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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22 j Silbergr. (^ Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. süi da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in aUen Lbeilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (tu Berlin del Veit u. Comp., Iägerstraßc Nr. 28), so wie von allen König!. Post A-mtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 93. Berlin, Sonnabend den Z. August 1844. Marokko. Bilder aus Marokko. Wir theilen hier einige Bruchstücke aus einem neulich in London erschie nenen Werke mit, das den Titel: Wentern Itarkaiv, i" vvilü leides and .-iavage smmuln führt und von Drummond-Hay, Sohn des britischen General- Konsuls in Tangier, herrührt. Der Verfasser reiste von dieser Hafenstadt nach dem Innern Marokkos, um der Königin von England „ein Berberroß von echter Race" zu holen, und da er von früher Jugend auf mit der Sprache und den Sitten der Eingebornen vertraut war, so möchten wohl nur Wenige im Stande seyn, eine treuere Schilderung jenes halbwilden Reichs zu ent werfen, das gerade in diesem Augenblick eine gewisse Rolle in der europäischen Politik spielt. Zum Verstänvniß des zunächst folgenden Auszugs bemerken wir nur, daß Herr Hap mit seiner Gesellschaft seinem Spanier und mehreren Arabern) durch einen reichen maurischen Kaid oder Adeligen zum Besuch ein- geladen wurde, und daß er die Gelegenheit benutzte, um das Harem seines WirtHS in Augenschein zu nehmen. I. DaS Harem eines Mauren. Nachdem wir die Wohnung des Kaid betreten hatten, wurde unsere Ge sellschaft in einen kleinen Garten geführt, wo die Verbena Gouins, der Jas min und die Rose in üppiger Blüthe standen. Das dichte Laub der Weinreben schützte unseren Pfad vor den brennenden Strahlen der September-Sonne, und wir ergötzten uns an dem Anblick der herrlichen Trauben, von welchen sich einige durch ihre längliche, schlanke Form auszeichneu und in der poetischen Sprache der Araber „Mädchenfinger" genannt werden. Vor einem Alkoven, zu dem ein paar Stufen hinaufführten, spielte eine klare Fontaine, deren funkelnde Wasserfluthen einen lieblichen, erquickenden Duft verbreiteten; hier fanden wir unseren Wirth, der, wie gewöhnlich, mit kreuzweis über einander geschlagenen Beinen auf einer reichen Decke saß und sich auf kostbar gestickte Kiffen stützte, die den LuruS seines Divans vollendeten. Etwas hinter ihm stand, seines Winkes gewärtig, ein junger bronzefarbigcr Sklave, der mit wcitaufgesperrten Augen die „Nazarener" «»gaffte. Drei sauber gearbeitete Stühle waren für uns in Bereitschaft, die vielleicht ein freundschaftlich ge sinnter Gouverneur von Tangier aus den Zeiten unseres „lustigen Königs Karl"") dem Ahnherrn des Kaid verehrt hatte. Während unser Wirth meinen Gefährten die Namen der Dörfer herzählte, die von den Fenstern seines Harems aus zu sehen waren, entfernte ich mich, über eine Nomenklatur ungeduldig, die ich schon auswendig wußte, und schlen derte langsam durch die verwickelten Gänge und Räume, die den labyrinth artigen Bau eines maurischen Palastes ausfüllen. Endlich begann ich, über die Folgen meiner Kühnheit etwas unruhig zu werden, und war im Begriffe, zurückzukehren, als eine Thür, durch deren Spalten man mich gewiß beobachtet hatte, sich plötzlich öffnete und die HuriS — schwarz, weiß und gelb, alt und jung, fett und mager — hervorstürzten. Zu entkommen war unmöglich, und eine voreilige Bewegung hätte mich in den schlimmsten Verdacht bringen können — ich blieb also wie eingewurzelt stehen und wurde bald von den mächtigen Klauen einer pechschwarzen Dame ergriffen, die eine genaue Unter suchung mit mir vornahm. „Seht!" rief sie, „hab' ich Euch nicht gesagt, daß die Nazarener Mund, Nase und Ohren haben, gerade wie die Muhammedaner?" — „Seht doch!" sagte eine Andere, indem sie meine Hand nahm, „ein, zwei, drei, vier, fünf Finger — eben so wie bei uns!" — „Aber was ist das?" schrie eine Dritte, indem sie mich bei den Rockschößen faßte. „Gewiß verbirgt er hier seinen Schweif!" — „Und er lacht sogar!" riefen sie Alle aus. Ich konnte mich allerdings des Lächelns nicht erwehren, obgleich mir wirklich Angst wurde, daß der Kaid meine Abwesenheit entdecken möchte; in der That befand ich mich jetzt mitten unter der verbotenen Frucht, deren Reize jedoch bei weitem nicht so groß waren, wie meine Phantasie sic mir vorgemalt hatte. Die meisten dieser Damen hatten ein Lebensalter erreicht, wo die Schönheit der maurischen Züge ganz verschwindet, an die nur das große, gazellenartige Auge erinnerte, das sie mit allen weißen Frauen der westlichen Berbcrei gemein hatten- Das hier so bewunderte jugendliche embonpoiut war einer schwammigen Fettigkeit ge- '1 Da« als Festung und Hafenstadt wichtige Tangier, welche« die Portugiesen im I5ten Jahrhundert unter dem Könige D. Alfonso V. erobert hatten, wurde im Jahre IKL2 als Mitgift der Infantin D. Katharina, Braut Karl'S II., an England abgetreten. Nach dem kinderlosen Tode Katharinens fiel eg wieder an Portugal zurück, mußte aber in der Folge den Mauren überlassen werden. wichen, die ihre einst vielleicht so symmetrischen Formen gänzlich entstellte. Nach maurischem Geschmack hat ein Frauenzimmer den Höhepunkt ihrer Schönheit erreicht, wenn sie eine vollwichtige Kameel-Last bildet. Ich bemerkte nur eine in diesem bunten Kreise, die für eine mauritanische Venus gelten konnte. Es war ein junges Mädchen von etwa fünfzehn Jahren — der Blüthezeit dieses frühreifen LanveS, wo die weiblichen Reize nur selten den zwanzigsten Sommer überleben. Ihr Teint war äußerst weiß, und der schwarze Streif des Kohol (Kül) gab ihren dunkelbraunen Augen einen schmachtenden Ausdruck; ihr Korallenmund war, nach den Worten des maurischen Dichters, „rund wie ein Ring", und ihr schwarzes Haar, mit silbernen Schnüren gestochten, wallte üppig um ihre Schultern. Diese sylphenglciche Gestalt war mit einem hell- grünen Kaftan bekleidet, der bis unter die Knice reichte und über dem sie eine Robe von leichter Gaze trug, welche durch einen rothen Gürtel von Fezer Seide um den Leib befestigt war. Die weiten Aermel ihres Kaftans waren an den Handgelenken offen und zeigten bei jeder Wendung einen alabaster- weißen Arm, von einem einfachen, aber massiven goldenen Armband um schlossen; ihre Beine und Füße waren bloß, da sie in der Eile die Pantoffeln vergessen hatte, und sowohl die Füße als die Hände waren orangengelb mit Henna gefärbt. Neber den Kopf hatte sie ein leichtes Muffelintuch geworfen, aber in dem plötzlichen Tumult überwältigte die Neugier ihre natürliche Schüchternheit, und sie stand ganz entschleiert vor mir. An dem lärmenden Gespräch der Nebligen hatte sie keinen Theil genommen; jetzt aber verhüllte sie halb ihre lieblichen Züge und flüsterte ängstlich: „Still, still! Mein Vater wird Euch hören, und was wird dann aus diesem jungen Christen werden?" — „Was kümmert das uns?" rief ein tonnenartigcs Weib mit großen, rollen den Augen, welches mir die Favorit-Sultanin dieser buntscheckigen Gesellschaft schien, da sie am prächtigsten von Allen gekleidet war. „Warum hat der Christ gewagt —" Bevor sie ausredcn konnte, wurde sie durch die rauhe Stimme ihres Ehebcrrn unterbrochen. „Was bedeutet der Lärm? Wo ist der andere Nazarene?" Und seine schweren Fußtritte kamen immer näher und näher. Weg flogen die mich umringenden Geister, schwarze, weiße und graue! Das junge Mädchen entfernte sich zuletzt und schien weniger erschrocken als die Anderen. Indem sie ihren Schleier dicht um das Gesicht zog, so daß nur ein holdes Auge zu erblicken war, flüsterte sie mir hastig zu: „Fürchte Dich nicht, Nazarene. Sage meinem Vater, daß es unsere Schuld war; er ist sehr gut- müthig, und Du bist so jung." Glücklicherweise hatte ich eine Rosenknospe an der Brust; ich überreichte sie ihr mit dankbarem Lächeln, und sie flog ihren . Gefährtinnen nach. „Heda, junger Schelm!" rief der dicke Kaid, indem er mich beim Kragen faßte, während ich meinen Kopf etwas unsicher auf den Schultern zu fühlen begann. „Kah, kah, kah!" brüllte er mit wieherndem Gelächter. „Der Knabe (mein Kinn war noch glatt) ist unter meinen Frauen gewesen. Weißt Du, daß Du den Tod verdienst?" Und er machte mit der Hand die Pantomime, als ob er mir den Dolch über die Kehle zöge- „Du möchtest meine Gazellen entführen? Nicht wahr, Du junger Nazarene?" — „O, mein Herr!" stammelte ich hervor, „wenn ich Euch mißfallen habe, so müßt Ihr es meiner Unwissenheit zu Gute halten. Bei mir zu Lande ist es gebräuchlich, daß man vor Allem den Damen seine Achtung erweist." — „Ach, Du Gauner!" lachte er. „Ihr Nazarener müßt ein schönes Leben führen. Kah, kah, kah! Ich muß nach Eurem Lande gehen; wie man mir erzählt, habt Ihr Euer Paradies schon aus Erden. Kommt mit mir in die Küche; ich habe da eine schwarze Schönheit zur Köchin, der Ihr Eure christliche Achtung er» weisen könnt." 2. Orientalischer Aberglaube. Nichts konnte dem Erstaunen gleichen, das mein spanischer Freund und ich in dem wilden Dorfe hervorbrachten, durch welches unsere Reise führte. An jeder Thür standen ganze Familien, uns mit glotzenden Augen anstarrend, während die jüngeren Kinder, voll Schrecken über eine so seltene Erscheinung, zurückwichen. Ein Jüngling, der kühner als die Anderen war, näherte sich unserer Gesellschaft und fragte den Hadschi, was wir für Geschöpfe wären ? Der Hadschi erwicderte gravitätisch, daß wir Dich ins oder böse Geister seyen, die er eingefangen habe und nach Larache führe, um sie von dort nach dem Lande der Nazarener zu verschiffe»; worauf der Bursche heulend nach sei ner Hütte entfloh. Wie mir der unglückliche Davidson °) erzählt hat, herrscht in den Theilen der Levante, die nur selten von Reisenden besucht werden, der -j Der englische Reisende Davidson wurde vor einigen Jahren im Innern von Ma rokko ermordet, al« er im Begriff war, nach Timhuklu vorzudringen,