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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.04.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980414015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898041401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898041401
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-04
- Tag 1898-04-14
-
Monat
1898-04
-
Jahr
1898
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Die Zahlen des Sommers geben zu Be denken in wirthschaftlicher oder socialer Beziehung kaum Anlaß, denn daß von 100 Arbeitnehmern nicht ganz 2 außer Stellung sind, erscheint nicht als etwas Ungewöhnliches. So viel Arbeits kräfte müssen in Reserve bleiben, damit nicht wirthschaftlich un gesunde Verhältnisse entstehen. Betrachtet man dagegen die Beschäftigungslosen der Winterzählung und unterscheidet man sie nach ihrem Berufe, so zeigt sich, daß fast drei Viertel davon auf die Berufsarten entfallen, von denen wir wissen, daß ihre Thätigkeit im Winter zum größten Theil eingestellt wird. Daraus geht hervor, einmal, daß die Arbeitslosigkeit die Mehr zahl der Arbeitnehmer ohne ihr Verschulden trifft, ihr Heran nahen aber vorhergesehen werden kann, andererseits, daß dieser Zustand in jenen Berufsarten seinen Grund in den Verhältnissen unserer Volkswirthschaft hat und daher auch durch eine Ersetzung unserer heutigen Wirtschaftsform durch eine Glltererzeugung auf kommunistischer Grundlage nicht beseitigt werden kann. Die gewonnenen statistischen Nachweise lassen ferner ein Urtheil darüber zu, in welchen Berufen und Berufsstellungen der Arbeitnehmer der Arbeitslosigkeit am meisten ausgesetzt ist. Die Gefahr, arbeitslos zu werden, ist nach den Ermittelungen am größten in den industriellen Betrieben, sowohl im Sommer als im Winter. Dagegen ist der landwirtschaftliche Arbeiter von dieser Gefahr im Vergleich zu anderen Berufen am wenigsten bedroht. In den Berufsarten, in denen hauptsächlich ungelernte Ar beiter beschäftigt werden (d. h. Arbeiter, die eine Lehrzeit zur Erlernung der zum Betriebe nothwendigcn Fertigkeiten nicht zurückgelegt haben), greift die Arbeitslosigkeit am stärksten um sich, während sie am geringsten in den Berufen ist, in welchen feste Anstellung oder der gelernte bezw. qualificirte Arbeiter vorherrscht. Unter den selbstständigen Hausindustriellen ist Arbeitslosig keit verhältnißmäßig selten nachgewiesen, gering ist sie auch in der Gruppe der Angestellten aller Art, dagegen am stärksten unter den eigentlichen Arbeitern, als da sind Gesellen, Gehilfen, Lehr linge, Tagelöhner und sonstige Arbeiter. Die wegen Krankheit arbeitslosen Personen machen im Sommer etwa zwei Fünftel, im Winter etwa ein Viertel aller Arbeitslosen im Reiche aus. Das weibliche Geschlecht tritt gegenüber den männlichen Beschäftigungslosen beträchtlich zurück. Bezeichnend ist die nachgewiesene starke Zunahme der weiblichen Arbeitslosen in der Landwirthschaft und ähnlichen Berufs arten (Bcrufsgruppe I der amtlichen Berufsstatistik). Zu diesen Berufen gehören 28,73 aller weiblichen Arbeitslosen des Sommers, dagegen 65,80 der weiblichen Arbeitslosen des Winters. Da es sich hierbei um eine regelmäßige, voraussehbare Erscheinung handelt und die weiblichen Arbeitslosen allgemein vielfach Familienangehörige sind, so kann es nach den gewonnenen Ergebnissen zweifelhaft sein, ob überhaupt für weibliche Arbeit nehmer ein Bedürfniß nach einer Sicherung gegen die Arbeits losigkeit anzuerkennen ist. Jedenfalls wären Maßnahmen in dieser Richtung auf alleinstehende weibliche Personen zu be schränken. Günstig lauten die Zahlen, welche die Beschäftigungslosen nach dem Familienstande hervorheben. Die Verheiratheten unter ihnen befinden sich den übrigen Arbeitslosen gegenüber in der Minderheit. Die beschäftigungslosen Haushaltungsvorstände machen im Sommer etwa ein Drittel, im Winter etwa zwei Fünftel aller Beschäftigungslosen aus. Ungünstiger gestaltet sich die Trennung der Arbeitslosen nach Altersklassen. Ein Vergleich dieser Ziffern mit der Gesammtzahl oer ermittelten Arbeitnehmer der gleichen Altersklasse ergiebt, daß der Arbeit nehmer mit zunehmendem Alter um so stärker der Arbeitslosig keit anheimfällt. Die Beschäftigungslosigkeit tritt im Sommer vorwiegend in, den industriellen Bezirken des Reiches auf, dagegen ist die Zu nahme im Winter am stärksten in den Gebieten mit landwirth- schaftlichem Charakter. In den größeren Gemeinden ist das Verhältniß der Arbeits losen zu der Bevölkerung viel bedeutender als in den kleineren Gemeinden und auf dem platten Lande. Von sämmtlichen Arbeitslosen haben sich im Sommer 66 A> in den größeren und mittleren Städten befunden und 34 A, auf dem Lande bezw. in den kleineren Gemeinwesen. Im Winter aber kehrt sich das Verhältniß um, und in den Städten erscheinen 37 auf dem Lande rc. 63 aller Arbeitslosen. Es ist eine oft gehörte Ansicht, daß sich die Personen, die auf dem Lande die Arbeit verloren haben, im Winter zu besserer Versorgung in die größeren Städte ziehen. Nach den eben erwähnten Ergebnissen der Arbeitslosenzählungen von 1895 gewinnt sie jedoch nicht an Wahrscheinlichkeit. Eine auffallende Erscheinung zeigt sich in den Arbeitslosen ziffern der Großstädte (d. h. der Gemeinden mit über 100 000 Einwohnern). Zieht man eine Linie von Bremerhaven über Göttingen nach Freiberg in Sachsen, so liegen die Großstädte mit einer relativ großen Arbeitslosenziffer östlich und nördlich, die mit mäßigen Zahlen westlich und südlich dieser Linie. Der Grund dieser Erscheinung dürfte in der wirthschaftlichen Ver schiedenheit der nördlich-östlichen und der westlich-südlichen Hälfte des Reiches zu erblicken sein, welche auch in vielen anderen Er gebnissen der Berufs- und Gewerbezählungen des Reiches ihren Ausdruck findet. Fragt man nun, welche Unterlagen uns die Erhebungen zur Organisation einer Sicherung gegen Arbeitslosigkeit im ge stimmten Reichsgebiet liefern, so ist es verschwindend wenig. Wir wissen — und dies auch nur in Maximalzahlen aus gedrückt —, wie viel Personen am 14. Juni und am 2. December 1895 arbeitslos waren, sowie daß die Gefahr der Beschäftigungs losigkeit in den verschiedenen Berufsarten verschieden ist und welchen Umfang diese Erscheinung hat; wir wissen ferner, daß der Arbeiter, der nur einen Theil des Jahres hindurch arbeiten kann (Saisonarbeiter, z. B. Maurer, Schiffer, Erdarbeiter), von der Arbeitslosigkeit vorwiegend, und zwar im Winter betroffen wird, daß sie die selbstständigen Haus industriellen und die Angestellten weniger stark erfaßt als die eigentlichen Arbeiter, daß sie für die weiblichen Arbeitnehmer eine ungleich geringere Bedeutung hat als für männliche, daß sie den älteren Arbeiter mehr bedroht als den jüngeren, daß die Zahl der arbeitslosen Verheiratheten und Haushaltungs vorstände hinter der Ziffer der übrigen Arbeitslosen zurück bleibt, daß die Geschäftsstille die Hauptursache der Arbeits losigkeit ist, daß vorübergehende Arbeitsunfähigkeit den Verlust der Arbeit nur in einem relativ kleinen Theil der Fälle verursacht hat u. A. m. — Was man aber zur Durchführung eines Arbeitslosenschutzes in erster Reihe braucht, die Zahl der Arbeits losen im ganzen Jahre und die Dauer der Arbeitslosigkeit in jedem Falle, ferner, in wie vielen Fällen die Arbeitslosigkeit eine unfreiwillige, unterstützungswürdige gewesen ist, das sagen uns die statistischen Ziffern nicht. Sieht man von allen Einzelheiten und Ungenauigkeiten ab und macht man das Exempel, um ungefähr die Kosten einer Reich-Arbeitslosenversicherung zu schätzen, so ergeben die beiden Zahlen der Arbeitslosen des Sommers und des Winters: nämlich 299 352 und 771005 einen Durchschnitt von 535178 Arbeitslosen für jeden Tag des Jahres im ganzen Reichsgebiete. Ist mit dieser Zahl annähernd der durchschnittliche Umfang der Arbeitslosigkeit an einem Tage getroffen und nimmt man an, daß jedem dieser Arbeitslosen für den Tag 1 als Unter stützung gezahlt wird, so ist dazu ein Betrag von 535 178 mal 365 gleich 195 339 970 erforderlich. Am 14. Juni 1895 sind im Ganzen 15 780 349 beschäftigte Arbeitnehmer gezählt worden. Zur Aufbringung der obigen Summe hätte somit jeder be schäftigte Arbeitnehmer für das Jahr rund 12 beizutragen, für die Woche etwa 23 H. Berücksichtigt man noch die Äer- waltungs- und sonstigen Kosten der Versicherung, so kann man wohl annehmen, daß mit einem wöchentlichen Beitrage von 30 H für jeden Arbeitnehmer eine Arbeitslosenversicherung finanziell gedeckt sei. Die Last ließe sich in angemessener Weise nach Gefahrenklassen an der Hand der Berufsarten, nach Ge schlechts- und Altersunterschieden und nach Lohnclassen, ebenso wie die Vortheile der Versicherung vertheilen. An allen diesen Klippen würde voraussichtlich die Einführung einer Arbeits losenversicherung nicht zu scheitern brauchen. Größere Schwie rigkeiten aber dürfte die nothwendige Scheidung der unfrei willigen, unterstlltzungswürdigen Arbeitslosen von den übrigen verursachen. Vor allen Dingen fehlt es dazu an jeder statistischen Unter lage. Das erste Ziel muß bleiben, den gesetzgebenden Körper schaften eine zuverlässige Arbeitslosenstatistik zu bereiten. Und zur Lösung dieser Aufgabe haben die Erhebungen vom 14. Juni und 2. December 1895 ihren besten Dienst geleistet, indem sie gezeigt haben, daß cs unmöglich ist, mit einer Berufszählung Nachweise über den Umfang der Arbeitslosigkeit zu gewinnen. Will man eine zuverlässige Statistik über Arbeitslose erhalten, so muß man das kontradiktorische Verfahren zu Hilfe nehmen, d. h. die Fragen über die Arbeitslosigkeit sind an den Arbeit nehmer nicht in schriftlicher Form zu richten, noch von ihm mittels Schrift zu beantworten, sondern er ist einem besonderen Zähler oder einer Zählcommission gegenüber zu stellen, welche die Fragen an ihn richten und die Antworten des Betreffenden sogleich aufzeichnen. Vorher sind die Adressen der Arbeitnehmer etwa bei Gelegenheit einer allgemeinen Zählung zu ermitteln. Daran hat sich eine Befragung der einzelnen Arbeiter über Fälle etwaiger Arbeitslosigkeit anzuschließen. Wird ein solcher Fall festgestellt, so hat schließlich seine eingehende Untersuchung unter Ermittelung aller wesentlichen Umstände, über Dauer und Ur sache der Arbeitslosigkeit, Berufsverhältnisse des Arbeitslosen, über seinen letzten Arbeitgeber und dessen Betriebsstätte, sowie sonstiger Einzelheiten anzuschließen. Dieses Verfahren wird allerdings eine ungewöhnliche Mühe und nicht geringe Kosten verursachen. Sic werden sich aber nicht vermeiden lassen, wenn man in der Arbeitslosenpolitik einen Schritt vorwärts kommen will. Vielleicht ist es schon dem kommenden Reichstage Vor behalten, einer entsprechenden Vorlage näher zu treten. Möge es Deutschland, das auf so vielen Gebieten der Socialpolitik die Führung ergriffen hat, Vorbehalten sein, auch das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen, an dem sich größere Staaten über haupt noch nicht, einige Städte in der Schweiz aber vergebens versucht haben. Englische Anbandelungspolitik. In England hat das Glückwunschtelegramm Kaiser Wilhelm'S anläßlich deS Sieges deS Generals Kitchener über die Derwische große Genugthunng hcrvorgerufen, die in verschiedenen Preßstimmen einen leb haften Ausdruck findet. So sagen die „Times": „Die Botschaft des Kaisers wird, ganz abgesehen von ihrer weiteren Bedeutung, in England nicht nur als wohlverdienter Beitrag zur erfolgreichen militairischen Leistung und als Ausdruck herzlicher Freundlichkeit gegen die britischen Waffen begrüßt werden, sondern auch als Anzeichen der Befriedigung, die man von dem Herrscher eines civilisirten Staates über die entscheidende Besiegung einer der grausamsten Formen der Barbarei erwarten kann." Der „Standard" schreibt: „Wir freuen uns, daß unter den ersten Glückwünschen ein sehr herzlicher vom deutschen Kaiser war, zweifellos mit der bestimmten Absicht, zu bekunden, daß in der egyp- tischenFrage seine Sympathien bei uns sind. Auch geht es nicht zu weit, aus dem liebenswürdigen und schmeichel haften Tone seiner Botschaft zu folgern, daß er glaubt, auch in anderen Sphären sei Raum für ein wohlthätiges Zu sammenwirken Deutschlands un dGroßbritanniens." „Daily News" sagen: „Die Botschaft war eine gnädige, huld volle Handlung, vielleicht nicht ohne internationale Bedeutung. Sie legt nahe, daß die von Balfour im Unter hause angedeuteteInteressengemeinschaft in China auch auf Egypten ausgedehnt werden könnte." Wir haben den Annäherungsversuch Balfour'S schon aus seinen Werth hin charakterisirt. Nichts, auch gar nichts lag von deurscher Seite vor, was dem Lord Anlaß hätte geben können, bei uns Stimmung für einen neuen englischen Annäherungsversuch vorauszusetzen. Jetzt klammert man sich an das Glückwunschtelegramm deS Kaisers, das gewisser maßen als das kaiserliche „Ja" zu der Werbung Balfour s aufgefaßt wird. Aber man irrt sich an der Themse. Der Kaiser bat mit dem Telegramm lediglich sein militairisches Interesse an dem glänzenden Waffenerfolg eines klugen und tapferen Generals bekunden wollen, eine Gepflogenheit des Monarchen, der man schon wiederboll begegnet ist, wie er denn auch nie verfehlt, seiner Antheilnabme sympathischen Ausdruck zu geben, wenn ein Volk — selbst ein Deutschland nicht freundlich gesinntes — von einer Katastrophe heim gesucht wird. Dafür, daß der deutsche Kaiser auf sein Beglückwünschungstelegramm auch nur den leisesten poli tischen Accent habe legen wollen, spricht absolut Nicht«; Fritilletsn. Jahreszeiten in Deutsch-Ostafrika. Bon vr. HanS Wagner. Nachdruck verboten. „Da gießt unendlicher Regen herab, Von den Bergen stürzen die Quellen, Und die Bäche, die Ströme schwellen." Wie oft mögen die Pioniere der Cultur diese Reminiscenz aus der Schulzeit hervorgeholt haben, wenn sie drüben in unserer größten Colonie zur Winterszeit reisen mußten. Jene Verse aus Schiller's Balladen sind ein treffendes Leitmotiv für den ostafrikanischen Winter. Diese Winter haben allerdings mit den unsrigen wenig gemeinsam — mit Ausnahme vielleicht des heurigen, der ja allerdings eine Mißgeburt ist. Man hat einer ostafrikanischcn Jahreszeit die Bezeichnung „Winter" auf- octroyirt aus erklärlichem Verlangen, fremdländische Erschei nungen durch Unterschiebung heimischer Begriffe dem allgemeinen Verständniß zu erschließen. Der ostafrikanische Winter hat mit dem unsern nur die Zeit gemeinsam, nämlich die Monate Oktober bis Mai, sonst aber sind sie grundverschieden: bei uns in der gemäßigten Zone herrscht andauernde Kälte, die Natur liegt unter des Winterriesen eisiger Hülle begraben, in den Tropen — und in diesen liegt Deutschostafrika — herrscht während dieser Zeit eine gleichmäßige feuchtschwüle Lust, eine Treibhaustempe ratur, und in der Lhat ist der sog. Winter in Ostafrika die Zeit des Wachsthums und des Reifens. Auch wenn man die Zeit der dauernden Trockenheit in Ostafrika mit unserem Sommer vergleichen wollte, würde man bald auf eine schiefe Ebene ge- rathen. Keine der Bezeichnungen, die wir unseren Jahreszeiten geben, läßt sich mit demselben Sinne und unter derselben Bedeu- tung auf die Jahreszeiten in unserer Colonie anwenden. Wir verbinden mit den Worten Frühling, Sommer, Herbst und Winter entsprechende Begriffe von den in den einzelnen Jahres zeiten vorherrschenden Wärmeverhältnissen und zugleich dem Wechsel im Leben der Natur. In den Tropen aber zeigt die Temperatur zwar starke Schwankungen zwischen Tag und Nacht, jedoch nicht zwischen den einzelnen Theilen deS Jahres. So lassen sich in Deutschostafrika Jahreszeiten nur durch den Wechsel im Feuchtigkeitsgehalt der Luft bestimmen, das kenn zeichnende Merkmal ist die „WasserSnoth" in deS Wortes doppelter Bedeutung. Die Zeiten de» UeberflufleS und des Mangels an Wasser sind scharf gesondert, sofern nicht locale Eigenthümlichkeiten die Unterschiede verwischen. Die Monate Marz bis Mai sind eine ausgesprochene Regenzeit, in der e« in allen Jahren, selbst in sonst trockenen Tag für Tag regnet. Es ist dieses di« Hauptregenzeit, während eine zweite Regenzeit im November und December »war viel weni-er deutlich« aber doch erkenntlich ist. Während der anderen Monate regnet es gar nicht, oder nur da, wo die Nähe großer Wasserflächen an sich Feuchtig- keitsniederschläge zu allen Zeiten begünstigt. Man darf nun nicht glauben, daß in den Regenzeiten das Wasser unablässig einige Monate hindurch vom Himmel herniederströmt, etwa nach Art unserer sog. Landregen im Juli, die Tage lang anhalten und bei denen es aussieht, als seien Erde und Wolken mit Wasser- Bindfäden verbunden, die nicht abreißen wollen — nein, während der tropischen Regenzeiten bricht die Sonne fast an jedem Tage durch die Wolken und trocknet schnell Baum und Strauch und des Menschen durchnäßte Gewänder, wenn er solche besitzt. Allerdings zeigen die Güsse der Hauptregenzeit den Charakter der Tropen, die Maßhalten nicht kennen und vom Guten und Schlechten verschwenderisch spenden. Wolkenbruchartig stürzt der Regen hernieder. Alles setzt er unter Wasser, und da die Wasser selten Zeit haben, ganz zu verlaufen, so sind in der nassen Zeit die ebenen Flächen des inneren Ostafrika ein endloser knietiefer See, aus dem nur die natürlichen Hügel und die Termitenbauten hervorragen, ein Glück für den Reisenden, der auf ihnen ein Ruheplätzchen für die Nacht findet. Solcher Zufälle, wie sie in diesem Jahre die Ueberschwemmungsgebiete Deutschlands haben über sich ergehen lassen müssen, muß der Reisende in Deutsch- ofiafrika während der nassen Zeit stets gewärtig sein. Mit Recht nennen sie die Eingeborenen daher auch Mosika, d. h. Ueber- schwemmung. Weg und Steg versumpfen dann, der Boden wird aufgeweicht und schlüpfrig, die Bäche schwellen an und werden unpassirbar. So ist das Reisen in dieser Zeit nicht ungefährlich, denn abgesehen von den Strapazen, die das andauernde Waten durch Wasser mit sich bringt, sind Lebensmittel knapp, da die Natur erst im Beginn eines neuen Lebensjahres steht, und wer —wie das im Süden der Colonie oft vorgekommen ist— zwischen zwei unpassirbar gewordenen Flüssen festsitzt, dem droht der Kampf mit dem Hungertode. Was hilft ihm die werdende Natur, was die Blüthen und die Keime der Früchte an den Bäumen? Sie können seinen Hunger nicht stillen, und der Reiz, den sie für das Auge bieten, macht das Jnsect, der Blüthen Freund, zu Nichte. Zwar der Europäer schützt sich einigermaßen durch Mosquitonetze, der Neger aber kennt nur ein Mittel gegen die MoSquitos, er hängt sich selbst in den Rauchfang, in dem er seine Ruhestätte auf einem Gerüst aufschlägt, unter dem ein Rauchfeuer qualmt. DaS Unbehagen des Europäers in der nassen Zeit wird noch besonders dadurch gefördert, daß die Schwüle der feuchten Luft die TranSspiration hindert. Um die Wirkung dieses Einflusses zu verstehen, denke man sich da« Un behagliche einer unserer gewitterschwülen Julinächte auf Wochen ausgedehnt. — Da« ist keine köstliche Zeit und man kann es ver stehen, daß nicht besonders charakterfeste Europäer in dieser Zeit zum Fläschchen greifen und so den Grund zum Tropen koller legen. Und wenn dann die Regenzeit zum Ende geht, dann ist der Körper stark geschwächt und nimmt leicht da» Malariagift auf, da» auch durch Waller am Erdboden festgehalten ist, aber bei Beginn der Trockenzeit mit den aufsteigenden Dünsten des allmählich wieder auftrocknenden Bodens die Luft erfüllt. So bringen die Monate Juni und Juli die meisten Fiebererkrankun gen, besonders an der Küste, denn im hochgelegenen Jnlande folgt der Regenzeit die für den Europäer erfrischende „Zeit des Zitterns", Kipupul, wie der Suaheli wortmalend onomatopoetisch sagt. Die Luft ist klar und gestattet in den sternhellen Nächten eine ungehinderte Ausstrahlung der Erde, die sich in folgedessen stark abkühlt. So sinkt die Temperatur in der Nacht auf 10—12 Grad Wärme, ja manchmal auf 5—6 Grad — das ist eine Temperatur, bei der der an Wärme gewöhnte und unbekleidete Eingeborene vor Frost zittert. Der Europäer schützt sich gegen das Ucbermaß der Kühle durch wollene Kleider und Decken, sein Körper aber fühlt sich wohl, weil er in diesen kühlen Nächten in ruhigem Schlaf nach der Hitze der Tages die noth wendige Erholung findet. Denn der niedrigen Temperatur der Nacht steht eine ebenso hohe des Tages gegenüber, sie steigt auf 35—39 Grad Celsius, so daß die Differenz eines Tages 32 bis 33 Grad ausmachen kann. Die Folge ist starker Thaunieder- schlag in der Frühe — ein Eigentümlichkeit Afrikas. Ein Frühspaziergang hat in dieser Zeit denselben Erfolg, wie ein kaltes Sturzbad, man wird bis auf die Haut naß. Der Ein geborene, der zwar Kälte allein verträgt, den aber Kälte und Nässe zusammen erfrieren lassen — Stanley erfroren z. B. in der Gegend des Urigisees, also fast unter dem Aequator, fünf Leute, wie in seinem Reisewerke „Im dunkelsten Afrika", Leipzig 1890, Bd. III S. 374, zu lesen ist —, wagt sich in dieser Zeit um die Morgenstunde, d. h. bis gegen 11 Uhr, nicht ins Freie und warum auch? Seine Ernte hat er am Ende der Regenzeit eingeheimst und er hat nun genug zu thun, seinen schier unergründlichen Magen zu füllen mit dem, was tropische Fruchtbarkeit ihm be- scheert hat. Er ißt seine Bananen und trinkt seine „Prenbe" danach in solchen Quantitäten, daß er die kühlen Morgenstunden sehr gut verwenden kann, um seinen Brummschädel zu ver schlafen. Man sieht, die Kipupul, die den Juni hindurch anhält, hat so manche Ähnlichkeit mit unserem Frühherbst, kühle, thau- reiche Nächte, warme Tage, Erntefest und Kirmes, nur daß dann bei uns der Winter folgt und dort der Sommer. Die Sonne beginnt sich ihrem Zenithstand wieder zu nähern und bescheert reichliche Hitze bei Tag und Nacht. Aber diese Hitze ist zu er tragen, weil sie trocken ist und so der Körper frei athmen kann. Diese Trockenheit bringt der in dieser Zeit ständig aus Südost wehende Passat. Der Mensch fühlt sich ganz wohl, wenn er durststillende Getränke hat. Aber die sind leider in dieser Zeit selten, denn Bäche und Quellen versiegen und die wenigen übrig bleibenden Tümpel führen eine Flüssigkeit, die nur tropischer Durst als trinkbar passiren läßt. Der Boden wird unter den fast senkrecht fallenden Strahlen der Sonne steinhart und klaffend, die Pflanzen verdorren und werden spitzig und das Kleid der Erd« scheint wie v«rsrngt und Zunder. Für drn Wanderer ist diese spitzige Vegetation eine Last, er beseitigt sie durch Feuer. So brennt es in den weiten Savannen Ost afrikas im Juli und August aller Orten. Aber diese Brände sind nicht von der furchtbaren Art der Prairiebrände, die wir aus den Jndianergeschichten der Jugend kennen. Denn die Pflanzen decke in unserer Colonie ist nicht so zusammenhängend wie die unserer Wiesen, sondern einzelne Grasbüschel ragen in gewissen Abständen inselartig zu halber Manneshöhe empor. Das Feuer geht daher sprungweise weiter, Menschen und Thiere, soweit letztere nicht kriegen, passiren mit Leichtigkeit die Feuerlinie. Aus der Asche aber sprießt neues Leben! Noch mitten in des Sommers Gluth erwacht die Natur zu neuem Leben, mit jungem Laub schmückt sich Flur und Hain, ein Zeichen, daß der — Winter naht, aber der ostafrikanische, dessen Merkmale, wie gesagt, der Regen ist. Am nördlichen Himmel erscheint das Siebengestirn und mahnt dazu, die Ackergeräthe in Stand zu setzen, Kulimia, die Ackerbaubringenden, nennen es darum die Eingeborenen. Wenn dann gegen die Mitte des Oktober zu die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, gehen bald darauf die ersten Regen nieder — das Jahr ist um, das neue beginnt. Der Landmann greift zur Hacke, er reißt den Boden auf und legt die Saat, die während der Regenzeit heranwachsen und reifen soll. Zugleich mit dem Regen stellen sich die Blüthen ein, aber mit ihnen die Insekten, die emsig ihres befruchtenden Amtes pflegen, aber dem Menschen keineswegs erfreuliche Gäste sind. So hat dort drüben jede Jahreszeit ihre Plage, aber wir wollen nicht ungerecht sein. So schlimm, wie man sich vielfach hier zu Lande das „mörderische Klima" unserer Colonien denkt, ist es nicht. Es hat sogar viele Vorzüge vor dem unsrigen, dessen Unannehmlichkeiten uns nur nicht so bewußt werden, weil wir von Jugend auf an sie gewöhnt sind. Man stelle nur die Krank heiten gegenüber, die hüben und drüben die Landesbewohner peinigen. Mit drei Geißeln schlägt das Klima Deutsch ostafrikas das Land: Malaria, Dysenterie (Ruhr) und Pocken. Die Malaria ist eine specifisch tropische Krankheit und hat die Schaar der Eingeborenen decimirt. Aber man versteht es jetzt, ihr energisch zu Leibe zu gehen, sie hat viel von ihrem Schrecken verloren. Ruhr ist auch in Deutschland leider kein unbekannter Gast, den man aber hier wie dort durch vernünftige Lebensweise von der Schwelle bannen kann. Die Pocken sind dank der Impfung für den Europäer ohne Bedeutung, für die Eingeborenen aber sind sie eine Geißel, deren Schwere aber auch nach und nach durch Schuhpockenimpfungen gemindert werden dürfte. Wenn diese drei Geißeln des Landes fehlen oder be seitigt würden, dann würde unsere Colonie in gesundheitlicher Hinsicht ein wahres Dorado sein — denn viele Krankheiten, die in unserem Daterlande die Bevölkerung decimiren, fehlen in Deutschostafrika gänzlich, nämlich unsere Geißeln: Typhu», Diphtherie, Lungenschwindsucht.
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