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Voigtländischer Anzeiger» Siebenündsechszigster Jahrgang. Verantwortlich, Redaction, Druck und Verlag von Morty Wieprecht tu Plauen. jährlicher Abonnement-preiS für diese- Blatt, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. K Ngr. — Die Insertlonsgebührm werden mit 1 Ngr. für die gespaltene CorpuS-Zeile berechnet, größere Schrift nach Verhälmiß de- Raume-. — Sonnabend. A, 12. Januar 18LS. - i I5 i,7-—r >^7? Die Weftmaehte erschöpft? VS ist von Seiten der Russenfreunde die Hoffnung, von den Gegnern derselben die Befürchtung schon öfter- ausgesprochen wor den, die Westmächte würden den Krieg eben nicht länger, nicht einmal so lange aushalten können, als Rußland, ja sie seien schon, je nach der Ansicht des Einen oder de- Andern mehr oder minder, erschöpft. Man weist mit Bedenken daraus hin, daß die letztere englische Staatsanleihe große Schwierigkeiten gefunden habe, daß gegenwärtig in London große Geldklemme herrsche und die engli sche Bank nur durch einen sehr erhöheten TiSconto oder ZinS für baare Verwendung von Wechseln re. das Geld zurückzuhalten im Stande sei ie. und will darau- die Erschöpfung diese- Lande- be weisen. Allein man sollte dabei nicht zu erwägen vergessen, daß in England alle- verfügbare Geld sofort nutzbringend angelegt wird; giebt nun der Staat keine hohen Zinsen, so legt man dort sein Geld in Gewerbe, Handel, zu nutzenversprechenden Unternehmungen rc. an und entzieht e- nicht dem Verkehr, um eS dem Staate zu bor gen. Bei unS freilich ziehen gar viele Kapitalisten eS vor, lieber ihr Geld dem Staat gegen Zinsen zu leihen und ohne Geschäft und Unternehmungen von diesen Zinsen zu leben, als eS in Unter nehmungen aizulegen und den möglichen ganzen oder theilweisen Verlust desselben gegen möglichen größeren Zinsgewinn zu wagen. Daher pflegt man auch in England den Bedarf deS Staates we niger durch Anleihen, als durch neue Steuern zu decken. Wer aber an eine Erschöpfung der Staatskrafl dieses mächtigen Reiches glauben will, der führe sich in Erinnerung, daß 1815 das Steucr- einkommen deS englischen StaateS auf 72 Millionen Pfund Sterling fzu 6 Thlr. 20 Ngr.) jährlich gestiegen war, während eS 1792, also vor den kostspieligen Napoleon'schen Kriegen, nur 19*/, Mill. Pfd. St. betrug, daß es folglich, trotz deS nur durch den kurzen Frieden von Amiens ununterbrochen fortgesetzten Kampfes mit Frankreich innerhalb dreiundzwanzig Kriegsjahren weit über 50 Millionen Pfund gewachsen ist. Zu dem gegenwärtigen Kriege braucht England jährlich 100 Mill. Pfd. St, und diese sollte man nicht aufbringen können, obgleich seit 1815 das englische National vermögen wenigstens um daS Doppelte gestiegen ist? Wenn Rußland und seine Freunde in der Erschöpfung England- einen Bundesgenossen suchen, so ist dirß eine sehr trügerische, wenig trost reiche Hoffnung. Aber Frankreich ist erschöpft! Welche ungeheure Opfer hat diese» Land und Volk seit 1789 gebracht! Eine Revolution, ein Wechsel der Dynastien, der Regierungen, der Regierungsformen um den andern, bald Republik, bald Köntgthum, bald Kaiserthum, wenig Frieden selbst seit 1815, denn da gab- einen spanischen Krieg, eine Eroberung und kostspielige — an Menschen und Geld — Behauptung von Algier, Erperitionen nach Griechenland, Ant werpen re., gegenwärtig wieder den Menschen- und geldsressenden mergenländischen Krieg, der Frankreich schon 500 Mill. Thaler uid noch mehr gekostet Hal, Frankreich kann eS nicht auShalten, es ist erschöpft! Wahr ist-, in allen diesen Zeiträumen seit 1789 ist mit den Kräften Frankreichs flott gewirthschastet worden. Während der re publikanischen Zeiten zehrten und sogen Tausende blutegelmäßig an dem Volls- und Landeskörper ; während der Kaiserzeit muthele man demselben Leibe ungeheure Abführungen zu, und in der sogenannten RestaurationS- oder WiederherstellungSperiode des ersten Königthums mußte für die Legitimisten, für die Ausgewanderten der Revolutions zeit allein das Land eine Milliarde, d. h. 1000 Mill. Francs, mehr als 250 Mill. Thaler, Entschädigung aufbringen. Wahr ists, die Nation ist gegenwärtig zerklüftet in vier feindliche Parteien, näm lich in L'gitimisten, d. h. Anhänger der Familie Karls X., O» llanisten, d. h Anhänger der Familie Ludwig Philipps, Republi kaner, tie wieder in mehrere Parteien gespalten sind, welche Parteien sich elenfallS gründlich hassen, und Napoleonistcn. Wahr ist'S, schon vor 60 Jahren schüttelte alle Welt den Kopf und meinte, der französische Haushalt müsse aus dem Leime gehen und nach 1848 und nach 1852 prophezeiheten die einsichtigsten Männer, daß der Staatshaushalt Frankreichs in die Brüche fallen müsse. Und wie steht es heute? Loui- Napoleon hat den morgenländischen Krieg unternommen, und das französische Volk hat ihm mehr Geld dazu angeboten, als er nöthig hatte. Das ist Thatsache, mögen auch die Unter zeichnungen der Anleihen darum so übertrieben geschehen sein, weil man im Voraus wußte, man müsse viel zeichnen, um etwas zu bekommen. Frankreich — nehme man nur die Landkarte her und sehe sich hübsch um — steht gegenwärtig in einer Machtfülle da, wie sie seit Napoleon I. kein Staat in Europa eingenommen hat. Afrika bis an die Sahara ist französische Besitzung, Rom und Athen sind von französischen Truppen besetzt, Eonstantinopel steht unter dem Schutze französischer Herre, diese Heere sind die Haupt macht deS morgenländischen Krieges, fußen fest in der Krim, auf festländischen russischem Boden, streben weiter und werden noch weiter kommen. Wer mag behaupten, daß das ruhmsüchtige, fran zösische Volk den Siegeslauf seiner Söhne ausgehalten wissen wolle? Dazu steht diese- Frankreich im engsten Bunde mit England. Und diese Länder und Völker sollten, obwohl sie die Last und Opfer de- Kriege- recht gut spüren, sich erschöpft fühlen dürfen, sich für erschöpft halten wollen nud mr erschöpft erklären? Nein,