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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960925015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896092501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896092501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-09
- Tag 1896-09-25
-
Monat
1896-09
-
Jahr
1896
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An-eigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile L0 Psg. llirclamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) 50-H, vor den Jamilirnuachrichte, (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ztffernsatz nach höherem Tarif. Kxtra-Beilagen (gefalzt), nar mit der vtorgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderang 60.—, mit Postbefördrruug ^l 7V.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end» Ausgabe: Vormittag» 10 UtzL Margen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhn Skt den Filialen und Annahmest«ll«n j« «in» halbe Stunde früher. Anzeigen smd stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig SV. Jahrgang. Zwei Gesetze gegen Consum-Vereine und Waarenhiiuser, gegen Haustrer und Detailreisende. Bon 1)r. jur. Brandis. (Nachdruck verboten.) Auf lebhaftes Andrängell aus den Kreisen deö gewerb lichen und kaufmännischen Mittelstandes sind im August d. I. zwei Gesetze ertasten, welche den ausgesprochenen Zweck haben, den kleineren und mittleren Gewerbetreibenden und Kauf mann zu schützen. ES ist in diesem Blatte zur Zeit der Berathungen der Gesetze im Reichstage hinlänglich Stellung zu den damals geplanten Maßregeln genommen. Jetzt, nachdem die Gesetze erlassen sind, erscheint es an der Zeit, klarzulegen, was bei den bin- und herwogenden Berathungen und bei den, gerade bei diesen Gesetzen ausfallend ost wechseln den Ergebnissen der Abstimmungen in den drei Lesungen denn schließlich endgiltig herauSgekommen ist und demnächst in Kraft treten wird. Die Ueberschrift bezeichnet den wichtigsten Inhalt der beiden Gesetze vom 6. und 12. August 1896. Daß Consum- Vereine nur an ihre Mitglieder oder deren Vertreter Waaren verkaufen dürfen, ist bereits geltendes Recht. Jetzt ist eine Ausnahme gemacht zu Gunstek der landwirtbschaft- lichen Consum-Vereine, welche, ohne Haltung eines offenen Ladens, die Vermittelung des Bezugs von ausschließlich für den landwirthschaftlichen Betrieb bestimmten Waaren (z. B. Dünger, Futterartikel) besorgen, hinsichtlich dieser Waaren. Von dieser Vergünstigung abgesehen, soll mit Strenge darüber gewacht werden, daß Consum-Vereine nicht auch an Nicht mitglieder ihre Waaren absetzen. Zu dem Zwecke sollen die Waarenverkäufer von den Käufern die Vorzeigung der Legitimation fordern, daß sie Mitglieder oder Vertreter von Mitgliedern sind, und soll die höhere Verwaltungsbehörde prüfen, ob den Verkäufern eine genügende Anweisung ertheilt wird. Verabfolgt der Verkäufer an fremde Personen Waaren, so setzt er sich einer Geldstrafe von 150 aus. Auch Mit glieder, welche ihre Mitgliedskarte oder sonstige Legitimation einer fremden Person zum Zwecke unbefugter Waaren-Ent- nahme überlassen, verfallen gleicher Strafe, und ebenso auch, wer von einer fremden Legitimationskarte Gebrauch macht. Denselben Strafen, wie die Beamten und Mitglieder von Consum-Vereinen, verfallen auch Beamte und Mitglieder der Beamten- und Officier-Vereine und dritte Per sonen, welche dort auf fremde Mitgliederkarten kaufen. Dasselbe gilt auch für Consum-Anstalten, welche von Arbeitgebern für ihre Arbeiter und Beamte betrieben werden. Jedoch ist es diesen Anstalten und Vereinen gestattet, in ihren Speiseanstalten Waaren zum alsbaldigen persönlichen Verbrauch an Dritte abzugeben. Marken, welche anstatt baaren Gelbe» die Inhaber zur Bezahlung oder zum Bezug der Waaren berechtigen, dürfen nicht ausgegeben werden. Da vielfach die bezeichneten Vereine, ebenso wie die Consum - Vereine, mit Gewerbetreibenden wegen billigerer Waaren-Abgabe an die Mitglieder (zum Beispiel 5 Proc., 10 Proc. Rabatt) in Verbindung stehen, so dürfen auch diese Gewerbetreibenden keine Marken auf den Inhaber ausgeben, auch darf für Einkäufe bei ihnen die Mitglieds karte nicht an dritte Personen übertragen werden. Haben diese Bestimmungen den Zweck, den Geschäfts betrieb dieser Vereine auf ihre Mitglieder zu beschränken, so sollen andere Vorschriften eine Gleichstellung, speciell der Consum-Vereine, mit den gleichartigen geschäftlichen Einzel betrieben herbeiführen. Die Consum-Vereine mit ihren Ge bissen und Lehrlingen werden der kaufmännischen Sonn tagsruhe unterworfen. Sofern dieselben Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus betreiben, bedürfen sie dazu der Erlaubniß, und der Kleinhandel ist ebenso wie derjenige der Einzel-Kaufleute vom Nachweise eines vorhandenen Be dürfnisses abhängig. Was die Hausirer anbetrifft, so werden zunächst höhere persönliche Anforderungen an dieselben gestellt, insofern, als nicht mehr die Volljährigkeit genügt, sondern der Hausirer das 25. Lebensjahr vollendet haben muß, es sei denn, daß er der Ernährer einer Familie ist und bereits vier Jahre im Wandergewerbe thätig gewesen ist. Der Wander gewerbeschein darf außer in den bisherigen Fällen versagt werden, wenn der Nachsuchende wegen Hausfriedensbruchs oder wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt bestraft ist und wenn wegen dieser und der übrigen Vergehen nicht, wie bisher, auf eine Freiheitsstrafe von sechs Wochen erkannt, sondern schon, wenn auf eine solche von mindestens einer Woche erkannt und die» nicht nur innerhalb der letzten drei Jahre, sondern innerhalb der letzten fünf Jahre ge- sckeben ist. Vom Gewerbebetriebe im Umherziehen überhaupt aus geschlossen sind außer den bereit» auSgenommrnen Gegen- slänoen: Bäume aller Art, Sträucher, Schnitt- und Wurzel- Reben, Futtermittel und Sämereien, mit Ausnahme von Gemüse- und Blumen - Samen, außerdem Schmucksachrn, Bijouterien, Brillen und optische Instrumente, ferner Druck schriften, welche in Lieferungen erscheinen, wenn nicht der GesammlpreiS auf jeder einzelnen Lieferung an einer in die Augen fallenden Stelle bestimmt verzeichnet ist. DaS Feil bielen irgend welcher Waaren, sowie das Ausstichen von Be stellungen für alle Waaren ist im Umherjiehen untersagt, wenn der Verkauf auf Abzahlung unter der Bedingung erfolgen soll, daß der Veräußerer bei Nichtzahlung beS Käufers oder Miether» von dem Vertrag zurlicktreten kann. Len Hausirbandel mit Rindvieh, Schweinen, Schafen, Ziegen oder Geflügel können die Landesregierungen beschränken. Wohl der praktisch wichtigste und daher der am meisten umstrittene und in der TageSprrsse am lebhaftesten erörterte Punct ist da» an die Inhaber stehender Geschäftsbetriebe gerichtete Verbot, durch ihre Reisenden die Privatkundschaft besuchen zu lassen, daS Verbot de- sogenannten Detail reisen». Di« Reisenden dürfen nur Kaufleute in drrru Geschäftsräumen oder solche Personen aufsuchen, in deren Geschäftsbetrieb waaren der angebotenen Ar» Verwendung finden, also in der Regel nur Fabrikanten oder Handwerker, Gastwirthe, Händler. Eine Ausnahme ist gemacht für Druck schriften, andere Schriften und Bildwerke. Der Bnndesratb kann jedoch „noch für andere Waaren oder Gegenden oder Gruppen von Gewerbebetrieben" Ausnahmen zulassen, und man hört bereits, daß Handelskammern nicht nur für Wein, Cigarren und Wäsche, sondern für fast alle Artikel Freigabe von dem Verbote des Detailreisens für ihren Bezirk nachgesucht haben. Wird ausnahmsweise das Detailreisen vom Bundesrath erlaubt, so genügt für den Reisenden nicht, wie bisher die Gewerbe- legitimationskarte, sondern er bedarf eines Wandergewer b e- scheins. Das Geschäft, welches reisen läßt, braucht aber nicht obendrein die Hausirersteuer zu zahlen, sondern bas Detailreisen wird dem stehenden Gewerbe zugerechnet. — Die Geschäfte, welche nicht mehr reisen lassen dürfen, werden darauf beschränkt sein, sich durch Briefe, Circulare, Muster bücher, Preislisten, Kundenverzeichnisse, Zusendung von Proben rc. zu empfehlen. Nicht mehr der Ressende persönlich, sondern der Briefträger wird die geschriebenen oder die gedruckten Geschäftöempfehlungen den Privatpersonen über bringen. Weniger Anfechtung erfuhr die Bestimmung, daß Kinder unter 14 Jahren nicht hausiren, auch auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an öffentlichen Orten keine Gegen stände feilbieten dürfen. In Orten, wo daS Feilbieten durch Kinder herkömmlich ist, darf die Ortspolizeibehörde dasselbe höchstens für vier Wochen im Jahre gestatten. Wander-Auctionen sollen nur bei leicht verderblichen Sachen zulässig sein. Höhere Ansprüche werden an die persönliche Qualification Jemandes gemacht, der den Handel mit Loosen von Lotterien und Ausspielungen betreibt. Der Gewerbe betrieb ist ihm zu untersagen, wenn Thatsachen vor liegen , welche seine Unzuverlässigkeit in Bezug auf dielen Gewerbebetrieb darthun. Bei Schauspiel-Unter nehmern besteht schon eine ähnliche Vorschrift. Neu hinzu gekommen ist, daß die erforderliche Erlaubniß dem Nach suchende» versagt werden soll, wenn er den Besitz der nöthigen Mittel nicht nachzuweisen vermag. Auch gilt die Erlaubniß stet» nur für das bezeichnete Unternehmen; zu einer wesentlichen Veränderung deö Unternehmens bedarf eS einer neuen Erlaubniß. Diese Vorschrift findet auch auf die bereits ertheiltcn Erlaubnißscheine Anwendung. Beide Gesetze treten erst mit dem 1. Januar künftigen Jahres in Kraft, um den durch dieselben in ihrem Gewerbe betroffenen Personen und Vereinen Zeit zu lassen, sich darauf einzurichten. Deutsches Reich. I-. Leipzig, 24. September. Die Strafkammer beim Amtsgerichte Sonder-Hausen hat am 2. Juni den Schuh macher Albert Voigt und den Maurer Wilhelm Nottrvdt wegen Vergehen» gegen § 112 des Str.-G-B. zu vier Monaten Gefängniß verurtbeilt. Beide hatte» eine social demokratische Flugschrift „Das Schlachtenjubiläum" verbreitet, in welcher die Ereignisse von 1870 im social demokratischen Sinne besprochen werben und welche mit dem Ausrufe schließt: „Krieg dem Kriege!" Die Verbreitung an sich wäre zwar nicht strafbar gewesen, aber die Angeklagten batten die Schriften auch in einem Hause verbreitet, welches al» Standquartier für Soldaten diente. Dies hätten sie, so heißt es in dem Urtheile, offenbar bemerken müssen und haben e» auch bemerkt, denn sie haben durch das Fenster gesehen und beim Lampenschein Soldaten im Zimmer wahrgenommen. Dir Angeklagten haben ferner, wie daS Gericht annimmt, gewußt, daß ein Corpsbefehl er gangen ist, wonach es den Soldaten verboten ist, social demokratische Schriften zu lesen, zu verbreiten und in ihre Quartiere einzuführen. Dieser Corpsbefehl ist eine auf Grund kaiserlichen Befehles erlassene gesetzliche Anordnung, wie sie § 112 de- Str.-G.-B. im Auge hat. Zur Verletzung dieser Anordnung haben die Angeklagten nach der Feststellung deS Gerichtes die Soldaten anreizen wollen. — Gegen das Urtheil hatten die Angeklagten Revision ein gelegt, die heute den 3. Strafsenat de« Reichsgerichtes be schäftigte. Behauptet wurde, das Urtheil enthalte unlösbare Widersprüche. Der Reichsanwalt erklärte, solche nicht finden zu können. Nack den Feststellungen hätten die Angeklagten daS betreffende Verbot gekannt, also dolos gehandelt. — DaS Reichsgericht erkannte auf Verwerfung der Revision. 6. 8. Berlin, 24. September. Bei den Volkszählungen von 1890 wurde in Berjin eine, wenn auch unbedeutende, relative Verminderung der Lehrlinge constatirt und daraus hier und da der Schluß gezogen, daß mit der Zeit die gelernten Arbeiter durch die ungelernten ver drängt werden würden. Selbstverständlich war daS Wasser auf die Mühle der „Genossen", die daraus den „Beweis" schöpften, daß die bestehende Gesellschaftsordnung in der Auflösung begriffen und die ersehnte Vernichtung deS KleinhanvwerkeS nur noch eine Frage der Zeit sei. DaS letzte von der städtischen Deputation für Statistik herauSgegebene Heft über dir Bevölkerung»- und WohnungSaufnahme vom 1. December 1890 macht diesen „Beweisführungen" ein Ende; ausdrücklich wird bezeugt, daß eiue Verdrängung der gelernten durch ungelernte Arbeiter, wie sie die bei früheren Zählungen wahrgenommene relative Abnahme der Lehrlingsausbildung batte befürchten lassen, n ich t eingetreten ist. Die Gesellen haben sich, wa» besonder» hervorgehoben wird, noch mehr al» die Arbeiter über den Durchschnitt vermehrt. Der Bericht spricht dann — auch da» ist sehr bemerkenSwerth — die vermuthung au-, daß namentlich die gelernten Arbeiter unter den Zuwaudernden zahlreich vertreten sind. Da» ist richtig; fleißige und intelli gente Gesellen werden jederzeit ihr gute« Fortkommen in Berlin finden, und unter den ersten Handwerksmeistern Berlin» kennen wir eine ganze Anzahl, die mit dem RäNzel nach Berlin gekommen und durch Tüchtigkeit und Fleiß sich zu ven ersten Meistern ihre« Gewerk» beraufgearbeitrt haben; zu den Schwärmern für Innungtizwang und Befähigung«- nachwei« gehören st« freilich nicht; trotz alle» Gerede« hat das Handwerk in Berlin immer noch einen goldenen Boden; nicht der ungelernte Arbeiter, sondern der gelernte beherrscht da« Terrain, wie e» in dem von dem Director Boeckh heraus gegebenen Heft ausdrücklich bezeugt wird. Berlin, 24. September. Auch der jüngste vom „Vor wärts" veröffentlichte Rechenschaftsbericht der socialdemokra- tiscken Parteileitung bietet einen Beleg dafür, in welcher Weise die Socialdemokratie bemüht ist, die von der ocialen Gesetzgebung geschaffenen Organisationen für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Der Bericht weist u. A. aus die Bedeutung der Gewerbegerichte als EinigunaSämter hin und betont, daß die letzteren namentlich bei Streiks und ähnlichen Anlässen für die Arbeiter von großer Wichtigkeit seien. Wenn einige „Classenbewußte" darin vertreten seien, so könnten le einer von den Capitalisten versuchten „Verschiebung deS Kampffeldes" vorbeugen, das heißt Entscheidungen zu Gunsten der Arbeiter herbeifübren. Mik dieser Nutzbar machung der Gewcrbegerichle für socialdemokratische Zwecke steht die Bemerkung des Berichts der Parteileitung auf gleicher Stufe, daß die „Genossen" sich „eifrig bemüht" zeigte», „die Verwaltung der Ortskrankencassen zu beeinflussen". Der Be richt knüpft die Auslassung daran, dieser „lobenswerthe Eifer" sei eine glänzende Widerlegung der von den Gegnern der Socialdemokratie ständig wiederholten Verleumdung, dieselbe nezire die durch die Socialgesetzgebung den Arbeitern ge botenen Vortbeile. Diese frivole Bemerkung bekundet so recht den Geist, aus welchem heraus die Socialdemokratie die ganze sociale Gesetzgebung in Deutschland betrachtet. Sie wird ergänzt durch die weitere Auslassung deS Parteiberichts, daß man sich in der Socialdemokratie darüber freue, daß alleZvcial- wlitischen Einrichtungen, die bestimmt seien, der Lwcial- bemokratie den Wind aus den Segeln zu nehmen, diese zu bester Fabrt anfbläbten. So wenig wir dem Gedanken Raum geben, eS müsse ein Abbruch der^bestehenden Social gesetzgebung oder auch nur ein thatsächticherStillstand in derselben darum eintreten, weil die Socialdemokratie sich bemüht zeigt, die Organisationen dieser Gesetzgebung in ihrem Parteiinteresse anszubeuten, so muß daS Verhalten der „Genossen" doch die Er wägung nabe legen, ob e» nicht an der Zeit sei, schärfere Cautelen gegen den Mißbrauch eines hockherzig gedachten und durch» gefübrten legislatorischen Werke» einzuführen. Vor Allem ab^l muß das beinahe cynische Bekenntniß der sociakvemo- kratischen Parteileitung, daß die socialen Gesetze für sie nur Handhaben seien zur Förderung der Pläne ter Partei, davor warnen, durch Maßregeln, wie die von verschiedenen Seiten geforderte Anerkennung der gewerblichen Berussvereine den Socialdemokraten eine noch breitere Unterlage für die Verwirklichung ihrer Absichten zu bieten. Die Erfüllung der bezeichneten Forderung würde sehr bald dazu führen, daß die „Genossen" innerhalb der deutschen Arbeiterschaft die völlige Herrschaft an sich reißen. Welcher Art daS socialdemokratische Regiment ist, hat sich bei ver schiedenen Gelegenheiten bereits gezeigt. Eine Anerkennung der socialdemokratischen Tyrannei von Rechtswegen müßte die auf der Basis der socialen Gesetzgebung geschaffenen Organisationen geradezu vergiften, und die Zeit würde nicht fern sein, wo daS sociale Friedenswerk ganz und gar zu einer Waffe für die Umsturzpartei im Kampfe gegen die be stehende staatliche und gesellschaftliche Ordnung würde. * Berlin, 24. September. Wir haben vor einigen Wochen tadelnd darauf bingcwiesen, in welchem unwürdigen Zustande das alteReichstagsgebäude am Sedantage sich befunden habe. Eine Geschichte de- traurigen Schicksals, das dem langjährigen Heim der deutschen Volksvertretung seit der Einweihung deS neuen NeichShauses zu Theil geworden ist, aiebt der Berliner Cvrrespvndent der „N. Zürch. Ztg." in folgenden Ausführungen: „Das alte Neichstagsgebäüde in irr Leipziger Straße ist ganz elend herabgekommen. Ein Geist grotesker Pietätlosigkeit schwebt um daS graue Gemäuer, in dem dreißig Jahre lang die größten geschicht lichen Ereignisse des neuen deutschen Reiches den parlamen tarischen Segen erhielten. Welch unanständiges Schicksal ward dem alten Bau der ersten deutschen Volksvertretung zu Theil! Damit verglichen ist ja die Laufbahn eines edlen Renn pferdes, das als gewöhnlicher Droschkengaul endet, noch vor nehm zu nennen. Nachdem der Reichstag sein neues prunkvolles Haus am Brandenburger Thor bezogen hatte, wurde das alte NeickStagsgebäude vermiethet. Anfänglich hauste ein Verein für VolkS-GesnndheitSlehre darin, bei dem die gute Absicht (?) wohl stärker al» däs finanzielle Können war. Dann wurden belehrende und unterhaltende Borträge darin gehalten; von diesen ging man zu billigen Concerten über. Hstbauf.„achte sich ein Trödelhandel mit alten Teppichen in den ehemals geweihten Hallen breit, daneben eine Gemüsesammlung mit Obstverkauf rc. Eine Sportausstellung wurde versucht, die mit schwindsüchtiger Eile ru Grabe ging. Anderen Aus stellungs-Unternehmungen blühte kein besseres Loo». Eine Ausnahme machte nur die merkwürdige AuSstelluttg von einem Dutzend ChristuSbilder moderner deutscher Meister, die wäh rend deS vergangene» Sommer» im ersten Stockwerk des Gebäude» abgehalten wurde, in jenen FractionSzimmern, wo ebekem wenig von christlicher Friedfertigkeit zu spüren war... Siebt man von dieser Benutzung der alten Reickstagsräume ab, die nicht unwürdig erschien, so waren die anderen Ver wendungen alle zum Erbarmen. Ein ungeheurer Pleite- Geier schwebte beharrlich über dem Bau, als wollte er rächen, wa» Pietätloses und Geschmackwidriges dort vor sich ging, wo einst Bismarck, Moltke, Roon, wo Windthorst, Bennigsen, LaSker, Eugen Richter und sonstige Große Und Kleine' des deutschen Volke» gewandelt und gehandelt hatten. Al» ich daS letzte Mal in vem alten, lieben und nun so schmählich entehrten Sitzungssaal« war, stand an der Stelle des früheren Präsidentensitzes eine Art Schnapsbude, worin ein zuvor kommende» Mägdelein mit einladenden Geberden Sport- Liqueud Und Sport-Parfüm anbot. Dort, von Wo der erste deutsche Reich-kanzler so manche» Mal mit seinem Wort die ganze Welt bewegt hatte, saß eine junge Radfahrerin und probirt» neueWadenstrümpfe. Vordem waren Nothkohl, Kegelkugeln, Leibbinden und Stiefelwichse an jener Stelle zu sehen; eine« Abend» auch eine Baßgeige und später allerlei mehr nützliche» al« beschreibbare« HauSgrräth. Da« war un gefähr an drr Stelle, über welcher so lange dir große deutsch« Flagge mit der goldenen Widmung der Deutschen von New Orleans zur Erinnerung an die Einigung deS deutschen Reiches geweht halte. Das Innere de» alten NeichStagSgebäudes ist allmählich ganz ergraut und verschmutzt; ein Placat zeigt an, daß jetzr in irgend einem seiner Räume daS neue Kohlenstaub- Verbrennungsverfahren ein Unterkommen fand; vielleicht werden die letzten Erinnerungen an eine große Zeit nun damit gründlich auSgeräuchert. . . . Welch Wandel aller irdischen Herrlichkeit in diesem Foyer deS alten Reichstages! Aus den staubigen Ecken, aus den verschmutzten Wänden, hinter den abgetretenen Treppen und den Resten der ver schiedenen früheren Ausstellungen aller Art lugt die Ver gänglichkeit und das Vergessen heraus. Du lieber Himmel, soviel Pietät hätte man doch eigentlich für das erste deutsche Neichstagsgebäude haben können, daß man es nicht wegen einiger Tausend Mark lumpiger Mietheinnahme so ganz von jeder achtungsvollen Erinnerung entblößte. Bis das HauS eingerissen wird und einem Neubau Platz macht, hätte man wohl irgend eine würdige öffentliche Sammlung dort zur unentgeltlichen Besicktigung unterbringen können, anstatt eS wie einen Trödelladen zu vermielhen." Berlin, 24. September. (Telegramm.) Nachrichten aus Rom inten zufolge erfreut sich der Kaiser daselbst fort dauernd deS besten Wohlseins. Die Kaiserin, welche gestern früh gegen 8 Uhr wohlbehalten in Ploen angelangt ist, gedenkt daselbst bis zum Sonnabend zu verweilen und sich an diesem Tage nach Grünholz zu begeben. ö. Berlin, 24. September. (Privattelegramm.) Ter armenische Lehrer rhoumajan hat, der „Staatsb.-Ztg." zu folge, im Laufe deS gestrigen Tages von der Berliner Polizei einen Ausweisungsbefehl erhalten, weil er sich als Aus länder „lästig" gemacht hat. ö. Berlin, 24. September. (Privattelegramm.) Für die Einberufung des Colonialraths ist laut der „Nat.-Ztg." der Termin noch nicht bestimmt, doch sind den Mitgliedern einige Vorlagen bereits zugesandl worden. L. Berlin, 24. September. (Privattelegramm.) Der internationale Araucneongretz hatte aus der Tagesordnung der heutigen Sitzung: GesundheitS- und Kranken pflege, Wohlfahrlseinrichtungen, Mäßigkeits- und Sittlick keitSbestrebungen. Ueber häusliche und öffentliche Gesund heitspflege sprach Frau Lina Morgenstern. Gesundheits lehre und -Pflege seien Sachen, die jede Frau bethäligen könne, leider aber würden die Töchter viel zu wenig für ihren künftigen Berus als Mutter vorbereitet. Man verlange von der Mutter Verantwortlichkeit, ohne sie zu belehren. Gesund heitslehre müsse daher in jeder höheren Classe gelehrt werden. Oberschwester Anna Stosck berichtete sodann über das hiesige Victoriahaus für Krankenpflege, das z. Z. mit 250 Schwestern wirkt. Sie schloß mit dem Wunsche, daß sich noch mehr Frauen dem Werke zuwendcn möchten, daS da eintretcn will, wo evan gelische und katholische Schwestern nicht ausreichen. Lebhaftes Interesse erregte der Bericht vonFrl. Clara Miiseler-Bcrlin über die Thätigieit des Deutschen Frauenvercius für Kranken pflege in den Colonien. In den 8 Jahren der Wirksamkeit sind 42 Pflegerinnen ausgesanbt, von denen nur 7 vorzeitig zuriickberusen werden mußten und eine dem jtiima erlag. Zur Zeit sind 15 Schwestern in Thätigkeil. Jin Anfang waren viel Schwierigkeiten zu überwinden; die erste Anstalt in Dar-eS-Salaam wurde demolirl und nur mit Noth ent kamen die beiden Schwestern. Bon Bedeutung ist es, daß man neuerdings auch WirthschaftSschwestern ausgesaudt hat. Ueber Feriencolonien sprach sodann Frau Jessen, die Vor sitzende deS Berliner ComitsS für Fcriencolonien. Geh. Rath Di. moä. Bär-Berlin forderte hierauf die Congreßmitglieder und die Frauen überhaupt zum Kampf gegen den Alkoho- liSmus auf, und von englischer Seite wurde über die Mäßig keitsfrage gesprochen. Frau Bieber-Böhm- Berlin besprach die Bedeutung der Gesundheit der Eheschließenden im Zu sammenhang mit der Siltlichkeitsfrage. ö. Berlin, 24. September. (Privattelegramm.) Eine von etwa 3000 Personen besuchte öffentliche Versammlung, die von focialdcmokrntischcn Frauen einberufen war, sand gestern Abend hier statt, um gegen den hier tagenden in Irr itation alen Frauencongreß zu protestiren. Eine Anzahl der zu diesem Congreß delegirten Frauen war erschienen. Frau Clara Zetkin-Stuttgart referirte unter dem stürmi schen Beifall der Anwesende» über die bürgerliche und prole tarische Frauenbewegung und betonte, daß die proletarischen Frauen nichts mit den Reformbestrebungen der bürgerlichen Frauen gemein hätte». Ueber dir „Lage der Arbeiterinnen" sprach Frau Greifenberg und hob hervor, daß die Lage äußerst traurig sei. Ueber die „Entwickelung der deutschen Arbeiterinnenbewegung" sprach Frau Apotheker Ihrer Velten. In der DiScnssion sprach Frau Schlrsinger- Eckstein-Wien und bedauerte, daß solche Classrnunterschiete bestände»; in Oesterreich kenn« Man dies nicht. Mit einem Hoch auf die socialdemokratische Bewegung schloß die Ver sammlung. — Zur Erleichterung deS Wohnens von Arbeitern in weiterer Entfernung von ihrem Beschäftigung»»»! hat der in Blumenthal (Reg.-Bez. Stade) bestehende Spar- und Bauverein eine bemerkenSwerlhr Neuerung dadurch ein geführt, daß er solchen Mitgliedern, welche darauf antragen, ein Fahrrad auf Abzahlung liefert. Durch Benutzung de» Fahrrades wird drr Weg von und nach drr Arbeitsstelle, der jetzt zwischen l2 und 18 Minute» beträgt, auf ein Viertel der Zeit herabgesetzt und drr Arbeiter in einer ganz anderen Weise, al« dir» bisher Möglich war, während der Mittags pause seiner Familie tviedrrgegebeu. Bei Abnahme von 40 Räder» auf einmal und Baarzählung hat sich drr Preis, der „Rh.-Westf. Ztg." zufolge, für ein sckwrre» Zweirad Neuester CürtstrUktion und solidester Ausführung, daS von den Agenten der betreffende» Fabrik sonst gegen 270—300 -X! baar verkauft wurde, auf 1SK frei BlumeNtbal gestellt. Die 40 hergestellten Räder sind vergriffen. Weitere Be- strlluNge» sind mit Sicherheit zu erwarten. Dir Fahrräder bleiben Eigenthum deS Vereins und Zubehör des Hauses bis durch Ratenzahlungen der Kaufpreis getilgt ist. Der Kauf preis wird abgetragen in wöchentlichen Raten von 1 also in rund S Jahren. Di« Zwischenzinsen trägt be» Verein.
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