Volltext Seite (XML)
MsdmfferTageblatt D für Bürgertum^ Beamte, Angestellte u. Arbeiter Nr. 181 — 91. Jahrgang Wilsdruff-Dresden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt' Postscheck: Dresden 2640 Donnerstag, den 4. August 1932. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaff, Das »Wilsdruffer Tageblatt* erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. frei Haus, bei Postbestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Apfg. Alle Postanstalten, Post- Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Falle höherer Gewalt, - Krieg oder sonstiger Be ¬ triebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beili^i. 2 Fernsprecher- Amt Wilsdruff Nr. 6 durch Fernes übermittele Anzeigen übern, wir Keine Garantie. Jede, AadattaMrruct Nich-igbki, ter Klag- -ingez-gen werden mutz aber der Auftraggeber In L^ der De.rag l.rch Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauvtmannsckatt Meiken d^ Anir. geeicht- und de- Stadtrat- zu Wilsdruff, de- Farsiren.ami- Tharandt und des Finanzamt- N^en behörL Am Beobachtungsstand. Ein eigentümliches Zusammentreffen wollte es, daß Österreichs langjähriger Bundeskanzler Dr. Seipel zu einer Zeit aus dem Leben und damit aus der Politik hat scheiden müssen, da der wirkliche oder anscheinende Erfolg der Arbeit dieses Mannes sozusagen bis auf den letzten Rest aufgebraucht war. Wie von so vielen leitenden Staatsmännern der Nachkriegszeit in Deutschland und Österreich gilt auch von ihm das Wort: Vott der Parteien Gunst und Haß verwirrt, Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte." Wiel ist in dieses Bild hineingeheimnist worden, und in der Regel kam man ein paar Jahre nach dem Tun oder Ge schehenlassen Dr. Seipels mit billigem, besserwissendem Lob oder — noch mehr Tadel. Sein Tod bot daher eine Gelegenheit, mit diesem Lob oder Tadel besonders eifrig zu hantieren. Doch auch seine Gegner gaben offen oder stumm zu, daß Dr. Seipel weit hin ausragte über die Masse der Politiker Österreichs, weil man ihn instinktiv, aber Wohl mit Recht, gar nicht als Parteipolitiker betrachten konnte. Was er als Bundeskanzler und als Führer der stärksten Partei Österreichs getan hat, war doch schließlich nichts anderes, als daß er die Stäbe des Käfigs prüfend abtastete, in den das Diktat von St. Germain diesen klein und ohnmächtig gewordenen Staat hineingesperrt hatte. Dr. Seipel wollte nur für sein Österreich etwas tun, wenn er hier und da einen Stab zu lockern versuchte. Man hat ihn darob vom großdeutschen Standpunkt aus — später — schwer ge scholten, hat aber als Deutscher kaum das Recht dazu. Denn ebenso wie Dr. Seipel durch den Vertrag über die Völker bundanleihe von 1922 der österreichischen Inflation ein Ende machte, hat es Deutschland ein Jahr später nach dem Ruhrkampf getan, dessen Abbruch zur Überwindung der Inflation hinüberleitete. Dr. Seipel hatte die heute recht selten gewordene Tugend des Staatsmannes, einerseits die Dinge so zu sehen wie sie sind, und andernfalls — warten zu können. Er ist seit jener Zeit, als die innenpolitischen Spannungen schließlich in Wien zum offenen Ausbruch kamen, zu einer noch schärferen Be tonung seiner politisch konservativen An schauung gelangt, die immer wieder an die noch nicht ganz erstorbenen Rechte des alten Österreichs anknüpften. Wenn ihm vorgeworfen worden ist, er sei gerade aus diesen Anschauungen heraus ein Gegner des Zusammen schlusses mit Deutschland gewesen, so mag er selbst bitter über diese Verdächtigung gelächelt haben; wußte er doch zu genau, daß die Verwirklichung dieser Idee realpolitisch auf unüberwindliche Schwierigkeiten stieß, die man nicht mit Worten oder Beschlüssen umblasen konnte und — kann, lind wenn man ihn als Schuldigen für die jüngste Fesselung Österreichs bezeichnet, so sollte man nicht vergessen, daß weniges in Österreich selbst geschah, was erst auf den Weg zu dieser Bindung geführt hat. Wie stark diese Spannungen noch heute sind — auch trotz des „Vertrauens"abkommens, dem Wohl jetzt so ziemlich alle Staaten Europas beigetreten sind —, zeigen za die deutsch-politischen P röteste und Gegenproteste wegen des Zwischenfalls im deutschen Generalkonsulat in Warschau. Daß die amtliche polnische „Beschwerde" von unserem Außenminister mit fast un gewöhnlich scharfer Erwiderung zurückgewiesen wurde, ist um so erklärlicher, weil ja der Hintergrund des ganzen Falles, die Feier des polnischen „Meeresfestes" in Gdingen, einen ausgesprochen antideutschen Cha rakter trug und tragen sollte. Um so unerhörter ist die wiederholte, von Polizisten „geschützte" Anbringung einer polnischen Fahne auf dem exterritorialen, also deutschen Boden unseres Generalkonsulates. Auch wenn sonst in ganz Polen geflaggt wurde, kann man doch von einer Vertretung des Deutschen Reiches nicht verlangen oder sie gar dazu zwingen, durch Ausstecken einer polnischen Flagge eine Demonstration mitzubegehen, die den Willen Polens zur Behauptung des Korridors nach der Ostsee .dokumentieren soll, über den völkerrechtswidrigen Bruch der Exterritorialität, der offenbar vorbereitet war, ist überhaupt kein Wort mehr über das hinaus zu verlieren, was der deutsche Außenminister dem polnischen Botschafter in Berlin gesagt hat. Nur — auf eine Sühne werden wir ebenso lange wie vergeblich warten dürfen! * „Zugang zum Meer" — deswegen sind ja auch in SüdamerikadieGewehre losgegangen, und wie schon im gleichen Falle vor vier Jahren eilt man in Amerika selbst, dann Wohl auch von Genf aus mit Lösch eimern herbei, um das emporlodernde Kriegsfeuer recht zeitig zu ersticken. Bolivien will „zum Meer", genauer gesagt zum Paraguayflutz, weil es absoluter Binnenstaat geworden ist. Auf den „Gran Chaco" selbst, der nun schon eine fast berühmt gewordene Rolle in der Kriegsgeschichte der „Nachkriegszeit spielt, kommt es nicht allzusehr an. Freilich auch nicht auf die Menschen, die zur Austragung dieses wirtschaftspolitischen Kampfes „eingesetzt" werden. Wil-W -er RWregiKW? Hitlers Forderungen. Wie verlautet, will die Reichsregierung den neu gewählten Reichstag für den 30. August zu seiner ersten Sitzung einberufen. Nach Artikel 33 der Reichsverfassung must der Reichstag spätestens dreißig Tage nach der Wahl zusammcntretcn. Der 3V. August wäre also der äußerste Termin. Die Ncichsregierung wird diesen letzten Termin deshalb wählen, damit sich bis dahin die Meinungen der Parteien über ihre Haltung genügend geklärt haben. Das Hin und Her in den politischen Betrachtungen der Parteien über die Auswirkung und Auswertung der Wahl hat jetzt eine ganz bestimmte Richtung bekommen, nachdem einiges darüber bekanntgeworden ist, was die natio nalsozialistischen Führer bei eine« Be ratung mit Hitler in einem süddeutschen Kurort be schlossen haben. Die Beratung dreht sich natürlich um die Frage, welche Haltung die NSDAP, auf Grund ihrer jetzigen parlamentarischen Stärke einnehmen soll. Man rechnet in der Öffentlichkeit mit zwei Möglichkeiten: ein mal damit, daß die Nationalsozialisten auf eine direkte Teilnahme an der Regierungsverantwortung verzichten und sich damit begnügen, das jetzige Reichskabinett unter bestimmten Bedingungen zu dulden oder zu to l e r i e r en, wie der politische Fachausdruck lautet; dann damit, daß die Nationalsozialisten die Besetzung bestimmter Minister posten mit ihren Beauftragten fordern werden. Nach Meldungen von unterrichteter Seite soll die Entscheidung der NSDAP.-Führer so ausgefallen sein, daß sie ihren Teil an der Macht fordern wollen und sich zur Übernahme der V e r an tw o rtu n g bereit erklären. Es fragt sich nun, in welcher Form sich Hitler an der Macht im Reich beteiligen will. Daß seine Forderungen angesichts der parlamentarischen Stärke der Partei ziemlich weitgehend sein werden, dürfte nicht überraschen. In den Kreisen der Reichsregierung wird gegenüber der Möglichkeit dieser Forderungen jetzt schon betont, daß an dem Charakter der jetzigen ReKerung als sogenannte Präsidialregierung nichts geändert werden solle, der Reichskanzler will sein Kabinett auch weiterhin von parteipolitischen Bindungen freihalten. Dies soll übrigens auch der Wunsch des Reichspräsidenten sein. Das würde zur Folge habA, daß man den Eintritt von ausgesprochen parteipolitisch Beauftragten der NSDAP, in die Reichsregierung ablehnen will. Die Nationalsozialisten sollen also zur Entsendung in die RKchsregierung nur Männer wählen, die zwar ihr trauen genießen, aber parteipolitisch nicht gebunden sind. Es sollen vor allem Männer mit fachliche n Kenntnissen sein. Diese Gedanken entspringen Wohl der Erwägung, daß das neue Kabinett sich schließlich doch dem Reichstag stellen wird. Es soll deshalb so gestaltet werden, daß dem Z e n - trum die Möglichkeit gegeben wird, das Kabinett M tolerieren. Bis dieses Ziel erreicht ist — wenn es über haupt erreicht wird —, wird noch manche Schwierigkeit zu überwinden scn. Das Zentrum jedenfalls erhebt jetzt immer nachdrücklicher die Forderung, daß eine neue Reichs regierung gebildet wird, die gewilli ist, mit dem Reichstag zusammenzuarbeiten. Man nennt das in der Zentrums- presse die Wiederherstellung der politischen Rormallage. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch di« neuerdings aufgetauchte Vermutung, daß beim nächsten Versuch, einen Ministerpräsidenten in Preu ße n zu wählen, der Reichskanzler selbst als Kan didat präsentiert werde. * Ohne Reichstag — meint der „Temps" Paris, 3. August. Der „Temps" behandelt noch einmal die innerpolitische Lage in Deutschland. Das Blatt glaubt nicht daran, daß die Reichsregierung den Forderungen 'der National sozialisten nachgeben werde. Alle Anzeichen deuteten schon dar aufhin, daß das Kabinett von Papen—Schleicher das aufge stellte Pwgramm ohne die Mitarbeit des Reichstags durchfüh ren werde, um die auf lange Sicht zu verwirklichenden Aufga ben einer verwaltungstechnischen, finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Wiederaufrichtung Deutschlands nach dem Mu ster des alten preußischen Staates zu einem glücklichen Ende zu führen. Preußischer Landtag am 16. August. Berlin. Der Ältestenrat des Preußischen Landtages beschloß, den Landtag für Dienstag, 16. August, einzuberufen. Der Landtag wird in eine allgemeine politische Aussprache über die Einsetzung des Reichskanzlers von Papen zuni R e i ch s k ö m m i s s a r von Preußen und über die Terrorakte der letzten Tage eintretcn. Für diese Aussprache sind zwei Tage in Aussicht genommen. Ein Zeitpunkt für die Wahl eines Ministerpräsidenten in Preußen wurde nicht fest gesetzt; diese Frage ist im Ältestenrat nicht erörtert worden. Erlaß von Grundsteuer wegen Metaussalls. Richtlinien der Negierung. Einer Entschließung des Landtages entsprechend er läßt das sächsische Finanzministerium im Sächsischen Ver waltungsblatt eine Verordnung, in der es unter anderem heißt: Die Wirtschaftskrise der letzten Zeit hat auch den Hansbesitz zum Teil stark in Mitleidenschaft gezogen. Es macht sich daher erforderlich, daß diesem Umstande bei der Entscheidung über Grundsteuererlaßgesuche in noch stärkerem Maße als bisher Rechnung getragen wird, wie dies bei der Anfwertungssteuer bereits geschieht. Bei der Entscheidung über Gesuche um Erlaß oder Stundung von Grundsteuer sind deshalb die persönlichen und wirt schaftlichen Verhältnisse des Steuerschuldners mehr als bisher zu berücksichtigen. Die Wirtschaftslage und insbe sondere die Auswirkung des durch die 4. Notverordnung des Reichspräsidenten vom 8. Dezember 1931 geschaffenen Kündigungsrechts haben in vielen Fällen Leerstehen von Wohnränmen und gewerblichen Räumen (besonders in Industrie- und Geschäftshäusern) sowie eine zum Teil erhebliche Senkung der Mietpreise zur Folge. In allen Fällen kann bis auf weiteres der Erlaß von Grundsteuer mit Wirkung für die Zeit vom 1. April 1932 ab auf Grund von K 30 des Grundsteuergesetzes nach den nach stehenden Richtlinien gewährt werden. Mietgrundstücke. Bleibt der Mietrohertrag eines Grundstückes im Rechnungsjahre um mehr als 20 Prozent hinter der ge setzlichen Miete des ganzen Steuergegenstandes zurück, weil Mieträume ohne Verschulden des Steuerpflichtigen leerstehen oder weil Mieträume infolge der ungünstigen Wirtschaftslage zu einem geringeren Betrag als der ge setzlichen Miete vermietet werden mußten oder weil der Vermieter die bedungene Miete ganz oder teilweise vom Mieter nachweislich nicht erhält, so kann der Teilbetrag der Grundsteuer bis zu drei Viertel erlassen werden, der dem Verhältnis des Mindercrtrages an Miete zur ge setzlichen Miete des ganzen Steuergegenstandes entspricht. Läßt sich für den Steuergegenstand eine gesetzliche Miete nicht feststellen, so tritt an Stelle der gesetzlichen Miete die Jahresrohmiete nach dem Stande vom 1. Januar 1931. Eigcnbcnutzte Wohngrundstücke. Soweit Wohngrnndstiicke, die bisher cigenbemrtzt waren, ganz oder teilweise unverschuldet leerstehen, kann die auf die leerstehenden Räume während der Dauer des Leerstehens anteilmäßig entfallende Grundsteuer bis zu drei Viertel erlassen Werder;, wenn sie mehr als zwanzig Prozent der Jahresgrundsteuer des ganzen Steuergegen standes beträgt. Eigenbenutzte gewerbliche Grundstücke. Soweit eigenbenutzte gewerbliche Grundstücke infolge Einstellung, Einschränkung oder Umstellung des Betriebes ganz oder teilweise leerstehen, kann die auf die leerstehen den Räume während der Dauer des Leerstehens im Rech nungsjahr anteilmäßig entfallende Grundsteuer bis zu drei Vierteln erlassen werden, wenn sie mehr als zwanzig Prozent der Jahresgrundsteuer des ganzen Steuergegen standes beträgt. Ist die Betriebseinstellnng oder Betriebseinschränkung jedoch in Verfolgung wirtschaftlicher Vor teile vorgcnonimcn worden, so kann Erlaß von Grund steuer nicht gewährt werden. Die Verordnung bringt im weiteren Einzelheiten über die Erlaßmöglichkeitcn und außerdem eine Reibe von Beispielen. Vorbereitungen für die Weltwirtschastslonserenz. Auch Belgien sagt zu. Außer den Vereinigten Staaten hat auch Belgier» die Einladung zur Teilnahme an dem vorbereitenden Völkerbundausschutz für die Wellwirtschaftskonferenz an genommen, die von Sir John Simon in ferner Eigen schaft als Präsident dieses Ausschusses ausge,andt war. In dem Ausschutz sind ferner Frankreich, Deutschland, Italien und Japan vertreten.