Volltext Seite (XML)
8N ÄMlißkilU M WWii ZlNtsKW Mx. 183. zu Nr. 295 des Hauptblattes. 1924. Beauftragt mit der Herausgabe: RegteruugSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandliingen. (Fortsetzung der 19«. Sitzung von Dienstag, den 1«. Dezember.) Abg. Frau Dhümmet (Mindert), der Soz.): Ich möchte vorausschicken, bau, wenn deute die Kleinrentner in r ine solche Notlage gekommen sind, die Politik der bürge» lichen Parteien die Urjache dazu gewesen ist. (Sehr richtig! links.) ES mutet uns deshalb die Fürsorge, die sie für diese Kreise an den Tag legen, etwas sonderbar an. Wenn ich mir den Antrag Börner ansehe, so kommt mir unwillkürlich eine Bestimmung aus den Richtlinien der Stadt Dresden in Erinnerung, die mangebend war, als wir noch die sogenannten Armenämtcr hatten, wo es hieß, das;, wer öffentliche Mittel empfängt, nie mals sich in einem öffentlichen Lokal zeigen darf, und die dazu beauftragten Pfleger waren sogar gehalten, in öffentlichen Lokalen zu (Pionieren, ob ihre Unterstützten sich einmal dorthin verirrt hätten. Weiter war die Be- stimmung. dass diese Leute sich kein Haustier halten dürfen, keinen Hund, keine Kaye, keine Ziege usw. Das war früher Heute, da Kreise in Not geraten sind und öffentliche Unterstützung in Anspruch nehmen müssen, die früher sich m gehobener Lebensstellung befanden, da erinnert man sich dieser Härten, früher ist das nicht der Fall gewesen. Der Antrag Börner will also, das; die Kleinrentner nach herausgehobcner Art abgefertigt werden. Ich glaube, das ist nicht überall notwendig. Ich gebe zu, das; es Gemeinden geben kann, wo viel leicht die Räumlichkeiten nicht so sind, daß eine getrennte Abfertigung möglich ist, aber für Großstädte dürfte das kaum zutreffen. lZuruf bei der Disch. Vp.: Durch die Post schicken!) Ja, das wäre vielleicht ein Ausweg, den auch ich anführen wollte, das; man die Post dazu be nützt, um den verschämten Armen diesen Weg zu er- waren, das wäre der Erwägung wert, diesen Weg zu benutzen, nm ihnen den lauren Wea nach dem Fürsorge- amt zu ersparen. Zu dem Antrag Hertwig, der yervorhevt, das; die heutigen Unterstützungssätze viel zu gering sind und oft unpünktlich ausge ahlt werden, möchte ich sagen, daß das nicht nur für die Kleinrentner zutrifft, die Sätze sind für Sozialrentner ebenso geling, sie befinden sich auf der g eichen Höhe, und ebenso auch für die öffentlich Unter stützten. Wenn also eine Erhöhung eintreten soll, dann sind wir dafür, daß für alle gesorgt wird Zu der Beschlagnahme von Sachwerten, die nach dem Anträge Hertwig möglichst vermieden werden soll, habe ich fcststeUen können, dal man nur beschlagnahmt, wenn überflüssige Dinge in Frage kommen oder Schmuckstücke, die mach gebraucht werden, Wertsachen, die toten Besitz darstellen, die aber einmal dem lachenden Erben dann zugute kommen, die dem Betreffenden jetzt zurzeit nichts nützen. W'r können nicht einschen, daß der Staat öffentliche Mittel auswerfen soll und nicht die Dinge beschlagnahmen soll, die dann an die Erben fallen, die sich heute ihrer Unterstützungspflicht entziehen. In dieser Beziehung möchte doch im Ausschuß darüber be raten werden, wie die Dinge >n Zukunft gehandhabt werden sollen. Jetzt ist es auch üblich, das; die Kinder herangezogen werden zur Fürsorgeleistnng. Die Kinder versprechen zwar, daß sie ihrer Pflicht nachkommen und Beträge abführcn wollen, aber ihre wirtschaftliche Lage gestattet ihnen oft nicht, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Dann tritt das ein, daß man die Unter stützung herabgefetzt hat in Aussicht auf den zu leistenden Betrag der Kinder und daß die alten Leute, die in Frage kommen, zu kurz dabei kommen, daß sie also nicht den Satz ausaemblt e'-bn't^n. d-w ihnen eiaentlich zukommr. Wenn aho Mlguanoe vcnt-unoca ;uw, oann gno wir selbstverständlich dafür, daß sie beseitigt werden, aber bei allen Unterstützungsempfängern. Und was die an geblich herausgehobene Behandlung anbetrifft, so ist es doch selbstverständlich, daß alle Fürsorgevedürftigen gleich behandelt werden müssen. (Sehr richtig! bei den Soz.) Ich sehe nicht ein, warum man gerade die Kleinrentner als andere Leute ansieht, daß man vor ihnen einen Extradiener macht und sie extra behandelt. Ich bitte deshalb, den Antrag Börner abzulehnen, den Antrag vr. Hertwig aber dem Ausschuß zu Überwegen, um dort Mittel und Wege zu finden, um die geschil derten Mißstände zu beseitigen, vor allen Dingen aber eine Erhöhung der Sätze herbeizujüh.en, was man nm so mehr in Aussicht nehmen darf, als uns ja heute im Rechtsausschuß durch den Herrn Finanzminister ve>- sichcrt wurde, daß sich die Staatsfinanzen in einer aus gezeichneten Lage befinden. (Widerspruch des Finanz ministers. — B*nvo! und Heiterkeit bei den Soz.) Abg. Frau «a)l«g (Komm ): Der Antrag der Deutsch- nationalen Fraktion könnte eigentlich als Agitations antrag betrachtet werden (Abg. Börner: Schon wieder einmal!), gestellt seinerzeit, um die verschiedenen Für- sorgeberechtigten und ihre Fürsorge in Anspruch nehmen den Angehörigen nicht zu verlieren. Nach dem Antrag soll Rücksicht genommen werden auf das beleidigte Standesgefühl derer, die einstmals etwas besessen haben und heute arm geworden sind durch die Schuld des leichtfertigsten Finanzministers Helfferich, den wir wäh rend der ganzen Kriegsperiodc gehabt haben und der der Deutschnationalen Bolkspartei anaehörte und zu erst anfing, die deutschen Finanzen so tief herunter- zuschütteln, wie das heule der Fall ist, und durch die ganze weitere Politik der bürgerlichen Parteien, wie fre hier schon durch die Frau Abg. Thümmel ge- kennzeichne' worden st. Ick' bin der Auffassung, daß mau ihnen weienllich mehr dient, wenn man ihnen gibt, was sie brauchen, und davon ist hier von dem Herrn Abg. Börner sehr wenig gesagt worden. Tas, was die Anträge wollen, muß bei der Fassung des zukünftigen Wohlfahrtspflegegesetzes mit geregelt werden. Dort werden wir überall dafür eintreten, daß den Kleinrentnern genau so wie allen anderen Unterstützungs- berechtigten ein Existenzminimum in der Höhe des Ge haltes der Gruppe II gegeben wird; obschon wir Kom munisten die Gruppe II als Gehalt ablehnen, halten wir sie doch für die einzig mögliche Grundlage, um das Leben noch zu fristen, und beantragen darum für alle Unterstützungsberechtigten das Gleiche. Beide Anträge geben uns aber recht, wenn wir schon immer betont haben, daß bei den Fürsorgeeinrichtungen und Fürsorge maßnahmen Mißstände bestehen, die beseitigt werden müssen, aber nicht nur bei den Kleinrentnern, sondern bei allen Unterstützungsbercchtigten. Wir haben auch überall, wo wir die Möglichkeit hatten, in allen Par lamenten dahingehende Anträge gestellt, und wir for dern die Parteien der Antragsteller auf, daß sie, wenn wir bei der Beratung der künftigen Wohlfahrtspslege- gefetze in dieser Richtung vorstoßen, dann beweijen, daß sie nicht nur Wahlagitationsanträge gestellt haben, wie sie uns immer vorwelfen, sondern auch bereit sind, praktische Arbeit zu leisten und auch etwas aus den Taschen derer zu geben, die noch etwas haben und ihnen nahestehen. Wir beantragen, den Antrag Nr. 1004 dem Haushaltausschuf; zur weiteren Beratung gelegent lich der Beratung des Wohlfahrtsgesetzes zu überweisen. Finanzmittister Vr. Reinhold: Ich möchte nur eine Bemerkung richtigstellen, die Frau Abgeordnete Thümmel am Schluß ihrer Rede gemacht hat, indem sie erklärt hat, ich hätte heute morgen im Rechtsausschuß von einer ausgezeichneten Lage der Finanzen gesprochen. (Lebhafte Zurufe links.) Ich muß das leider berichtigen und seststellcn, daß ich das nicht gesagt habe. Ich habe gesagt, wie die Steuereingänge in diesem Jahre gewesen sind, und daß es auf Grund dieser Steuereingänge mög lich ist, für den Nest des Etatjahres die Steuermilde- ruugen durchzuführen, die die Regierung vorgeschlagen hat, ohne daß dadurch das Gleichgewicht des Staats haushalts in Frage gestellt wird. Glänzend sind die Staatssinanzen leider auch jetzt noch nicht. Ter Staat ist in den letzten Mo,raten wieder mit neuen Ausgaben belastet worden, und wir alle tappen noch im Dunkeln, was nach dem 1. April werden wird, was wieder vom Finanzausgleich mit dem Reiche abhängt. Ich wollte deshalb diese Worte der Frau Thümmel nicht unwider sprochen lassen. (Zurufe links.) Arbeitsm,uister Elsner: Ich möchte nicht falsche Hoffnungen draußen entstehen lassen, wenn Frau Abgeordnete Thümmel hier zum Ausdruck brachte, das; es die Auffassung der Sozialdemokratischen Fraktion sei, daß die Sätze umgehend erhöht werden möchten und daß das bei der jetzigen Finanzlage durchaus möglich fei. Ich möchte darauf Hinweisen daß die Sätze, soweit sie sich auf die Versicberungspflicht aufbauen, festzusetzen nicht Lacke des Staates, sondern des Reiches ist. Soweit die Fürsorge in Frage kommt, ist die Festsetzung Sache der Bezirksfürsorgeverbände. Also der Staat als solcher hat durchaus keine Möglichkeit, die bestehenden Sätze zu erhöhen. (Abg Edel: Es können höhere Mittel aus der Mietzicnssteuer herausgeholt werden!) Tas betrifft die Mittelaufbringung, Herr Abgeordneter Edel, aber an der Festsetzung der Sätze uns zu beteiligen, haben wir keine Möglichkeit, wie ich eben gegenüber den Ausführungen der Frau Thümmel festgestellt habe. Nach den Schlußworten der Abgeordneten Börner und Irl. vr. Hertwig wird der Antrag Nr. 989 abgelehnt, der Antrag 1004 dem Haushaltausschuß überwiesen und der Zusatzantrag Börner dem Rechtsausschuß zur Mitberatung bei der Vorlage 160 überwiesen. (Schluß der Sitzung 4 Uhr 20 Minuten.) 199. Sitzung. Donnerstag, den 18. Dezember 1924. Präsident Winkler eröffnet die Sitzung I Uhr 10 Minuten nachmittags. Am Regierungstifche zeitweise Ministerpräsident Heldt, die Minister Bünger, Elsner, vr. Kaiser, Müller (Chemnitz), Müller (Leipzig) und I)r. Rein hold sowie Rcgierungsvertreter Zur Klärung einer Angelegenheit aus der letzten Plenarsitzung erhält zunächst das Wort Stellv. Präsident vr. Eckardt (Dtschnat.): Am vorigen Dienstag, den 16. Dezember, ist über den Bericht des Untersuchungsausschusses zur Prüfung der Beamten- Politik der Regierung über die Beschwerde des Ministerial direktors Geh. Rats vr. Boehme beraten worden Es be anden zwei einander diametral entgegengesetzte An träge, ein Mehrhcits- und ein Mindcrheitsanlrag. Der Landtag hatte zugestimmt, daß über den Mehrheits antrag abgestimmt werde Dieter Mehrheitsantrag ist mit Stimmengleichheit adgelehnt worden Die Frage, welche Sachlage dadurch geschaffen worden ist, hat vorhin den Ältestenrat beschäftigt. Der Ältestenrat war einstimmig der Ansicht, das; bei dem obwaltenden Stimmenverhältnis im Land tag ein endgültiger Beschluß überhaupt nicht erzielt werden konnte, denn nach 814 der Verfassung ist zur Gültigkeit eines Beschlusses einfache Stimmenmehrheit erforderlich. Es kann aber auch eine dritte Beratung oder Wiederaufnahme der Beratung nicht erfolgen, denn über eine Beschwerde muß der Landtag in einer Schlußberatung entscheiden. Infolgedessen ist nach An sicht des Altestenausschusses die Sachlage die, daß der Negierung mitgeteilt werden muß, es wäre unmöglich gewesen, einen gültigen Beschluß herbeizuführen, und es wäre auch nicht möglich, dies in Zukunft noch nachzuholen. Es ist aho ein endgültiger Beschluß über die Beschwerde überhaupt nicht zustande gekommen. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetteten. Die Punkte 1—3 werden gemeinsam behandelt. Punkt 1: Erste Beratung über den Antrag des Abg. Bertz u Gen. nebst Zusatzantrag, den Erlaß einer umfassenden Amnestie betr. (Drucksachen Nr. 985 und 998.) Tie Anträge lauten: Nr. 985: Tie Prozesse gegen die Arbeiterschaft auf Grund der Landfriedensbruch-, Hochverrats- und Klassenhaß paragraphen nehmen kein Ende. Tie Urteile, die gefällt werden, sind außerordentlich hart. Tie Ge fängnisse süllen sich von den Lpsern der Klassenjustiz. In den sächsischen Gefängnissen sitzen viele Hunderte von Arbeitern, die im letzten Jahre unter dem Truck der Verhältnisse gegen ihre Verelendung angekämpft haben. Es ist an der Zeit, daß die Türen der Ge- fängnisie durch eine allgemeine Amnestie geöffnet werden Neben den politischen Vergehen sind es vor allen Tingen die Notvergehen, wie Mundraub und Tiebstahl, die einen breiten Umsang angenommen haben. Dazu kommen die Straftaten auf Grund der mittelalterlichen Paragraphen des Strafgesetzbuches 218 und 219. Tie arbeitenden Schichten der Bevölkerung sind entrüstet über die Urteile, die wegen dieser Vergehen in den letzten Monaten gefällt worden sind Tie Mehrheit der sächsischen Bevölkerung fordert die Amnestie. Tie Kommunistische Fraktion stellt aus diesen Gründen folgenden Antrag: Ter Landtag wolle beschließen: 1. Tie Regierung wird beauftragt, sofort alle Vorbe reitungen für eine umfassende Amnestie zu treffen. Tie Amnestie soll sich erstrecken ») auf alle Straftaten, die mit politischen Unruhen, Demonstrationen, Kundgebungen, Versamm lungen, Lohnbewegungen Zusammenhängen. Amnestiert werden sollen alle Personen, die wegen der Botgänge im Jahre 1923 und 1924, die aus Grund der Verordnung über den Be lagerungszustand und der Paragraphen des Elrafgeietzbuches 81 bis 86, 110 und 111, 114 bis 116, 124,125 und 130 verurteilt worden sind. Unter diese Amnestie sollen ferner fallen alle politisch'« Preßvergehen und Strafen wegen Verbreitung politischer Druckschriften d) auf alle Vergehen, d. h. auf alle Straftaten, die begangen worden sind aus großer Not in folge von Arbeitslosigkeit, schlechtem Einkommen, großer Familie, Todesfall, wobei nicht ent scheidend sein darf die Feststellung des Gerichts, sondern die Nachprüfung durch eine damit be auftragte Kommnsion. e) auf alle Straftaten gegen die 218 und 219, vor allen Tingen in solchen Fällen, wo es sich um kinderreiche Familien handelt, wo Arbeits losigkeit und Not Leitmotiv der Handlung war. 2. Bis zur Verabschiedung der Amnestie durch den Landtag wird die Regierung beauftragt, in all diesen Fällen die Unterbrechung des Straf vollzuges anzuordnen. Nr. 998: Dem Anträge Drucksache Nr. 985 ist folgender Absatz anzufügen: 3 Bis zur Erledigung der Amnestie durch den Landtag sind alle Strafverfolgungen wegen der in Absatz 1 unter », d und o angeführten Vergehen ein zustellen. Abg. Siewert (Komm. — Zur Begründung dieser beiden Anträge): Tie Frage der Amnestie wird immer wiedcrkehren, solange die kapitalistische Gesellschafts ordnung besteht und solange eine Klassenjustiz vorhanden ist, die in rücksichtsloser Weise bestimmte Teile der Be völkerung in enneitigster Weise bestraft und verurteilt. Bei der Beratung der Amnestiefragc, die im Juli hier stattgcfunden hat, haben wir feststellen müssen, daß die Mehrheit des Landtages, d h die Parteien von den Sozialdemokraten bis zu den Deutschnationalen die Amnestie abgclchnt haben. Sämtliche sozialdemokratische Abgeordnete, soweit sie es nicht vorgezogen haben, den Saal zu verlassen, und zwar waren cS nur 2 oder 3 von den Linken, haben gegen die Amnestie gestimmt. Nm so sonderbarer mutet cs heute an, daß die linken Sozialdemokraten ebenfalls einen Amnestieantrag ein gereicht haben, der sich im wesentlichen mit den For derungen der Kommunisten deckt. Wir wollen hoffen, daß die LinkSfvzialdemokiatcn diesen Antrag, den sie da eingcbracht haben, auch mit allem Nachdruck hier ver-