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8-Ton-Reihe (am Anfang in der Piccoloflöte zu hören), durchläuft verschiedene Stadien der Handhabung — von seriellen Verfahren über Dodekaphonie und klassische Motivtechnik bis zur aleatorischen Rahmenimprovisation. Dieser Ab lauf ist mit dem dramaturgischen dialektisch verknüpft; so ist z. B. die turbulente Einleitung der am strengsten durchorganisierte Teil, während in der verhaltenen Streichquartett-Episode am freiesten mit dem Material umgegangen wird." Die Entstehung von Anton in Dvoraks Violinkonzert a-Moll o p. 5 3 fiel in die Zeit der ersten Auslandserfolge des tschechischen Meisters. Es wurde im Sommer des Jahres 1879 geschrieben. Der Komponist, der selbst ein guter Geiger war und die Violine besonders liebte, widmete das Werk Joseph Joachim, der im gleichen Jahre zwei Werke Dvoraks in seinen Berliner Kammer konzerten zur Aufführung gebracht hatte. Die Partitur des Violinkonzertes wurde auf den Wunsch Dvoraks hin von Joachim durchgesehen, der ihm bei der endgül tigen Fassung des Violinparts behilflich war (in welchem Maße dabei die ur sprüngliche Form verändert wurde, ist nicht mehr genau festzustellen), und vom Komponisten noch zweimal (1880 und 1882) überarbeitet. Das Werk wurde am 14. Oktober 1883 im Tschechischen Nationaltheater in Prag mit dem Solisten Frantisek Ondficek uraufgeführt. Joachim hat das ihm gewidmete Konzert eigen tümlicherweise niemals öffentlich gespielt. Dvoraks sehr „geigerisch" gearbeitetes Violinkonzert ist in seiner zündend tem peramentvollen, lyrisch glühenden und rhythmisch mitreißenden musikalischen Sprache ein Werk, das sich würdig den großen Vorbildern seiner Gattung an schließt. Seine Stimmung scheint unmittelbar aus Lied und Tanz des tschechischen Volkes emporgewachsen zu sein und verbindet in reizvollstem Einklang echte, gefühlstiefe Lyrik mit beschwingter, tänzerischer Heiterkeit. Die Schönheit seines musikalischen Inhalts und die Dankbarkeit des Soloparts ließen das Konzert, das übrigens auf effektvolle Solokadenzen dabei ganz verzichtet, zu einer der stärk sten und erfolgreichsten Schöpfungen seines Komponisten überhaupt werden. Der leidenschaftliche, knappe erste Satz (Allegro ma non troppo) zeigt in seiner Gestaltung gewisse Abweichungen von der klassischen Form. Ansätze zur Sona ten- und zur Rondoform mischend, haftet seiner Anlage in ihrem phantasievollen, kühnen Aufbau gleichsam etwas Improvisatorisches an. Das markante Haupt thema, mit dessen erstem, rhythmisch scharf profilierten energischen Teil das volle Orchester sofort das Aliegro eröffnet, während sein zweiter, gesangvoll-gelösterer Teil von der Solovioline vorgetragen wird, bestimmt dominierend die freie, rhap sodische Entwicklung des Satzes. Pausenlos folgt der Übergang in das anschließende volksliedhaft-schlichte Ada gio, das in seiner sanften Gesanglichkeit einen starken Gefühlskontrast zum ersten Satz bildet. Eine weitgespannte, sehnsuchtsvoll-schwermütige Melodie, ganz dem tschechischen Volkston nachempfunden, stellt hier das Hauptthema dar. Im Moll-Mittelteil ist besonders auf einen schönen Wechselgesang zwischen Soloinstrument und Hörnern hinzuweisen. In freier Rondoform entfaltet sich das Lebensfreude ausstrahlende, tänzerische Finale des Werkes. Das jauchzende, packende Hauptthema, das im Aufbau des Satzes überwiegt, ist dem Furiant abgelauscht, einem tschechischen Volkstanz voller unbändiger Ausgelassenheit und zündender Rhythmik. Kontrastierend dazu wurde in der Mitte des Rondos ein Liedteil ruhigeren Charakters in der Art einer Dumka, eines leicht elegischen Volksliedes, eingefügt. Voll freudiger, feuriger Jubelstimmung wird der glänzende Finalsatz beschlossen, der den Solisten vor besonders schwierige Aufgaben stellt. Diel.Sinfonie D-DurvonGustavMahler,ausden Jahren 1884 bis 1888 stammend, wurde am 20. November 1889 in Budapest uraufgeführt. Der Komponist hatte der Sinfonie, zu der er durch Jean Pauls Roman „Der Titan" angergt worden war, für die zwei nachfolgenden Aufführungen in Hamburg und Weimar ausführliche programmatische Erläuterungen beigegeben, die er jedoch später nicht mehr vertrat, da er sie (nach einem Brief vom März 1896) einerseits für nicht erschöpfend hielt und andererseits fürchtete, das Publikum dadurch auf falsche Wege zu leiten. Bei der Uraufführung trug das Werk noch die Bezeichnung „Sinfonische Dichtung in zwei Teilen". „Die Sinfonie hat die typische einmalige Gewalt des genialen Jugendwerkes im Überschwang des Gefühls, im unbedingten und unbewußten Mut zur Neuheit des Ausdrucks, im Reichtum des Erfindung; es blüht in ihr von musikalischen Einfällen, und es pulst in ihr das heiße Blut der Leidenschaft — sie ist Musik und sie ist er lebt", so charakterisierte der Mahler persönlich eng verbundene große Dirigent Bruno Walter dessen erste sinfonische Komposition. In sehr vielen Zügen ist die ses Erstlingswerk aber auch bereits typisch für den späteren Stil des Komponisten. Wir finden hier die freie Erweiterung und Überspielung der Sonatensatzform im Sinne der sinfonischen Dichtung, die starke innere Verbindung einzelner Sätze miteinander in Stimmung und Thematik; wir finden schon den engen Zusammen hang zwischen Mahlers Sinfonik und seinem Liedschaffen, die bewußte, von ro mantischer Sehnsucht getragene Hinwendung zur Natur, zum Volkstum, seine im höchsten Maße ethische Auffassung der Musik als seelisches und weltanschauli ches Bekenntnis. Wir finden jedoch ebenso bereits die tiefe Zwiespältigkeit und Zerrissenheit seines Wesens und damit seiner Musik, die in der Diskrepanz zwi schen schlichter, liedhafter Melodik und Übersteigerung der äußeren Mittel, in jähen Kontrasten, krassen Stimmungsumschlägen und eigentümlich zwielichtigen Episoden zum Ausdruck kommt. Der erste Satz des Werkes beginnt mit einer poetisch-stimmungsvollen Einleitung, die den erwachenden Morgen, den Sonnenaufgang mit vielfältigen Naturlauten schildert. Das danach erklingende frische Hauptthema, das einer Melodie aus Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen" entspricht („Ging heut morgen übers Feld"), bestimmt in seiner phantasievollen Verarbeitung, von Seitenthemen be gleitet, den weiteren Verlauf des von fröhlicher, naturhafter Diesseitigkeit und kraftvoller Musizierfreude erfüllten Satzes. Nach einer jubelnden Steigerung in vorwärtsdrängendem Tempo erfolgt unvermittelt der Schluß. — Das folgende, echt österreichische Scherzo im Ländlerrhythmus nach Brucknerschem Vorbild läßt eine ausgelassen-bewegte dörfliche Tanzszene an uns vorüberziehen. Den Mittelteil bildet ein anmutiges, etwas zarteres Trio. — In eine ganz neue Klangwelt führt uns der dritte Satz, mit dem der zweite Teil der Sinfonie - ursprünglich „Commedia umana" überschrieben — einsetzt (je zwei der Sätze gehören innerlich zusam men). Eine für den Komponisten sehr charakteristische, seltsame Kombination von Melancholie und Skurrilität herrscht in diesem merkwürdigen Satz, der verständ licherweise bei den ersten Aufführungen des Werkes Erstaunen und auch Be fremden hervorrief. Mahler wurde durch ein altes Bild, „Des Jägers Leichenbe gängnis", zu dieser Komposition inspiriert. Zu einem schauerlich grotesken Trauermarsch geben die Tiere des Waldes dem toten Jäger das Geleit. Das the matische Material des gespenstischen Treibens, dessen Eindruck durch ein paro distisch-triviales Zwischenspiel noch verstärkt wird, stellt der bekannte Volkslied kanon „Bruder Martin, Bruder Martin" dar. Für kurze Zeit spendet eine weitere Melodie aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen" ein wenig Trost und Be ruhigung; doch sie kann sich nicht durchsetzen, bald ertönt wieder unheimlich düster, hohnvoll und unerbittlich das Kanonthema des Anfangs. — Unmittelbar schließt sich der stürmische, titanische Finalsatz an, den Mahler einst den „Auf schrei eines zutiefst verwundeten Herzens" nannte. Heftige Kämpfe werden in diesem leidenschaftlichen Musikstück ausgefochten, dessen Bogen sich von „großer Wildheit" und überschwenglichen Ausbrüchen bis zum zartesten Pianissi- mo spannt, und der von starken Klangkontrasten und ungeheuer gesteigerten Entwicklungen getragen wird. Auffallende thematische Reminiszenzen an den ersten Satz treten hier auf. Der sieghafte Schluß mit dem marschähnlichen Hauptthema in vollem Orchesterglanz kündet endlich den errungenen Triumph. Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 ItG 009-57-76 EVP 0,25 M »Inillnsimnoniio 2. PHILHARMONISCHES KONZERT 1976/77