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diesem E-Dur-Thema, das sich in großem Bogen entfaltet — es ist wohl das schönste des Konzertes —, spricht ebenso unbändiger Freiheitsdrang wie leiden schaftliche Liebe zum Leben. Es ist schwer, im Gesamtwerk Prokofjews e.ne zweite Melodie von so ungewöhnlicher Weite und emotionaler Kraft zu finden. Außer ordentlich vielseitig ist die Durchführung des zweiten Satzes mit der sehr schwie rigen Kadenz (sie beruht auf dem Material des Hauptthemas und der Über leitung) und der vielfältigen Verarbeitung des melodischen Seitenthemas. Die Durchführung ist voll dramatischer Kontraste. — Das Finale besteht aus Variato nen, die in dreiteiliger Folge angeordnet sind. Das erste Thema erklingt anfangs im Charakter eines langsamen instrumentalen Gesanges. Dann verändert der Komponist die ruhige liedhafte Melodie in einen spielerischen Tanz mit lustigen Akzenten und betont-humoristischer Instrumentierung. Im Geiste eines volkstüm lichen Tanzliedes ist das zweite Thema des Finales gehalten, das intonations mäßig dem bekannten bjelorussischen Lied .Lebt wohl' verwandt ist. Doch verleiht Prokofjew dieser warmen und einfachen Melodie eine leichte Ironie" (I. Nestjew). Im Sommer 1927 vollendete Prokofjew die Oper „Der feurige Engel", deren Libretto er nach einem Sujet Waleri Brjussows selbst gestaltet hatte'. Der voll ständige Titel des Werkes, der zugleich eine Inhaltsangabe ist, lautete: „Der Feurige Engel oder die wahre Erzählung von dem Teufel, der wiederholt in der Gestalt eines lichten Geistes einem Mädchen erscheint und sie zu verschiedenen sündhaften Handlungen verführt, von der gottlosen Beschäftigung mit der Magie, Astrologie und Nekromantie, von dem Gericht über das Mädchen, unter Vorsitz seiner Ehrwürden des Erzbischofs von Trier, und über die Begegnungen und Unterhaltungen mit dem Ritter und dreifachen Doktor Agrippa von Nettesheim. Die erzählende Person des ganzen Werkes 'ist der Ritter Ruprecht — ein Mann, dem alle mystischen Vorurteile fremd sind. Er ist ein Humanist und Skeptiker, der Länder bereist und sich an Kriegshandlungen beteiligt. — Die Hauptperson der Erzählung ist die Geliebte des Ritters Ruprecht, Renata, die von religiös-mysti schen Anfällen heimgesucht wird und durch die Folterung der Inquisition um kommt." Da jedoch die Oper außer einer teilweisen konzertanten Aufführung (im Frühjahr 1928 in Paris) nicht gespielt wurde (die Uraufführung erfolgte erst 1955 in Ve nedig, das Werk ist in der DDR gegenwärtig an der Deutschen Staatsoper in Ber lin zu sehen), kam Prokofjew zunächst der Gedanke, aus dem musikalischen Ma terial der Partitur eine sinfonische Suite zusammenzustellen: „Bei dem Gedanken wurde mir klar, daß eine der Zwischenaktmusiken die Verarbeitung der im vorher gehenden Bilde gebrachten Themen bildete. Das konnte den Kern einer Sinfonie ergeben. Beim Probieren erkannte ich, daß sich diese Themen sehr willig in die Exposition eines Sonatenallegros einfügten. Nachdem ich die Exposition und die Durchführung hatte, fand ich in den anderen Akten dieselben Themen, anders gefaßt und für die Reprise geeignet. Von hier aus entstand der Plan des ersten Satzes der Sinfonie wie von selbst. Für das Scherzo und das Andante ergaben sich die Themen gleichfalls mühelos; wegen des Finales schwankte ich einige Zeit. Mit der endgültigen Formgebung, dem Glätten der Nähte und mit der Instrumen tierung verging dagegen sehr viel Zeit. Die so entstandene dritte Sinfonie halte ich jedoch für eine meiner wesentlichsten Kompositonen. Ich habe es nicht gern, wenn sie die .Sinfonie des Feurigen Engels' genannt wird. Das hauptsächliche thematische Material wurde vielmehr unabhängig vom .Feurigen Engel' kompo niert. Als es in die Oper einging, nahm es natürlicherweise eine Färbung vom Stoff an, die es beim Übergang von der Oper zur Sinfonie meiner Meinung nach wieder verlor, so daß ich möchte, der Hörer nehme die dritte Sinfonie einfach als Sinfonie ohne jede gegenständliche Vorstellung." Die auf diese Weise entstandene Sinfonie Nr. 3 o p. 4 4 , in der es dem Komponisten nach persönlicher Ansicht gelang, seine „musikalische Sprache zu vertiefen", wurde dem bedeutenden sowjetischen Komponisten N. Mjaskowski gewidmet und am 17. Mai 1929 in Paris unter Pierre Monteux uraufgeführt. In den USA dirigierte Leopold Stokowski das Weik mehrmals, und in der UdSSR nahmen es verschiedene Dirigenten in ihre Programme auf. Zweifellos jedoch verdient die Sinfonie, die ein der echtesten, kompromißlosesten Schöpfungen des sowjetischen Meisters darstellt, weitaus größere Beachtung, als ihr bisher zuteil wurde. Nach der geistreichen, eleganten „Klassischen Sinfonie", nach der aus „Stahl und Eisen" geschmiedeten herben zweiten Sinfonie überraschte die „Dritte" durch ihren uner hört dramatischen, leidenschaftlich-tragischen Ausdrucksreichtum. „Eine kraftvolle und wildbewegte Erzählung von menschlichem Dulden und Leiden" nannte sie ein Kritiker. „Sie umfaßt vier Sätze in der ungewöhnlichen Tempi-Folge: Moderato — Andante — Allegro agitato — Andante mossö. Im ersten, einem Sonatensatz mit drei Themen, steigert sich die Musik in einem weitangelegten Bogen zu immer intensiverem Pathos, in dem ein lautes, hektisch erregtes und ein elegisch-lied haftes Thema immer dichter miteinander verwoben werden. Skurrile Episoden mi'i verzerrter tänzerischer Melodik erhöhen die Spannung, die auf ihrem Kulmina tionspunkt von einem hymnischen Thema unterbrochen wird, das in einen fest lichen Bläserchor einmündet. Dann fällt die Spannung allmählich, das erste und zweite Thema klingen noch einmal an, bis der Satz mit leisen, dunklen und fahlen Klängen schließt. Der zweite Satz ist fast ganz von einem Thema bestimmt, das einer herben Trauer Ausdruck verleiht. Hier klingt die Musik innig, zart und be herrscht, sie schildert das Tragische im menschlichen Leben, den Verzicht auf Freude und Glück mit packender Eindringlichkeit. In grellem Kontrast schließt sich der schnelle, hastig dahineilende dritte Satz an. Darauf beschließt ein Finale die Sinfonie, in dem drohende Dämonie und schmerzlich klagender Verzicht den Aussagegehalt bestimmen" (H. A. Brockhaus). Wenn auch Prokofjew selbst die Sinfonie „ohne jede gegenständliche Vorstellung" aufgefaßt haben wollte, so ist doch unverkennbar, daß der Ideengehalt der Oper auch in der Sinfonie wieder begegnet, naturgemäß in weitaus verallgemeinerter Form. Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN: Sonnabend, den 30. und Sonntag, den 31. Mai 1970, jeweils 18 Uhr, Schloßpark Pillnitz 2. SERENADE Dirigent: Lothar Seyfarth Solisten: Gerhard Hauptmann, Oboe — Helmut Radatz, Fagott Werke von Händel, Beethoven, Vogel und Dittersdorf Freier Kartenverkauf Dienstag, den 2. Juni 1970, 20 Uhr, Kulturpalast Dresden 12. AUSSERORDENTLICHES KONZERT (Vorverlegung vom 25. Juni 1970) Dirigent: Kurt Masur Solisten: Ute Mai, Leipzig, Sopran - Johannes Kemter, Dresden, Tenor Karl-Heinz Stryczek, Dresden, Bariton - Günter Kootz, Leipzig, Klavier Ludwig van Beethoven: Chorfantasie; Carl Orff: Carmina burana Freier Kartenverk. Sonnabend, den 13. Juni 1970, 20 Uhr, Kulturpalast Dresden Einführungsvortrag 19 Uhr, Dr. Dieter Härtwig 10. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Hannerose Katterfeld, Berlin, Alt; Sprecher: Joachim Zschocke, Dresden Werke von Prokofjew und Beethoven Anrecht B Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1969/70 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: veb polydruck, Werk 3 Pirna - 111-2512 1,6 ItG 009-61170 bilharnnonii 9. ZYKLUS-KONZER 1969/