allen Stimmun gen und Üebe'rzeugungen, die heute herrschen und auf denen unser Staatswesen beruht." Warum dieses Betonen des Königstums von Gottes Gnaden und aus eigenem Rechte, das weit im Lande Mißverständnisse Hervorrufen muß und der antimonar chischen Agitation Nahrung gibt. Zu den wahrlich ausreichenden Kämpfen und Verstimmungen dieser Tage treten neue, denn die Kaiserrede wird wirken wie eine Kampfansage. Für die guten Mon archisten entsteht eine Lage mit einem Zuge tra gischer Zerrissenheit. Die freisinnige „Boss. Ztg." stellt der neuen Rede des Kaisers einen Ausspruch seines Vaters des Kai sers Friedrich entgegen, der einst seine Genug tuung darüber zu erkennen gab, daß er auf dem Thron der erste Hohenzoller sein werde, der den verfas sungsmäßigen Einrichtung en ohne Vorbe halt rückhaltlos zugetan sei. Das „Berliner Tageblatt" erklärt: „Wir be dauern es, daß der Kaiser jede Rücksicht auf Tagesansichten und Meinung'« n ab- lehnt. Gerade jetzt spricht die öffentliche Meinung in einer so deutlichen Weise, daß sie auch bis zu Len Stufen des Thrones dringen sollte." Die freikonservative „Poft" ist bei einigen Wen dungen der Rede nicht recht behaglich. Sie meint, daß es der klaren, schlichten Auffassungs weise des er st en deutschen Kaisers kaum entsprochen hätte, in' seiner Person ein aus erwähltes Instrument des Himmels zu erblicken. Sie nennt diesen Ausdruck eine etwas mystische Wendung, die an ähnliche Gebilde der Kaiserreden in früheren Tagen erinnert. Dagegen stimmt das Blatt freudig und stolz dem bei, was der Kaiser zum Lobe der kriegerischen Tugend sagt. Die agrarische „Deutsche Tageszeitung" legt in einem Expose dar, daß dasKönigstum von Gottes Gnaden das Bleibende im Wechsel der Tagesanstchten sein soll, für ein parlamentarisches Königstum sei kein Platz. Immerhin meint auch dieses Blatt, daß das Bekenntnis zum Gottesgnaden tu m viel leicht etwas scharf zugespitzt sei. Die ultramontane „Germania" meint, daß das Bekenntnis des Kaisers, seine Regentenpflicht als göttlichen Auftrag zu betrachten, selbstverständlich jeden Christen nur freuen könne. Wünschen werde man freilich dabei, daß er keine falsche Vorstellung von seiner Eigenschaft als auserwähltes Instrument des Himmels gewinne und Ansichten und Meinungen anderer neben der eige nen nicht unbeachtet kaffe. Die „Nationalzeitung" führt u. a. aus: Dor allem muffen wir sagen, daß wir über die Opportunität der kaiserlichen Kundgebung für das Gottesgnadentum, das in bewußten Gegensatz zu den Par lamenten gestellt wird, in Anbetracht der jetzigen Zeitläufte uiid politischen Lage im Reiche Be denken hegen, die zweifellos von vielen anderen geteilt werden. Wir wollen in aller Loyalität auf die staatsrechtliche Unhaltbarkeit einer Theorie Hinweisen, die im 20. Jahrhundert selbst bei byzantinischen Staatsrechtslehrern keine Anhänger mehr findet. Der moderne Herrscher ist nicht unab hängig von Tagesansichten und Tagesmeinungen, und noch viel weniger von der Mitarbeit des Parlamentes und Volkes, das seinen Willen durch Wahlen und Versammlungen oft recht deutlich und nachdrücklich zu äußern vermag. In der „Freisinnigen Zeitung" heißt es u. a.: Die Rede des Kaisers ist wie die früheren Reden von einem Idealismus getragen, der das Beste des Vaterlandes will und deshalb versöhnlich wirkt. Leider verliertder KaiserdenBodender Wirklichkeit und schwebt in Regionen, die sich mit den Anforderungen der heutigen Zeit nicht in Einklang bringen lassen. Dadurch, daß der Kaiser die Pause der Ruhe verläßt und als Redner wieder in politische Fragen eingegriffen hat. ist auch die Kritik aus der unwillkommenen Ruhe aufge scheucht worden und, so leid es uns als Patrioten tut, sie muß sich wieder geaendieWortedes Kai sers richten, der über den Parteien und dem politischen Kampfe stehen sollte, anstatt gegen die Worte des Reichskanzlers, v. Bethmann Hollweg muß man fragen, ob er von der Absicht des Kaisers, eine solche Rede zu halten, Kenntnis gehabt hat. Die „Frankfurter Zeitung" schreibt: Die neue Kaiserrede weicht in Ton und Inhalt wesentlich von der politischen Zurückhaltung der Kaiserreden in den letzten Jahren ab. Der Kaiser brachte einen Trink spruch aus, der in seinen Wendungen stark an die früheren Reden von dem Gottesgnadentum erinnert und das richtige Verständnis für die Dolksstimmungin bedauerlicher Weise vermissen läßt. Schon der Hinweis auf die Pflege der kriegerischen Tugenden ist geeignet, einige Unruhe zu erwecken. Sehr ausführlich wendet sich die Zeitung dann noch mit besonderer Betonung gegen die Ausführungen der Rede, daß die preußische Krone von Gottes Gnaden allein dem Kaiser verliehen sei und nicht von Parteien. Volksversammlungen und Volksbeschliisten. Die Erörterungen über Zschopau—Marienberg werden noch fortgesetzt, ohne daß im allgemeinen etwas anderes gesagt wird, als bereits an dieser Stelle, auch in den wiedergegebenen Preßstimmen, zum Ausdruck gebracht wurde. Sehr wertvoll und be merkenswert dünkt uns nur noch eine weiter aus holende Auslastung der parteioffiziösen „Sächs. Nationalliberalen Korrespondenz", die ganz zu demselben Resultat ihrer Betrachtungen kömmt wie wir in unserem gestrigen Leitaufsatz zum Wahlergebnis. Es heißt da: „Der Sieg der Sozialdemokratie im Wahlkreise Zschopau-Marienberg wird von der konservativen Presse als eine Strafe bezeichnet, die dem Bürger tum für sein unvernünftiges Gebaren zuteil geworden sei. Im besonderen wird die nationalliberale Partei beschuldigt, den üblen Ausgang dadurch herauf beschworen zu haben, daß sie den Kandidaten der Re former im Stich ließ und eine freisinnige Kandi datur unterstützte. Es hat nach einer Niederlage nicht viel Zweck, lange Betrachtungen anzustellen; jener Vorwurf aber ist für jeden, der rechnen kann, schon deshalb hinfällig, weil aus den Zahlen klar hervor geht daß selbst wenn die bürgerlichen Parteien z u - sammengegangen wären, der Erfolg der Sozialdemokratie nicht aufzuhalten gewesen sein würde. Man erinnere sich an den Aus fall der Ersatzwahl im Nachbarkreise Stollberg-Schnee- berg, wo der Sozialdemokrat über den Einigungs kandidaten mit rund 12 000 Stimmen siegte. Die wirtschaftlichen Verhältnisse im Wahlkreise Zschopau- Marienberg sind ziemlich dieselben Die starke indu strielle Arbeiterschaft gibt den Ausschlag. Immer hin wird man leicht feststellen können, daß auch der städtische Mittelstand und die bäuerliche Be völkerung zum Teil rot gewählt haben, und niemand, der die Stimmung in diesen Kreisen kennt, wird sich darüber wundern. Die Steuermehrheit hat im Reichstag, als sie ihr Werk abschloß, die „Un glückspropheten" belächelt. Und heute? Erfahrungs gemäß wirken neue Steuern, gleichviel welcher Art sie sind, auf die Dolksstimmung ungünstig; aber in den Wählerversammlungen konnte man es dies mal nur zu deutlich wahrnehmen, wie leicht es die sozialdemokratischen Wortführer hatten, mit ihrer Kritik an einer einseitigen und ungerech ten Steuergesetzgebung Eindruck zu machen auch auf die Wähler aus dem bürgerlichen Lager. Dazu kam die F l e i s ch t e u e r u n g, die Erhöhung der Zioilliste in Preußen, die sich so bequem unter der Hand ausspielen ließ, und anderes mehr. Kurzum, die Sozialdemokratie hatte Wind und Wetter für sich. Wie schlecht der Anspruch der Reformer auf eine bevorzugte Stellung im Wahlkreise begründet war, zeigte die Tatsache, daß sie an vielen Orten, wenn sich die Sozialdemokratie fern hielt, kaum eine Versammlung zustande brachten. Auch die liberalen Wähler ließen es, was die Teilnahme an den Versammlungen anyeht, sehr an Eifer fehlen; aber es kam doch m den Haupt orten des Wahlkreises zu politischen Auseinander setzungen großzügiger und eindrucksvoller Art; so z. B. in den Versammlungen, in welchen neben dem Kandidaten Brodaus, Reichstagsabgeordneter Dr. Stresemann sprach. Wenn alle Mühe nichts fruchtete, wenn weder der Kandidat der liberalen Parteien, noch der Kandidat der vereinigten drei Gruppen, der Reformer, der Konservativen und des Bundes der Landwirte, gegen den Ansturm der Sczialdemokratie aufzukommen vermochten, so ist das nicht, wie jetzt in vielen Blättern behauptet wird, eine Mahnung, der Sozialdemokratie gegenüber auf jede Parteipolitik zu verzichten, sondern ein neuer Beweis dafür, daß es in unserem Volke mit der politische n Erke n ntnis noch sch wach be stellt ist. Ein großer Teil der Wähler folgt ledig lich der augenblicklichen Stimmung. Der Wahlkreis Zschopau-Marienberg gab das Mandat einem Natio nalliberalen, dann einem Sozialdemokraten, einem Fortschrittler, einem Reichsparteiler, einem Konser vativen, einem Fortschrittler, einem Reichsparteiler, einem Konservativen dann wieder einem Sozial demokraten, einem Reformer, jetzt ist wieder ein Sozialdemokrat an der Reihe. Trotz des starken Ge wichts der Arbeiterstimmen wird auch die Sozial demokratie den Wahlkreis nicht zum unan tastbaren Besitz rechnen. Die Sozialdemokra tie zählte im Wahlkreise nach dem Jahresbericht für 1909 nur 1096 Parteimitglieder. Selbst wenn rn diesem Jahre einige hundert Mitglieder hinzukamen, werden unter den 14 443 sozialdemokratischen Wäh lern nur etwa 8 Prozent Parteimitglieder sein. Da bei bedenke man, daß die Sozialdemokratie es außer ordentlich leicht hat, in den Fabriken und Werkstätten ihre Werbekunst spielen zu lasten und über eine Orga nisation verfügt, die ihr keine andere Partei nach ahmen kann. Nach alledem wird essich empfehlen, den Ausfall der Wahl in Zschopau-Marienberg ruhig zu über denken und übertriebene Schlußfolgerungen zu ver meiden. Der Ausfall dieser Wahl gehört zu den politischen Stimmungsbildern, deren wir jetzt schon eine ganze Reihe vorgeführt bekamen. Wir stehen unter der Nachwirkung der Ereignisse des letzten Sommers. Daß diese Nachwir kung so lange anhält, mag der konservativen Presse sehr peinlick sein, und man versteht es daber gut, wenn sie die Schuld nicht in einer von ihr gebilligten Politik, sondern in einem „verhetzenden Parteitreiben" sucht. Was hat die Negie rung bis jetzt getan, um der Verdrossenheit und Verärgerung des Volkes zu begegnen? Kein befreiendes Wort ist gefallen. Es ist öde, still und schwül. Woher soll da bei einer Ersatzwahl der Aufschwung kommen? Töricht, wer vom Dorn busch Feigen zu ernten hofft." Rmttenegrinilche Festtage. (Don unserem Spezial-Berichterstatter.) L. Cetinj«, 22. August. Mit demselben Zeremoniell wie gestern der König von Bulgarien, wurde heute der König von Italien mit seiner Gemahlin empfangen. Er war in einer Jacht in Begleitung zweier italie nischer Kriegsschiffe von Bari nach Antivari ge fahren, wo ihn Kronprinz Danilo mit mehreren Auto mobilen erwartete. Die Ankunst in Cetinje erfolgte gegen ^2 Uhr. Der Fürst mit seiner vor freudiger Erregung zitternden Eemablin, umgeben von seinen Söhnen, Töchtern und Schwiegertöchtern, erwartete das italienische Königspaar am Portale des Palais. Die Begrüßung war überaus herzlich. Waren doch 10 Jahre verflossen, seitdem Königin Helene das Elternhaus nicht gesehen hatte. Das zu Tausenden vor dem Palais zusammengeströmte Volk nahm den innigsten Anteil an dieser Begrüßung. Immer und immer wieder ertönten die „Zimo"-Rufe, in welche sich die tosenden „Eooivas" der gerade jetzt infolge verschiedener Neubauten zahlreich hier anwesenden Italiener mengten. Man ruhte nicht, bis der Fürst mit seinen Gästen und seiner Familie wiederholt auf dem Balkon erschien. Welche weibliche Schön heiten waren da auf dem Balkon vereinigt! Die trotz ihrer 63 Jahre noch immer schöne Fürstin Milena, ihre Töchter, die Königin Helene und die noch unverheirateten Prinzessinnen Lenia und Vera, sowie die Gattin des Prinzen Mirko und Jutta, die deutsche Frau des Kronprinzen Danilo —.jede ein zelne ein Typus von Schönheit, wobei die Prinzessin Jutta die Konkurrenz siegreich bestehen konnte. Um ^3 Uhr fand intimes Familiendiner statt. Eine Stunde später empfing der König von Bul garien die hier beglaubigten fremden Diplomaten, während der Fürst Nikolaus im Verein mit dem Könige Viktor Emanuel H. die zurzeit hier anwesenden Journalisten in einer Gesamtaudienz empfing. Die für heute nachmittag geplante Truppenrevue ist aus morgen verschoben worden, da das italienische Königspaar von der Reise noch zu ermüdet ist. Der Großfürst Nikolaus Nikolajewitsch, der mit seiner Gattin am Donnerstag erwartet wird, kommt in Begleitung eines russischen Geschwaders, das in Antivari vor Anker gehen wird. Dort wird am Freitag auch ein griechisches Gescknvader mit einem griechischen Prinzen an Bord erwartet. Die Königsproklamierung wird am Sonntag früh in einer feierlichen Sitzung der Skupschtina durch Promulgierung eines ent sprechenden Gesetzes erfolgen. Unmittelbar darauf werden mittels eines vorbereiteten Schreibens die hiesigen Vertreter der Mächte von der Erhebung Montenegros zum Königreich offiziell ver. ständigt, auch eine Proklamation an die Bevölkerung ertasten werden. Der österreichisch-ungarische Gesandte Herr v. Giesl überbringt der Fürsten Milena morgen zwei Vollblut-Wagenpferde, die Kaffer Franz Josek
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