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Schönburger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Erscheint täglich mit Ansnahm- der Tag- nach So»»- und Bestellungen^ Zeile für Abonnenten 7 Pf., für Mcht- Postanstalten, di- Expedition und die C°lp°rt-ur^ nehmen B-st°llung^^^^ Omaner bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. abonnenten 10 Pf. > -v, > 127. Waldenburg, Donnerstag, den 5. Znni 187S. politische RMschi«. »Waldenburg, 4. Juni 1879. Der deutsche Kaiser ist am 2. Pfingstfeier- tage im Schloß Babelsberg im Zimmer ausge glitten und auf die Kniescheibe gefallen. Die Anschwellung ist nicht bedeutend. Am 3. d. Vor mittags nahm der Kaiser die Vorträge der Gra fen Pückler und Perponcher, sowie des Geh. Raths Borck entgegen und arbeitete mit dem Chef des Militärkabinets, Generalmajor Albedyll; demnach kann der Unfall nicht ernstlicher Natur gewesen sein. Der Bundesrath gönnt sich wenig Ruhe; finden auch in den nächsten drei Tagen keine Ausschußsitzungen statt, so werden die Arbeiten doch schon am Donnerstag oder Freitag wieder ausgenommen. Am letzteren Tage wird wohl eine Plenarsitzung stattfinden, in welcher die end- giltige Abstimmung über das Gesetz, betreffend die Verfassung und Verwaltung von Elsaß-Loth- ringen, erfolgen soll. Zweifellos soll dieses Ge setz übrigens noch in der gegenwärtigen Reichs tagssession zum Abschluß gelangen; es liegt in der Absicht, dasselbe womöglich schon mit dem 1. Juli in Kraft treten zu lassen. Nach den nunmehr vorliegenden Nachweisungen über die Einnahmen des deutschen Reichs an Zöllen, Verbrauchssteuern rc. für den Monat April haben sich fast alle Zweige in namhafter Weise gehoben, nur die Wechselstempelsteuer ist in ihrem unwandelbaren stetigen Rückgang ver blieben. In einem AuSnahme-Verhältniß befindet sich z. Z. die Nübenzuckersteuer, denn während die Fabrikation im Monat März im Großen und Ganzen aufgehört hat, beginnt nunmehr die mer- cantilische Seite des Geschäfts. Je größer die Ausfuhr an Zucker, desto ungünstiger gestalten sich die directen Einnahmen des Reichs. Während die Rübenversteuerung im Monat April nur 60,369 Mk. eingebracht hat, mußten an Bonifi- cationen 4,342,256 Mk. gezahlt werden, so daß ein Minus von 4,281,887 Mk. verbleibt; im April des v. I. betrug dasselbe nur 3,443,970 M. — Die Zölle haben ertragen (abzüglich der Bonificationen) 10,454,564 M. (gegen den Monat April 1879 -j- 2,764,248 Mk.), Salzsteuer 2,189,918 Mk. (Z- 39,494 Mk.), Tabaksteuer 119,984 Mk. (-s- 25,349 Mk.), Branntweinsteuer 1,050,802 Mk. (Z- 39,063 Mk.), Uebergangs- abgaben von Branntwein 6901 Mk. (^- 310 Mk.), Bransteuer 1,964,093 Mk. (-s- 27,611 Mk.), Uebergangsabgaben von Bier 77,493 Mk. (Z- 5701 Mk.), im Ganzen 11,581,868 Mk. (-j- 2,063,859 Mk.), Spielkartenstempel steuer 70,560 Mk., Wechselstempelsteuer 501,771 Mk. (— 16,692 Mk.), Reichs-Post- und Tele graphen-Verwaltung 10,061,745 Mk. (Z-258,138 Mk.), Neichs-Eisenbahn-Verwaltung 2,925,900 Mk. (-j- 10,054 Mk.) Die Wahlprüfungscoinmission hat über die beanstandete Wahl des Abg. Lorette für den Wahlkreis Bolcheu-Dietenhofen Beschluß gefaßt. Aus dem von dem Abg. v. Schöning erstatteten Bericht ist hervorzuheben, daß gegen die Wahl 13 Proteste eingelaufen sind, von denen 12 in französischer Sprache abgesaßt sind. Die Com mission erklärt mit Bezug auf letztere, daß, da die Geschäftssprache des Reichstages die deutsche sei, die in einer anderen Sprache abgefaßten, an den Reichstag gerichteten Schriftstücke zur Berücksichtigung nicht geeignet seien. Sie bean tragt deshalb, die Wahl des Abg. Lorette, der mit nur 29 Stimmen über die absolute Majori tät gewählt worden ist, für giltig zu erklären. Die über ganz Deutschland verbreitete Gesell schaft für Verbreitung von Volksbildung, die demnächst in Danzig ihre Jahresversammlung abhält, hat auch in dem nun ablaufenden ereig- nißreichem Jahre ihren Beistand glücklich bewahrt. Wohl sielen 35 Ortsvereine vom Gesammtver- bande ab; doch traten ebensoviele neu wieder zu, so daß die Gesellschaft nach wie vor 772 körper schaftliche Mitglieder zählt, außerdem 4339persön liche Mitglieder mit einer Einnahme von 46,349 Mark. Organe der Gesellschaft sind die vom Ge- mralsecr. Or. Lippert herausgegebene Zeitschrift „Der Bildungsverein" und die Wanderlehrer, welche den kleineren Vereinen reichen Bildungs stoff zuführten. Die Reconstruction einer liberalen Partei wird augenblicklich von jenen Mitgliedern der schutzzöllnerischen volkswirthschaftlichen Vereini gung geplant, die in politischen Dingen den Con- servativen und Ultramontanen fern stehen. Nach dem Abschluß des Zolltarifs und jedenfalls vor den Wahlen zum Abgeordnetenhause soll eine Agitation auf Grund eines Programms unter nommen werden, welches die Bildung einer con- stitutionellen Fraction bezweckt. In dem Pro gramm soll der Beweis geführt werden, daß die handelspolitischen Parteienzusammenwirkenmüssen, um die konstitutionelle Freiheit gegen die poli tische und kirchliche Reaction zu schützen. Außer dem soll das Programm entwickeln, daß sich in dieser Partei Rheinländer und Westfalen, welche den Freihandel ausschließen, ebenso gut zusam mengehen können, wie die Ostpreußen, welche von Schutzzöllen nichts wissen wollen. Infolge verschiedener Vorkommnisse publicirt der Präsident von Lothringen in der „Lothr. Ztg." einen Erlaß bezüglich der Handhabung der Fremdenpolizei, in welchem bestimmt wird, daß Jedermann, der in seiner Wohnung oder in seinem Hause Personen aufnimmt, welche nicht Angehörige des deutschen Reiches sind, der Poli zei binnen 24 Stunden davon Anzeige zu machen hat. Es muß damit Name und Vorname des Fremden, sein Alter, Stand oder Gewerbe, sein gewöhnliches Domicil, sein letzter Aufenthaltsort und die muthmaßliche Dauer seines Aufenthaltes in Metz angegeben sein. Gastwirthe, Hoteliers, Zimmervermiether u. s. w. sind verpflichtet, diese Meldung am Tage der Ankunft der Fremden oder spätestens am folgenden Morgen zu machen. Die schweizerische Bundesversammlung ist am 2. d. mit Ansprachen der beiden abtreten den Präsidenten eröffnet worden. Im National- rath gab Römer in seiner Rede dem Bedauern darüber Ausdruck, daß die Todesstrafe wieder gestattet werden solle, ermahnte jedoch zur repub likanischen Unterordnung unter den Willen der Mehrheit. Im Ständerathe sprach Gengel die Hoffnung auf einstige gänzliche Abschaffung der Todesstrafe und auf die Einführung einer ein heitlichen Rechtspflege aus. Der Nationalrath wählte Künzli (Aargau), liberal, mit 80 von 93 Stimmen zu seinem Präsidenten und Burkhardt (Basel), ebenfalls liberal, mit 51 von 98 Stim men zum Vicepräsidenten. Der Candidat der Ultramontanen, Wek, erhielt 46 Stimmen. Die bisherigen Stimmzähler wurden bestätigt. — Der Ständerath wählte seinen bisherigen Vicepräsi denten Stehlin (Basel), conservativ, mit 39 von 40 Stimmen zum Präsidenten. Zum Vicepräsi denten wurde Sahli (Bern), liberal, mit 20 Stimmen gewählt. Der Candidat der Ultra montanen, Heitlingen, erhielt 18 Stimmen. Die bisherigen Stimmenzähler wurden bestätigt. Es sei, um Jrrthümer zu vermeiden, daaruf hin- gewiesen, daß die für die Todesstrafe günstige Volksabstimmung nur den einzelnen Kantonen das Recht verleiht, die Todesstrafe wieder ein zuführen, nicht aber die Todesstrafe für das ganze Reich obligatorisch macht. In Frankreich constatiren die Berichte der Präfecten an das Ministerium des Inneren, daß die Ernteaussichten meistentheils sehr bedroht sind und vielfach die Ernte infolge des anhaltend schlechten Wetters sogar schon als verdorben zu betrachten ist. Dem Pariser Gemeinderath liegt folgender Beschluß zur Beralhung vor: Art. 1. Es wird auf dem Kirchhof Pöre Lachaise ein Leichen Ver brennungsapparat nach dem System Siemens und ein Columbarium hergestellt. Art. 2. Die Leichenverbrennung wird allen Familien, die darum einkommen, gegen Bezahlung gestattet. Die Urnen, welche die Asche enthalten, werden auf dem Kirchhof aufbewahrt. Der Municipalrath von Paris hat dem Seinepräfecten das Project einer Verordnung unterbreitet, wonach sämmtliche katholische Zirkel und Clubs innerhalb des Weichbildes von Paris geschlossen und aufgehoben werden sollen. Die letzten von dem Papst Leo XIII. voll zogenen Kardinalsernennungen sind in politischer, wie in religiöser Hinsicht von Bedeutung. Seit Jahrhunderten hat die Zusammensetzung des hei ligen Collegiums nicht einen so kosmopolitischen, so universellen, mit einem Worte so katholischen Charakter gehabt. Von den 64 Kardinälen sind 32 Italiener und 32 Ausländer. Von den letz teren sind 11 Franzosen, 4 Oesterreicher, 4 Spanier, 3 Ungarn, 3 Engländer, 2 Deutsche, 2 Portugiesen und je 1 Pole, Amerikaner, Bel gier. Aus durchaus zuverlässiger Quelle verlautet, daß aus Petersburg allein 4000 Personen verzogen sind, welche in dem Verdacht stehen, daß sie mit den Nihilisten in Verbindung sind, resp. den Tendenzen derselben huldigen, ohne daß ihnen Strafbares nachgewiesen werden konnte. Diese Personen haben sich nach den nicht unter dem Belagerungszustand befindlichen Gouverne ments gewandt und befinden sich dort selbstredend unter weiterer polizeilicher Aufsicht. Von den Bosniaken werde, wie die „Agence Havas" zu berichten weiß, eine Petition an die Mächte vorbereitet, in welcher um eine temporäre Verwaltung Bosniens durch eine internationale Commission und sodannige Einrichtung Bosniens zu einer autonomen Provinz gebeten werden soll, womit Oesterreich schwerlich einverstanden sein wird.