Volltext Seite (XML)
einer Moll-Tonart unterbrochen, mit dem heute gespielten Klavierkonzert d-Moll KV 466 aus dem Jahre 1785, das übrigens Beethoven sehr schätzte, und später mit dem c-Moll-Konzert KV 491. In beiden Schöpfungen erscheint uns Mozart als Künder einer neuen Epoche. Die Konvention der feudal-aristokrati schen Gesellschaftskunst wird durchbrochen, ja zurückgewiesen. Ein neues Ideal - der Mensch als Individuum — spricht aus dieser Musik. Neue Empfindungen, die auf Beethoven und auf die Zeit der Romantik hinweisen, werden ausgedrückt. Das d-Moll-Konzert KV 466, das der Komponist in einem Subskriptionskonzert am 11. Februar 1785 uraufführte, versetzt uns im ersten Satz (Allegro) in eine tragisch-schwermütige Stimmung. Mit drohend aufsteigenden Bässen und un ruhigen Synkopen reckt sich das Hauptthema auf, das im Tutti schmerzlich auf begehrt. Im Kontrast hierzu bringt das kantable zweite Thema eine gewisse Aufhellung. Das Soloinstrument setzt sodann mit einem dritten Thema ein, das namentlich in der Bläserfortsetzung zu einer Entspannung führt. Doch bald ge winnt die tragische Stimmung des Beginns wieder Oberhand und bleibt auch in der Durchführung vorherrschend. Die Auseinandersetzung zwischen dem Solisten und dem Orchester verläuft sehr dramatisch. — Der innige zweite Satz, eine Romanze, wird durch einen düsteren Mittelteil unterbrochen. Tragisch, hinter gründig wie der erste Satz beginnt das Rondo-Finale (Allegro assai), dessen erregte Stimmung schließlich einen hellen, versöhnlichen Ausklang findet, dem das zweite Thema des Satzes (in F-, dann in D-Dur) zugrunde liegt. Der am 5. Mai 1907 in Tokio geborene und daselbst heute schaffende Yoritsune Matsudaira ist einer der prominentesten zeitgenössischen Komponisten Japans. Während seiner Studien in Paris (u. a. Komposition bei Alexander Tscherepnin und Klavier bei Henri Gil-Marchex), setzte er sich mit den neuen Strömungen der europäischen Musik auseinander, die sich in seinem Schaffen mit national-japanischen Intonationen verbanden. Auch organisatorisch stellt er seine ganze Kraft in den Dienst der zeitgenössischen Musik: als Präsi dent der japanischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik sowie der japanischen Gesellschaft für Neue Musik. Für das diesjährige Musik fest der IGNM in Prag wirkte er als Mitglied der international besetzten Jury. Zu seinen wichtigsten Kompositionen gehören neben dem heute erklingenden Werk die „Metamorphosen nach Sai'bara“, für die er 1954 den Preis der Edition Savini Zerboni erhielt, „Figures sonores" (1957), „Samai" für Orchester (1957), „Suite de danses" für Orchester (1959), „Suite di danze" für Orchester (1960) und „Bugaku" für Kammerorchester, wofür ihm der erste Preis des Internatio nalen Kompositionswettbewerbes Rom 1962 zugesprochen wurde. Das Werk Thema und Variationen für Klavier und Orchester komponierte Matsudaira 1951 in Tokio; es erlebte seine erfolgreiche Welturauf führung 1952 in Salzburg beim Internationalen Musikfest der IGNM und wurde im gleichen Jahre mit dem Großen Preis des japanischen Ministeriums für nationale Erziehung ausgezeichnet. Das ganz eigene Kolorit dieser Komposition ergibt sich vornehmlich aus der interessanten Synthese altjapanischer Musik elemente wie der Halbton-Pentatonik mit dem Färb- und Stimmungsreichtum des europäischen Impressionismus. Matsudaira schöpfte sowohl aus dem tra ditionellen Melodiengut der japanischen Musikkultur (das Thema „Etenraku" de Gagaku ist ein Beispiel altjapanischer Hofmusik) als auch aus verschiedensten Haltungen und Techniken neuerer europäischer Musikübung. So ergibt sich ins gesamt eine stilistisch buntschimmernde Färb- und Klangstruktur von apartem fernöstlichen Reiz, souverän mit den Mitteln eines reichbestückten großen Or chesterapparates (Schlagzeug!) schaltend, höchst anspruchsvoll auch im Solopart. Der orchestralen Aufstellung des Themas in der H-Tonalität schließen sich in ununterbrochener Folge sechs Variationen und das Finale an, das wieder das Thema bringt, zum Unterschied vom Beginn jedoch mit Klavier. Die erste Variation mutet wie ein Nocturne an. In der zweiten Variation verzieren Klavier passagen die melodischen Linien des Orchesters. Gleichsam dodekaphonisch (zwölftönig) konzipiert ist die dritte Abwandlung, als Romanze ohne Worte könnte man die vierte bezeichnen. Boogie-Woogie-Rhythmen verarbeitet die fünfte Variation, und tokkatenhafte Kraftentfaltung bringt die letzte. Verhalten schließt der Epilog des kurzen Finales. „Er war der unvergleichliche Maler des Geheimnisvollen, des Verschwiegenen, des Unwägbaren — ihm gelang die Übertragung von Eindrücken, deren Mit teilung vor ihm wohl keiner so getroffen." Dies schrieb einmal H, Prunieres, der französische Musikologe, über Claude Debussy, den Begründer und un übertroffenen Meister des musikalischen Impressionismus. Mit den Worten des Komponisten Robert Oboussier sei fortgefahren: „Er löste die abstrakte Archi tektonik der traditionellen Form auf und setzte an ihre Stelle das Bild einer klangoptischen Vorstellung . . . Wo immer wir seinem Klang begegnen, berührt uns seine Helligkeit und Schwerelosigkeit, jene Harte, die seiner Musik ihr un verkennbar französisches Gepräge gibt." „Man lauscht nicht auf die tausend Geräusche der Natur, die uns umgeben, man ist nicht geöffnet gegenüber dieser so verschiedenartigen Musik, die uns die Natur in einer solchen Fülle darbietet. Diese Musik umgibt uns, und wir haben mitten in ihr bis heute gelebt, ohne davon Kenntnis zu nehmen. Hier ist nach meiner Meinung der neue Weg . . Dergestalt erläuterte Debussy das Wesen seiner Musik, die also empfangene Eindrücke, Impressionen, wiedergeben will. Das, was den französischen Meister am stärksten fesselte, war das Ungreifbare, das Atmosphärische der Dinge, etv^ Wechsel und Kontrast von Licht, Farben und Geräuschen, kurz „der ferne Wide™ hall der Natur". Wahrhaftigkeit kennzeichnet Debussys Stil, von dem der Kom ponist selbst sagte: „Ich habe ganz einfach meine Natur und mein Temperament sprechen lassen." Wie die impressionistischen Maler die feinen Linien zugunsten der Farbe zurücktreten ließen, gab Debussy die formale Symmetrik im Musika lischen auf und verabsolutierte die Farbwerte der Klänge, kombinierte die Klänge der Orchesterpalette nicht mehr grammatikalisch-logisch, sondern nach seinem klangmalerischen Instinkt. Debussys Musik wendet sich zunächst weniger an den Verstand als vielmehr an die Empfindungswelt des Hörers, übermäßige Drei klänge, Septimen- und Nonenakkorde, Quarten- und Quintenparallelen, die Verwendung der exotischen Ganztonskaia — das ist Debussys Handwerkszeug. Die sinfonische Dichtung „La Mer" (Das Meer) entstand zwischen 1903 und 1905 und umfaßt — wie es der Komponist bescheiden ausdrückte — drei „esquisses symphoniques" (sinfonische Skizzen) mit bezeichnenden Überschriften. Die Kom position, wohl Debussys bedeutendste Orchesterschöpfung überhaupt, hat nach Ausmaß und Konzeption sinfonischen Charakter, obwohl ihr sinfonische Dialektik, Antithetik einander widerstreitender Gedanken nur im Schlußsatz geläufig ist. Nicht um die Darstellung geistig-thematischer Konflikte geht es Debussy, sondern um das klangliche Erfassen, Verwandeln unendlicher, aber flüchtiger Naturbilder. Musikalisch wiedergeben will er, wie er sagt, „die ganze Poesie der Nacht und des Tages, der Erde und des Himmels, wie sich darin die Atmosphäre beruhigt und im Rhythmus zugleich auch das unaufhörliche Wogen schwingt", über das Meer, das er besonders liebte und das er in diesem Triptychon mit magischen, feinnervigen Klängen beschwört, äußerte er einmal: „Das Meer ist ein Kind, es spielt, es weiß nicht genau, was es tut . . . es hat schönes, langes Haupthaar. . . und es hat eine Seele, es geht, es kommt, es verändert sich ständig ..." _ Das erste Bild dieser wundervollen Tondichtung, betitelt „De l'aube a midi sur mer" (Von Tagesanbruch bis Mittag auf dem Meer), schildert — mit flimmernde^ Streicherfiguren — die Oberfläche des Meeres, die sich ständig ändert und doch immer wieder gleicht. Bläsermotive malen die Impression eines Sonnenaufgangs. Die zweite Skizze „Jeux de vagues" (Spiel der Wellen) spiegelt Stimmungshaft das Hin- und Herfluten der Meereswogen. Der dritte Teil „Dialogue du vent et de la mer" (Zwiesprache von Wind und Meer) vermittelt den Eindruck von Sphärenmusik. In diesen ungemein lebensvollen, dramatisch-aufbrausenden, die entfesselten Elemente charakterisierenden Klängen vermeint man tatsächlich die Überschrift nachzuerleben. Die Entwicklung des ungestüm-großartigen Schluß satzes wird übrigens von zwei faßbaren musikalischen Hauptgedanken getragen. Dr. Dieter Härtwig Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1967/68 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 41329 III 9 5 2 967 ItG 009 61 67 (•Hlharnrnoniio 1. PHILHARMONISCHES KONZERT 1967/68