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11. November 1884 Nr. 26S DeiiWt Mgmcm Zcitüllg «-Wahrheit uod Recht, Freiheit und Gesetz l» ! daß die verbündeten Tnippen bald in die Lage versetzt sein würden, für die ses Jabr von der weitem Belagerung Sewastopol« abzustehen. — AuS Wien sollen Nachrichten hier angekommen sein, welche auf eine Geneigtheit des österreichischen Cabinets hindeuten, die vier Friedenßbürgschaften bestimmter und genauer festzustellen. Bekanntlich hat schon eine frühere preußische Note die Unbestimmtheit der in Rede stehenden Foderungrn her- vorgehoben. Eine Erklärung des österreichischen CabinctS wird binnen kur zem hier erwartet. Es würde sich auf diese Weise die bisherige Voraus setzung, Oesterreich werde die Entscheidungin Betreff Sewastopols abwarten, bevor es irgendeine Erklärung abgcbe, als unbegründet erweisen- Bezüglich des Schreibens unserS Königs an den Kaiser von Oesterreich ist in mehren Blättern behauptet worden, in demselben sei selbst für den Fall, daß Oester reich offensiv gegen Rußland vorgehen sollte, die Unterstützung Preußens in Aussicht gestellt, wenn Oesterreich sich dagegen verpflichte, nicht über die bekannten vier Friedensbürgschaften in seinen Federungen an Rußländ hinaus zugehen. Die Richtigkeit dieser Angabe Horen wir entschieden in Abrede stellen. Bisjetzt hat cs Preußen in jeder Weise vermieden, irgendeine bin dende Erklärung hinsichtlich seiner thätigen Unterstützung Oesterreichs, wenn Letzteres Rußland angreift, von sich zu geben. Uebrigens ist darauf hinzu- weisen, daß die neuesten Meldungen aus Wien dahin lauten, daß ein An griff gegen Rußland vorderhand wol nicht zu erwarten stehe. Die in Oester reich fortgesetzten Rüstungen haben, wie angedeutel wird, den Fall im Auge, wenn der Krieg eine größere Ausdehnung annehmen sollte. 6 Berlin, 9. Nov. In ministeriellem Kreise war heute, wie glaubhaft erzählt wird, die NachriHt einer aus Petersburg gestern Abend oder heute früh telegraphisch eingelroffencn Meldung über die russische Geneigtheit, auf Unterhandlungen über die vier Punkte einzugehen, verbreitet. Ich kann aber angesichts der Quelle keine Bürgschaft dafür übernehmen. Ob jener Ge neigtheit irgendwelche Bedeutung zuzuschrcibcn sei, hangt noch immer von Oesterreich ab, dessen Zaudern mannichfache Besprechungen hervorruft und seine frankfurter Majorität auf die Länge, zumal wenn es vor Sewastopol nicht bald zur Entscheidung kommt, gefährden dürfte. — Nach einer Mittheilung der Allgemeinen Zeitung aus Berlin soll dort von Neujahr ab ein rein ministerielles Blatt erscheinen, das besonders auch dazu bestimmt sein soll, die innere Politik des Ministeriums gegen die Kreuzzeitung und das Preußische Wochenblatt gleichmäßig in Schny zu nehmen. Der Rcdacteur sei bereits ernannt. — Die Neue Preußische Zeitung schreibt: „Die bereits gestern von un- mitgetheilte Nachricht, daß vorgestern ein Vater seine vier Kinder ertränkt hat, wird leider zum allgemeinen Entsetzen dadurch bestätigt, daß gestern schon die Leiche eines der Kinder aufgefunden worden, die des vierjährigen Knaben, fcstgcschnürt in einem Waschkorbe! Die Unthat geschah an der Schleuse vor dem Schlesischen Thor, und der sie begangen, ist der Litho graph Biermann, 34 Jahre alt. Seiner Aussage nach hat er die beiden jüngsten Kinder (das eine 2, das andere 1'/« Jahr alt), in einem Wasch korb hinausgctragen, die beiden altern, von 6 und 4 Jahren, sind mit,ihm gegangen, und nachdem er mit ihnen eine Weile auf einer Bank in dem Wäldchen vor dem Schlesischen Thor gesessen, hat er die vier Kinder in den Korb gesetzt, sie so nach der Schleuse getragen und dort «seine Last vorsätzlich in das Wasser fallen lassen». Nur einen Schrei will er noch gehört und daran die Stimme des ältesten Kindes erkannt haben Er lebte seit Mitte September in Unfrieden mit seinen Aeltern, sie hatten ihn; po lizeilich untersagen lassen, ihre Behausung ferner zu betreten, und wie er angibt, wäre es Rache an seinen Aeltern gewesen, die ihn zu dem Graß- lichen getrieben. Auch Nahrungssorgen mögen dabei mitgewirkt haben,, und cs wirft dieser Fall ein um so schrecklicheres Licht auf manche berliner Zu stände, wenn man sich dabei erinnert, wie erst ganz vor kurzem Väter, Mutter und Tochter sich aus Noth ertränkt haben." — Jy Memel sind, wie die Preußische Correspondenz berichtet, an iUn- terstühungen biSjetzt circa 18,900 Thlr. von weit und breit eingelauftn ; cs nehme Wunder, daß die Residenzstadt Berlin, mit Ausnahme der könig lichen Familie, hierzu so wenig beigctragen habe. X Breölau, 8. Nov. Eine hochstehende Persönlichkeit, Erbe eines be rühmten Namens, selbst in den politischen Wirren seit 1848 häufig han delnd und redend genannt, ist plötzlich in Wahnsinn verfallen und nach Kiel in eine Irrenanstalt gebracht worden. — In dem hiesigen Arbeitshause befindet sich seit mehren Monaten ein höchst merkwürdiges Frauenzimmer, das in vielen Beziehungen auffallend an Kaspar Hausep mysteriösen Andenkens erinnert. Im vergangcyen Winter tauchte diese Person, die in dem Alter von ungefähr 20 Jahren steht, zuerst eines Tags in der Schwcid- nitzcr Vorstadt auf und erregte durch ihr absonderliches Gebühren einen Zu sammenlauf von Menschen, bei deren Andrängen sie mit den Händen in Hnfertionlge-üh» für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland. Preußen, tBerlin, 9. Nov. Wir haben bereits darauf hinge- Heutet, daß auf telegraphischem Wege hicrhergemeldet worden ist, daß die jüngste preußische. Note in Petersburg eine günstige Aufnahme gefunden habe. Eine förmliche Antwort Rußlands ist indessen biejcht noch nicht «ingetroffcn und dürfte dieselbe, wie man in hiesigen namhaften politischen Kreisen glaubt, auch vor einer Entscheidung in Betreff des Schicksals Se wastopols nicht zu erwarten sein. Hervorzuheben ist, daß in hiesigen russen- freundlichen Kreisen angenommen wird, daß der Kaiser von Rußland bei der Behauptung der Festung Sewastopol durch die Russen chcr zum Fric, den geneigt sein würde als bei dem Falle dieser Festung. Hinsichtlich der gegenwärtigen Stellung der Belagerer Sewastopols hört man von bedeu tenden Militarpersonen behaupten, daß dieselbe eine feste und unangreifbare sei, während auf der andern Seite hier die Ansicht Wurzel zu fassen scheint, Sonnabend. «e^tzi^i'Z-ilung erscheint mit Ausnahme des Montag« täglich und wird RschNmag« 4 Uhr. au«- 1,0 8-gchen. Nesi» für da<S>,Viertel., jahr 1'/, Thlr.; sehe ein zelne Nummer 2 Ngr. Die österreichische Depesche vom 23. October. Die auH Wren vom 23. Oct. datirte, an den kaiserlichen Gesandten in außerordentlicher Mission zu Berlin Grafen Esterhazy gerichtete, die Er widerung auf die preußische Depesche vom 13. Oct. enthaltende Depesche de« kaiserlichen CqbinetS lautet nach der Allgemeinen Zeitung: Nur unserm eigenen Wunsch hat das königliche Cabinct entsprochen, indem eS, wie IN der Depesche vom Ili. Ort. bemerkt wird, die Gesammtheit unserer Mittheilun- gen vom 1. Oer. seiner «Erwägung unterzogen hat. Wir haben eine-solche Prüfung mit der vollst Beruhigung« Hervorrufen können, daß-ihre Ergebnisse, wenn auch viel-- telcht folgenschwer, für alle Bctheiligten, doch sicher nicht geeignet, sein würden, die Ur sachen einer Spaltung, die wir uns kaum,als möglich zu betrachten entschließen können, aus unsere Handlungsweise zurückzuführen. Wil sind jederzeit weit entfernt gewesen, das freie Selbstbestimmungsrecht Preußeus, gegenüber den Handlungen, die wir unserer seits selbständig vorgenommen habe», in irgendeiner Weise beschränken zu wollen; aber wir haben schon im Aprilvertrag wie in den Verhandlungen, welche ihm vorhergegan- gcu sind, in Voraussicht der praktischen Erfodernisse unserer Lage »ns die Freiheit Vor behalten , unabhängige Schritte zu thun und je nach Umständen Vereinbarungen zu schließen, sofern diesk nur im vollen Einklang mit den Grundsätzen des Vertrags-stehen «Men. Warum also so beharrlichen« cntgegenhalten, daß wir, wenn die Veran- lassupg dazu gegehsn war, selbständig gebandelt haben? Warum nicht fragen, ob wir je anders als in strengster Folgerichtigkeit nach den Grundsätzen des Vertrags und zur Sicherung feiner Zwecke vorgeschritten find? Der Vertrag mit der Pforte war die nothwendige Vorbedingung der Ausführung des Zusatzartikels vom 20. April, unsere jetzige Stellung)in den Füvstenthümcrn ist deren nvthwendige Folge. Als dasSchutz- «nd Lrutz-fitzdnist.geschlossen, wurde, begehrte Preuße» -nicht, daß wir, falls Rußland sich nicht zur freiwillige» Räumung enilchlseßen würde, mit den. Gegnern Rußlands nicht cooperiren sollten; es mußte vorherschcn, daß das Gegentheil stattsinden würde. Die Operationen in den Fürstenthümern würde» alsdann sicher nicht ausschließlich die Walwimg deutscher Interessen zum Zweck gehabt haben. . Warum uns also jetzt riese unmögliche Bedingung stellen? Sollen wir, den Eindruck im Allgemeinen aussprcchen, den- PzeußenS letzte Erklärungen in unö zurückgelassen haben, so liegt es in dcr That, wir sägen es mit aufrichtiger Genugthupng, nicht an einer Verschiedenheit wesentlicher Grundsätze oder einem unvereinbaren Unterschied in der Auffassung der gegenseitigen Rechte und Verbindlichkeiten/ wenn-dem berliner Hof die Erläuterungen, welche wir ihm gegeben haben, nicht unbedingt als seiner eigenen Anschauung entsprechend erschie nen find. ES sind dje thatsächlichen Verhältnisse, welche sich in den Auge» der königlich pspußMen Regierung anders als in de» unserigen dargestcllt haben, und wir glauben eben hierauf die Hoffnung gründen zu können, daß die fortschreitende Enlwickelung dieser Verhältnisse'auch die Wiederbefestigung eines vollen und keinen weitern Zweifeln unterworfenen Einverständnisses zwischen uns und der verbündeten Macht im Gefolge haben,werde.- Das königlich" preußische Cabinet scheint der. Thatsache des Rückzugs der,russischen Armee aus den Donaufürstenthümern eine politische Bedeutung beiznlegcn, die wir in einer rein militärischen Maßregel anznerkennen nicht vermögen; es erblickt in der Erklärung Rußlands, sich auf die Defensive beschränken zu wollen, eine Sicher heit, dis wir unsererseits-darin vermissen; es findet keinen Grund zu Besorgniß in der Aufstellung des Kerns der- russischen Heeresmacht in Polen, eine Maßregel, die uns im Lichte einer verhängnißvollen Drohung gegen Oesterreich erscheint. Jeder Tag hellt die Latze deutlicher und. mit ernsterer Mahnung auf, und es bleibt uns daher nur übrig, unser Vertrauen auf die nnS von neuem gegebene Versicherung auSzusprechen, daß Sc. Mäh der König sich in ihrem ganzen-Umfang - der Pflichten bewußt sind, die Alldrhöchstdenselbcn die Fürsorge für Deutschlands Sicherstellung , im Osten und auf alle Eventualitäten hin auferlegt. Auf den gemeinsamen Mang von Oesterreich und Preußen am Bundestage legen wir »och heute, wie wir eS von jeher gethan, das größte Gewicht. Mit Sorgfalt undAusdauer sind wir bestrebt gewesen, unS-aus der Linie zu halten, welche Preußen und allt!unser« Bundesgenossen mit uns eänznnehmen sür das Richtige erkennen mußten. In der holsteinischen Angelegenheit, auf welche das königliche Cabinet sich bezieht, haben all gemeine Erschütterungen Preußen verhindert, eben dieses Verfahre» zu beobachten; ihr Ausgang dürfte daher keine andern Folgerungen zulassen als die des unersetzlichen Werths, welchen die Einigkeit von Oesterreich und Preußen für das gesammte Deutsch land hat. Wir glauben in dieser Lage der Dinge auch jetzt noch Ew. Ezc. die Auf gabe stellen zu können, auf ein völlig übereinstimmendes Handeln der Vertreter der beiden Mächte, an-der Bundesversammlung hinzuwirken. In dieser Annahme theilen wft Ihnen die abschriftlich anliegende, eventuelle Instruction, welche wir für Len kai- serlichen BundeSpräsidialgesandte» entworfen habe», init der Ermächtigung mit, sie dem Hrn. Frhrn. «. Manteuffel vertraulich und mit dem Bemerken zur Kenntniß zu brin gen,- daß-wir von derselben nicht eher Gebrauch zu machen beabsichtigen, bis sich das königlich.preußisch«, Cabinet über den, Inhalt gegen uns ausgesprochen hat- Von der gegenwärtigen Depesche wollen Ew. Ezc, dem Herrn Ministerpräsidenten Abschrift in Hängen lassen. Empfangen re. Zu beziehen dmch alle Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8).