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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021020025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102002
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-10
- Tag 1902-10-20
-
Monat
1902-10
-
Jahr
1902
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Aber nur wenige Zeitungen gaben eingehende Rachrichten über die Vorgänge, die sich im Plenum und in den Lektionen zwischen den Borträgen in der Diskussion abspiclten, durch welche der ganze Vor- tragseykluS erst die richtige Färbung erhält und der ur sächliche Zusammenhang der Resolutionen crfst in Er scheinung tritt. Es ist ja allerdings nicht zu verwundern, wenn ein großer Teil der Presse sich auf ein bloßes Pflicht referat beschränkte, an Kolonialem wurde ihr in den letzten Jahren genug vorgesetzt und oft recht Unverdauliches, das iveder den Berichterstatter veranlassen konnte, sich für eine eingehendere Darstellung zu erwärmen, noch dem Leser einige frohe Augenblicke der Begeisterung für nationale Ideen verschaffen konnte. Das Interesse an kolonialen Dingen schien zu erlahmen, die ursprüngliche Begeiste rung der Kvlonialmüdigkeit das Feld zu räumen. Im Auslände wurde dieser Zustand der Lethargie natürlich mit Freuden begrübt und durch allerhand halb bedauerliche, halb hämische Auslassungen noch gefordert. Deshalb ging auch die große Menge mit einem gewissen Mißtrauen an die Mitteilung, daß ein deutscher Kolonialkongretz zu- sammcntreten sollte, und namentlich Sie freisinnigen Zeitungen konnten nicht genug Unglück prophezeien über die Blamage, die aus dem neuen Kongresse Deutschland erwachsen würde. Man hatte ja von offizieller Anräuche rung und Austausch großnativnaler Ideen bei festlichen Versammlungen genug schon gehört, ohne daß ein prak tischer Erfolg erzielt worden war. Viele der Kolonial freunde, die als Teilnehmer des Kongresses nach Berlin kamen, mochte auch ihrerseits das gewiß drückende Gefühl beschlichen haben: wird wirklick dabei etwas Gutes heraus kommen? Eine ganze Anzahl von Kolvnialfreundcn hat dieses Gefühl wohl sogar von der Reise nach Berlin in diesen Tagen fcrngehalten. Da aber erlebte Deutschland eine angenehme Ent täuschung. Der Kongreß begann mit seinen Tagungen, und anstatt der vom Cvmitö im besten Falle erwarteten ^00 bis 1000 Teilnehmer stieg die Zahl auf ca. 1-lM, und in den festlichen Räumen des Reichstages entwickelte sich eine Regsamkeit, die das hohe Haus wohl nur selten zu sehen bekommt. Man sah neben den Kolonialbeamtcn und Offizieren, den Gönnern und Förderern des Kolo- nialwcsciis, auch zahlreiche Männer der Wissenschaft, deü HaudelstandeS, Vertreter der Missionen, Pioniere deutscher Tatkraft in der Fremde, mit ungeteilter Aufmerksamkeit sich an der gemeinsam begonnenen Arbeit beteiligen. Die Vorträge tönten nicht in allgemeine Phrasen aus, sondern es wurden handgreifliche Vorschläge auf Grund ticffach- ltchcr Darlegungen gemacht, von Leuten mit praktischer Erfahrung in kolonialwirtschaftlichen Dingen. Die Reg samkeit des Arbeitsausschusses, der mit großem Geschick den Arbeitsplan durchführte, verband sich mit Eifer jedes ein zelnen. Namentlich der Einrichtung der 7 Lektionen, deren Aufstellung von einzelnen Zeitungen sehr bespöttelt wurde, als eine Nachäfferei rein wissenschaftlicher Kon greße, ist cs zu verdanken, daß die Arbeit des Kongreffes eine so gründliche wurde,' denn die Sektionen gaben, jede einzelne für ihr Ressort, den Spezialisten und Interessenten auf diesem Gebiete Gelegenheit, einen intensiven Austausch der Meinungen, im Anschluß an die Spezialvorträge, in lebhaft anregender, zum Teil in scharfer Rede und Gegen rede, zu erzielen, und die vorliegenden Fragen auf daS gründlichste zu ventilieren. Schon der erste Eindruck der großen Versammlung, die gediegenen kartographischen und kolonialwirtschaftlichcn Ausstellungen, mußten jeden Teilnehmer vom Ernste der Aufgabe überzeugen und mit erneuter Begeisterung ging er an die Arbeit. Jeder einzelne trug seinen Teil an der Lösung der großen Aufgabe, die das Pro gramm enthielt, in energischer Anteilnahme bei. Reden und Gegenreden ertönten, die Diskussion trat als wich tigster Faktor in den Vordergrund, und die zum Schlüsse bestimmten Resolutionen können mit vollem Recht als das Endergebnis einer gründlich nach allen Seiten hin er wogenen Geistesarbeit, als der wirkliche Entschluß aller kolonialen Streiter, erkannt werden, nicht aber als der Ausdruck einer einseitigen Begeisterung einer Handvoll Leute, die für sich am grünen Tisch Kolonialpolitik machen und diese dem Volke als die scinige cinimpfen wollen. Nein, gerade der harte Kampf um die gründlichste Be handlung der einzelnen Fragen in den Sektionen gewähr leistet, daß wir es hier nicht mit einem Strohfeuer, sondern mit einer neubelebten, heißen und kräftigen Flamme zu tun haben, die unter allen Umständen in den weitesten Kreisen wcitcrzünden muß, wenn überhaupt in Deutsch land ein Funke nationaler Gesinnung noch glüht. Das ist der große Erfolg des Kongresses, daß der Drang nach nationaler Betätigung in den deutschen Kolonien und Interessen sphären, gleichsam sich aus der Meinung»« undJnteress en Mischung der heterogen st en Elemente kräftig herauskristallisierte, als ein Edelstein, der wert ist, in der deutschen Kaiserkrone den ersten Play einzunehmen. Keine Interessen- Politik wurde auf dem Kongreß betrieben, alle Sonder ziele traten zurück angesichts der ernsten, großen, uneigen nützigen Aufgabe, das Deutschtum geistig nnd wirtschaftlich im Auslände zu kräftiger Entfaltung zu bringen. Nach drücklich wurde dabei betont, daß politische Bestrebungen in keiner Weise mit den nationalen Zielen verquickt werden dürfen. Frei von jedem Schatten einer Er oberungspolitik soll die deutsche Tatkraft in den wirtschaftlichen Wettkampf mit offenem Visier eintretcn. Dieses Dogma muß selbst die größten Neider und Feinde entwaffnen, und wenn auch aus englischen Zeitungen be reits wieder freundliche Ermahnungen ertönen, uns durch die Hervorhebung der Resolution, die deutsche Auswande rung nach Südbrasilien zu leiten, doch ja an der Monroe- Doktrin nicht die Finger zu verbrenne», Ermahnungen, die in Nordamerika ihren Widerhall finden sollen, so werben wir gut tun, wenn wir den Weg, den uns die Re solutionen des Kongreßes gewiesen haben, nun rüstig ver folgen und derartige kleinliche Sticheleien einfach igno rieren. Unser aller Aufgabe, sowohl der Reichsregierung, wie des Volkes, ist es, in die Breschen, welche der Kongreß für das Deutschtum gebrochen hat, nun einzutreten und hart zu kämpfen, Mann an Mann, um daS große Ziel zu erreichen, für welche- unsere Landsleute in der Fremde die wichtigste Pionierarbeit schon getan haben, geistig und wirtschaftlich da» Deutschtum in den deutschen Kolonien und Interessengebieten zu sichern. Dem energischen Im puls des Kongreßes muß vor allem die deutsche Reichs regierung Gehör geben und der so laut zur Kcnutnis der ganzen Welt gebrachten Volksmeinung Folge leisten, in dem sie mit aller Kraft die Durchführung der Resolutionen befürwortet und für dieselben eiutritt, wenn der Reichs tag, wie man erwarten muß, sich mit denselben befaßt. Politische Konsequenzen sind, wie die Resolutionen ausdrücklich zirm Ausdruck brachten, dabei nicht zu be fürchten. Es sind eine ganze Reihe von für die deutschnationalcn Interessen wichtigen Unternehmungen in deutschen Händen, die an mangelhaftem Interesse, gerade in kapi talistischen Kreisen, kranken, die bisher mit unverzeihlicher Schwerfälligkeit einen passiven Widerstand ihrer Durch führung entgegenstellcn. Die Gefahr, dieser mit Mühe auf dem Felde des Wettbewerbs mit anderen Nationen errungenen Privilegien verlustig zu gehen, ist groß; namentlich sind die bedeutenden, bisher in Süd-Bra sil t e n zur Förderung der Auswanderung ins Werk ge setzten Bahn- und Siedelungsunternehmen, die zu gleicher Zeit für die Entwickelung deutschen Handels von größter Bedeutung sind, aus Mangel an genügendem Kapital gefährdet. Es wäre doch geradezu ein Schlag ins Gesicht für unsere kolonialen Bestrebungen, würde, nach dem so begeisterten Appell aller kolonialen Kreise an das Nationalbcwußtsein des deutschen Volkes, man teilnahmslos zulassen, baß gerade da, wo der Hebel angcsetzt werden muß, schon die Kraft erlahmt und die Frucht mühsamer Arbeit und großer Geldvpfcr verloren geht, in dem Augenblick, wo die Kunde der kolonialen Wiederbelebung Deutschlands in die Welt hinaus dringt. Der Spott aller Nationen wäre uns gewiß und durchaus berechtigt. Wenn man jetzt im Auslande -em neuen Auf flug kolonialen Strebens die Hochachtung nicht versagen wird, so würde die Blamage, wollten wir unsere Worte nicht in Taten umsctzen, eine ganz ungeheuere, aber ge rechte, sein. Diese schwere Sünde wäre nie gut zu machen und würde Deutschland die Achtung der Welt als Kolonial macht auf ewig verscherzen. Das soll das deutsche Volk bedenken und seines Teils mit allen Mitteln dazu beitragen, die kolonialen Be strebungen zu unterstützen. Wenn der Beschluß, den Kon greß in regelmäßige» Zeitabschnitten zu wiederholen, mit Begeisterung ausgenommen wurde, so ist dies gewiß daS beste Zeichen, daß man dem Kongreß die richtige Bedeutung, leitend und fördernd cinzugreifen, bermißt, und dies mögen alle diejenigen beherzigen, die sich diesmal ablehnend ober teilnahmslos dem Kongresse und seinen Ergebnissen gegen über verhalten haben. Alle müssen wir darauf hinarbetten, daß 1005, wenn der Kongreß seine zweite Tagung abhält, wir mit Genugtuung erkennen können, daß aus dem Samen, welchen die erste Tagung aussätc, grüne Sprossen, Blüten und zum Teil schon Früchte zur Ehre des deutschen Namens und zum Heile LcS deutschen Wohlstandes sich entwickelt haben. Vr. Herrmann Meyer. politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Oktober. Der wohl in ganz Deutschland gehegte Wunsch, daß die .negativen Aufmerksamkeiten", welche die Berliner Polizei den Bocrengrnrrale» während ihres AufentbaU» m ter Reich-Hauptstadt gewidmet Hal, die einzigen bleiben oder geblieben sein möchten, ist leider nicht erfüllt worden. Wie man nachträglich erfährt, hatte der Kaiser den Wunsch ausgesprochen, raß Osficiere und Soldaten sich an den Ovationen und Versammlungen für die Bittsteller au» Süd afrika nicht beteiligen möchten. Daß diesem Wunsche nicht im vollen Umfange entsprochen worden ist, lag nur daran, daß er zu spät bekannt wurde. Hoffentlich bat da» wenigstens keine unangenehmen Folgen, weder für diejenige Stelle, die dem kaiserlichen Befehle nicht allgemeine Befolgung sichern konnte, noch für die wenigen Offiziere, die er zu spät erreichte. Er selbst ist nicht so unbegreiflich, wie er manchen Blättern erscheint. Wer die Naiur Kaiser Wilhelms N. kennt, muß sich sagen, daß ihm überaus pein lich war, die drei ehemaligen Boereniührer, deren Schritte man von England au» mit ArguSaugen überwachte und deren Empfang die .Time»" dem deutschen ReichSoberbaupte förmlich zu verbieten sich erdreistet hatte, auf eine Audienz verrichten zu sehen, die er ihnen trotz jene» Einspruchs, ja vielleicht gerade infolge desselben gern gewährt bätie und unter selbstveiständlichen Bedingungen gewahren zu wollen sich bereit erklärt batte. Eine Gunst verschmäht zu sehen, die er in Aussicht gestellt bat, kränkt jeden selbstbewußten Mann; wieviel mebr den jetzigen Träger der deutschen Kaiserkrone. Freilich hatte man gehofft, da» Gefühl deS TekränktseinS würde lediglich durch die negativen Aufmerksamkeiten der Berliner Polizei zum Ausdrucke gebracht werden. Und diese Hoffnung halte neue Nahrung erkalten durch die „Feststellung" der „Süvd. Reichs-Kork.", daß die Generale von der Geneigtheit des Kaiser», sie unter jenen selbstverständlichen Bedingungen zu empfangen, nicht, wie man nach einer Meldung der „Nordd. Allgem. Zig." batte annehmen müßen, durch den kaiserlichen Vertreterim Haag, sondern durch einen „uichldeutschen Vermittler" rn Kenntnis gesetzt worden waren. Diese „Feststellung" kegle die Vermutung nahe, daß die Generale wenigstens nicht allein die Schuld an dem Nichtzustande kommen der Audienz trügen. Freilich ist e« fraglich, ob der Kaiser, als er seinen Wunsch bezüglich deS FernbaltenS von Offizieren und Soldaten von den Ehrungen der Boerengenerale aussprach, davon Kenntnis batte, daß statt de» kaiserlichen Vertreters im Haag ein »nichtdeutscher Vermittler" den deli katen Auftrag auSgeführt hatte, den Boereogeneralen, ohne sie zu einer Bewerbung um eine Audienz direkt anzu regen, die Form einer solchen quasi in die Feder zu diktieren und die Gewährung in bestimmte Aussicht zu stellen. Viel leicht wäre, wenn der Kaiser das gewußt, sein Groll gegen die Generale geringer gewesen und der Wunsch bezüglich des Militär» unausgesprochen geblieben. Nachträglich wird er es ja ersabren, denn die Begleitumstände deS Berliner BocrenempfangeS und seine Vorgeschichte werden jedenfalls im Reichstage zur Sprache gebracht werden. Heute beginnt der Reichstag seine Sitzung wieder um 1 Uor, der beikömmlichen Tageszeit. Die bisherigen Zoll gesetzverba ndlungen zweiter Lesung -alte vrrPräsidenl eine Stunde früher, um Mittag, beginnen lassen, weil er noch — bofste. Der Rück.mff auf den gewöbnlichen Anfangstermin ist ein Alt der Resignation. „Es wird doch nicht»", mag Graf Ballestrem denken, wenigsten» in dieser zweiten Be ratung. Und er bat Recht. Eine vorläufig noch »junstlsch un anfechtbare" Obstruktion ist im besten Gange, ihre Aussichten sind die günstigsten. Auch der Teil der linkslrbrralen Preße, der sich nickt freisinnig, sondern— ander» nenni, begleitet die Ver schleppung mit schlecht oder gar nicht verhehltem Be hagen. Weder das Zentrum noch die konservativen Feiiilletsn. Compama Cazador. 17j Roman von Woldcmar Urban. Stachrruck Verbote-, „Ihr Wagen wartet", sagte Habicht junior dann rasch zu Isa. „Ich danke Ihnen sehr. Papa muß gleich kommen", antwortete sic. Hauptmann Kamenz und Fräulein von Thessen gingen wieder weiter. Isa blieb mit dem Rechts anwalt allein. „Sie werden mir hoffentlich gestatten, Fräulein Isa, Sie zu begleiten?" fragte er. „Oh, Herr Rechtsanwalt, ich möchte wirklich nicht, daß Sie sich derangieren, Papa ist ja da." „Kein Wort, Fräulein Isa. Es ist meine Pflicht und mein Recht als Präsident. Es geht gar nicht anders. Auch habe ich noch mit Ihrem Papa zu reden wegen des En gagements; ich besorge das natürlich alles. Wir wollen dem guten Bennewitz schon heimlcnchtcn, wenn er glaubt, mit Zhucn ein billiges Geschäft zu machen. Er muß tüchtig bluten. Ich werde das schon besorgen. Ich sehe das für meine eigene Angelegenheit an." Endlich kam Herr Cazador zurück. Erwartungsvoll sah Isa ihn an. „Nun ?" fragte sie bang, „hast du ihn gefunden?" ,„Keine Spur. Ich habe die ganze Gegend abgesucht. Du hast dich geirrt", entgegnete der Vater. Ein kalter Schauer durchrieselte sie vom Kopf bis zu den Füßen. Sic wußte nun, was das Gesicht am Fenster zu bedeuten hatte. Es war ein Anzeichen. Monsieur August war tot, war in demselben Augenblick gestorben, als sie sein Gesicht zu sehen glaubte. Eine tiefe Traurig keit beschlich sie und Tränen traten wieder in ihre Augen. Es war ihr, als wenn ein Teil ihres Eigenen selbst zu Grunde gegangen wäre, und nicht der schlechteste. Wie kam es, fragte sie sich, daß ein Mann, so treu und gut, mit der großen selbstlosen Seele und dem tiefen goldklaren Gemüt zn Grunde gehen mußte, wo doch so viele lebten, die im kalten Egoismus erstarrten, schon bet Lebzeiten? Es war freilich nur ein Clown, ein verachteter verlachter Mensch, aber in seiner Brust pulsierte ein menschlich warmes Herz, das wie nichts in der Welt die Leiden und Freuden des Lebens offenbarte. Es war der Mensch an siH, reiner und unverfälschter als alle, die Isa kannte, der «pielball des Schicksals, das hehr und erhaben über ihm thronte und das nur Toren verkennen. Man richtete Kragen an Isa. Sie antwortete nicht. Stumm stieg sie in den Wagen und fuhr nach Hause. Sie hörte kaum, was ihr Vater und Habicht junior zusammen sprachen und über sie ausmachten. Es war ihr auch gleich gültig. Zu Hause angckonnncn, rief sie sofort nach dem Mozzo. Dieser war in der Küche und eben beschäftigt, eine alte Matratze und einige Decken, auf denen er gewöhnlich schlief, zusammenzurollen. „Was tust du da?" fragte sie; als aber der Mozzo nicht gleich antwortete, fuhr sie ungeduldig fort: „War jemand da?" „Nein, nein, nein! Es war niemand da, Senorita", antwortete der Mozzo in einem Tone, als ob ihm das jemand hätte bestreiten wollen. „Du lügst, Mozzo!" rief sie ihm erregt zu. „Nein, nein, nein! Ich lüge nicht, behauptete der Mozzo wieder störrisch. „Monsieur August war da und hat dir verboten, mir davon zu sagen", fuhr Isa bestimmt fort, als ob das so gewesen sein müsse. Der Mozzo sah sie einen Augenblick verdutzt an und schüttelte den nicht übermäßig intelligenten Kopf mit der roten Mähne. „Wo soll denn Monsieur August Herkommen? Er ist ja in Rußland", erwiderte er endlich. Unschlüssig sah ihn Isa eine Weile an. „Was willst du mit den Decken machen?" fragte sie dann. „Reinigen!" antwortete der Mozzo nach einem kurzen Zögern. Es war mit dem kleinen verwachsenen Kerl nichts zu machen. Wenn er etwas nicht sagen wollte, so konnte man ihm den Kopf abhacken, ohne daß man eS erfahren hätte. Wenn wirklich etwas vorgegangen war, wie Isa vermutete und wünschte, so mußte sie c» klüger an ¬ fangen, um darüber unterrichtet zu sein. Sie ließ ihn stehen und ging nach ihrem Zimmer, wo sic sich auözog und zu Bett legte. ES war schon Mitternacht vorüber, und sie war müde zumUmsinken. Abergletchwvhk konnte sie nicht schlafen, und sobald sie die Augen schloß, sah sie vor sich greifbar deutlich Monsieur August in seinem Elownkostüm mit den roten Taffetrosen, die Hände zornig geballt und die Tränen herabrollend über die Wangen, wo sie in der Kreide kleine Furchen machten, genau wie da mals, als er ihr sein Geld gegeben und sie es nicht hatte nehmen wollen. Plötzlich hörte sie die Holzstufcn der Treppe knacken, als ob jemand hinauf und hinunter gestiegen wäre. Sofort war sie wieder auf den Beinen und kleidete sich rasch an. Ihr Argwohn war nun einmal wach, und der Mozzo, der mitten in der Nacht seine Decken reinigen wollte, hatte sie darin auch nicht beruhigt. Leise, ohne Licht, treu sie aus ihrem Zimmer und lauschte einen Augenblick. Ein schwacher Schein fiel aus der Küche. Der Mozzo war also noch munter. Sic schlich näher, um womöglich einen Blick in die Küche zu werfen, und da die Tür nur an gelehnt war, sah sic, wie der Mozzo die Spirituslampe an gezündet hatte und etwas kochte oder wärmte. Gleich darauf goß der Mozzo aus dem Kocher in einen Topf, was er erwärmt hatte, und sie sah nun, daß es heiße Milch war. Mit angehaltcnem Atem und einer Aufregung, als ob es sich um Gift und Mord gehandelt hätte, lauschte sie weiter und sah, wie sich der Mozzo mit seiner heißen Mi ch und einem langen Weißbrot lautlos davonschlich, die Treppe hinunter und zum Hause hinaus. Isa folgte ihm auf der Stelle. Es mar eine bitterkalte Nacht. WaS hatte der Mozzo bei einer solchen Nacht noch außer dem Hause zn tun? Auch seine Decken waren fort. Der Mozzo war zur Hintertür des Hauses hinaus gegangen nach dem Hof, wo gegenüber unter einem alten Holzschuppen der frühere Wohnwagen der Compama Cazador stand. In diesem verschwand Mozzo mit seiner Milch. Sofort schlich ihm Isa nach. An dem Wohn- wagen war in dem Hinteren Teil an Stelle eines Fensters ein Holzladcn, dessen einzelne Brettchen man mit einem leichten Druck so schieben konnte, daß man hindurchzusehen vermochte. Wenn Isa sich auf den Eimer stellte, der dort stand, und cs ihr gelang, geräuschlos den Holzladcn zu öffnen, so konnte sic den ganzen Wohnwagen übersehen, ohne daß sie selbst bemerkt wurde. „Es ist meine Milch und es ist mein Brot", hörte sie den Mozzo im Wagen dann sagen, „und geht niemand etwas an, was ich damit mache. Nur zu! Was ist denn dabei, wenn ich einmal ein paar Tage nichts esse? Da wäre das erste Mal nicht." Plötzlich zitterte die Hand, die Isa soeben nach dem Holzladen auSgcstreckt hatte, sehr heftig. Sie hörte die Stimme Monsieur Augusts, schwach und kränklich, aber deutlich und klar. Sie hätte aufjauchzcn mögen beim Klange dieser Stimme. „Mozzo", sagte die Stimme, „du bist -er einzige Mensch auf dieser Welt. Die anderen sind alle Bestien. Gib her." Leise schob Isa den Laden auf. Denn wenn sie nun auch wußte, daß ihre Ahnung und der Mozzo sie belogen, daß Monsieur August noch am Leben war, so wollte sie doch auch sehen, daß er lebte und wie er aussah. Ein ächzendes Knarren entstand, als sie den etwas ein gerosteten Laden bewegte, und veranlaßte sie, sich wieder zu ducken. „Was ist das?" fragte Monsieur August rasch. „Nichts. Es ist der Wind", antwortete der Mozzo. „Und wie war's in Rußland, Monsieur August? Sie müssen mir das erzählen. Rußland ist ein großes Land, stelle ich mir vor, und ich bin ein armer Teufel, -er hier nmi schon seit Jahr und Tag still liegen muß, wie ein verfaultes Schiff im Hafen. Heiliger Jsidoro, wie oft habe ich schon vor unserem alten Wohnwagen gestanden, ge seufzt und geflucht und gefragt: Wann geht's wieder los? und wann geht's wieder weiter? Es ist nichts mit solchem Haus, Monsieur August, nichts. Es geht nichts über einen Wohnwagen. Heute hier und morgen dort " „Sei du doch froh, daß du deinen Kopf in ein Haus stecken kannst, wenn's stürmt, Mozzo!" Wieder richtete sich Isa vorsichtig und langsam in die Höhe und sah durch den Laden in den Wagen. Da lag Monsieur August todbleich, zitternd und fröstelnd am Boden auf der alten Matratze des Mozzo und mit dessen Decken zugedeckt und sog gierig die heiße Milch ein, die ihm sein Genosse reichte. Isa hätte ihn wohl auf den ersten Anblick kaum wieder erkannt, wenn er nicht seinen großkarrierten Ueberzieher, -en er sich einst in Paris hatte machen lassen, angchabt. Aber wie lab dieser Rock aus! Fast noch schlechter als der Mann selbst, der sich wie halb erfroren und verhungert in seine schäbigen Reste wickelte. In wie viel Ställen und Schuppen, in wie viel Straßengräben mußte er gelegen haben, ehe er in dem alten Wohnwagen strandete? „Erzählen Tie, Monsieur August", bettelte der Mozzo wieder, „erzählen Tie. Sie glauben nicht, wie gern ich solche Geschichten höre, von -en fernen Ländern und den schrecklichen Zuständen —" „Du mußt dir Rußland vorstellen wie einen großen, großen Kuchen, Mozzo, mit nur ganz, ganz wenig Rosinen -rinnen. Die Rosinen sind die Ortschaften, wo man Bor. stcllungen geben kann, und statt des Zuckers liegt aus de« großen Kuchen Schnee, und statt der Butter Eis. DaS
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