Volltext Seite (XML)
Vie „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Aloritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme vsn Inseraten bi, vormittag 40 Uhr, Inserate werden mit >0 Pf. für die Sxaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Nr. 107. Mittwoch, den 7. September 1904. 3. Jahrgang. Bekanntmachung. Donnerstag, den 8- September 1904, abends 3 Uhr öffentliche Gememderatsschrmg. Ottendorf-Moritzdorf, am 6. September 1904. Der Geineindevorftand. Lincke. Oertliches und Sächsisches. Bttendorf-Vkrilla, 6. September IS04. (tz) Wiederholt ist von verschiedenen Seiten der Wunsch geäußert worden, unter den Damen und Herren des Ortes, bez. auch der näheren Umgebung, einen Verein zur Pflege der Geselligkeit, des guten Tones und der geistvollen Beschäftigung, sei es durch Literatur, Dramatik, lehrreiche Vorträge etc. zu gründen. Da hier für die in Betracht kommenden Kreise eine derartige Vereinigung noch nicht existiert, dürfte die Gründung eines solchen Vereins nur um so mehr zu begrüßen sein, wenigstens soll der Versuch einmal ge wagt werden. Demzufolge werden die ge ehrten Damen und Herren, welche als Freunde der Geselligkeit und der geistreichen Unter haltung gewillt sind, dieses Vorhaben zu Unterstützen, höflichst gebeten, das in heutiger Nummer befindliche Inserat gütigst beachten zu wollen. — Altweibersommer nennt der Volksmund die feinen, weißen Gewebe, die an September tagen in der Luft zu bangen scheinen und uns beim Spaziergange anfliegen. Es fallen einem allerhand Sachen ein, die den Ursprung jener Fäden poetisch erklären. Da ist die Schicksals göttin, die den Lebenssaden spinnt, eine der drei Parzen, und wirklich sagt man oft: „Das Leben dieses Menschen hängt nur an einem Faden." Eine andere Geschichte erzählt von der stolzen Königstöchter Arachne, die sich vermaß, mit den Frauen des Olymp um die Wette spinnen zu wollen und die Strafe für ihren Dünkel in eine garstige Spinne ver wandelt wurde. Im Mittelalter, wo die Ver ehrung der Jungfrau Maria dem Volke ganz in Fleisch und Blut übergegangen war, nannte man die kleinen duftigen Gewebe „Marien garn" oder „Frauensommer" und bildete manch sinnige Legende um ihre Entstehung. Heute wissen wir, daß die Feldspinne, um sich in der Luft rascher bewegen zu können, den „Alt weibersommer" erzeugt Wenn wir ihn sehen, so sollten wir uns freuen, nicht nur an der Geschicklichkeit, mit der er gesponnen wurde, sondern auch deshalb, weil diese Fäden stets als Vorboten eines schönen warmen Tages gelten. Der Instinkt der Spinne ist hier fast immer untrüglich. — FcueAöschapparate in D-Zugswagen. Die Staatseisenbahnverwaltung läßt jetzt in den D-ZugSwageu Feuerlöschapparate (Gas spritzen) anbringen, mit deren Gebrauch und Instandhaltung das Zugs-, Wagenwärter- und Werkstättenpersonal sich bekannt macht. Die Neuerung, die zur weiteren Sicherung der Reisenden beiträgt, ist freudig zu begrüßen. — Angeschossene Rebhühner, die von dem Schützen oder seinem Hunde nicht gefunden Werden, eignen sich häufig nicht jagdbercchtigte Personen an, die sie dann zum Kaufe anbieten. Wir erinnern deshalb daran, daß unerlaubtes Aneignen von Wild strafbar und es Pflicht ist, den Fund angeschossencn oder verendeten Wildes dem Jagdpächter anzuzeigen. — Bei Eröffnung der Jagd seien die Be sitzer von Hunden darauf aufmerksam gemacht, daß es gesetzlich verboten ist, sie aufs Feld witzunehmen, wo sie herumstöbern und der Jagd Schaden zufügen können. Die Jagd berechtigten können jederzeit die Besitzer zur Bestrafung anzeigen und die umherlaufenden Hunde ebensogut wie die dreihundert Schritte vom nächsten Gehöft entfernt streichenden Katzen totschießen. Dresden. Vermutlich durch Kinder, die mit Streichhölzern spielten, entstand Sonnabend vormittag nach 11 Uhr in einer Küche im Dachgeschoß des Grundstücks Elisenstraße 70 ein Brand, dem beide nur kurze Zeit allein in der Wohnung gelassenen Kinder, ein Knabe im Alter von 3^/2 Jahren und ein 2 Jahre altes Mädchen, zum Opfer sielen. Noch bevor die Feuerwehr zur Stelle kam, waren Flur nachbarn in die verqualmte Wohnung einge drungen und hatten den an sich nur unerheblichen Brand gelöscht. In einer mit Hobelspänen gefüllten brennenden Kiste wurde das Mädchen verbrannt aufgefunden, während die Feuerwehr den Knaben in der Küche unter einem Tische erstickt auffand. Die Samariter der Feuer wehr nahmen, da man an dem Knaben noch leise Herzschläge zu vernehmen glaubte, sogleich Wiederlebungsoersuche durch Zuführen von Sauerstoff vor, die leider ohne Erfolg blieben. Die Versuche wurden trotzdem auch noch während der Ueberführung des Kindes im Krankenwagen nach dem Johannstädter Kranken hause fortgesetzt, wo indessen der Tod fest- gestellt werden mußte. Moritzburg. Die Tage der Moritzburger Fischereien sind folgende: den 22. und 22. Sept, der Frauenteich, den 20. und 21. Oktober der Mittelteich, den 3. und 4. November der Groß teich. Radeburg. In Weixdorf bei Klotzsche wurde vor acht Tagen einem Gutsbesitzer des Nachts aus dem Stalle ein Pferd gestohlen, jetzt hat man den Dieb ermittelt und festge nommen. Dieser, ein früherer Einwohner von Weixdorf, hatte das Tier bereits in hiesiger Stadt verkauft. Zwei weitere Pferde, die er eiuem anderen Gutsbesitzer gestohlen hatte, waren ihm wieder entwichen. Dadurch kam dieser Besitzer wieder zu seinen Pferden. Zehista. Ein kaum glaublicher Vorgang hat sich hier zugetragen. Dort traf ein von einem Ansgange heimkehrender Maurer in seiner Wohnung den Schutzmann an. Hierüber anfgebracht, machte der Ehemann energisch von seinem Hausrechte Gebrauch, während sich der Schutzmann zur Wehr setzte. Letzterer zog dann blank und brachte seinem Gegner einen kräftigen Hieb über den Kopf bei, sodaß die entstandene Wunde über den ganzen Schädel reicht. Den zweiten Hieb fing der Maurer mit dem linken Arm auf, dessen Knochen mit der Waffe durchgeschlagen wurde. Der Ver letzte mußte sofort nach Pirna in ärztliche Behandlung gebracht werden. Nach Anlegung der ersten Verbände erfolgte seine Ueber- sührung nach dem Johanniter-Krankenhause in Dohna-Heidenau. Auch der Schutzmann soll Verletzungen erlitten haben. Ueber den Zweck der Anwesenheit des letzterem in der Wohnung des Maurers gehen verschiedene Gerüchte um. — Der erwähnte Vorgang in Zehista stellt sich wie folgt dar: Nachdem zu wiederholten Malen in Zehista zur Nachtzeit Obst gestohlen worden war, erhielt der Schutzmann Holfert den Auftrag, die Obstnutzungen öfter zu kontrollieren, wobei derselbe auch drei junge Burschen auf frischer Tat ertappte, An dem verhängnisvollen Abend gegen 9 Uhr ging der Schutzmann wieder die Strecke ab, und hörte im Kübnelschen Obstgarten verdächtiges Geräusch. Zur besieren Beobachtung trat der Schutzmann in eine offene Hausflur, wurde aber im selben Augenblick von dem Maurer Friedrich über fallen und in brutaler Weise mißhandelt. Daraufhin sah sich der Schutzmann gezwungen sich mit blanker Waffe zu verteidigen. Die schweren Verletzungen hat Friedrich erst beim dritten Angriff desselben auf den Schutzmann erhalten. Von einem Betreten der Friedrichschen Wohnung resp. Verkehr mit dessen Frau kann mithin keine Rede sein. Rathen. Eine mißglückte Düngung spielte sich hier ab. Ein Gutsbesitzer hatte eine Fuhre Kalk nach seinen an Bergesabhange gelegenen Feldern gefahren, um damit zu düngen. Das Schleifzeyg war fest und sicher angezogen und die Pferde ausgespannt und beiseite geführt. Da auf einmal gab es einen heftigen Knall; das Schleifzeug war gerissen, und wie ein ab- qeschofiener Torpedo sauste der schwer beladene Wagen den Abhang hinunter, schnurgerade auf das Wohnhaus los, zertrümmerte bei seinem mächtigen Anprall die massive Mauer und kam mitten im Wohnzimmer zum Stehen, nachdem er alle im Wege stehenden Möbel rc. zermalmt hatte. In demselben Moment brach der Wogen auseinander und entledigte sich seines Inhaltes, indem er den Fußboden mit einer fußhohen Kalkschicht überschüttete. Pirna. In den hiesigen Stciubrüchen wird es nun wieder lebendig, da die von dem Verbände sächsischer Saudsteinbruchinhaber verhängt gewesene Sperre aufgehoben worden ist, nachdem die Differenzen beigelegt sind. Station Schöna. Da im oberen Elbe gebiete das Wasser ebenfalls etwas gestiegen ist, so war es am Sonnabend und Sonntag möglich, vier beladene Obstkähne von Böhmen nach Deutschland einfahren zu lassen, die eben falls für Berlin bestimmt sind. Chemnitz. Von dem abends ^10 Uhr von Altchemnitz nach Stollberg verkehrenden Personenzuge ist am Sonntag unweit der Haltestelle Klaffenbach der 77 Jahre alte Strumpfwirker Wilhelm Richter aus Klaffen bach überfahren und getötet worden. Görlitz- Ein Raubmordversuch wurde hier verübt. Der Lehrling einer Fabrik wurde nach Abhebung von 400 Mark bei der Post von einem gutgekleideten Herrn angesprochen und nach dem Hotel Strautz in ein Zimmer mit genommen. Dort würgte ihn der Angreifer, bis er ihn tot glaubte und beraubte ihn des Geldes. Der Täter ist entkommen. Aus der Woche. So lebhaft und todbringend die Bomben und Schrapnells bei Port Arthur und Liaujang auch rasen — weder hier noch dort ist die er wartete Entscheidung erfolgt, und wenn man auch der todesverachtenden Tapferkeit der Japaner die höchste Anerkennung nicht vor- enthalten kann, so zwingt doch auch die kalt blütige Unerschrockenheit der Russen zur vollen Bewunderung. Aber gerade da die beiden Gegner ebenbürtig sind, zögert sich die Ent scheidung so lange hin und schließlich dürften nicht die bessere Führung und die größere Tapferkeit, sondern unvorhergesehene Zu fälligkeiten den Ausschlag geben. Aus dem Kriege, dem ersten, in dem auf beiden Seiten mit allen modernen Mitteln gekämpft wird, läßt sich sehr viel lernen und darum versteht man auch, weshalb Kaiser Wilhelm zwei Prinzen in die Hauptquartiere der feindlichen Heere zu senden beabsichtigte. Prinz Anton von Hohenzollern hat ja seine Reise zu den Japanern bereits angetreten, aber Prinz Leopold, des Kaisers sechs Jahre jüngeren Vetter, der in das Hauptquartier Kuropatkins gehen sollte und bereits seine Reisevorbereitungen getroffen hatte, wird sein idyllisches Klein» Glienicke bei Potsdam nicht verlassen. Seine Reise ist „einstweilen verschoben", doch in diesem Falle dürfte aufgeschoben und aufge schoben das gleiche sein. Erst hieß es, Prinz Friedrich Leopsld sei erkrankt, aber da man nicht erwarten konnte, daß dieser Lesart all seitig Glauben entgegengebracht wurde, ist die Unsicherheit der sibirischen Bahn, die durch Tschungtschusenbanden gefährdet wäre als Grund der Nichtausführung der Reise bekannt gegeben worden. Dem Prinzen wird damit nur gedient sein; denn im Hauptquartier einer immer und immer zurückweichenden Heeres leitung pflegt es nicht besonders lustig herzu gehen und alle Bequemlichkeiten, die der friedliche Landsitz eines Prinzen bietet, lassen sich da auch nicht immer auftreiben. Und wie Prinz Friedrich Leopald den schweren Kämpfen im Osten fern bleiben wird, so hat sich von denselben gleichfalls der vielgenannte Großfürst Boris wieder entfernt, der auch ein Vetter des regierenden Zaren ist- An dessen Auftreten auf dem Kriegsschauplätze knüpft sich mancherlei unkontrollierbarer Klatsch, den jeder Reporter erfinden kann, ohne daß auch nur eine Spur von Wahrheit darin zu stecken braucht. Und gerade an hochstehende Persönlichkeiten macht sich der Klatsch gerne. Wehe, wenn er noch durch Tatsachen gefüttert wird. Und das ist der Fall in der neuen Affäre der Prinzessin Luise von Koburg-Cohary der Schwägerin Ferdinands von Bulgarien, Schwester der früheren Kronprinzessin von Oesterreich, jetzigen Gräfin Lonyay und Schwiegermutter des Herzogs Ernst Günther zu Schleswig-Holstein. Man sagt entschuldigend, Jugend habe keine Tugend, und gewiß mag das Fürstinnen ebenso zugute kommen, wie gewöhnlichen Sterblichen. Aber mit 46 Jahren — und dieses immerhin schon nennenswerte Alter weist die mehr unglückliche als zu ver dammende Luise von Koburg auf — könnte man sich doch auch schon die tollen Hörner abgelaufen haben. Prinzessin Luise hatte bei dem ständig getrübten Eheleben ihrer Eltern des belgischen Königspaares, eine überaus traurige Jugend. Ihr Vater verheiratete sich schon früh (1875) an einen unbeliebten Mann, den Prinzen von Coburg-Cohary in Wien. Als sie 21 Jahre später in Cannes ihren Vater um Einwilligung zu einer Ehescheidung bat, da sie ihren Gatten nicht liebe und nie geliebt habe, soll ihr der zärtliche Vater er widert haben; so ein Gatte sei ein Paravent (Wandschirm) und was sie dahinter mache, gehe die Welt gar nichts an; diesen Wand schirm solle sie sich nur erhalten. Daß die sittlich höherstehende Tochter dem Vater er widerte: „Das ist schmutzig!" muß man ihr auch bei allen späteren Verirrungen auf die Guthabenseite ihres Moral-Kontos schreiben. Auf welchem Rechtstitel hin die Prinzessin jahrelang als Wahnsinnige eingesperrt gehalten wurde, ob ihre gelungene Flucht ihr endlich die Freiheit bringt, das sind noch ungelöste Fragen. — Die Woche hat im übrigen noch weitere Personalnachrichten von Interesse gebracht. So kam aus Konstantinopel die Nachricht, Sultan Murad sei gestorben. Wohl nur wenige dachten bisher daran, daß der Dreimonats- Sultan überhaupt noch lebe. Im Einver ständnis mit dem Scheich ul Islam, dem Hohenpriester der Mohammedaner hatte ihn sein liebevoller jüngerer Bruder, der jetzige Großsultan, entthronen uud einsperren lassen, um sich selber auf den Thron zu setzen, den er mm schon achtundzwanzig Jahre schmückt. Und nun noch eine Personalnachricht, die überraschend wirkt: „Herr Frh. v. Mirbach hat seine „Neben ämter" und die Leitung „seiner" kirchlichen und gemeinnütziger Vereine niedergelegt und ist noch Oferhofmeister der Kaiserin geblieben. Damit ist der Fall Mirbach für die Oeffentlichkeit die sich im Uebermaß mit ihm beschäftigt hatte, abgetan. Aber nun bleibt noch der Fall Hammerstein! Auch dieser dürfte mit einem — Fall enden!