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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22j Silbergr. (j Tblr.) vierteljätirlläi, Z Tklr. sür da« ganze Iabr, ohne Erhöhung, in allen Ldeilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., IägerNralle Nr. 28), so wie von allen König!. Post-Aenuern, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Donnerstag den l8. März 1847. Nord-Amerika. Neueste Literatur über die Vereinigten Staaten. l. Featherstonhaugh. — 2. Mrs. Maury. Wir haben es hier mit zwei Werken von völlig entgegengesetztem Cha rakter zu thun: den geologischen Untersuchungen eines gelehrten MilitairS in den Gold-Regionen des Cherokee-Gebiets und den Bleiminen Wisconfin'S"), und den Beobachtungen einer zur Liverpooler Handels-Aristokratie gehörigen Dame ii^ den Salons von Washington und Philadelphia. °°) Jener schildert uns ein neues, noch halb wildes Land, dessen Zustände gar sehr von dem Ideal eines wohlgeordneten Polizeistaates abweichen — ein Land, wo kein Recht so sehr geachtet wird, als das Faustrecht, wo die Entscheidungen des Suüze l^ncti mehr Kraft haben als die Kommentarien des Oosie Nyon I.M- leton, wo der Gouverneur eines dem Königreich Preußen an Umfang gleichen Staates wie CincinnatuS hinter dem Pfluge hergcht, wo deutsche Theologen und Philologen an den Straßen arbeiten oder in der Schneider-Werkstätte fitzen, und Leute, die kein Wort Latein oder Griechisch verstehen, ja oft nicht einmal ordentlich lesen und schreiben können, zu den höchsten Würden empor- stcigen — wo Wissenschaft und Kunst kaum dem Namen nach bekannt find und camp Meetings die Stelle unserer Maskenbälle und Assembleen ver- treten; Diese beschreibt hingegen eine Gesellschaft von wohlerzogenen Herren und Dainen, wo Alles ganz schicklich und conventionSmäßig zngcht, wo der Hof des Präsidenten im „weißen Hause", wie der Hof des Bürgerkönigs in den Tuilcrieen, zum Mittelpunkt der Jntrigue und Kabale dient — wo man über Vergnügungen und TageSklatschereien die ernsten Interessen der Zeit vergißt, und wo der aus Europa anlangende Beobachter, wie Harlekin in der italiänischen Posse, die Entdeckung macht- <>>« rmto u momio « tu»» come I» nostr» f-uniglis. Herr Featherstonhaugh hat zehn Jahre zwischen seinen Reisefahrten und der Veröffentlichung ihrer Resultate verfließen lassen — eine überstrenge Be folgung der Horazischen Regel, die durchaus nicht auf seinen Gegenstand paßte. Zehn Jahre bringen im b'-w West größere Veränderungen zuwege, als ein Menschenalter in England und Frankreich, oder ein Jahrhundert in den Staaten des besonnenen Fortschritts. Wo jüngst noch Urwald war, sieht man jetzt blühende Maisfelder und üppige Weideplätze, das flache Land wird überall mit Städten und Weilern besäet, an der Stelle indianischer Wigwams erheben sich Kirchen und ^om-r-llauses, die Spuren der Moeeasins machen Kanälen und Eisenbahnen Platz, und siegreich tritt die Civilisation aus dem Kampfe mit der Barbarei hervor. Von allem diesem weiß unser Verfasser nur wenig zu berichten; er verweilt am liebsten bei den Schattenpartiecn des Bildes, den Gebrechen und Lastern einer noch unvollkommen organisirten Gesellschaft, deren geistige Kultnr nicht immer den materiellen Fortschritten entspricht. Zu der unbeschränkten Freiheit des Handelns und der gänzlichen Abwesenheit aller polizeiliche Beaufsichtigung, die dem Charakter des Volkes eine so bewunderns würdige Selbständigkeit und Energie verleiht, gesellt sich eine Mißachtung der gesetzlichen Formen und eine Neigung zur Selbsthülfe, die, wie cs sich nicht leugnen läßt, gar zu häufig in Eigenmächtigkeit auSartet und blutige Gewalt- sccnen herbeisührt. So wurde vor einigen Jahren der Sprecher des Reprä sentanten-Hauses von Arkansas in öffentlicher Sitzung von einem Mitgliede desselben ermordet; so fiel der Abolitionist Lovejoy in Alton als Opfer des fanatisirtcn PöbelS: Schreiber dieses war selbst Zeuge, wie inan an einem Zeitungs-Redacteur in St. Louis die Censur dadurch vollstreckte, daß man ihm den Hirnschädcl einschlug, und Featherstonhaugh erzählt von einem durch vierzehn Duelle und Mordthaten bekannten Raufbolde, der unter Anderem einen jungen Mann wegen einer Meinungsverschiedenheit an der WirthStasel niederschoß, aber stets unbestraft blieb. Die Beschreibung, die er von einer Gerichts. Sitzung in Wisconsin giebt, wird Manchem fabelhaft vorkommen. „Ich hatte in Erfahrung gebracht", sagt der Reisende, „daß man heute Abend einem Mörder den Prozeß machen werde, und da man bei solchen Gelegenheiten hier im Westen immer Unterhaltung findet und die eigenthümliwen Sitten der Hintcrwaldmänner beobachten kann, so begab ich mich nach dem aus Baumstämmen errichteten Gebände, das als emwl-Nou.-w (Gerichtshof» ') c'nuue Up tlie öliuu»^ 8utor, »in, an Account <>k tb- !.-»<! auS ^nppor tu Xä iaonu-lu kto. U) ti. rV p'raUn'r-tnut.angl'' I.unUnn, IStk. ") 'VNr 8t»t-»,n«u uk Emeric» tu 1840. Nv älr». ölnnr^. I.nnäuu, >847, diente. Es was ein höchst ärmliches Lokal, finster und mit ekelhaft schmutzigen Menschen angefüllt, die überall umher spuckten. Der Delinquent war ein häßlicher, unverschämter Gesell, Namens M'Eomber, der, wie eS sich aus dem Zeugcnverhör ergab, einem gewissen Willard, Neffen des Gouverneurs Dodge, mit dem er im Streit lag, aufgelauert und mit kaltem Blut eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte. Mein alter Freund, der Richter, präsidirte in einem äußerst schmutzigen Aufzuge, unrafirt und die Kinnbacken mit einem alten seidenen Taschentuch umwickelt, da er „ein schlimmes Maul" hatte, wie er selbst der Jury mittheilte. Der Staats-Anwalt, der die Vcrurtheilung bean- tragte, war allem Anschein nach aus den untersten Volksschichten hervor gegangen: seine Sprachschnitzer und die Abgeschmacktheit seines Vortrags übertrafen Alles, was ich je in dieser Art gehört habe, und sein Aeußeres, seine Stimme und seine Geberden waren völlig mit dem Inhalt seiner Rede in Einklang. Als er geschloffen hatte, vertagte sich der Gerichtshof bis zum folgenden Abend, und Richter, Advokaten und Geschworne gingen sammt und sonders ihrer Wege. — 2N. Mai. Nachdem wir die heutigen Nivellirungen beendigt hatten und in unser Quartier zurückgekehrt waren, erfuhren wir, daß die Jury den Angeklagten schuldig befunden und ein versiegeltes Verdikt an den Richter eingeschickt habe, der um 8 Uhr das Urtel sprechen sollte. Wie ich das 6ourt-ttn»so erreichte, war mein alter Freund noch nicht erschienen, »nd ich betrachtete eben den Gefangenen, dessen Blicke unruhig durch das Zimmer irrten, als der Richter mit wüster Miene und zerzauster, halb losge- knöpftcr Kleidung — total betrunken hcreinstolperte und nach einem ohn mächtigen Versuch, seinen Zustand zu verbergen, mit genauer Noth ohne zu fallen an seinen Sitz gelangte. Ich habe in meinem Leben manchen seltsamen Austritten beigewohnt, aber nie ein so widerwärtiges Schauspiel erblickt. Viele der Anwesenden gaben ihren Unwillen zu erkennen, und mehrere von ihnen schlugen vor, den Richter hinauszuschaffen. Mit dem Körper hin- und herschwankend und ohne Jemanden ins Gesicht zu schauen, versuchte er, eine Anrede an die Jury zu halten, konnte jedoch kein Wort hervorbringeu, und die Erbitterung der Zuschauer stieg bei dieser scheußlichen Parodie eines Rechtsverfahrcns allmälig so hoch, daß ich eine Zeit lang ernstlich befürchtete, man werde den Priester der Themis ergreifen und in den nahen Fluß werfen. Eine solche Katastrophe hätte den bisherigen Gang der Sache auf eine würdige Art geschloffen! Was den Delinquenten betrifft, so schien er ganz verdutzt und maß seinen Richter mit zweifelhaften Blicken, als ob er den Inhalt des Urtels zu erforschen suche, welches unter den feurigen Eingebungen des Brannt weins erfolgen könnte. Indessen fühlte jetzt der Staats-Anwalt, daß seine eigene Wurde auf dem Spiel stehe: er erhob sich daher, um den Richter zu ersuchen, den Urtelsspruch bis zum folgenden Tag auSzusetzen. Da es nun diesem nicht möglich war, hiergegen Einwand zu thun, so ließ der An walt die Vertagung des Gerichts proklamiren, und die taumelnde Majestät der Gesetze wurde öffentlich in Begleitung zweier Konstabler nach ihrer Wohnung ge- bracht. — 27. Mai. Nach dem Frühstück kehrte ich wieder in das Lourt-Uunse zurück, nm den Ausgang dieser kuriosen Geschichte zu erfahren. Bald daraus erschien der Richter, dessen entstellte Züge die Spuren des schon weit vorge schrittenen Säuferwahnsinns trugen; nach einigen sinnlosen Phrasen ver- urtbeilte er den Angeklagten, eine Geldstrafe von Dollars zu erlegen, bis zu deren Entrichtung er in Haft bleiben sollte. Sobald diese abgeschmackte Farce vorüber war, führte man den Delinquenten in das Blockhaus zurück, welches die Stelle eines Gefängnisses vertrat, und als sich die Thür öffnete, um ihn hinein zu lassen, sah ich den Kerl ein Paar Burzelbänme schlagen, wovon der letzte ihn in das Haus brachte, das aus einer einzigen Stube mit vergittertem Fenster bestand. Als man ihn hier eingeschloffcn hatte, fing er sogleich an, aus vollem Halse wie ein Hahn zu krähen. Seine zahlreichen Freunde stellten sich nunmehr an das Fenster, um ihm Glück zu wünschen und ibn mit Whiskey zu traktiren. In derselben Nacht entwich er aus dein Gefäng nisse, und hiermit endigte sich die Geschichte; ihn zum zweitenmalc festzu- nehmen, wagte Keiner, da man wohl wußte, daß es einem solchen Patron auf ein Menschenleben mehr oder weniger nicht ankomme, und daß es sicherer Tod sey, sich ihm mit feindseligen Absichten zu nähern." Dergleichen, wenn auch nicht ganz so krasse Scenen fallen allerdings mit unter in jenen abgelegenen Gegenden vor, aber beiden Elementen, aus wel- chen dort die Gesellschaft besteht, muß man sich schon u prim-i auf manche Ab- normitätcn gefaßt machen, die nicht nach dem Maßstabe unserer eigenen alt geregelten , streng abgezirkelten Kulturzustände zu messen sind. In einer noch halbwilden Region, deren Ansiedler aus allen Welttheilcn „zusammengeschneit" find und kaum begonnen haben, sich zu einer staatähnlichcn Gemeinde zu orga-